Weidner habe sich einen „bürgerlich, akademischen Deckmantel mit Tarnkappe Burschenschaft“ zugelegt, um „politische Hetzaktivitäten“ zu entfalten, die einem „militanten Neonazismus“ den Weg bereiteten und damit mitverantwortlich für „Morde durch Neonazis“ seien. Handfeste Belege kann Becker, der wie Weidner Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks ist, nicht vorlegen. Er bedient sich einer anderen Methode: Mit name dropping klagt er öffentlich an und will Rechte aus der Reserve locken. Sie sollen ihn vor Gericht zerren, dort verlieren und dann ein weiteres Mal von Spiegel Online und anderen Demokratie-Geschützen sturmreif geschossen werden.
Bei Weidner ist diese Rechnung vorerst aufgegangen. Der Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter, dem jüngst auf dem Burschentag in Eisenach trotz Kritik (dazu Sezession im Netz am 29. April 2012) erneut das Vertrauen ausgesprochen wurde, hat Becker verklagt, weil dieser wiederholt auf seinem Weblog QuoVadisBuxe – Burschenschafter Portal gegen Nazis behauptete, Weidner sei „höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung“, strebe die Gründung einer „rechtsextremen Studentenpartei“ an und habe E‑Mails seiner Gegner gehackt.
Das Landgericht Bonn urteilte am 11. Juli, Becker dürfe die ersten zwei Behauptungen weiter verbreiten, da sie „substanzarm“ seien, kaum „konkreten Tatsachengehalt“ aufwiesen und somit in den Bereich subjektiver, pointierter Meinungsäußerungen fielen. Becker habe auch nicht die Pflicht, „mögliche tatsächliche Handlungen“ von Weidner aufzuklären. Einzig, daß Weidner E‑Mails gehackt habe, darf Becker fortan nicht mehr behaupten.
Spiegel Online titelte daraufhin mit „Liberaler triumphiert über rechten Widersacher“ und gegenüber dem Deutschlandradio kam Becker ausführlich zu Wort und durfte erklären, wie Weidner „in die Falle getappt“ sei, was Burschenschaften mit den „Pogromen von Rostock, von Solingen und Hoyerswerda“ zu tun hätten und wie die Aufgabenteilung im rechten Lager funktioniere: „Akademische Neonazis schreiben die Konzepte, machen die Parolen, und andere werfen die Brandsätze.“
Daß all diese Anfeindungen von der Öffentlichkeit so ernst genommen werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Presse. „Es ist seltsam, wie Becker hofiert und auch gedeckt wird, obwohl er beispielsweise ohne Impressum arbeitet“, betont Weidner. Becker kontert, er habe bei der Medienanstalt einen Antrag auf Befreiung von der Impressumspflicht gestellt. Auf Nachfrage will bei dieser jedoch niemand etwas von dieser Möglichkeit jemals gehört haben.
Der Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter wundert sich zurecht darüber, wie viel Gehör sein Bundesbruder findet, da gerade auch die Liberalen in der Deutschen Burschenschaft in ihm keinen Verbündeten sehen. Vielmehr sei Becker im Dachverband genauso wie im eigenen Bund vollkommen isoliert. Bei den Raczeks läuft ein Ausschlußverfahren gegen ihn, das Ende August verhandelt wird. Becker hat vorsorglich schon jetzt angekündigt, dagegen gerichtlich vorgehen zu wollen. In seinem Bund hat er sich laut Weidner seit über 15 Jahren nicht blicken lassen. Mitgliedsbeiträge hätte man sogar über einen Gerichtsvollzieher eintreiben müssen. Weidner vermutet, daß Becker über den Burschenschaftsskandal mit seinem nicht besonders gut laufenden PR-Unternehmen ins Gespräch kommen wolle.
Letztendlich könnte er damit sogar Erfolg haben, denn die Medien schert es in diesem Fall nicht, ob hier einer anonym denunziert oder sachlich unter seinem Klarnamen argumentiert. Becker betont, die „Arier-Anträge der Raczeks“ hätten bei ihm das Faß zum Überlaufen gebracht und ihn bewogen, „die Initiative Burschenschafter gegen Neonazis zu gründen, um das Problem der rechtsextremen Burschenschafter einzudämmen“. Es geht dabei um eine Kontroverse innerhalb der Deutschen Burschenschaft aus dem vergangenen Jahr um den „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“. Liberale Burschenschafter hatten darauf gedrängt, auch die Mitgliedsaufnahme von „Paßdeutschen“ zu tolerieren, während sich konservative Bünde dagegen wehrten.
Der Streit Becker versus Weidner hat sich von dieser konkreten Problemstellung allerdings längst entfernt. Becker macht keinen Hehl daraus, daß es ihm darum gehe, einzelne Burschenschafter im Lichte der Öffentlichkeit „vor den Kadi“ zu zitieren. Er ist dabei nicht zu unrecht siegessicher: Durch die Vorverurteilungen der Presse, die politische Rechtsprechung der deutschen Justiz und – leider – unklugen Rechtsbeistand wie im Falle Weidner haben Denunzianten heute leichtes Spiel.
Meyer
Ihrem Beitrag ist sachlich völlig zuzustimmen. Unverständlich bleibt mir die Überschrift. Denn Sie legen im Text ja überhaupt nicht dar, was an dem Urteil nun "politisch" war, also aus politischen Gründen von bis dato anerkannten Rechtssätzen abgewichen sein soll. Sollte die Überschrift die politisch-mediale Wirkung des Urteils andeuten, so erscheint mir der Begriff "politische Justiz" falsch.
Darüber, daß es in Deutschland politisch motivierte Rectssetzung und rechtssprechung gibt, kann es kaum zwei Meinungen geben. Aber dieses Urteil erscheint mir bei derzeitigem Informationsstand nicht dazu zu gehören. Allerdings könnte ich mir vorstellen, daß, wenn man tiefer in den Gründen schüfrte, man doch einigen finden könnte. Nur müßte man dies dann auch herausstellen und belegen.