wenn auch ein heute vielfach apokrypher, der gegenwärtigen Moderne, da es einst in Gegnerschaft zur Fortschrittsprogrammatik der Französischen Revolution aus dem Interesse an der Erhaltung traditioneller Bestände erwachsen ist.
Gegenüber dieser heute nicht mehr weiterführenden Verengung der Perspektive muß die gesamte geistige Tradition Europas wieder in den Blick genommen und damit der für kategorial gehaltene Bruch der Moderne mit der Vormoderne überwunden werden.
Wir können die tiefer liegenden Probleme der Moderne im Spiegel der Vormoderne, also der europäischen Hochkultur bis zum 17./18. Jahrhundert, genauer identifizieren. Im Brückenschlag zur Vormoderne ist eine »dritte Ebene« des Denkens zu gewinnen, die den Horizont zur Zukunft als einer anderen Moderne öffnet. Damit wird das Selbstverständnis der Moderne als qualitativ einzigartiger, unvergleichlicher und nicht mehr hintergehbarer historische Formation grundsätzlich in Frage gestellt.
Die Krise des Ökonomismus der Moderne
Entscheidend für die Kritik an den Fehlentwicklungen der Moderne ist die Ablehnung des Primats der Ökonomie. In ihm stecken vor allem die Prinzipien von Ökonomisierung und Wachstum. Unter dem tendenziell alle Lebensbereiche unterwerfenden Diktat des Ökonomischen – also des Effizienten, Rechenhaften, Meßbaren, materiellen Gewinn Bringenden – gelten alle Werte nur noch als Marktwerte und werden als solche nur noch wahrgenommen. Das in die Warenproduktion investierte Kapital muß maximalen Profit abwerfen. Dies bedingt das zweite Prinzip, ein permanentes Wachstum der Produktivkräfte und eine quantitative Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität. In diesem Wachstum sehen die liberalkapitalistischen wie die sozialistischen Wirtschaftsordnungen der Moderne gleichermaßen den Motor für einen scheinbar grenzenlosen Fortschritt.
Zugleich aber führt die allein durch Gewinnmaximierung bestimmte, äußerlich scheinbar so erfolgreiche Ökonomie zu teils intendierten, teils sehenden Auges unter dem Zwang des Gewinnmachens in Kauf genommenen Folgen. Sie lassen den mittlerweile erzielten Wohlstandsgewinn zunehmend fragwürdig erscheinen oder stellen ihn bereits handfest in Frage: sinnentleerter, künstlich erzeugter Massenkonsum; verschmutzte oder vergiftete natürliche Umwelt; häßlich verunstaltete Lebensräume; Verbrauch, Verschwendung und Erschöpfung der natürlichen Ressourcen; politische Entmündigung durch die Sachzwänge technologischer Großprojekte; Zertrümmerung der gesellschaftlichen Grundlagen, indem alle ihre Bausteine – Familie, Bildung, Gesundheit, Kultur – dem Prinzip der Ökonomie unterworfen werden.
Die Notwendigkeit des Bewußtseinswandels
Auf der politischen Agenda steht bereits die Forderung nach einem nachhaltigen Wirtschaften. Sie greift allerdings zu kurz, denn sie gleicht eher einem Reparatur- und Optimierungsvorhaben, das das Grundprinzip des Wirtschaftens, entgrenztes Profitstreben wie schrankenlosen Konsumismus, und damit die Hegemonie des Produktivismuswahns unangetastet läßt. Weiterzukommen ist also nur durch eine Um- und Neuorientierung der gesamten Verhaltens- und Lebensweise.
Wie bei der Entstehung der modernen Epoche bedarf es dazu einer einschneidenden geistigen Wende. Ihre Maxime ist einfach: dem Glauben abzuschwören, daß mehr zu produzieren und mehr zu haben, das Bessere sei. Wie bei allen tiefgreifenden Zäsuren der Weltgeschichte ist auch hier entscheidend die Kraft, die von der Entstehung einer neuen Idee des Lebens ausgeht. Blickt man über den Tellerrand der Moderne, so vernimmt man die entscheidende Botschaft: Das menschliche Wirtschaften ist aus seiner verhängnisvollen hegemonialen Position zu befreien und wieder – so wie es mit Ausnahme der letzten 200 Jahre immer gewesen ist – in den Kreis der humanen Sphären zurückzuführen, damit es, eingebettet in die Gesellschaft und in ständiger Rückkopplung mit ihr, seine Funktion sinnvoll und befriedigend erfüllen kann.
Bei der Überwindung der allein auf Gewinn zielenden Warenproduktion kann etwa das auf ganz anderes ausgerichtete Lebens- und Nachhaltigkeitsideal der Vormoderne wichtige Hinweise geben – beispielsweise den Blick öffnen für eine neue, in ihrem So-Sein liegende Dignität der Dingwelt und den sorgfältigen Umgang mit ihr; oder daß sich dies niederschlug und bis heute offenbart in einem Willen und einer Fähigkeit zu materieller Großzügigkeit und der Bildung von Form und Schönheit, die auch für den modernen Menschen nichts von ihrer Anziehungskraft und Gültigkeit verloren haben.
Der Raum der Gemeinschaft
Die andere Moderne beginnt, wenn wir uns nicht mehr in Gegnerschaften begeben, die historisch obsolet geworden sind, weil sie nicht in der Lage sind, die anstehenden Probleme dingfest zu machen und neue, adäquate Lösungen hervorzubringen. Wo sich »Konservatismus« prinzipiell und a priori als Gegenposition zum »linken« Lager versteht, übernimmt er eine Denkweise der Gegenseite und schreibt sie fest. Wer auf den Austrag von Lagergegensätzen und politische Konfrontation setzt, bewegt sich auf dem gleichen Boden der gegenwärtigen Moderne wie die, für die Relativität, Konflikt und normative Desintegration nicht mehr hintergehbare Wesenszüge der Moderne sind.
Dem liegt jedoch ein historisch verengtes theoretisches Verständnis von Gesellschaft und Gemeinschaft zugrunde. Eine sich desintegrierende Gesellschaft ist nur denkbar als Durchgangsstadium zu einer neuen und stabilen, also kräftigen gesamtgesellschaftlichen Integration und Identität. Die Perpetuierung von Frontstellungen, Lagern und Gegnerschaften verhindert, daß der für eine Gemeinschaft unerläßliche integrierende symbolische Raum wachsen kann. Die ständig wiederholte Feststellung, daß man sich uneinig ist und dies auch bleiben will, führt zu dem inhaltsleeren und frustrierenden politischen Diskurs, den wir seit Jahrzehnten erleben und von dem sich die Bürger angewidert abwenden.
Jede politische Bearbeitung von Konflikt und Gegnerschaft muß auf deren Beilegung und Überwindung zielen. Konflikt ist ein universales Problem, eine Herausforderung, die jede Gemeinschaftsordnung zu bewältigen hat, und fruchtbar nur dann, wenn er bewältigt wird. Die Aufgabe, Streit und Konflikt beizulegen und zu überwinden, resultiert daher nicht aus einem übermäßig irenischen Bedürfnis und ist auch nicht gleichzusetzen mit dem Streben der Mächtigen nach totalitärer Friedhofsruhe und Erstarrung. Konfliktbeilegung ist vielmehr elementar notwendig, um den Raum der konfliktfreien Gemeinsamkeit immer wieder herzustellen, den jede Gesellschaft und Gemeinschaft für ihre Reproduktion in historischer Tradition und Rezeption benötigt.
Schöpferische Erneuerung
Die Umkehr zur Alternative einer anderen Moderne wurzelt tief in einer für das europäische Denken wesentlichen Haltung, die über 2 500 Jahre hin immer wieder die für Europa typischen Innovationsschübe bewirkt hat.
Anzuknüpfen wäre etwa an die Überlegungen der deutschen Intellektuellen um 1800. Sie waren allesamt und verständlicherweise von den Ereignissen in Frankreich zuerst positiv elektrisiert und machten dann in Reaktion auf die weitere Entwicklung der »Revolution« einen Lernprozeß durch: Ihnen ging es nicht um Gegenrevolution, sondern um einen alternativen dritten Weg. Denn auch jede Gegenrevolution würde nur ein »unempfängliches Geschlecht« vorfinden, wie Schiller die Situation des 14. Juli 1789 charakterisierte.
Schillers Konsequenz war der neue politische Entwurf der individuellen und elitären Bildung im Sinne einer Bestenauslese, der Bildung des kleinsten Punktes, aus dem nach Goethe die größte Kraft entfaltet werden kann. Dieses Konzept der schöpferischen Restauration unterscheidet sich von der sogenannten »Konservativen Revolution« durch den Grundansatz: Ausgehend von einer grundsätzlichen »Verwerfung unserer Zeit« (Borchardt), also dem Bewußtsein, den epochalen Brüchen ebenso elementare Entwürfe entgegenzustellen, bedeutet schöpferische Restauration die Bildung des Individuums durch eigenschöpferische Rezeption, »erstürmter Rückzug bergan in unausgelebte Geschichte« (Borchardt) – nicht zu pragmatischen Zwecken, sondern als geistige Aufgabe zur Bewußtwerdung, Gestaltung und Formgebung. Also verbieten sich Voluntarismus und Populismus, müssen Weg und Mittel kongruent sein mit dem Ziel einer von individueller Freiheit und Verantwortung getragenen Ordnung.
Visionärer Realitätssinn
Der sogenannte Realismus und die berühmten Tugenden der Konservativen: stete Skepsis und grundsätzliches Mißtrauen (gegenüber der vermeintlichen menschlichen Natur) sind für das politische Ideal einer anderen Moderne nicht hinreichend. Deren Menschenbild gründet sich primär auf das Gegenteil: den Glauben an das Ideal und die Zuversicht in seine Macht. Utopie und Ideal (orientiert am platonischen Leitstern der Idee) oder, nach Borchardt: »das in sich herrlich Nichtgewordene, durch alle Jahrtausende zusammenhängend« gegenüber dem »Stückwerk des Gewordenen«, die nicht verwirklichte Zukunft der Vergangenheit also, vom frühgriechischen Solon bis George, Borchardt oder Hesse, das ist die Nahrung dieses Lebens im Geiste. Seine Visionen sind nicht mit ideologischen Wunschbildern und Träumereien zu verwechseln. Der sogenannte »gestandene Konservative« wird mit seiner meist aufs real Mögliche und Machbare abzielenden Haltung und Praxis das Feuer nicht entzünden können, das es braucht, um wirklich qualitativ »fortzuschreiten«.
Haltung
Daß wir in »lauten Zeiten« leben, gehört nicht zuletzt zu jenen Erscheinungen, die die gegenwärtige Moderne so unerträglich machen. Wer sich zu einer alternativen Moderne bekennt, sollte also vorleben, daß das Gegenteil, »leise« sein, etwas Erstrebenswertes und Schönes ist und dadurch ebenso wirklich wie wirksam sein kann. Das häßliche Instrumentarium des Verlautbarens, des Demonstrierens, des Einhämmerns, des Ausposaunens, des Sich-an-die-Brust-Schlagens, des Überflutens gehört dagegen zu jener veröffentlichten Scheinwirklichkeit, die von den Propagandisten des »Fortschritts« täglich neu reproduziert wird. Also keine »Grobheit«, »Ins-Wort-Fallen«, »Zwischenrufe«, »Protestplakate«.
Den in der »schönen neuen Welt« der gegenwärtigen Moderne vorherrschenden Gemütszustand beschreibt kaum ein Begriff so treffend wie die allgegenwärtige Zentralvokabel »Spaß«. Ihr ist nur mit einem neuen Modus des Handelns und Auftretens, einem reflektierten Habitus zu begegnen. Die neuen Vorbilder sind daran zu erkennen, daß sie authentisch und sich selbst treu sind, eindeutig und verläßlich, zurückgenommen und entschieden, uneigennützig und unbestechlich, daß sie zugleich prinzipienfest, demütig und opferbereit sind, freudvoll und bescheiden, ernsthaft und heiter-gelassen. Sie vertrauen, nicht skeptisch und mißtrauisch, sondern zuversichtlich und idealistisch, darauf, daß eine vorbildliche Haltung, in der Person und Sache eins sind, auf die Dauer eine größere und nachhaltigere revolutionäre Durchsetzungskraft entfaltet als jeder offene Machtkampf, in dem die Gefahr moralischer Korruption übermächtig zu werden droht.
Freiheit und Verantwortung
Gewiß muß die andere Moderne erkämpft werden, allerdings geht es dabei nicht um einen Parteisieg in der Auseinandersetzung mit den »Linken«, nicht um die Eroberung von Macht oder Deutungshoheiten. Das Ziel reicht vielmehr weiter, indem es das vorhandene Bezugsfeld des Denkens und Handelns aufsprengt: die Überwindung von Parteiungen und Lagerdenken überhaupt durch eine weitreichende Revision der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verfaßtheit. Das ist nur dann »unpolitisch« gedacht, wenn man sich noch im gewohnten Paradigma bewegt, Politik als die »Kunst des Möglichen« zu betrachten. Tatsächlich kommt es aber darauf an, das Politische neu und damit das scheinbar Unmögliche zu denken.
Die notwendige geistige Wende orientiert sich an den beiden Grundprinzipien von persönlicher Freiheit und persönlicher Verantwortung. Beides ist nicht voneinander zu trennen: Der Grad möglicher Freiheit bemißt sich am Maß des Verantwortungsbewußtseins. Zum Konzept der anderen Moderne gehört, daß ein Staat der Bürger bei diesen sehr anspruchsvolle persönliche Bildungen und Dispositionen – eine »politische Identität« (Chr. Meier) – fordert, wie an der ersten Demokratie der Weltgeschichte im alten Athen zu sehen ist.
Sind diese Grundlagen nicht gegeben oder (noch) nicht mehrheitlich als notwendig anerkannt, dann ist es notwendig, über eine Weiterentwicklung und Anpassung der politischen Verfaßtheit nachzudenken, die den überwiegend noch mangelnden Voraussetzungen gerecht wird, ohne das Bürgerideal aufzugeben.
Die Bürger müssen die Möglichkeit erhalten, von unten her, in ihren unmittelbaren Lebenswelten ihr Bürgersein wahrzunehmen und einzuüben. Man traut ihnen auf diese Weise zu, in die Bürgergemeinschaft im großen hineinzuwachsen, und gibt der Bürgertugend damit eine feste Verwurzelung. Politische Teilhabe ist dann nicht mehr nur als formale Berechtigung des einzelnen aufgefaßt, sondern als dynamischer Prozeß, in dem für den einzelnen das Leben in Freiheit und die Übernahme von Verantwortung in immer intensiverer, d. h. in der Folge auch differenzierender Weise möglich wird.
Die sich dabei notwendig herausbildende politische Elite zeichnet sich allein durch individuelle Bildung und praktische Leistung aus, und der Gefahr ihrer Verselbständigung und Egozentrierung steht ihre Einbindung in die bürgerschaftliche Infrastruktur gegenüber. In diesem Rahmen muß sie in angemessener Weise, offen und legitim so privilegiert werden, daß sie für ihren Dienst am Gemeinwesen »den Rücken frei hat«.
Ästhetik und Form
Zum persönlichen Auftreten, das einer anderen Moderne angemessen ist, gehört eine selbstverständlich gelebte Sinnlichkeit und damit ein Bewußtsein von Form und Stil. Der falschen Äußerlichkeit des »Spaßes« setzt der veränderte Habitus ein neues Äußeres entgegen, das schon im Vorschein die Botschaft gestaltet: »Etiam si omnes, ego non.« Mit dieser Maxime setzt sich vom vermeintlich Populären ab, wer für sich den unerschöpflichen ästhetischen Vorrat der europäischen Tradition erschließt. Ohne einen merklichen Wandel im äußeren Erscheinungsbild des privaten und öffentlichen Lebens ist eine andere Moderne noch nicht erreicht.
Der Bezugspunkt dafür ist das Schöne. Vom Schönen, das nicht im Auge des Betrachters liegt oder kulturell beliebig definierbar wäre, geht eine natürliche Autorität aus. Sie verführt nicht zu kommerziell motivierten Scheinbefriedigungen wie die öffentlich vorherrschende Illusion des Schönen, vielmehr führt sie heraus aus Konvention und Gewohnheit, löst Erstarrungen, macht frei für neues Sehen und Denken und öffnet für die Wirklichkeit der humanen Werte.
Auf welche Weise eine vollendete und schöne Form ihre überwältigende Attraktivität ausstrahlt, ist letztlich nicht zu erklären. Das »Ereignis des Schönen« (G. Nebel) bedeutet immer, daß Transzendenz in unser irdisches Dasein einbricht und uns ergreift. Es gilt, sich dafür aufnahmebereit zu machen, indem man selbst seine Sinne schult, sein Gefühl für das Schöne bildet und in allen Bereichen unserer selbstgeformten Lebenswelt der Häßlichkeit der Moderne den Kampf ansagt.
Bildung
Der einzige erfolgversprechende Weg zu einer anderen Moderne führt über die beharrliche Bildung des Individuums. Zum Lebensentwurf einer anderen Moderne gehört zentral das Streben nach einem Leben des Geistes, einem Leben im Geist, durch den Geist und für den Geist. »… sein Ziel ist die Adelung Aller durch Befreiung des Einzelnen.« (Rudolf Bor¬chardt) Bildung bedeutet, sich selbst und seinem Leben in der Auseinandersetzung mit der Tradition und dem Denken der Zeitgenossen eine erkennbare und sinnerfüllte Form zu verleihen. Bildung im richtig verstandenen Sinne stellt das Individuum in den Mittelpunkt, verlangt die Anstrengung des einzelnen, aber unbedingt auch die persönliche Begegnung und gemeinschaftliche Bemühung. Bildung ist Selbsterziehung in Freiheit und zur Freiheit, sie verfolgt keinen pragmatischen, außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck, sie ist möglichst umfassend und aufs Allgemeine gerichtet, niemals berufsbezogen. Bildung erfaßt den Menschen mit allen seinen Sinnen als Einheit und Gesamtheit von Körper und Geist.
Buch und Muttersprache sind für den Bildungsprozeß des neuen Bewußtseins ebenso unabdingbar wie Umgang und Auseinandersetzung mit dem europäischen Erbe von Bildkunst und Musik. Nur wer sich in der Kultur Europas heimisch fühlt, ist in der Lage, über die Kulturgrenzen hinaus sinnvolle Verbindungen aufzunehmen.
Bildung ist ein nicht abschließbarer Prozeß, dessen Wirkung, gesamtgesellschaftlich betrachtet, Differenzierung und Mannigfaltigkeit ist. Dies wirkt für die Gesellschaft als ganze produktiv. Nur als offener Prozeß kann Bildung die menschlichen Potentiale entwickeln und ausschöpfen. Sie kann deshalb nicht exklusiv sein, wirkt aber ebensowenig egalitär, sondern zielt mit der Ausbildung von Unterschieden auf die Heranziehung einer Elite des Geistes. Diese ist für eine intakte Sozialordnung in der anderen Moderne unerläßlich.
Schönes Leben
Einzig die seelische Kraft ästhetisch gebildeter Individuen macht den Schritt zu einer anderen Moderne möglich. Mit dieser Haltung ist nicht ein einseitig asketisches Pflichtethos verbunden, sondern eine Lebenskunst, die in der Selbstsorge des einzelnen besteht. Sie erwächst aus einem neuen Verhältnis zu sich selbst. Es äußert sich in einem sorgenden und sorgsamen Umgang mit dem eigenen Leben wie mit dessen Bezügen zu den anderen und zur Um- und Lebenswelt. Aber fern von jedem Hedonismus ist entscheidender Bezugspunkt der Dienst an der Gemeinschaft.
Nur dieses Ziel eines in Freiheit und Verantwortung gelebten schönen Lebens vermag das bisherige, dem vermeintlich immerwährenden materiellen Wachstum geltende Lebensziel als Sinnerfüllung des individuellen Lebens abzulösen. Wer eine andere Moderne anstrebt, muß darauf bestehen, daß dies keine unzulässige, unreife oder unpolitische Idealisierung ist, vielmehr das unverzichtbare, die Gegenwart überwindende und Zuversicht auf die Zukunft eröffnende Ideal.
Gott
Ideale kann nur der haben und danach streben, der glaubt. »An das Göttliche glauben / Die allein, die es selber sind.« (Friedrich Hölderlin) Allein durch die transzendentale Verankerung der einzelnen kann Handeln in Freiheit und Verantwortung letztlich gelingen. Muß der Staat als Institution religiös neutral sein und kann daher seine normative Grundlage nicht selbst schaffen, dann müssen die für das Ganze handelnden Individuen diese Basis mitbringen. Nur der Glaube an das Göttliche bewahrt eine an Idealen orientierte Haltung vor Hybris. Das wußten schon die Griechen, und wiesen dem Menschen eine unverfügbare und furchteinflößende Grenze an, die er nicht überschreiten darf.
Wer zu einer anderen Moderne will, bohrt zwar dicke Bretter, weiß aber, daß der Sinn seines Tuns sich letztlich einer göttlichen Weisung und der Erfolg seiner Anstrengung göttlicher Gnade verdankt. Nicht zuletzt dadurch hebt sich der neue Habitus von der gegenwärtigen Moderne ab mit ihrem Macht- und Machbarkeitswahn und dem blinden Vertrauen in jede Form von Sozialtechnologie.