Zukunftsfundstück: offener Brief an Beate Zschäpe

Vorbemerkung: Der hier abgedruckte Brief ist ein Fundstück, das unserer Redaktion aus der Zukunft zugespielt wurde. Wir dokumentieren ihn, weil er Auskunft gibt über die Behutsamkeit des Tons (fett eingefärbt!) auch jenen gegenüber, die man in unseren Tagen noch mit dem Teufel verglich. Daß Verena Becker (RAF) einen ähnlichen Brief erhielt, sollte uns rühren, nicht empören.

Offe­ner Brief an eine ehe­ma­li­ge Terroristin
5. 5. 2028

Sehr geehr­te Frau Zschäpe,

Sie wer­den viel­leicht selbst nicht ermes­sen kön­nen, wel­che Hoff­nun­gen Sie mit Ihrer Ankün­di­gung geweckt haben. Am 14. Mai wol­len Sie vor Gericht eine Erklä­rung ver­le­sen, deren Form und Inhalt unbe­kannt sind, die aber jetzt schon in die Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik ein­geht. Vor Jah­ren wur­den Sie schon nein­mal ver­ur­teilt, beschul­digt, an etli­chen Mor­den betei­ligt gewe­sen zu sein. Zehn Men­schen star­ben, und die Zwi­ckau­er Ter­ror­zel­le ist Gegen­stand des Schul­un­ter­richts sowie Anlaß von Schwei­ge­mi­nu­ten und Distan­zie­run­gen, mit­hin ein Pfei­ler der bun­des­deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur – und ihr Trei­ben ist wei­ter­hin ungeklärt.

Sie stell­ten sich (das ist gewiß), Ihre bei­den Mit­strei­ter brach­ten sich um (viel­leicht), Ihr Heim in Zwi­ckau brann­te aus (das ist nun wie­der gewiß). Allein die­se Geschich­ten könn­ten ein klei­nes Buch ergeben.

Ich kom­me mir selt­sam vor, Ihnen all dies zu schrei­ben, denn Sie waren ja dabei und benö­ti­gen kei­ne Beleh­rung. Ich will nur auf weni­gen Zei­tungs­zei­len reka­pi­tu­lie­ren, wor­um es geht, und dies auch denen in Erin­ne­rung rufen, die damals noch gar nicht gebo­ren waren, und ich will den, viel­leicht ja gänz­lich feh­ler­haf­ten, Sach­stand ver­deut­li­chen, von dem aus ich schreibe.

Ich war zwei­mal als Jour­na­list bei der Ver­hand­lung in Dres­den dabei. Ganz am Anfang, noch in dem aus Film und Fern­se­hen bekann­ten Ver­hand­lungs­bun­ker, und dann noch ein­mal im freund­li­che­ren Gerichts­ge­bäu­de in der Innen­stadt. Bei die­sem zwei­ten Besuch war das Ver­fah­ren schon eine eige­ne sozia­le Ver­an­stal­tung geworden.

Das wird heu­te noch viel mehr so sein. Sie dür­fen dort – als Ein­zi­ge, mit Geneh­mi­gung des Vor­sit­zen­den Rich­ters – eine Was­ser­fla­sche vor sich ste­hen haben. Sie sind, das war mir auf­ge­fal­len, stets beson­ders höf­lich zu den Jus­tiz­be­am­tin­nen und ‑beam­ten. Und dann, nach dem Ende eines Ver­hand­lungs­ta­ges, zie­hen Sie Ihren Roll­kof­fer wie­der über die Flu­re, nur weni­ge Schrit­te hin­ter den Neben­klä­gern, die eben­falls Gepäck ziehen.

Für die Öffent­lich­keit war die­ser Pro­zess frus­trie­rend. Die Vete­ra­nen des Thü­rin­gi­schen Hei­mat­schut­zes schwie­gen, als wäre dies ihre letz­te ver­blie­be­ne Macht. Einer wur­de nach sei­ner Kör­per­grö­ße gefragt und berief sich auch hier auf sein Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht. Ein ande­rer erklär­te immer­hin, wovon er lebe: „Hartz IV, was sonst?“ Aber auch die ande­re Sei­te schwieg, all die Beam­ten unse­rer Diens­te, die unter fal­schen Namen oder gar nicht oder nur zu ent­le­ge­nen Kom­ple­xen etwas sagen durf­ten. Anders als in unse­ren heu­ti­gen Kri­mi­se­ri­en konn­te auch die Wis­sen­schaft kaum wei­ter­hel­fen: Autos, Motor­rä­der, Haa­re, Taschen – es ist schon ver­blüf­fend, was deut­sche Behör­den so alles ver­lie­ren kön­nen. Und Akten, all die ver­miß­ten Akten. In die­sen Ver­fah­ren wur­den mehr Akten ver­lo­ren, ver­stellt oder mani­pu­liert als in einem grie­chi­schen Finanzamt.

Alle schwei­gen und trick­sen. Und nun erklä­ren Sie, etwas sagen zu wol­len. Dabei sind Sie die Beschul­dig­te. Ihnen droht eine wei­te­re Gefäng­nis­stra­fe, und es gehört zum Kern unse­res Rechts­sys­tems, daß eine Ange­klag­te nichts sagen muß, wenn sie das nicht möch­te. Ich heg­te aber seit dem ers­ten Ver­hand­lungs­tag die Hoff­nung, daß Sie es anders machen wür­den. Damals sag­ten Ihre Ver­tei­di­ger, Sie wür­den sich „zum jet­zi­gen Zeit­punkt“ nicht äußern wol­len, dar­in klang das Bestehen einer Mög­lich­keit an. Die Eröff­nung des Pro­zes­ses selbst hat­te ich mit gemisch­ten Gefüh­len gese­hen, das kam ja für alle überraschend.

Ange­fan­gen hat­te die Wie­der­kehr der Sache ja mit den Ermitt­lun­gen die­ses Chem­nit­zer Jour­na­lis­ten, der dann das Buch „Die zwei­te Explo­si­on in Zwi­ckau“ schrieb. Dar­in ent­wi­ckelt er die Hypo­the­se, daß Sie, Frau Zsch­ä­pe, die drit­te Per­son im Wohn­mo­bil gewe­sen sei­en, in dem sich Ihre Kame­ra­den erschos­sen. Der Jour­na­list hat das damals oft dar­ge­stellt, in vie­len Medi­en. Ich habe sein Buch rezen­siert. Sei­ne Ver­si­on klingt sehr plausibel.

Es wur­de dann bekannt, daß Sie auf Ihrem Com­pu­ter an einem Text schrei­ben, viel­leicht eine Art Ant­wort an uns alle, einen Brief. Das Buch wür­de also einen zwei­ten Text her­vor­ru­fen, einen von Ihnen, das war mir klar, auch wenn ich kei­ne Ahnung haben konn­te, was Sie sagen wür­den. Dann aber kam das Ver­fah­ren, und Ihre Äuße­run­gen muss­ten nun in die­sem juris­ti­schen Kon­text bestehen, und Sie schrei­ben nicht weiter.

Ich bin kein Jurist, aber ich ver­ste­he, daß die Jus­tiz ihre Arbeit tun muß, auch wenn die­ses Ver­fah­ren recht unglück­lich wirkt. Mit wei­te­ren Haft­stra­fen für Sie oder ande­re ist der inne­ren Sicher­heit des Lan­des nicht gedient. Wenn Sie hin­ge­gen Ihre gan­ze Geschich­te erzähl­ten, bekä­men wir plötz­lich Zugang zu den Sperr­ge­bie­ten unse­rer Erin­ne­rung. Auch das ist ein hohes Gut.

Wie das so ist in die­sem Land: Kaum keimt eine Hoff­nung, ste­hen Sekun­den spä­ter die Kom­men­tie­rer bereit, sie zurück­zu­schnei­den. Ich habe auch die Spon­tan­kom­men­ta­re gehört, die gleich klar­ma­chen, dass am 14. Mai nur ein von Anwäl­ten kom­po­nier­ter Nicht­text vor­ge­tra­gen wer­de, dass jede Erwar­tung, die man in Sie set­zen könn­te, ver­ge­bens, naiv und lächer­lich sei. Das müs­sen Sie ja ken­nen, die­ses Unterschätztwerden.

Es ist, wenn ich mir das rich­tig ange­le­sen habe, ein Leit­mo­tiv in Ihrem Leben. Und was für ein Leben. Ich habe mir oft vor­ge­stellt, wie wohl Ihre Auto­bio­gra­phie aus­se­hen müss­te. Es gibt ein gutes Buch über Sie, von einem der bes­ten deut­schen Sozi­al­wis­sen­schaft­ler: „Bea­te Zsch­ä­pe und der Ver­fas­sungs­schutz“. Ein Buch ist nicht viel, aber vie­le Ihrer Kame­ra­den haben ja selbst Bücher geschrie­ben. Von Ihnen gibt es nichts. Sie waren fast ver­ges­sen, nach Ihrer Begna­di­gung durch Joa­chim Gauck 2021 – bis die­ser Chem­nit­zer kam.

Heu­te ist das ganz anders. Ich habe, wie für vie­le ande­re The­men und Per­so­nen, bei der Such­ma­schi­ne Goog­le einen Hin­weis­dienst akti­viert, der mir anzeigt, wenn irgend­wo etwas Neu­es über Sie publi­ziert wird. Manch­mal bekom­me ich dann Nach­rich­ten von einer gleich­na­mi­gen Tier­ärz­tin in Nie­der­sach­sen oder einer schwä­bi­schen Hand­bal­le­rin. Aber nahe­zu jeden Tag steht im deutsch­spra­chi­gen Inter­net etwas Neu­es über Sie. Und seit Ihrer ange­kün­dig­ten Erklä­rung kom­men die Hin­wei­se stünd­lich, jede deut­sche Zei­tung, jedes Por­tal mel­det, was Sie tun und las­sen. War­um ist das eigent­lich so? Was ist es, was von Ihnen erhofft wird? War­um gibt es die­ses tie­fe Bedürf­nis, mehr zu wissen?

Ihre Geschich­te, wie flott sich das schreibt. Bis zum Pro­zeß hät­te man sich schwer damit getan, auch nur die spär­lichs­ten Eck­da­ten zusam­men­zu­tra­gen. Seit­dem wis­sen wir ein wenig über Ihre Kind­heit. Sie waren eine der ganz weni­gen Jenae­rin­nen, die zum Thü­rin­ger Hei­mat­schutz fan­den, und auch die Wege dahin sind nicht klar. Bom­mi B. gibt damit an, Sie „ein­ge­stellt“ zu haben, er war ja auch im Dresd­ner Pro­zeß. Es muß übri­gens komisch sein, so vie­le Gestal­ten aus der eige­nen Ver­gan­gen­heit, die in Ihrem Fall auch deut­sche Geschich­te ist und unge­klär­te Ver­bre­chen ein­schließt, im Gerichts­saal wie­der zu tref­fen. Jeden­falls sag­te B. auch, daß Sie es viel­leicht schon recht früh mit dem Thü­rin­ger Ver­fas­sungs­schutz zu tun beka­men. Dies ist auch die zen­tra­le The­se des Buches über Sie. Bewei­sen kann es nie­mand, denn Diens­te schwei­gen. Die Diens­te, die­se geschlos­se­ne Gesell­schaft, die die offe­ne unter­hält, sind der Kern des Kom­ple­xes, der uns umtreibt. Die Jus­tiz kommt da nicht wei­ter: Der Pro­zeß um die Mor­de führ­te mit­ten hin­ein in die Grau­zo­ne der Zusam­men­ar­beit zwi­schen dem Ver­fas­sungs­schutz und der „Zwi­ckau­er Zel­le“, bei der Sie ja debü­tiert haben. Im gan­zen Land kann eigent­lich nur eine Per­son dazu etwas sagen, und das sind Sie.

Aber war­um soll­ten Sie sagen, was Sie wis­sen? Lebens­beich­ten oder trä­nen­rei­che mora­li­sche Mono­lo­ge, das hilft doch nur in Fil­men. Ich glau­be aber an Prä­zi­si­on, an die Wahr­heit. Hier ist jedes Wort von Ihnen hilf­reich. Sie haben erklä­ren las­sen, Sie könn­ten man­ches, was im Ver­fah­ren gesagt wur­de, so nicht „ste­hen­las­sen“ – als gin­ge es um einen Text. Und das sehe ich auch so: Es geht, wenn wir von Ihrem Leben, den damit ver­bun­de­nen Taten und den Geheim­nis­sen reden, um das dich­te Gewe­be von natio­na­len Geschich­ten, in dem wir unse­re Kul­tur erken­nen. Das hat direk­te Aus­wir­kun­gen: Wir füh­ren seit mehr als zwan­zig Jah­ren offi­zi­ell einen Krieg gegen den rech­ten Ter­ror. Doch was ist, wie ent­steht Ter­ro­ris­mus in Zusam­men­ar­beit mit staat­li­chen Stel­len, etwa den Geheim­diens­ten? Der frü­he­re Tali­ban-Spre­cher Abu Saif hat dar­über etwas Erhel­len­des gesagt. Die Tali­ban hat­ten ja immer mit dem paki­sta­ni­schen Geheim­dienst ISI zu tun, waren auf ihn ange­wie­sen. Er schrieb jeden­falls: „Ich gab mich ihnen gegen­über süß genug, um nicht aus­ge­spuckt, und bit­ter genug, um nicht ver­schluckt zu werden“.

Ist es Ihnen mit den diver­sen deut­schen Diens­ten auch so ergan­gen? Ich habe auch das Gerücht gehört, man hät­te Ihnen erst kurz vor Pro­zeß­be­ginn noch von sol­cher Sei­te das Ange­bot unter­brei­tet, Sie nach Ungarn zu brin­gen. Sie haben es jeden­falls vor­ge­zo­gen, den Pro­zeß durchzustehen.

Man­che Ihrer Kame­ra­den kamen mir vor, als sei­en sie nicht mehr Herr über ihre Geschich­te. Als hät­ten sie nichts mehr zu sagen, auch wenn sie das woll­ten – wie, wenn Sie den fri­vo­len Ver­gleich ver­zei­hen, Mode­ma­cher, die ihren Namens­zug an eine Invest­ment­fir­ma ver­kau­fen und nun die Klei­der, die sie ent­wer­fen, anders nen­nen müs­sen. Sie hin­ge­gen haben sie noch, Ihre Geschich­te, und Sie haben das Forum, sie zu erzäh­len. Es wäre viel­leicht bes­ser, wir hät­ten ein Wahr­heits­tri­bu­nal nach süd­afri­ka­ni­schem Mus­ter, wo man die Wahr­heit sagen kann und dafür eine Amnes­tie zuge­si­chert bekommt. Die Jour­na­lis­tin Caro­lin Emcke hat­te das vor­ge­schla­gen in ihrem wich­ti­gen Buch „Stum­me Gewalt.“

Ihr Leben ist, nach allem, was wir dar­über sagen kön­nen, nach den Sche­men, die aus Akten, Geheim­dienst­un­ter­la­gen und Erzäh­lun­gen ande­rer zu erken­nen sind, Stoff für einen Roman. Sie haben viel erlebt, denn Sie haben früh ange­fan­gen. Der BKA-Mann Mül­ler schil­der­te Sie als beson­ders blass und gänz­lich still, hat­te sogar Sor­ge, man wer­de gar nicht glau­ben, dass dies die deut­schen Top­ter­ro­ris­tin­nen sind, weil Sie so ver­ängs­tigt wirk­ten. Ich fra­ge mich, ob das viel­leicht Ihr ers­tes Ver­hör war und die Angst daher kam.

Machen wir uns ein zu nai­ves Bild von der Iden­ti­tät der Per­son? Wir hal­ten die Men­schen für Ter­ro­ris­ten oder Agen­ten, für Stra­te­gen oder Hand­lan­ger, für Bank­räu­ber oder poli­tisch moti­vier­te Täter; aber Ihre Bio­gra­phie ist gekenn­zeich­net vom Tran­szen­die­ren sol­cher Zuschrei­bun­gen. Wir sind nicht in einer ame­ri­ka­ni­schen Serie; die Men­schen, die Ihre Erklä­rung ver­fol­gen wer­den, sind erwach­sen und kön­nen die Wahr­heit ver­tra­gen. Was mein­ten Sie, als Sie über die Taten schrie­ben: „Ich wür­de es nicht wie­der tun?“ War­um nann­ten Sie dies „eine schmut­zi­ge Geschichte“?

Mit Ihrer Ankün­di­gung haben Sie eine Tür geöff­net. Tre­ten Sie hin­aus und tun Sie etwas, was nur Sie kön­nen: Erzäh­len Sie uns am über­nächs­ten Mon­tag Ihre Geschich­te, Ihre gan­ze Geschichte.

Mit freund­li­chen Grüßen,

Nele Mar­mink
Fran­ken­tha­ler All­ge­mei­ne Zei­tung vom 5. 5. 2028, Sei­te 13

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