„Lingaraja“ ist der Band nach einem Tempel Shivas betitelt. „Herr des Lingam“ läßt sich dies übersetzen, doch klingt hier noch manches weitere an.
Mit Schilling korrespondiere ich schon seit über dreißig Jahren, er hat ein ganz eigenes Muster, mit dem er seine Fäden webt. Nach einer langen, schöpferischen Pause tritt er nun wieder hervor, man merkt, daß noch vieles im Verborgenen schlummert.
Er teilte mit mit, daß er am Samstag eine literarische Messe in Berlin besuchen werde, was mich zunächst erstaunte, da er gleich mir die Märkte meidet. Hier handele es sich aber um einen „zwischentag“ für freie Geister. Der Veranstalter ist mir wohlbekannt, er gibt eine Zeitschrift heraus, die ich seit längerem mit Genuß lese.
Der Name ist mit Bedacht gewählt: Zwischen das tägliche Einerlei der Zeit soll sich ein Tag schieben, an dem ein Austausch sonst unterdrückter Worte stattfindet. Es ist, als wenn die Sanduhr von einer entschlossenen Faust ergriffen und für einen Augenblick in der Wage gehalten wird, bis sie, wieder hingestellt, den Sand weiter rinnen läßt.
Schilling wird auch eine Lesung halten. Ich hätte ihn gerne gehört, aber das Reisen wird mir beschwerlich, hundertzwanzig verweht, beinahe jedenfalls. Allenfalls das dritte Mal Halley brächte mich vom Fleck. Doch über das Alter zu klagen, ziemt nicht. Drei Jahrhunderte habe ich vorüberziehen sehen, im neunzehnten bin ich geboren, im zwanzigsten habe ich gelebt, und im einundzwanzigsten werde ich die Ernte wohl einfahren.
Mit Rolf Schilling verbindet mich mancherlei, nicht nur die solitäre Existenz. Es gibt ein Mysterium der Namen, das schwer zu durchdringen ist: Wer den Schilling als Namen führt, muß ihn nicht zwangsläufig auch im Beutel tragen, und wer „Jünger“ heißt, braucht seinen Meister noch nicht gefunden zu haben. Schilling wird zuweilen nachgesagt, daß er sich wie ein Meister mit Jüngern umgebe, doch scheint mir dies unrichtig: im letzten gesehen, bin ich der wahre Jünger, und unsere eigentlichen Meister stammen aus anderen Welten.
Auch Schilling selbst sieht sich weniger als Meister, sondern vielmehr als Hüter oder „Holder“ eines Geheimnisses. Hier liegt noch vieles im Dunkeln, im „Schatten der Queste“, aber vielleicht wird sich das eine oder andere lichten, wenn er am „zwischentag“ dem phallischen Gotte opfert.