Friedrich Romig: „Putsch gegen das eigene Volk“

Bei Edition Antaios ist soeben das kaplaken-Bändchen ESM-Verfassungsputsch in Europa erschienen.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Geschrie­ben hat es der öster­rei­chi­sche Öko­nom Fried­rich Romig. Aus aktu­el­lem Anlaß haben wir ihm Fra­gen zu sei­nem Buch und dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts von letz­ter Woche gestellt

SEZESSION: Herr Romig, war­um ist der ESM ein Verfassungsputsch?

FRIEDRICH ROMIG: Durch die Ergän­zung des „Lis­sa­bon-Ver­tra­ges“ (AEUV) um einen 3. Absatz zu Art. 136, der die Schaf­fung eines Euro­päi­schen Sta­bi­li­täts­me­cha­nis­mus (ESM) ermög­licht, wird de fac­to das Bai­lout-Ver­bot des glei­chen Ver­tra­ges (Art. 125 ) auf­ge­ho­ben und damit die gan­ze Wäh­rungs­ver­fas­sung der Euro­päi­schen Uni­on auf den Kopf gestellt. Aus der Euro­päi­schen Wäh­rungs­uni­on (EWU) wird nun, was sie nie wer­den soll­te, näm­lich eine Schulden‑, Haftungs‑, Transfer‑, Fis­kal- und jetzt auch noch eine Bankenunion.
Nie­mals hät­ten die deut­schen Bür­ger und ihre Volks­ver­tre­ter der Wäh­rungs­uni­on zuge­stimmt und die DM gegen den Euro getauscht, hät­te man ihnen gesagt, sie müß­ten für die Schul­den ande­rer Staa­ten zah­len oder haf­ten. Herr Jun­cker ver­si­cher­te dem damals am Euro noch zwei­feln­den Minis­ter­prä­si­den­ten von Bay­ern, Herrn Stoi­ber, daß Trans­fers oder Haf­tun­gen für ande­re Staa­ten „so aus­ge­schlos­sen sind, wie eine Hun­gers­not in Bay­ern.“ Und auch jetzt wie­der muß der Bür­ger sich damit abfin­den, daß er zu einer so wesent­li­chen Sache wie die grund­le­gen­de Umge­stal­tung der Ver­fas­sung der Wäh­rungs­uni­on nicht befragt wird.
„Demo­kra­tie ist Ramsch“, urteil­te der Chef­re­dak­teur der FAZ, Frank Schirr­ma­cher, schon im Vor­jahr ange­sichts des den Grie­chen auf­ge­zwun­ge­nen Spar­pro­gramms. Demo­kra­tie, mit Ewig­keits­prin­zip in der Ver­fas­sung ver­an­kert, lebt nur noch vom schö­nen Schein (H.-H. v. Arnim). Längst reprä­sen­tie­ren die Abni­cker im Par­la­ment nicht mehr den Wil­len des Bürgers.

SEZESSION: Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt sieht das anders. Wie bewer­ten Sie das Urteil zu den ESM-Kla­gen von Gau­wei­ler und ande­ren vom 12. September?

ROMIG: Die Rich­ter haben sich alle Mühe gege­ben, den Vor­wurf des „Ver­fas­sungs­put­sches“ zu ent­kräf­ten. Dabei haben sie tief in die juris­ti­sche Trick­kis­te gegrif­fen. Ihrer Ansicht nach hat der ESM mit der Euro­päi­schen Uni­on direkt über­haupt nichts zu tun. Der ESM-Ver­trag sei eine eige­ne, völ­ker­recht­lich ver­bind­li­che Ver­ein­ba­rung von Mit­glie­dern der Euro­zo­ne, die auf frei­wil­li­ger Basis sich ent­schlos­sen haben, in Not gera­te­nen Mit­glie­dern finan­zi­ell bei­zu­sprin­gen. Das geschä­he ja nicht im Rah­men des EU-Rechts, was sich, nach Ansicht des Gerichts, schon dar­an zei­ge, daß die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on oder das Euro­päi­sche Par­la­ment bei der Beschluß­fas­sung für sol­che Hil­fen nichts mit­zu­re­den haben. Bei der Gewäh­rung von Finanz­hil­fen han­de­le es sich um wirt­schafts­po­li­ti­sche Vor­gän­ge, für die die Mit­glieds­staa­ten zustän­dig sei­en, nicht die Euro­päi­sche Uni­on. Mir scheint die­ses gan­ze Argu­ment an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen zu sein, dem Geist der Ver­trä­ge über die Wäh­rungs­uni­on zu wider­spre­chen und Treu und Glau­ben der Bür­ger zu verletzen.
Beson­ders übel neh­me ich dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, daß es das „ver­ein­fach­te Ver­fah­ren“ zuließ, mit dem die Regie­rung die oben erwähn­te grund­le­gen­de Ände­rung der Wäh­rungs­ver­fas­sung am Volk vor­bei­schwin­del­te. Min­des­tens hät­te das Gericht deut­li­che Wor­te für eine Regie­rung fin­den müs­sen, wel­che, unter­stützt von der par­la­men­ta­ri­schen Mehr­heit, gegen das eige­ne Volk „putscht“, es hin­ter­geht und ihm die Zwangs­ja­cke einer Schul­den­uni­on über­zieht, aus der es sich nicht mehr befrei­en kann. Wenn laut Umfra­gen rund 80 Pro­zent der Deut­schen eine Schul­den­uni­on und sogar die Zah­lun­gen für ein so klei­nes Land wie Grie­chen­land ableh­nen, soll­te das Höchst­ge­richt eines vor­geb­lich demo­kra­ti­schen Staa­tes das nicht ein­fach igno­rie­ren. Auch wenn es gegen­über der Poli­tik auf ver­lo­re­nem Pos­ten steht.

SEZESSION: In Ihrem Buch steht der Satz: „Die Kul­tur eines Vol­kes und sei­ne Wäh­rung gehö­ren zusam­men und dür­fen nicht getrennt wer­den.“ Kön­nen Sie das kurz erklären?

ROMIG: In sei­ner Wäh­rung zeigt sich, was ein Volk „ist“, so einer der gro­ßen öster­rei­chi­schen Natio­nal­öko­no­men, der spä­ter in Har­vard lehr­te und auch als Finanz­mi­nis­ter und Plei­te­ban­kier früh­zei­tig Erfah­run­gen sam­meln konn­te. Im Zustand sei­ner Wäh­rung spie­gelt sich das gesam­te sozia­le und poli­ti­sche Leben, Kraft und Schwä­che von Regie­run­gen, die geo­gra­phi­sche und poli­ti­sche Lage eines Volks; die objek­ti­ven und sub­jek­ti­ven Mög­lich­kei­ten sei­ner Wirt­schaft, sei­ne Ein­stel­lung zur Arbeit, sei­ne Moral und Ener­gie; mit einem Wort alles, was in ‚Volks­geist‘ und ‚Volks­cha­rak­ter‘ Aus­druck fin­det (Joseph Schum­pe­ter). Die­sem „Volks­geist“ oder „Volks­cha­rak­ter“ ver­dankt der Deut­sche sei­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät. Um sie zu bewah­ren und zu ent­fal­ten, hat sich der Deut­sche sei­nen Staat und vor­mals auch sei­ne berühm­te DM-Wäh­rung geschaffen.
„Nichts sagt so deut­lich aus wel­chem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es wäh­rungs­po­li­tisch tut“, um noch­mals unse­ren Gewährs­mann zu zitie­ren. Der Staat ist Hüter der Ord­nung, von der auch die Wäh­rung und ihr Wert abhän­gen. Jeder Streik in Grie­chen­land, jeder Regie­rungs­wech­sel in Ita­li­en, jede Her­ab­set­zung des Pen­si­ons­al­ters in Frank­reich wirkt sich auf den Wert des Euro aus, den der Deut­sche in der Tasche hat. Der Staat, der sei­ne Wäh­rung auf­gibt, ver­liert sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät, vor allem in wirt­schafts­po­li­ti­scher Hin­sicht. Man schlägt ihm das wich­tigs­te wirt­schafts­po­li­ti­sche Instru­ment aus der Hand und macht ihn wehr­los gegen­über Heu­schre­cken und den Fol­gen der Globalisierung.
„Staat und Wäh­rung dür­fen nicht getrennt wer­den“ (Wil­helm Han­kel). Geld­po­li­tisch gilt das Prin­zip „One Sta­te – One Money“, es kann nicht durch „One Mar­ket – One Money“ ersetzt wer­den (Prof. Fritz Breuss). Die EU ist kein Staat, und wird auch nie einer wer­den. Den Völ­kern durch ihre Regie­run­gen und Euro­pa­po­li­ti­ker ein­zu­re­den, sie müß­ten ihre eige­ne Natio­na­li­tät in einer „Nati­on Euro­pa“ erträn­ken, das funk­tio­niert nicht und führt heu­te schon zur Erschüt­te­rung des gesam­ten poli­ti­schen Sys­tems und sei­ner Legi­ti­mi­tät. Thi­lo Sar­ra­zin hat recht: Euro­pa braucht den Euro nicht, er spal­tet Europa!
Die Euro­päi­sche Wäh­rungs­uni­on war und ist eine „Fehl­kon­struk­ti­on“, eine Ein­sicht, der sich inzwi­schen ja auch Frau Mer­kel und Herr Schäub­le ange­schlos­sen haben. Was bei­de noch nicht begrei­fen, ist die Irrepa­ra­bi­li­tät. Die Wäh­rungs­uni­on ist eine „idée fausse“, so wie die kom­mu­nis­ti­sche Idee (Vaclav Klaus). Inter­na­tio­nal ver­ein­bar­te, noch so strik­te „Regeln“ – auf die Frau Mer­kel setzt – kön­nen den Staat nicht erset­zen. Sie wer­den gebro­chen, wenn immer dies oppor­tun erscheint. „Not kennt kein Gebot“, damit hat Herr Schäub­le ja selbst den Rechts­bruch bei der ers­ten Grie­chen­land­ak­ti­on im Mai 2010 ent­schul­digt. Und er hat recht damit, auch wenn Herr Voß­kuh­le die­ses Not­ge­bot nicht als einen Ver­fas­sungs­grund­satz aner­ken­nen woll­te. Dem Gericht blieb damals wie eben auch heu­te nichts ande­res übrig, als den Putsch und Rechts­bruch nolens volens zu legi­ti­mie­ren. Ein Zyni­ker wie der berühm­te und geist­rei­che Minis­ter Napo­lé­ons, Fürst Charles Mau­rice de Tal­ley­rand, wür­de dazu bemerkt haben: „Sehen Sie doch ein, Sire, die Jus­tiz ist eine Hure der Politik.“

SEZESSION: Herr Romig, vie­len Dank für Ihre Ausführungen.

Fried­rich Romig
ESM-Ver­fass­sungs­putsch in Europa

Rei­he kapla­ken, Band 32
96 Sei­ten, gebun­den, 8.50 €
Schnell­ro­da 2012

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Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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