Ekel: Maus, Klaus und die Schnecken

So ist es: Gerade ist der Sommer so richtig da – endlich Ferien und richtige Hitze -, da sind wir schon überlistet.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die Tage sind schon merk­lich kür­zer, sen­si­blen Nasen ent­geht hier und da der Geruch nach Ver­we­sung nicht. Ein paar Som­mer­stür­me haben die ers­ten, frü­hen Apfel­bäu­me leer­ge­rüt­telt, die gro­ßen Kin­der, die sonst tüch­tig auf­sam­meln müs­sen, sind größ­ten­teils in Feri­en und Prak­ti­ka, die klei­ne­ren stop­fen sich Zeug in den Mund, das schon brau­ne Stel­len hat.

Die Schne­cken, die sich die­ses Jahr bis­lang erfreu­lich zurück­ge­hal­ten haben, ergöt­zen sich am Fall­obst, und in der Däm­me­rung wan­dern Haus­herr und Haus­her­rin gebückt durch den Gar­ten und sam­meln das Getier ein:  Ges­tern waren es 87 Krie­cher, die sogleich per Spa­ten zusam­men mit Acker­senf und ein paar Hand­voll Wei­zen zu einem saf­ti­gen Brei ver­rührt und unse­rem Geflü­gel als Nacht­mahl kre­denzt wur­den. Hei­den­freu­de bei den Tür­ken­en­ten! Bei der Köst­lich­keit han­delt es sich um die Spa­ni­sche Weg­schne­cke, einen Inva­sor aus dem Süden, der sich erst seit 34 Jah­ren hier­zu­lan­de breitmacht.(Damit sind die 68er defi­ni­tiv an allem Unbill schuld!)

Irra­tio­nal­er­wei­se ver­fah­ren wir mit den (weni­gen) Wein­berg­schne­cken weni­ger reso­lut. Wir las­sen sie lau­fen. (Husch, husch, sind sie weg!) Kubit­schek woll­te mich neu­lich mit einer Caracóis aus eige­ner Samm­lung ver­wöh­nen. Doch nach­dem er die Lecker­bis­sen zwei Tage in einem Kar­ton aus­hun­gern und sich ent­lee­ren hat las­sen, hat­ten sich die Tie­re bereits hef­tig ver­mehrt, und er hat es nicht übers Herz gebracht, all die Schne­cken­ei­er ver­waist ihrem Schick­sal zu über­las­sen. Es gab statt des­sen Kar­tof­feln, Rote Bee­te und eine aus eige­nem Gar­ten gemäs­te­te Ente.

Schne­cken und auch Schna­ken hal­ten sich in den übli­chen Gren­zen, ärger ist es mit den Mäu­sen. Alle paar Jah­re wer­den sie zur Pla­ge. Das Ange­bot über­steigt die Nach­fra­ge auch des Kat­zen­nach­wuch­ses. Die Bür­ger­stei­ge im Dorf sind gera­de­zu gepflas­tert von Mäu­se­lei­chen, wir schla­fen unru­hig wegen des Gera­schels. Unser Hund hat anschei­nend grö­ße­ren, jeden­falls ganz­heit­li­che­ren Gefal­len als die Kat­zen an den Vie­chern; hal­ten wir die Lei­ne nicht kurz genug oder darf er durch den Gar­ten toben, sam­melt er die klei­nen Lei­chen gie­rig auf. Es knackt nicht mal, sie wer­den im Gan­zen verschluckt.

Heu­te kam es zu gleich zwei ziem­lich unter­schied­li­chen Vor­fäl­len, die mich – eher hart­ge­sot­ten in sol­chen Din­gen – doch an die Ekel­gren­ze brachten:

Früh spa­zier­te ich bar­fuß durch den Gar­ten, als ich unter mei­nem Fuß Kno­chen bre­chen spür­te. Das schlim­me­re Gefühl jedoch war das der Där­me, die hoch­schnalz­ten und sich um mein Fuß­ge­lenk rin­gel­ten. Wenn je mei­ne Enkel­kin­der Bedarf an einer wah­ren Schau­er­ge­schich­te hät­ten: Bit­te, hier wär sie.

Nach­mit­tags war ich mit einer der noch zu Hau­se wei­len­den Töch­ter in der Stadt. Wir sehen eigent­lich aus wie Mut­ter und Toch­ter. An der Hand füh­re ich die 14jährige schon seit vie­len Jah­ren nicht, und der Arm-in-Arm-Typ bin ich nicht. Aber bit­te: man kann das offen­bar ver­wech­seln. Der Klaus mit der gro­ßen Tasche an der Schul­ter jeden­falls hat­te einen Ver­dacht und sprach uns an: Er sei der Klaus und glau­be, er habe da was für uns, das uns inter­es­sie­ren könnte.

Ob er uns was auf den Weg geben dürf­te aus dem gro­ßen, (staat­lich reich geför­der­ten) Beu­tel der AIDS-Hil­fe? Durf­te er. Mei­ne Ange­wohn­heit seit Jugend­ta­gen, Typen, die mir öffent­lich blöd kom­men, her­risch anzu­ge­hen, habe ich mir vor Jah­ren abge­wöhnt, weil ich mei­ne Töch­ter nicht in Situa­tio­nen brin­gen woll­te, die ihnen viel­leicht pein­lich sind.

Was hät­te es auch genutzt, wenn ich den Klaus mit sei­ner sicher ehr­lich gemein­ten Sor­ge vor sexu­ell über­trag­ba­ren Krank­hei­ten mit „kri­ti­schen Fra­gen“ oder Hohn­wor­ten mit Bezug auf die aktu­el­le Ver­kehrs-Kam­pa­gne der Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung kon­fron­tiert hät­te? Dabei waren die Pla­ka­te bei uns am Küchen­tisch und auf Auto­fahr­ten schon öfter The­ma. Wenn mein sie­ben­jäh­ri­ger Sohn fragt, was die alte Frau da meint, wenn sie sagt „Ich will´s lust­voll“ oder der „Boxer“ (Eti­ket­tie­rung des Soh­nes), wenn er ver­kün­det er wol­le „es zärt­lich“ – was soll man da sagen? Was genau will „der Aus­län­der“ (laut Sohn) „end­lich“, was meint der Leder­arm­band­typ mit  “anders­rum”, und war­um hän­gen sie des­halb bei uns Pla­ka­te auf? Auf sol­che Kin­der­fra­gen fol­gen stets aus­ufern­de Gesprä­che, bei denen man sich schön in Rage reden kann.

Der Klaus weiß davon bis heu­te nichts. Er durf­te uns zwei lila Lut­scher (hach!), und eine Auf­klä­rungs­bro­schü­re über­rei­chen. Titel: Frau­en­lust, beinhal­tend Infos für Frau­en, die Sex mit Frau­en haben. Daß Klaus mich und mei­ne Toch­ter als Ziel­grup­pe ins Visier nahm, darf ich ihm wohl nicht ver­übeln. Wo uns Illus­trier­te 60jährige Män­ner mit ihren 20jährigen Lieb­chen auf dem roten Tep­pich prä­sen­tie­ren, wird der tole­ran­te Klaus mit sei­nem nach allen Sei­ten offe­nen Ahnungs­wis­sen wohl auch sexu­el­le Bezie­hun­gen zwi­schen weib­li­chen Teen­agern und 23 Jah­re älte­ren Frau­en für okay halten.

Das über­ge­be­ne Heft ist reich bebil­dert mit Pho­tos von allem was denk­bar ist: Popos, die mit­ein­an­der schmu­sen, eine sich dahin­stre­cken­de Frau, die von gleich zwei Mün­dern ver­wöhnt wird, zwei lachen­de Nack­te mit lila Schmin­ke, lila Haar­sträh­nen und einem pin­ken Dil­do, hygie­nisch behand­schuh­te Hän­de an Geni­ta­li­en, Mund­lip­pen an ande­ren Lip­pen, Frau­en­mund an Frau­en­po und­so­wei­ter. Weil Frau­en, die Sex mit Frau­en haben, oft nicht „regel­mä­ßig zur Frau­en­ärz­tin“ gehen, soll hier mal auf­ge­klärt wer­den. Denn „wer unser Begeh­ren weckt, hat frü­her viel­leicht Dro­gen gespritzt, ist Trans* oder jobbt zur Zeit als Sex­ar­bei­te­rin“. Dann dro­he im Ver­kehrs­fall gesund­heit­li­ches Ungemach.

Treue schützt? Schmun­zel! „Wer kann schon immer treu sein? Man­che wol­len das auch gar nicht.“ Was man als les­bi­sche Frau so wol­len kann (von „Fin­ger­fick“ über „spie­le­ri­sches Rit­zen und Durch­ste­chen der Haut“, „Schla­gen und Peit­schen“ bis „Spie­len mit Kot und Urin“) und wie es unge­fähr­lich bleibt, kann man in der Bro­schü­re detail­liert nach­le­sen. Hin­ge­wie­sen wird dane­ben auch auf gesund­heit­lich siche­re Inse­mi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten bei les­bi­schem Kinderwunsch.

Mein nach dem mor­gend­li­chen Maus­er­leb­nis der­art wie­der auf­ge­frisch­ter Ekel gilt nicht dem Les­ben­sex spe­zi­ell. Ich bin mir sicher, daß die Aids­hil­fe eine adäqua­te Anlei­tung zum hygie­nisch kor­rek­ten Kot­ver­gnü­gen und Faust­spiel auch für Hete­ro­paa­re parat hält. Ich hab das Heft durch­ge­schmö­kert in der Bahn auf der Rück­fahrt, die Toch­ter hat ihr Exem­plar im Müll­ei­mer ver­senkt und Aus dem Leben eines Tau­ge­nichts aus ihrer Hand­ta­sche gepackt.

Das wie­der­um paßt wun­der­bar zum dies­jäh­ri­gen Mot­to der Aids­hil­fe: Your free­dom of choice. Zer­set­zungs­pro­duk­te wer­den all­ge­mein als ekel­haft emp­fun­den, so beschrieb es Aurel Kol­nai in sei­ner Phä­no­me­no­lo­gie der feind­li­chen Gefüh­le treffend.

Heut war so ein gefühls­feind­li­cher Tag.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.