Zwanzig Schüsse auf Stauffenberg

pdf der Druckfassung aus Sezession 21/Dezember 2009

sez_nr_212von Christian Dorn

Freitagabend, 12. Oktober 2007 - 1. Tag, 2nd Unit
Ein Paar, das extra aus der „Heldenstadt" Leipzig angereist ist, hat Pech. Sie sind Autogrammjäger und wollen zu Tom Cruise - vergeblich. Denn an diesem Abend ist nur Statisten-Dreh, in der Fachsprache „2nd Unit". Vor dem Hotel Maritim, dessen Ausgang der Einfahrt des Bendlerblocks schräg gegenüberliegt, stehen abwechselnd ein Dutzend Fotografen und jeweils eine Handvoll Hotelbesucher, unter ihnen Frank Plasberg. Sie sehen zu, wie eine Hundertschaft Komparsen in Wehrmachtsgrau durch die Toreinfahrt des Bendlerblocks stürmt. Stiefeltritte hallen, Staub wirbelt auf, Gejohle ertönt; aus der Menge heraus, die nach ein paar Sekunden im Innenhof verschwindet, ragt eine Hand zum „deutschen Gruß". Das Schauspiel, manchmal unterstützt durch hinterdreinfahrende Militärfahrzeuge, wiederholt sich noch mehrere Male. Die Einpeitscherin vom Set wird zornig. Sie schreit die Männer an: „Niemand soll lachen und grinsen! Das war so langsam und kraftlos, ihr müßt jetzt laut sein! Seid ihr da?" - „Jaaa!" brüllt es im Chor, und dieser Schrei, der weit zu hören ist, lockt wieder Touristen, zumeist Amerikaner, an den Rand des Geschehens, das sich ihnen erst auf Nachfrage erschließt.


Für einen Schau­spie­ler, der gera­de im Hotel gegen­über logiert und die Sze­ne mit ansieht, ist es klar: „Der deut­sche Land­ser ist ein­fach nicht mehr repro­du­zier­bar. – Die müs­sen so häu­fig lau­fen, damit sie rich­tig erschöpft aus­se­hen. Aber wenn erst­mal der ers­te weint und nach Hau­se will, dann ist das Ziel wenigs­tens erreicht.” Hes­si­sche Tou­ris­ten dage­gen fach­sim­peln über die kör­per­li­che Grö­ße von Tom Crui­se. Sagt der eine: „Jeder Lili­pu­ta­ner ist doch grö­ßer als der”, ent­geg­net der ande­re: „Ach, das ist doch nur eine Ein­stel­lungs­fra­ge der Kame­ra.” – Eine klei­ne Foto­ka­me­ra hat auch der Tou­rist, an des­sen Jacke unüber­seh­bar der Sti­cker „God Save Ber­lin” prangt. Als er gera­de vor­prescht und in die Knie geht, um ein Bild durch die Tor­ein­fahrt des Bend­ler­blocks zu machen, wird von den Secu­ri­ty-Leu­ten plötz­lich die Sicht durch ein mit Stoff bespann­tes Git­ter ver­stellt. Die Kame­ra, die er gera­de „schuß­be­reit” gemacht hat­te, muß er unver­rich­te­ter Din­ge wie­der einstecken.
Gedreht wird noch bis zum Mor­gen­grau­en, gegen Mit­ter­nacht fal­len noch mehr­mals Schüs­se, eine Art „Tro­cken­übung”, da die Schau­spie­ler der 1st Unit doch erst mor­gen antreten.

Sams­tag, 13. Okto­ber 2007 – 2. Tag, 1st Unit
Die Nach­rich­ten im U‑Bahn-Fern­se­hen der U2, die Rich­tung Dreh­ort am Pots­da­mer Platz führt, mel­den den Nach­dreh von Tom Crui­se – vor ihm die Hartz-IV-Demo mit 7.000 Teil­neh­mern, hin­ter ihm die Bot­schaft, daß die Kup­pel des Reichs­tags wegen Rei­ni­gungs­ar­bei­ten geschlos­sen wird. – Anschlie­ßend erscheint ein Zitat von José Orte­ga y Gas­set: „Die Ver­gan­gen­heit kann uns nicht sagen, was wir tun, aber was wir las­sen müs­sen.” – Wei­te­re Mel­dun­gen: Der Tod von Anna Nico­le Smith wird neu auf­ge­rollt und Rein­hold Mess­ner bekennt, daß er nicht an den Yeti glaubt.
Vor dem Bend­ler­block unter­hal­ten sich jun­ge Leu­te mit einem Ord­ner der Film­crew bloc inc. Als sich ein Mann von der Pres­se nähert, der gern mit­hö­ren wür­de, ruft er: „Jetzt kommt ein Jour­na­list, dann halt ich die Klap­pe.” Es klingt wie eine unver­hoh­le­ne Dro­hung. Die Kon­fir­man­den­grup­pe aus Göt­tin­gen, sol­cher­ma­ßen ihres Gesprächs­part­ners beraubt, berich­tet sicht­lich unsi­cher: Ja, der Mann habe ihnen von der „Geschich­te und so” erzählt. Haben sie denn die Geschich­te Stauf­fen­bergs und des Atten­tats vom 20. Juli 1944 nicht gekannt? „Na, nein, eigent­lich nicht.” Dann erin­nern sie sich an das eben Gehör­te: „Da gab es den, wie hieß der, Hit­ler, ach so, ja, und der Stauf­fen­berg woll­te den bom­ben, aber das hat er nicht geschafft. – Dafür wird heu­te Tom Crui­se erschos­sen!” rufen sie leicht begeis­tert über ihre klei­ne Pro­vo­ka­ti­on, und ver­schwin­den im sel­ben Augenblick.
„Ihr könnt ruhig kräf­ti­ger zupa­cken!” – Gesagt hat er es wohl eng­lisch. Ein Kom­par­se, der zu dem Trupp jener Sol­da­ten gehört, berich­tet, wie sie den stand­recht­lich erschos­se­nen Stauf­fen­berg in einer Decke weg­tra­gen. Über zwan­zig Mal wur­de der Kopf der Ver­schwö­rung nach sei­ner Erschie­ßung aus­ge­tauscht, zwei‑, drei­mal jedoch muß­ten sie auch Crui­se sel­ber in der Decke weg­tra­gen. Nach dem ers­ten Mal habe er ihnen gesagt, daß sie ruhig här­ter anpa­cken könn­ten. „Man denkt dann eigent­lich nicht, wen man weg­trägt.” Aber: „Bei uns ist das alles wür­de­vol­ler, da wird die Decke aus­ge­brei­tet und extra dar­auf geach­tet, daß kei­ne Fal­te ist – so war das damals sicher nicht.” Dann muß er wie­der rein, eini­ge Zeit spä­ter fal­len wie­der die Schüs­se, nur das Ver­mächt­nis Stauf­fen­bergs ist nicht zu hören: „Es lebe das gehei­me Deutsch­land!” – mit die­sem Aus­ruf hat­te Oberst Claus Graf Schenk von Stauf­fen­berg von sei­nem Leben und sei­nem Vater­land Abschied genom­men, bevor er unter den Kugeln des Exe­ku­ti­ons­kom­man­dos zusam­men­ge­bro­chen war.
Gerüch­te ran­ken sich um die Fra­ge, ob die­ser Nach­dreh wirk­lich nötig war, oder nur ein Vor­wand ist, weil damals nicht genug Zeit war. Wahr­schein­lich benö­ti­ge man nur neue Kame­ra­ein­stel­lun­gen. Der Mann an der Absper­rung gibt sei­ne Art von Aus­kunft: „Die sind so cle­ver, die haben kei­nen kon­kre­ten Zeit­plan.” – Neben den Sta­tis­ten gibt es die Sta­tis­tik im Bend­ler­block, doch wen inter­es­siert das? Von den Kom­par­sen wird berich­tet: fünf Trä­ger, zehn Leu­te Erschie­ßungs­kom­man­do, vier bis fünf Leu­te Begleit­kom­man­do und fünf­zehn Kom­par­sen, die an der Wand ste­hen, „damit es nach was aus­sieht”. Des wei­te­ren drei bis vier Kom­par­sen­ver­ant­wort­li­che, zwei Kame­ras, zehn Licht­tech­ni­ker, zwei unbe­kann­te Leu­te, „die immer da sind und ziem­lich viel zu sagen haben” sowie Regis­seur Bryan Sin­ger und sei­ne drei, vier Assis­ten­ten. – Sin­ger läuft wenig spä­ter aus dem Hotel hin­über in den Bend­ler­block. Kur­zes Blitz­licht­ge­wit­ter. Trotz­dem wis­sen selbst von den Foto­gra­fen nur weni­ge, wer die­ser jun­gen­haf­te Typ ist, den sie eben halb­wegs erhascht haben.

Lie­ber spre­chen sie der­weil von „Katie” und „Tom” – es ist, als rede­ten sie von ihren Adop­tiv­kin­dern, die sich ihrer Obhut ent­zo­gen haben. Eine For­mu­lie­rung, eben­so ehr­furchts­voll wie täu­schend. Als eine dunk­le Wagen­ko­lon­ne aus dem Lager der Film­crew aus­bricht, hetzt ein hal­bes Dut­zend Foto­gra­fen hin­ter­drein, als gäl­te es, die Limou­si­ne John F. Ken­ne­dys nach dem Atten­tat noch ein­zu­ho­len. Einer von die­sen mit gro­ßem Objek­tiv bewaff­ne­ten Sprin­tern kehrt mit der Erfolgs­bot­schaft zurück, wohl Tom Crui­se erwischt zu haben. Als er auf das vor­de­re Auto zustürm­te, sei­en drei Secu­ri­ty-Leu­te her­aus­ge­sprun­gen: „Get away from this car!” Der Mann ärgert sich: „Ich hät­te sofort mehr­mals in die Front­schei­be rein­schie­ßen müs­sen!”
Tho­mas Kret­sch­mann, der zunächst für die Rol­le Stauf­fen­bergs im Gespräch war, nun aber mit einer Neben­rol­le vor­lieb­neh­men muß, läuft an den Foto­gra­fen vor­bei ohne ste­hen­zu­blei­ben: „Was macht ihr nur mit den Fotos?” Chris­ti­an Ber­kel, der angeb­lich ein gutes Ver­hält­nis zum Stauf­fen­berg-Dar­stel­ler ent­wi­ckelt haben soll, huscht hin­ter­her, auf sei­nen Lip­pen einen ähn­li­chen Kom­men­tar wie sein Vor­der­mann. Gesprä­chi­ger zeigt sich Mat­thi­as Schweig­hö­fer, der in Val­ky­rie den Sekre­tär von Gene­ral­oberst Fried­rich Fromm (Tom Wil­kin­son) spielt, wel­cher als Chef des Ersatz­hee­res den Putsch Stauf­fen­bergs zu sabo­tie­ren ver­sucht hat­te und spä­ter die Erschie­ßung der Ver­schwö­rer ange­ord­net hat­te. Schweig­hö­fer ver­rät: „Wir dre­hen bis zum Mor­gen­grau­en. Wie­so? Weil das die kras­ses­te zu bekom­men­de loca­ti­on der Welt ist.” Und Tom Crui­se? „Der ist immer sehr kon­zen­triert, sehr pro­fes­sio­nell.” Und abge­schirmt. Nie­mand kriegt ihn zu sehen. Nur ein Foto­graf erhascht ihn nach Mit­ter­nacht, wie er zum Set, dem Bend­ler­block, über den Hin­ter­ein­gang wechselt.
In Zei­tungs­be­rich­ten zum Nach­dreh der Val­ky­rie-Pro­duk­ti­on heißt es, der Film wür­de den deut­schen Wider­stand inter­na­tio­nal bekannt machen. Immer­hin. Viel­leicht macht er den deut­schen Wider­stand sogar natio­nal bekannt. Der Kom­par­se, der den hin­ge­rich­te­ten Stauf­fen­berg weg­trägt, hat näm­lich erst mit Beginn der Dreh­ar­bei­ten von der Geschich­te Stauf­fen­bergs erfah­ren, und er gibt zu, daß sie ihn nicht wirk­lich berührt. Auch die ande­ren Kom­par­sen hät­ten kein Inter­es­se an die­ser Geschich­te, er ken­ne kei­nen, den die­ses Schick­sal bewe­ge. Es sei alles schon so weit weg, und das „Drit­te Reich” kön­ne man irgend­wann nicht mehr ertragen.
Ein älte­res Ehe­paar erscheint am Dreh­ort. Sie hören die Schüs­se. Der aus West­deutsch­land ange­reis­te Mann ist gebür­ti­ger Ber­li­ner. Im Juli 1944 war er ein fünf­zehn­jäh­ri­ger Jun­ge. „Mit gro­ßer Hoff­nung” habe er damals von dem Atten­tat gehört, die Nach­richt von der Nie­der­schla­gung dann sei „furcht­bar” gewe­sen. – Sie waren schon ein­mal am Nach­mit­tag hier gewe­sen, weil sie in die Gedenk­stät­te Deut­scher Wider­stand woll­ten, die sich im Bend­ler­block befin­det. Ob er sich denn den Film anse­hen wür­de, wenn er ins Kino kommt? Das wis­se er jetzt noch nicht, so sei­ne Ant­wort. Dann schrei­tet der Enkel ein. Der Groß­va­ter wer­de jetzt nichts mehr sagen, solan­ge der Jour­na­list nicht ver­ra­te, wie er geden­ke, die­se Infor­ma­ti­on im Arti­kel zu ver­ar­bei­ten, und wenn er nicht auf der Stel­le ver­sprä­che, ein Beleg­ex­em­plar zuzu­sen­den. Schließ­lich wür­den sie hier Infor­ma­tio­nen verkaufen.

14. Okto­ber 2007, Sonn­tag – 3. Tag, „Der letz­te Samu­rai” (Pro7), 20.15 Uhr
Tom Crui­se kämpft vor 120 Jah­ren in Yoko­ha­ma, Sei­te an Sei­te mit dem letz­ten Samu­rai. Dort sagt er Sät­ze wie: „Ich habe einen Ver­trag mit Win­ches­ter. Für fünf­hun­dert Pie­pen brin­ge ich jeden um, den Sie wol­len. Ich kämp­fe mit der Iro­nie mei­nes eige­nen Schick­sals.” Zuletzt kniet er vor dem japa­ni­schen Kai­ser, der ihn nach dem Tod des letz­ten Samu­rai aus­fragt: „Wie ist er gestor­ben?” Die Ant­wort: „Ich will euch erzäh­len, wie er gelebt hat.”
Man möch­te fra­gen: Was bedeu­tet es für Deutsch­land, daß Tom Crui­se die Geschich­te Stauf­fen­bergs erzählt? Oder: Was bedeu­tet es für Stauf­fen­berg, daß Tom Crui­se ihn spielt? Oder: Was bedeu­tet es für Deutsch­land, daß dem­nächst ein Hol­ly­wood-Film einen Fix­stern deut­scher Nach­kriegs­iden­ti­tät besetzt haben wird? Nie­mand kann es sagen.

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