An die totgefahrenen Tiere an den neuen Asphaltstraßen muß man sich gewöhnen. Hier kann seit dem Aufbau Ost endlich durchgestartet werden. Exzesse des simpelsten Freiheitsverständnisses, viel volkstümlicher als das, was der Bundespräsident der Nation beständig erläutert.
Besonders häufig erwischt die Motor-Jagd zur Zeit Hasen, Füchse, Dachse und Igel. Hier und da sind Marderhunde und Waschbären dabei. Sie werden plattgewalzt oder bleiben erst aufquellend, dann verwesend seitwärts liegen. Eigentlich ist man verblüfft über ein solches Spektrum Artenvielfalt in der ausgeputzten Landschaft, denn seitdem bis zum Horizont Mais und Raps als „nachwachsende Rohstoffe“ für die Bio-Energie-Produktion angebaut werden, wurden längst alle ökologisch wertvollen und früher von der EU prämierten Stillegungsflächen wieder in den profitablen Reproduktionskreislauf eingebunden. Refugien gibt es außerhalb der Nationalparks kaum mehr. Das ist um so problematischer, da Mecklenburg-Vorpommern das waldärmste Bundesland ist und entgegen Postkartenklischees die so triste wie effiziente Großflächenwirtschaft dominiert.
Die Sicht ist gut, die Straßen schnurgerade, die Böschung gemäht. Wer etwas auf den Weg achtet, wird kein Tier totfahren. Aber jeden Morgen ist die Strecke an den Chausseerändern neu gelegt. Ein perverser Ausdruck des Frustes? Ohne daß die meisten hier Eile hätten, wird gerast und werden die Mitgeschöpfe mit aggressionskompensierender Sportlichkeit niedergemacht. Lästiges Viehzeug überall! Statusfetischismus der Landmänner: Rover oder Pick-ups des größten Formats. Und es wird gesoffen. Die Straßengräben liegen voller Flaschen, vorzugsweise Klarer und Kräuter. Für einen kurzen Vollrausch müßte man sich mit Bier viel zu aufwendig abschleppen und zuviel Flüssigkeit verstoffwechseln. Schnaps dröhnt schneller und intensiver und paßt in Innentasche der Wachsjacke. Neben den Kadavern und all dem Leergut die Holzkreuze, alles miteinander in direkter Proportion.
Auf einem erst vor kurzem abgeernteten Feld zieht ein kräftiger Fendt-Traktor einen leuchtend gelben Chemietank über die zügig eingebrachte Neubestellung. Aus zwei gigantisch ausladenden Armen wird beidseits ein Herbizid in die Furchen gesprüht. Es handelt sich um Roundup das weltweit gängige Breitbandherbizid des amerikanischen Agent-Orange-Herstellers Monsanto. Werbeslogan des Gift-und-Gen-Konzerns: We feed the world!
ROUNDUP wirkt mit toxischem Glyphosphat, das über ein ebenfalls giftiges Haftmittel die Phosphatsyntase und so die Synthese von Aminosäuren hemmt. Aber sehr praktisch! Nämlich nur in der grünen Pflanze. So kann man in einem Arbeitsgang das Unkraut vernichten, also die Feldbotanik komplett totspritzen, und gleichzeitig, im „Vorauflauf“, schon das neue Saatgut einbringen, das dann konkurrenzfrei wächst. Noch komfortabler liefe es freilich mit den von Monsanto eigens gentechnisch konstruierten Kulturpflanzen, die ROUNDUP-resistent sind, sogenannte „RoundupReadys“. Auf solchen Schläge bräuchte man nicht mal auf die Dosierung achten und hätte die Riesenäcker derartig sterilisiert, daß wirklich nur die gebeizte Turbo-Saat aufgeht. Ein Traum!
Leider gibt’s das wieder mal nur in Amerika, klagt der Großflächenwirt. Man müßte die herbizidresistenten Kulturen nicht mal mehr pflügen. Nach der Ernte einfach mit erster Gift-Dusche das Zwischenunkraut niederspritzen, dann grubbern, Saatgut drillen, gleich noch mal mit der Giftspritze drüber, fertig. Nur noch die übernietrierende Gülle und satt Dünger drüber, damit für reichlich Biomasse gesorgt ist. Grandiose Ertrags- und Einkommenszuwächse und vor allem – Arbeits- und Lohnkostenersparnisse.
Man hört, es gibt „Abstandsauflagen zu Gewässern und Landschaftselementen“. Fragt man die Traktoristen, die ihre Herbizid-Zerstäuber nur wegen eines Joggers gar nicht erst abstellen, dann antworten die mecklenburgisch wortkarg: Weiß nicht. Bin nicht der Chef. Bring den Scheiß hier nur aus. Lohnbetrieb! Mit dem Acker selbst haben wir gar nichts zu tun.
Ein Stück weiter kratzen drei Ein-Euro-Jobber mit Jätekrallen das Unkraut aus den Pflasterzwischenräumen der Busparktasche an der Straße. Abgesehen davon, daß das nicht nötig wäre und irgendeiner Beschäftigungsphilosophie der Ämter folgt, erscheint solche Tätigkeit neben einem giftkontaminierten Acker kurios bis absurd. Die intensive Landwirtschaft braucht solche Männer nicht mehr. Also läßt man sie quasi wie im Neolithikum Unkraut aus den Ritzen pulen, während ihnen die Mann im Traktor sicher den Gefallen tun würde, die paar Quadratmeter mal flott so zu chemisieren, daß gerade noch die Steine bleiben und mit dem bösen, bösen Unkraut auf lange Sicht Ruhe ist.