Schreibtisch, Garten, Alltag (VI): FAZ-Lektüre

Kurz vor Sieben die Hühner und Enten gefüttert und abgewartet, ob sich die beiden erheben, die auf den letzten Gelegen...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

für die­ses Jahr sit­zen. Die Ente tats, ich schob die Dau­nen ein wenig bei­sei­te und horch­te an einem der Eier. Es wird bald soweit sein, es reg­te sich. Beim Huhn hin­ge­gen bin ich mir nicht sicher: Es ist zu unstet, zu viel unter­wegs, und dann sitzt zwi­schen­durch ein ande­res auf dem Nest und legt ein Ei dazu. Man kriegt aber immer raus, wel­ches nicht dazugehört.

Her­nach in der Küche Bro­te mit Honig aus der Imke­rei eines Lesers, dazu kur­ze FAZ-Lek­tü­re. Sie ist mög­lich, weil wir nach der Kün­di­gung vom Jah­res­an­fang nun ein Pro­be­abon­ne­ment gera­de­zu auf­ge­drängt bekom­men haben.

Ich las zuerst den Sport­teil. Jörg Schmadt­ke grinst mit sei­ner ecki­gen Bril­le aus einer vier­tel­sei­te Quer­for­mat und Frank Hei­ke fragt in sei­nem Bei­trag, wie das funk­tio­nie­ren kann, daß die­ser Sport­chef des Bun­des­li­ga­ver­eins Han­no­ver 96 sich bis zum Jah­res­en­de eine Art Mini-Aus­zeit neh­men kön­ne, unter einem Klub-Prä­si­den­ten, der doch “ein Mann preu­ßi­scher Dis­zi­plin” sei.

Wir erfah­ren, daß Schmadt­ke sich aus fami­liä­ren Grün­den zu einem “Mini-Sab­ba­ti­cal” zurück­zie­hen dür­fe und nun viel Zeit haben wer­de, sich mit Frau Andrea und Toch­ter Mara hin­term neu­en “Haus am Stadt­rand Han­no­vers” auf “lan­ge Spa­zier­gän­ge mit sei­nem Hund, dem Wei­me­ra­ner Hen­ry” zu bege­ben. End­lich ist also die Fami­lie wie­der zusam­men, und Jörg kann sei­ne Sin­gle-Woh­nung am Zoo auf­ge­ben. Mara wird in Han­no­ver ihr Abitur machen, und zual­ler­erst steht ein “aus­ge­dehn­ter gemein­sa­mer Urlaub” auf dem Programm.

Was mich mit Spott auf­lädt, sind Ton und Auf­tritt: Ers­tens ist das alles eigent­lich bloß einen Fünf-Zei­ler wert; zwei­tens hat die­ser Mann bloß eine Toch­ter und einen Hund und soll­te sei­ne Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on samt Erho­lung doch irgend­wie auf die Rei­he krie­gen. War­um nahm er sei­ne Fami­lie nicht gleich mit nach Han­no­ver? Und wenns dafür Grün­de gab: Jeder Bun­des­wehr­sol­dat muß Tren­nun­gen über lan­ge Zeit hin­weg orga­ni­sie­ren und ver­kraf­ten, wenn er in den Ein­satz geschickt wird, und hat dafür nicht ein paar Mil­lio­nen, son­dern bloß ein nor­ma­les Monats­ge­halt zur Verfügung.

Frank Hei­ke indes beschreibt Schmadt­kes Aus­zeit so, als wür­de hier eine aus­ge­brann­te, aus­ge­beu­te­te See­le vor dem Käl­te­tod geret­tet. Dabei könn­te die­ser Mann, der im Moment nicht der Rich­ti­ge ist, um für viel Geld sei­nen Beruf aus­zu­üben, doch ein­fach in eine weni­ger auf­zeh­ren­de Bran­che wech­seln. Seit des Tor­mann Enkes Selbst­mord ist es aber “in”, über den Wahn­sinns­druck zu reden, der im “knall­har­ten Geschäft” der Fuß­ball-Bun­des­li­ga herr­sche. Da muß man wohl den ein oder ande­ren Spit­zen­ver­die­ner ab und an aus der Schuß­li­nie neh­men. Weich­eie­rei, Maß­stabs­ver­zer­rung, Har­fe unse­rer Zeit!

Sport­teil ad acta, wei­ter im Feuil­le­ton: Dort fällt eine redak­tio­nel­le Notiz zum neu­en Werk des Redak­ti­ons­mit­glieds und beken­nen­den Kom­mu­nis­ten Diet­mar Dath ins Auge. Er hat eine 1917er-Schrift von Lenin neu her­aus­ge­ge­ben, die nach des Autors Wil­len “die Ansicht von Marx und Engels zur Fra­ge des Staa­tes, der Macht­er­obe­rung und der Dik­ta­tur zusam­men­fas­sen” soll­te. Lenin, der Autor also, konn­te aber nicht abschlie­ßen, weil ihm der prak­ti­sche Umsturz in die Que­re kam.

Den wei­te­ren Weg durch die auf­re­gen­de Zeit die­ses Umstur­zes (der sich zu einer kom­mu­nis­ti­schen Macht­über­nah­me in Ruß­land aus­wuchs) leg­te Lenin watend im Blut sei­ner Geg­ner und sei­ner in jeder Hin­sicht unschul­di­gen, bour­geoi­sen und nicht-bour­geoi­sen Opfer zurück. Lenin ist einer der ganz gro­ßen Mas­sen­mör­der der Welt­ge­schich­te, von ihm sind Aus­sa­gen, Wer­tun­gen und Ent­schei­dun­gen über­lie­fert, die hun­dert­tau­sen­de Men­schen um ihr Leben brachten.

Diet­mar Dath aber gibt ihn her­aus, kom­men­tiert ihn und stellt “auch Gegen­warts­be­zü­ge” her. Sol­len wir uns nun Mar­tin Licht­mesz vor­stel­len, wie er die Raum­ord­nungs­ent­wür­fe Himm­lers oder Hei­no Bos­sel­mann, wie er einen Sam­mel­band der Gedich­te Bal­dur v. Schirachs und Joseph Goeb­bels mit Gegen­warts­be­zü­gen her­aus­gibt? Geht ja schon gar nicht mehr: Bos­sel­mann hat – wir brach­ten das ges­tern – sich über neue Lyrik geäu­ßert und ist seit­her, da er in der JF und hier bei uns schreibt, ohne Chan­cen auf die Her­aus­ge­ber­schaft in einem ange­sag­ten, schi­cken Ver­lag, der Mas­sen­mör­der mit Gegen­warts­be­zug edie­ren könnte.

Das lang­te dann übri­gens. Ich been­de­te mei­ne FAZ-Lek­tü­re, sin­nier­te ein­mal mehr über das Elend des Anti­kom­mu­nis­mus und setz­te mich an den Schreib­tisch. In der Post der Brief eines mitt­ler­wei­le hoch­be­tag­ten Schrift­stel­lers, der in den Kar­pa­ten nach dem Krie­ge unter ande­rem ver­spreng­ten deut­schen Sol­da­ten bei der Flucht aus dem sowje­tisch besetz­ten Rumä­ni­en zu hel­fen und den Wider­stand gegen die Besat­zung zu unter­stüt­zen ver­sucht hat­te. Manch­mal muß­te er von einer Senn­hüt­te oder einer Schnee­wäch­te aus beob­ach­ten, wie die Jagd­kom­man­dos wei­ter unten ein paar sei­ner Kame­ra­den in einen aus­weg­lo­sen Kes­sel trie­ben und abknall­ten wie Wild – jun­ge Stu­den­ten, Dis­si­den­ten, auch Publi­zis­ten und Redak­teu­re dar­un­ter, Anti­kom­mu­nis­ten alle­samt, aus Erfah­rung, Erlei­den, Klarsicht.

Wer­de ihm schrei­ben und ihm das Lenin-Buch mit den Kom­men­ta­ren von Dath emp­feh­len, damit er Gegen­warts­be­zü­ge her­stel­len und ein­ord­nen kann, war­um er fast drauf­ging, sei­ne Freun­de ver­lor und sechs Jah­re im Ker­ker verbrachte.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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