hielt sich Carl Schmitt tatsächlich an einen Theologen, wenngleich als Katholik an einen protestantischen. Er zitierte den andererseits die großen Existentialisten inspirierenden Sören Kierkegaard:
Die Ausnahme erklärt das Allgemeine und sich selbst. Und wenn man das Allgemeine richtig studieren will, braucht man sich nur nach einer wirklichen Ausnahme umzusehen. Sie legt alles viel deutlicher an den Tag als das Allgemeine selbst. Auf die Länge wird man des ewigen Geredes vom Allgemeinen überdrüssig; es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht erklären, so kann man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich merkt man die Schwierigkeit nicht, weil man das Allgemeine nicht einmal mit Leidenschaft, sondern mit einer bequemen Oberflächlichkeit denkt. Die Ausnahme dagegen denkt das Allgemeine mit energischer Leidenschaft.
Das mag nicht nur im Schmittschen Sinne für die Staatstheorie, sondern übergreifend gelten, beispielsweise für das Vorrecht, ja die Pflicht der Philosophie und Kunst, radikale Fragen zu stellen und Welt und Gesellschaft aus der Perspektive der Ausnahme, aus dem Standpunkt im notwendig gewordenen Abseits anzusehen. Solches bedarf Leidenschaft statt Bequemlichkeit.
In der Mitte, in der Mittelmäßigkeit, im bürgerlichen Terrain des Vertrauten, Verwalteten und behaglich Behausten mag der schützenswerte Frieden der Saturierten und Honorablen herrschen, aber Neues, Interessantes, Aufregendes entsteht dort kaum. Die Mitte vermeidet die Ausnahme, und sie meidet das Abseits, dessen Blickwinkel der kritische Geist jedoch zur Klarsicht bedarf. Die Differenz zwischen „den Konservativen“ und „den Rechten“ ließe sich vielleicht in diesem Unterschied der Verortung ausmachen, wäre die sich selbst deklarierende Mitte nicht überhaupt linksbündig verschoben. Die traditionelle „Philosophie des Bürgerlichen“, wie sie Odo Marquard und Jens Hacke beschrieben, ist in der gegenwärtigen Bundesrepublik ohnehin beinahe verloren.
Ist vom Radikalen, der Ausnahme und dem Abseits die Rede, sollten einem nicht nur Karl Moor, Robespierre, Garibaldi und Che Guevara einfallen; es ließe sich auf andere Weise ebenso an Franz von Assisi, Martin Luther und Immanuel Kant denken, ganz zu schweigen von allen veritablen Künstlern, die Gedanken und Wirkung nie im Milieu der Etablierten, nie in den Zentren ihrer Gegenwart entwickelt hatten. Sie kamen welt-anschaulich und sogar geographisch oft von den Rändern der vertrauten Welt. Nietzsche, ein anderer großer „Outsider“: „Sehen wir uns ins Gesicht. Wir sind Hyperboräer, – wir wissen gut genug, wie abseits wir leben.“
Die große Chance der intellektuellen Rechten mag politisch wie kulturell gerade darin bestehen, daß sie nicht in einen Parteiklüngel eingebunden ist, wie ihn Max Weber in „Politik als Beruf“ beschreibt, daß sie also keinen „Sprachregelungen“ folgen muß, sondern den Luxus eines „freien Radikals“ genießt, von dem anregende Impulse ausgehen. Die Frage ist nur, wie sie diesen Komfort nutzt – nicht nur in der Analyse des Politischen und Wirtschaftlichen, nicht nur in der Revision des Historiographischen, dabei oft genug kulturpessimistisch, bedauernd und ganz in Moll, sondern vielmehr im alternativ provokanten und erfrischenden Vorschlag, an dem sich die anderen gedanklich abarbeiten können, und endlich im Feuilleton und im Vorrecht der Kunst, eigenständig und schöpferisch aufzutreten, als nur verarbeitend Fußnoten zu setzen.
Toni Roidl
genug kulturpessimistisch, bedauernd und ganz in Moll, sondern vielmehr im alternativ provokanten und erfrischenden
Kann man laut sagen.