“Sture Hunde” von Jens Wonneberger

Es ist ein paar Jahre her, daß ich an dieser Stelle deutsche Autoren aufzählte, die wir »im Auge behalten sollten«...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Einen Roman von Jens Won­ne­ber­ger kann­te ich damals noch nicht, nun ken­ne ich einen und habe mei­ne Autoren-Lis­te ergänzt.

Stu­re Hun­de also: Der in Ohorn/Sachsen 1960 gebo­re­ne Won­ne­ber­ger erzählt aus den Mona­ten nach der Rück­kehr der Haupt­fi­gur, Mar­tin Rohr­bachs, in sein Hei­mat­dorf Ahorn­stein (dia­lek­tal etwa: Ohorn­stein). Dort ist sein Vater ver­stor­ben, die Mut­ter ist schon lan­ge tot, und nach der Beer­di­gung bleibt Rohr­bach ein­fach im elter­li­chen Haus auf dem Hügel. Sei­ne Woh­nung in der Stadt besucht er noch zwei­mal, sei­ne Stel­le in einem Insti­tut für Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­schung läßt er ruhen, irgend­wann kün­digt er.

In Ahorn­stein trifft er man­ches so an, als sei­en nicht zwei Jahr­zehn­te ver­gan­gen, seit er zum Stu­di­um auf­brach und nicht wie­der­kehr­te, son­dern bloß ein Tag: In der Trink­hal­le sam­meln sich die Kum­pels von frü­her, die Gesprä­che haben sich in Form, Niveau und inhalt­lich nicht wei­ter­ent­wi­ckelt, ein paar alte Miß­ver­ständ­nis­se und Riva­li­tä­ten sind nicht ver­ges­sen und müs­sen aus­ge­räumt wer­den, und die Jugend­lie­be kommt – frisch geschie­den – nicht nur tags zu Besuch.

Deren Vater ver­mu­tet auf einem zu Unrecht den Rohr­bachs zuge­teil­ten Stück Lan­des einen ver­gra­be­nen Schatz aus dem ent­eig­ne­ten Rit­ter­gut, aber man fin­det nichts. Man fin­det auch im Roman nichts, kei­nen ver­gra­be­nen Sinn, kein Urteil über die­ses Dorf – nur eine laten­te, durch Won­ne­ber­gers Spra­che glän­zend ein­ge­fan­ge­ne Atmo­sphä­re des Gehen-Wol­lens, Auf­bre­chen-Müs­sens in eine wei­te Welt. Wer Phan­ta­sie hat und jung ist, will solch ein Dorf ver­las­sen, Rohr­bach tat es. »Die Vor­stel­lung, ein Leben lang mit den­sel­ben Leu­ten am Sonn­abend­nach­mit­tag auf dem Dorf­platz zu ste­hen, bei den glei­chen Gesprä­chen, den glei­chen Wit­zen und einer wach­sen­den Men­ge Bier, die­se Vor­stel­lung ist es gewe­sen, die ihn einst hat­te in die Groß­stadt gehen las­sen.« Indes: Die – von einem Auf­bruchs­stand­punkt aus betrach­tet – gera­de­zu jäm­mer­li­che Gebor­gen­heit eines typi­schen Ost-Dor­fes ist immer­hin eine: bere­chen­bar, hei­mat­lich, ent­las­tend, für man­chen eine Rück­kehr wert. Alles ist, wie es ist, oder ganz ein­fach: alles ist, Punkt – und damit ist es mehr als etwa jene Erfas­sung einer Rea­li­tät durch die Zah­len, die Rohr­bach im Insti­tut für Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­schung erhe­ben mußte.

Manch­mal mach­te er sich einen Spaß dar­aus, »die Pas­san­ten abzu­zäh­len, jeder fünf­te wünsch­te sich die Mau­er zurück, bis sech­zehn muß­te er zäh­len, um noch jeman­den zu fin­den, der noch Ach­tung vor Poli­ti­kern hat­te.« Aber wo sind die­ser fünf­te und die­ser sech­zehn­te im Dorf, und was sind sie dar­über hin­aus? Rohr­bach »kennt die Sta­tis­ti­ken über die rech­te Gesin­nung der Jugend­li­chen auf dem Land, sie haben ihm oft genug einen Schre­cken ein­ge­jagt, trotz­dem gelingt es ihm jetzt nicht, den jun­gen Mann als Bedro­hung zu emp­fin­den oder wenigs­tens mit Ver­ach­tung zu stra­fen«, denn der hat freund­lich gegrüßt und befüllt auf dem Dorf­fest für die Kin­der Luft­bal­lons aus einer Heliumflasche.

In einem Inter­view, das auf dem Lite­ra­tur­por­tal poetenladen.de ver­öf­fent­licht ist, gibt Won­ne­ber­ger sein Des­in­ter­es­se an frei­er Fik­ti­on zu Pro­to­koll. Er müs­se »über das schrei­ben, was ich erlebt habe, über mein Umfeld, das ich zu ken­nen glau­be« – wobei das ein biß­chen zu beschei­den klingt: Natür­lich kennt Won­ne­ber­ger die Ahorn­stei­ner Typen, und man kann den Ton, den er anschlägt, um ihre Dia­lo­ge zu notie­ren, mit dem Ton Knut Ham­suns ver­glei­chen: den zuge­neig­ten Blick auf die ein­fa­chen Leu­te; die alles Kapri­ziö­se ableh­nen­de Spra­che ohne Spott, Über­heb­lich­keit oder artis­ti­sche Zuspit­zung der Wirklichkeit.

Alles geschieht und hat kein Ziel. Jens Won­ne­ber­ger hat die Spra­che gefun­den, mit der die­se in jeder Hin­sicht lebens­na­he Ziel­lo­sig­keit zu einem Roman wer­den konnte.

(Jens Won­ne­ber­ger: Stu­re Hun­de, Göt­tin­gen: Steidl 2012. Roman, 233 S., 19.90 €)

Götz Kubitschek

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