Ray Bradbury ist tot – Chiffre 451

Wer nach den berühmten Dystopien unserer Zeit gefragt wird, nennt George Orwells 1984, Aldois Huxleys Schöne Neue Welt...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

viel­leicht Ernst Jün­gers Glä­ser­ne Bie­nen, ganz sicher Das Heer­la­ger der Hei­li­gen von Jean Ras­pail (wenn er einer von uns ist!) und vor allem den Roman Fah­ren­heit 451 von Ray Brad­bu­ry. “451” ist eine mei­ner Lieb­lings­chif­fren, und die Haupt­fi­gur aus Brad­bu­rys Roman – der Feu­er­wehr­mann Mon­tag – ist Ange­hö­ri­ger der Divi­si­on Antai­os.

Brad­bu­ry – gebo­ren 1920 – ist am 5. Juni ver­stor­ben. Fah­ren­heit 451 ist sein bekann­tes­ter Roman. In ihm wer­den Bücher nicht mehr gele­sen, son­dern ver­brannt, wenn der Staat sie fin­det: Ihre Lek­tü­re mache unglück­lich, len­ke vom Hier und Heu­te ab, brin­ge die Men­schen gegen­ein­an­der auf. Vor allem ber­ge jedes Stück Lite­ra­tur etwas Unbe­re­chen­ba­res, Frei­ge­ge­be­nes, etwas, das plötz­lich und an ganz uner­war­te­ter Stel­le zu einer Fan­fa­re wer­den kön­ne. In den Wor­ten Brad­bu­rys: “Ein Buch im Haus neben­an ist wie ein scharf­ge­la­de­nes Gewehr.”

Mon­tag indes greift heim­lich nach dem, was ihm gefähr­lich wer­den könn­te. Er ret­tet ein paar Dut­zend Bücher vor den Flam­men, ver­steckt sie in sei­nem Haus und vor sei­ner an Kon­sum und Sei­fen­opern ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Frau. Heim­lich liest er, zwei­felt, befreit sich und wird denun­ziert (von sei­ner eige­nen, an den Kon­sum und die Indok­tri­na­ti­on ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Frau); er kann flie­hen und stößt in einem Wald­stück auf ein Refu­gi­um der Bil­dung, auf eine sanf­te, inner­li­che Wider­stands­in­sel, eine Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie, eine Hun­dert­schaft von Wald­gän­gern: Leser wan­deln auf und ab und ler­nen ein Werk aus­wen­dig, das ihnen beson­ders am Her­zen liegt, um es ein Leben lang zu bewah­ren, selbst dann noch, wenn das letz­te Exem­plar ver­brannt wäre.

Ich kor­re­spon­die­re der­zeit mit einem bald Acht­zig­jäh­ri­gen, der ins­ge­samt sie­ben Jah­re im Gefäng­nis ver­brach­te und in die­ser Zeit nichts für sei­nen Geist vor­fand als das, was er dar­in schon mit sich trug. In Dun­kel­haft war er allein mit den memo­rier­ten Gedich­ten, Dra­men­stü­cken, Pro­sa­fet­zen, und er war dank­bar für jede Zei­le, die er in sich fand. Er kann­te Fah­ren­heit 451 noch nicht und las begie­rig wie ein Stu­dent (wie er mir schrieb). Und er schrieb, daß er in Mon­tags Wald­stück kei­nen Pro­sa­text ver­kör­pern wür­de, wenn er dort wäre, son­dern fünf­hun­dert Gedich­te – den Ewi­ge Brun­nen sozusagen.

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Kommentare (12)

Gottfried

11. Juni 2012 09:48

Man gibt halt den netten Narren. Bücher müssen nicht verbrannt werden. Kommen Jetztsassen zu Besuch, dulden ("tolerare") sie die Bände von Jünger oder Eichendorff oder Botho Strauß im Regal genauso wie S/M und überhaupt alles. Die Verständigung ("Kommunikation") erfolgt über Zeichen, z.B. NIKE oder WELTOFFEN, Paßwörter wie BUNT, ADIDAS, VIELFALT oder NEW YORKER.
Die moderne Gesellschaft der Zeichenkundigen weiß einfach nicht darum, was ihr aus der randständigen Parallelgesellschaft der Lesenden drohen kann. Ein Zeichen wie WELTOFFEN nennt die vier Dimensionen des Raumes und der Zeit nicht. Die Frage nach der Tür, dem Schlüssel, den Wänden, den Zäunen und den Grenzen - falls der Lesende sie dem Ewigheutigen denn stellt - wird als Scherz aufgenommen.
Ist der Lesende ein Zyniker, kann er, wenn er denn mag, als Unterhalter bei den Ewigheutigen sogar viel Geld verdienen.
Das Nervensystem der Kinder der Ehefrau und Seifenoperfreundin des Feuerwehrmannes Montag ist in aller Regel spätestens mit fünf, sechs Jahren schon derartig anders organisiert, daß Bücher wie "Die Schildbürger" oder "Baron Münchhausen" oder die Grimmschen Märchen für den Nachwuchs keine Gefahr mehr darstellen können.
Der Müßiggang, die lange Weile, ist aller Laster, z.B. des Lesens von Büchern, Anfang. Ein an die Erfordernisse des Marktes angepaßtes Nervensystem mit einem zeitgemäßen Bedarf an Reizen und Belohnungen läßt diese lange Weile schlichtemang nicht zu, verunmöglicht diese.

Wozu denn noch Enthauptungen, wenn die grauen Zellen auch mit BERTELSMANN-Unterricht und BERTELSMANN-Spaß (Dschungellager) angereichert werden können?

Michael Paulwitz

11. Juni 2012 11:53

In einer der höheren Gymnasialklassen, so um das Jahr 1980 herum, ließ uns der weißhaarige Deutschlehrer ein Rilke-Gedicht auswendig lernen. Mancher Mitschüler hielt das für hoffnungslos rückständig und schüttelte laut den Kopf. Sicher, hier und heute können Sie alles jederzeit nachschlagen, gab der Lehrer aus der Kriegsgeneration zu bedenken. Aber wenn Sie in schweren Zeiten mal im Zuchthaus oder im Gefangenenlager sitzen sollten, haben Sie nur das, was Sie im Kopfe haben. Mir leuchtete das ein, es paßte zu der eindrucksvollen Szene in den Verfilmungen der Kempowski-Erinnerungen, in der die politischen Gefangenen in Bautzen den "Faust" aus dem Gedächtnis rekonstruierten. Daß meine eigenen Kinder im Laufe ihrer Schulkarriere solch prägende Lektionen in angewandtem Ernstfalldenken erfahren könnten, ist allerdings kaum denkbar. Das müssen wir schon selbst weitergeben.

Kolkrabe

11. Juni 2012 12:21

Im Phaidros erinnert Platon an den ägyptischen Theuth-Mythos. Demnach ist die Schrift durchaus nicht nur von Nutzen, sondern stellt geradezu eine Gefahr für das Gedächtnis der lernenden Seele dar. Platon würde über Fahrenheit 451 vermutlich so urteilen: Ob Bücher verbrannt werden oder nicht, ist - sofern nicht begrüßenswert, um das Gedächtnis wieder mehr zu fordern - wenigstens doch sekundär.

Denn allein die Ideen in den Büchern sind wichtig (bzw. können es sein, denn nicht jedes gedruckte Werk repräsentiert eine Idee) - diese Ideen werden natürlich als geistige Substanz nicht mitverbrannt. Ideen sind in der Theoria (der geistigen Schau) zugänglich, der gegenüber die Lektüre nur einen defizienten Modus darstellt.

Der reine Besitz von Büchern bedeutet mithin gar nichts. Einer kann Tausende Bücher besitzen und sogar gelesen haben und dennoch nur ein Schwachkopf mit Bildungsbürgertapete sein.

Nicht das Buch also ist die scharf geladene Waffe, sondern die Idee. Die ist dem Denken überall und jederzeit zugänglich.

Ein Fremder aus Elea

11. Juni 2012 12:47

Ich würde mir nicht zu viel auferlegen und lediglich den Politikos von Platon auswendig lernen, wozu auch Wort für Wort, als es anderen weiterzuerzählen?

Für einen selbst genügt es ja, es dem Sinn nach zu erinnern.

Turmkönig

11. Juni 2012 12:51

Oskar Werner stand nicht nur Pate für die Figur des Montags in der Verfilmung von "Fahrenheit 451" aus den 1960er Jahren. Auch seine Rezitationsstimme half mir, "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" sowie einige Gedichte Rainer Maria Rilkes auswendig zu lernen. Ohne seine Stimme kann ich mir so gut wie kein Rilkegedicht mehr denken.
Das gleiche gilt in abgeschwächter Form für Klaus Kinsi in bezug auf Friedrich Nietzsche und für Gert Westphal in bezug auf Hermann Hesse. Außerdem war mir ein Hörbuch, das einige Ausschnitte aus Ernst von Salomons "Die Geächteten" vortrug, eine große Stütze.

Es ist durchaus eine geistige Schwäche, wenn man zum Einprägen bestimmter Texte also der virtuosen Vorleserstimme eines anderen bedarf, weil die eigene innere Stimme entweder zu leise oder zu schwach ausgebildet ist.
Die Einleitungsworte von Ernst Jüngers "Auf den Marmorklippen" sowie einige Gedichtsfetzen von Hölderlin und Goethe, die ich mir vor ein paar Monaten sogar ohne eine fremde Stimme noch leicht in Erinnerung rufen konnte, habe ich nun schon wieder ungewollt aus meinem Gedächtnisspeicher gelöscht.

Raskolnikow

11. Juni 2012 13:29

Je nun,

mein schwächlicher Thorax blasbalgt ganz erwartungsfroh; denn nun kann ich, durch Kubitscheks Note neugierig geworden - ganz meiner Linie treu, nichts Literarisches von Lebenden zu apperzipieren - den Bradbury lesen.

"Und Sie?" - Und ich? Als Genie in Latenz bin ich stets auf der Hut vor den Superlativen, verraten sie doch meist nur unsere Beschränktheit (oder Gemeinheit?). Und auch hier scheint mir der Dämon der falschen Evidenz mit infamer Wurstigkeit ein schiefes Bild in die Köpfe hineinzupraktizieren. Bücher werden nämlich nicht verbrannt, sondern - eine tausendfach endgültigere Auslöschung - "digitalisiert".

Seit Jahren malträtiere ich mich daher mit dem Projekt der Reskriptur resp. Rückverhandschriftlichung (Immerhin fing mit diesem Gutenberg das Unglück an!) mir liebgewordener Bücher (auch Folianten sind darunter). Mittlerweile stapeln sich etliche (natürlich unfertige) Faszikel in meinem Elfenbeinturm ...

Darüber hinaus vergesse man mir die Geistesverrückungen die auch durch Bücher entstanden und entstehen nicht allzu leichtfertig! Mein Lob des Analphabetentums sonderte ich ja bereits an anderer Stelle schon ab ...

R.

ene

11. Juni 2012 15:44

Leben ohne Bücher? Welche Enge!

Und was hätte sie ohne "ihren" Autor gemacht:

www.kino.de/Kinofilm/die-frau-mit-den-fuenf-elefanten/111816

Loki

11. Juni 2012 19:42

Vicco von Bülow/Loriot hat einmal im Interview erzählt, daß er die endlosen, kalten russischen Steppen im Weltkrieg nur überstanden hat, weil sich selber ständig die Klassiker rezitiert hat, die er im Gedächntnis hatte.

Ein Fremder aus Elea

11. Juni 2012 21:28

Loki,

die Menschen sind eben verschieden.

Woher nur diese Angst vor der Leere bei so vielen?

Hat Heidegger nicht was darüber geschrieben?

Mir war so...

Asenkrieger

11. Juni 2012 21:43

Ein sehr guter Artikel zu Bradbury ist auch auf der Homepage von Counter Currents Publishing erschienen.

Vergessen wir nicht, daß in der BRD Bücher verboten oder quasi verboten sind. Es gibt nicht nur eine Liste der "indizierten" Bücher. Es gibt auch eine "geheime" Liste (das ist kein Scherz!) verbotener Bücher, die von der BPS niemandem zugänglich gemacht wird. Wer wissen will, ob ein Buch darin enthalten ist, kann nur nach diesem speziellen Buch, nicht nach der ganzen Liste oder Teilen daraus fragen.

Vergessen sollten wir auch nicht, daß hunderte von Filmen und Tonträgern ebenfalls verboten sind. Bei manchen ist schon der Besitz strafbar (sic!).

Wer das nicht glaubt, kann bei der ominösen "Bundesprüfstelle" nachfragen.

Sixty

11. Juni 2012 22:23

Den Fllm "Fahrenheit 451" (gedreht 1966, mit Oskar Werner und Julie Christie, lief schon öfter im TV) von Francois Truffaut kenne ich schon selt langem. Ich fand ihn immer schon beeindruckend, aber wirklich aktuell ist er eigentlich erst neuerdings geworden, nämlich seit dem albernen Hype um die sogenannten "E-Books".

OJ

11. Juni 2012 22:59

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