für dieses Jahr sitzen. Die Ente tats, ich schob die Daunen ein wenig beiseite und horchte an einem der Eier. Es wird bald soweit sein, es regte sich. Beim Huhn hingegen bin ich mir nicht sicher: Es ist zu unstet, zu viel unterwegs, und dann sitzt zwischendurch ein anderes auf dem Nest und legt ein Ei dazu. Man kriegt aber immer raus, welches nicht dazugehört.
Hernach in der Küche Brote mit Honig aus der Imkerei eines Lesers, dazu kurze FAZ-Lektüre. Sie ist möglich, weil wir nach der Kündigung vom Jahresanfang nun ein Probeabonnement geradezu aufgedrängt bekommen haben.
Ich las zuerst den Sportteil. Jörg Schmadtke grinst mit seiner eckigen Brille aus einer viertelseite Querformat und Frank Heike fragt in seinem Beitrag, wie das funktionieren kann, daß dieser Sportchef des Bundesligavereins Hannover 96 sich bis zum Jahresende eine Art Mini-Auszeit nehmen könne, unter einem Klub-Präsidenten, der doch “ein Mann preußischer Disziplin” sei.
Wir erfahren, daß Schmadtke sich aus familiären Gründen zu einem “Mini-Sabbatical” zurückziehen dürfe und nun viel Zeit haben werde, sich mit Frau Andrea und Tochter Mara hinterm neuen “Haus am Stadtrand Hannovers” auf “lange Spaziergänge mit seinem Hund, dem Weimeraner Henry” zu begeben. Endlich ist also die Familie wieder zusammen, und Jörg kann seine Single-Wohnung am Zoo aufgeben. Mara wird in Hannover ihr Abitur machen, und zuallererst steht ein “ausgedehnter gemeinsamer Urlaub” auf dem Programm.
Was mich mit Spott auflädt, sind Ton und Auftritt: Erstens ist das alles eigentlich bloß einen Fünf-Zeiler wert; zweitens hat dieser Mann bloß eine Tochter und einen Hund und sollte seine Arbeitsorganisation samt Erholung doch irgendwie auf die Reihe kriegen. Warum nahm er seine Familie nicht gleich mit nach Hannover? Und wenns dafür Gründe gab: Jeder Bundeswehrsoldat muß Trennungen über lange Zeit hinweg organisieren und verkraften, wenn er in den Einsatz geschickt wird, und hat dafür nicht ein paar Millionen, sondern bloß ein normales Monatsgehalt zur Verfügung.
Frank Heike indes beschreibt Schmadtkes Auszeit so, als würde hier eine ausgebrannte, ausgebeutete Seele vor dem Kältetod gerettet. Dabei könnte dieser Mann, der im Moment nicht der Richtige ist, um für viel Geld seinen Beruf auszuüben, doch einfach in eine weniger aufzehrende Branche wechseln. Seit des Tormann Enkes Selbstmord ist es aber “in”, über den Wahnsinnsdruck zu reden, der im “knallharten Geschäft” der Fußball-Bundesliga herrsche. Da muß man wohl den ein oder anderen Spitzenverdiener ab und an aus der Schußlinie nehmen. Weicheierei, Maßstabsverzerrung, Harfe unserer Zeit!
Sportteil ad acta, weiter im Feuilleton: Dort fällt eine redaktionelle Notiz zum neuen Werk des Redaktionsmitglieds und bekennenden Kommunisten Dietmar Dath ins Auge. Er hat eine 1917er-Schrift von Lenin neu herausgegeben, die nach des Autors Willen “die Ansicht von Marx und Engels zur Frage des Staates, der Machteroberung und der Diktatur zusammenfassen” sollte. Lenin, der Autor also, konnte aber nicht abschließen, weil ihm der praktische Umsturz in die Quere kam.
Den weiteren Weg durch die aufregende Zeit dieses Umsturzes (der sich zu einer kommunistischen Machtübernahme in Rußland auswuchs) legte Lenin watend im Blut seiner Gegner und seiner in jeder Hinsicht unschuldigen, bourgeoisen und nicht-bourgeoisen Opfer zurück. Lenin ist einer der ganz großen Massenmörder der Weltgeschichte, von ihm sind Aussagen, Wertungen und Entscheidungen überliefert, die hunderttausende Menschen um ihr Leben brachten.
Dietmar Dath aber gibt ihn heraus, kommentiert ihn und stellt “auch Gegenwartsbezüge” her. Sollen wir uns nun Martin Lichtmesz vorstellen, wie er die Raumordnungsentwürfe Himmlers oder Heino Bosselmann, wie er einen Sammelband der Gedichte Baldur v. Schirachs und Joseph Goebbels mit Gegenwartsbezügen herausgibt? Geht ja schon gar nicht mehr: Bosselmann hat – wir brachten das gestern – sich über neue Lyrik geäußert und ist seither, da er in der JF und hier bei uns schreibt, ohne Chancen auf die Herausgeberschaft in einem angesagten, schicken Verlag, der Massenmörder mit Gegenwartsbezug edieren könnte.
Das langte dann übrigens. Ich beendete meine FAZ-Lektüre, sinnierte einmal mehr über das Elend des Antikommunismus und setzte mich an den Schreibtisch. In der Post der Brief eines mittlerweile hochbetagten Schriftstellers, der in den Karpaten nach dem Kriege unter anderem versprengten deutschen Soldaten bei der Flucht aus dem sowjetisch besetzten Rumänien zu helfen und den Widerstand gegen die Besatzung zu unterstützen versucht hatte. Manchmal mußte er von einer Sennhütte oder einer Schneewächte aus beobachten, wie die Jagdkommandos weiter unten ein paar seiner Kameraden in einen ausweglosen Kessel trieben und abknallten wie Wild – junge Studenten, Dissidenten, auch Publizisten und Redakteure darunter, Antikommunisten allesamt, aus Erfahrung, Erleiden, Klarsicht.
Werde ihm schreiben und ihm das Lenin-Buch mit den Kommentaren von Dath empfehlen, damit er Gegenwartsbezüge herstellen und einordnen kann, warum er fast draufging, seine Freunde verlor und sechs Jahre im Kerker verbrachte.