die beiden Moderatorinnen Platz genommen: in Hosenanzügen, ganz professionell und sicherlich voller Hoffnung, daß aus diesem Gespräch einmal Energie kommen könnte – das Gegenteil also von dem, was Kunstszene-Teilnehmer kennen und als Vorgang seltsamerweise stets aufs neue ertragen: mittels Deutung und Interpretation nämlich in einen dürftigen Künstler und sein dürftiges Werk erst hineinzupumpen, was eigentlich herausspritzen sollte: Kraft, Können, ein undemokratischer, nicht mehr diskutabler, nicht verhandelbarer Anspruch, der jäh wirkt. Eine kleine Einstiegsfrage, schon bricht der Vulkan aus:
Die Kunststudenten sollen strammstehen, da, wo sie sind. Die sollen nicht in mein Atelier kommen, die sollen mir nicht ihre Mappen zeigen, das interessiert mich nicht. Mich interessiert ihr dienstfähiges Gesicht, ich will sehen, ob sie Soldaten der Kunst werden können, ja oder nein. … Sie wollen eine Karriere machen, aber wenn man unter der Diktatur der Kunst dient, braucht man keine Karriere zu machen: Man dient einfach, fertig! … Es gibt in der Kunst keine Anarchie. Die ganzen Anarchisten, die mit mir studiert haben, sind alle ganz liebend gern Professoren geworden, um in diesem hierarchischen Furz-System die Hämorrhoiden zu unterrichten, die Hämorrhoiden am Arsch des Staates. … Die Leute haben keine Ahnung, was es bedeutet, sich der Kunst in den Weg zu stellen oder sich ihr nicht in den Weg zu stellen. Ich brauche nicht die Leute, die mir ihre Kunst zeigen wollen und die wollen, daß ich ihnen helfe.
Der so vom Leder zieht, heißt Jonathan Meese und ist eines von wer weiß wie vielen enfants terribles der Kunstszene. Meese trägt direkt aus der Tube zentimeterdick auf, das Ganze rasend schnell (gleich fünf Bilder an einem halben Vormittag, »machen, machen, machen, immer schneller. Man muß in einem immer schneller rasenden Zug sitzen, schon, um die ganzen Bedenkenträger hinter sich zu lassen«). Er imitiert das rhetorische Gefuchtel Hitlers und schwadroniert – den Futurismus nach 100 Jahren als Karikatur aufleben lassend – vom Totalabriß Berlins und einem überdimensionalen Meese-Schreibtisch in einem gigantischen Meese-Bunker, in dem das einzige Besatzungsmitglied Befehle erteilt, um sie selbst zu befolgen:
»Ich liebe es, Befehle zu empfangen: Jonathan tu dies, Jonathan tu das, wach auf, steh auf, geh ins Bad, setz dich an den Tisch, mach das Manifest fertig, geh ins Büro, das ist passiert, jenes auch, schnell, mach weiter. Ich will nicht mehr aufgehalten werden, ich will keine E‑Mails von ich-versauten Typen haben: Mein Traum ist, nur noch im Bunker zu sitzen und das Zeug alles rauszuwerfen.«
Es waren wohl diese Germania- und Hitler-Anspielungen, die dem Gespräch im Vorfeld der diesjährigen »documenta« in Kassel zu einem angemessenen Ende verhalfen: Ein Student, der mit Künstlerbart und Cord-Sakko dem Klischee entsprach, drängelte sich nach vorn durch, wischte die Wassergläser vom Tisch und stand dann etwas hilflos herum. Woher dieser plötzliche Anhauch von Aggressivität? Hatte er einen inneren Befehl empfangen, den ersten seines Lebens? Hatte er jäh festgestellt, daß auch er in einer Ein-Mann-Kaserne dienen sollte, sich selbst beanspruchend, beauftragend, ausbildend? Oder war es glatt das Gegenteil, nämlich die Schmach, innerhalb weniger Minuten durchleuchtet, beurteilt und abgelehnt worden zu sein? Auch er – im anarchistischen Habitus – eine Hämorrhoide am Arsch der Kunstförderung; ein bißchen gefüttert, ein bißchen gestreichelt, versehen mit dem Prädikat »interessant« und »gut, daß es dich gibt« – aber keiner, an den man sich erinnert, der einem nicht aus dem Kopf geht, mit dem man nicht fertig wird.
Wer Befehl und Gehorsam kennengelernt hat und diese den Monolog streifende Kommunikationsform schätzt, wird Jonathan Meeses provokanten Entwurf verstehen, auch wenn er mit dessen Bildern nichts anfangen kann. Die Effizienz einer Ein-Mann-Kaserne: nichts übertrifft sie. Ihr Gegenbild ist der runde Tisch, ein Führungs- und Entscheidungsmodell, das auf den Parteitagen der »Piraten« in die Selbstlähmung hinein übertrieben wird: Austausch ohne Ergebnis, Gerede unter Leuten, die keine Experten sind, Demokratisierung und Enthierarchisierung von Vorgängen, die nur dann etwas austragen, wenn sie straff organisiert sind. Aber so: Zeitverschwendung, Verwässerung und jede Menge beleidigter Leute, deren Beitrag am runden Tisch nicht berücksichtigt wurde von jenen, die am Ende zu entscheiden haben.
Die Sezession ist selbstverständlich nicht an einem solchen runden Tisch entstanden und wird auch nicht von dort geführt. Sie ist vielmehr als Rohrpost-Produkt zwischen insgesamt drei Kasernen realisiert worden: Im der einen lagerte das Wissen, in der zweiten der Motor, in der dritten das Pulver. Man traf sich genau einmal zu dritt, händigte einander aus, was an Lagefeststellung und Auftragsformulierung ausgearbeitet war, legte die Befehlsstruktur fest, markierte Ziele und Auffanglinien. Danach: zurück in die Kasernen, Befehlsausgabe, Stahlhelm auf, los.
Dies ist alles in allem keine Legende, aber natürlich kann man es auch weniger dramatisch erzählen, Karlheinz Weißmann hat das in seinem Beitrag für das Sonderheft »10 Jahre IfS« getan.
Angesichts der schmalen Basis des konservativen Lagers war es naheliegend, daß an das IfS der Wunsch herangetragen wurde, die durch das ›Abrutschen von Criticón entstandene Leerstelle zu füllen‹ (wie es Konrad Adam ausdrückte). Allerdings verbot der Aufbau der Organisation in den ersten Jahren die Umsetzung entsprechender Absichten. Erst 2003 konnte an eine Verwirklichung gedacht werden, nachdem ein Förderer einen wesentlichen Beitrag zur Verfügung gestellt hatte, der es erlaubte, neben dem Vortrags- und Seminarbetrieb des Instituts auch an den Aufbau einer Zeitschrift zu gehen, die sich nicht der Tages‑, sondern der Metapolitik widmen sollte.
Dies ist das Woher und Wohin der Sezession – ebenso rational kalkuliert wie gegen jede Vernunft durchgesetzt: Natürlich handelt es sich bei diesem Projekt um eine vor zehn Jahren sehr naheliegende Ausweitung des Aktionsraumes in einem Bereich, der für intellektuelle Rechte wie geschaffen ist. Solche Ausweitungen der Geschäftstätigkeit sind für jeden Selbständigen und für jedes im Aufbau befindliche Projekt vollkommen undramatische Vorgänge. Gleichzeitig aber ist die Sezession mit einem normalen Zeitschriftenprojekt nicht vergleichbar. Im Bereich rechter Publizistik entsteht nichts von selbst, kommt nichts von selbst in Form, wird nichts begeistert begrüßt und vom Feuilleton »nach oben geschrieben«. Es gibt kein Wohlwollen. Das, was geschaffen und durchgehalten werden soll, muß von denen geschaffen und auf Dauer gestellt werden, die in der Lage sind, ununterbrochen gegen die Strömung der Zeit anzuschwimmen.
Dieses Widerständige war ein sehr wichtiger Aspekt innerhalb des Unterfangens, der Sezession ein unverwechselbares, überzeugendes und souveränes Äußeres zu geben: Widerstandsgeist in zeitloser Form, frei von Originalitätsdruck, Modeschrift oder der fatalen Überzeugung, daß dem richtigen Inhalt auch ein irgendwie zusammengestücktes Äußeres genügen würde. Und so ist diese Formungs- und Durchsetzungsphase gekennzeichnet von drei Merkmalen:
1. einer antiromantischen Konzentration auf Entscheidungen und notwendige Handlungen, und das bedeutet: Beschränkung auf das Machbare und Reduzierung auf das, was nicht nur einmal gelingt, sondern immer wieder. Denn dieses »immer wieder« ist in hohem Maße das Kennzeichen eines Periodikums, das nicht aus dem vollen schöpfen kann.
2. einer Immunisierung gegen Kritik. Der Sezession wird auf zweifache Weise zugesetzt: zum einen dadurch, daß der Autorenstamm aufgrund politischer Kontamination wie selbstverständlich beschränkt ist; zum andern durch das nur mit politischer Acht erklärbare Ausbleiben einer breiteren, öffentlichen Rezeption. Man muß, um darüber nicht zu verbittern, eine sich selbst immer wieder vergewissernde Unbeirrbarkeit haben, und derlei innere Überzeugungen sind um so schwerer zu erschüttern, je besser sie durch eine formale und stilistische Unangreifbarkeit eingemauert sind. Dies einbeziehend, ist die Sezession – wie vorhin schon angedeutet – als eine in mehrfacher Hinsicht »intensive« Zeitschrift konzipiert und durchgehalten worden: Sie führt einen Namen von suggestiver Spröde. Sie hat ein steiles Format, das durch die Längsgliederung des Titels noch verstärkt wird. Sie legt es dem Leser haptisch nahe, daß er sorgsam mit den Heften umgehe. Sie stimmt – konzentriert auf bestimmte Autoren – einen Ton an, den sie nicht zur Disposition stellt, und verlangt den Sprung über Hürden. Sie bemüht in letzter Zeit den Binnenpluralismus in Form von Debatten, muß dies aber noch müheloser tun und empfindet sogar das stets als gerade noch gerechtfertigten Bruch mit dem Grundprinzip der Gründung: keine Diskussionen mehr, nur noch Setzungen. Denn sie ist nicht pädagogisch oder vermittelnd, sondern am Ende doch immer fertig, hingestellt, monolithisch. Die Leserschaft ist auch aus diesem Grund in einer Art und Weise erlesen, daß die Öffentlichkeit, dürfte sie die Kartei sichten, verblüfft darüber wäre.
3. Abneigung gegen die »Pluralisierung an entscheidender Stelle«. Natürlich sind weder das Rittergut Schnellroda, noch die Wohnstätten Karlheinz Weißmanns, Wolfgang Dvorack-Stockers oder Erik Lehnerts Kasernen. Man schätzt aber hier wie dort die Neigung einer ganzen Epoche nicht, folgenlos sich zu versammeln, zu reden, in Vorhaben und großen Plänen zu schwelgen. Man schätzt den klaren Plan, den knappen Einwurf, die Ergänzung, die Umsetzung, das Werkstück, den Erfolg, kurz: das Konkrete mit seinen habhaften Bestandteilen.
Konzentration auf das Machbare, Immunisierung gegen Kritik, Abneigung gegen Pluralisierungen: Derlei prägt also die Arbeitsweise der Ein-Mann-Kasernen, die nun schon einige Male Erwähnung fanden und sich übers Land verteilen. Schroff sein, phasenweise ungastlich, konzentriert auf das Eigene, anders geht es nicht. Denn es ist nicht so, daß eine Zeitschrift wie die Sezession nach Marktprinzipien betrieben werden könnte: Scheitert dieses Projekt, kann man nicht einfach wechseln. So etwas zu machen, ist etwas anderes als ein Beruf, es ist ein Lebens- und Arbeitsstil, ein Schreibstil und ein Denkstil. Es ist der Stil des geistigen Bürgerkriegs und des Verlorenen Postens, des Waldgangs und des Thesenanschlags, ein Stil, der Maßstäbe für eine Szene setzen muß, ebenso, wie der einer nicht von vornherein selbstgewählten Teil-Abkehr von der Gegenwart. Man hat sein Leben daran gehängt und sagt mit gutem Recht, daß ein Ersatz für die vielen Nachteile die Möglichkeit ist, über die Form und die Arbeitsweise selbst zu entscheiden und daraus einen Stil in amorpher Zeit zu prägen. Der Dienstplan ist straff, die Ablenkung unerwünscht, die selbstgestellten Kriterien sind hart genug, es müssen keine von außen hineingetragen werden. Das bisher Geleistete und das mittlerweile hohe Maß an Erfahrung bilden eine nach außen sichtbare, gegen das Äußere schützende Hülle. Zudem hat man den Kreis möglicher Gespräche mehr als einmal abgeschritten, ist ihrer überdrüssig und mag sich nicht ständig wiederholen.
Dennoch natürlich nichts gegen den hebenden Austausch, vor allem dann nicht, wenn er durch Briefe vorbereitet oder in Briefen fortgeführt wird, jene den Dienstplan nicht störende Form eines »Dialogs unter Abwesenden«. Zitate aus einer Fundamentalkritik, die jüngst eintraf: »Ich bin gespannt, ob der Gegensatz zwischen tiefer Debatten- und Strukturanalyse, die ja hinter vielen Autorenportraits und Texten letztlich steckt, und Eingehen auf die Politik, Hingezwängt-Werden zum Alltag, sich weiterhin überbrücken läßt. Kann eine Zeitschrift zugleich das Blatt einer gegenaufklärerischen, die Fragen des Tages nicht verachtenden Wahrnehmungselite mit durchaus erzieherischem Hintergedanken sein und zugleich eine im Geistigen ernstzunehmende Sezession betreiben?«
Die Beantwortung dieser Frage fiel uns nicht schwer – sie berührt den Kern unseres Selbstverständnisses: »Denken Sie sich eine Sanduhr, in dessen oberem Glas sich die Körnchen nur nach und nach zu bewegen beginnen, unmerklich abrutschend, wie unbeteiligt. Ich sah uns dort in den vergangenen Jahren, sah uns ruhend am Rande eines Sandtrichters, einer Marmor-Klippe, und die Frage, wer die Verhältnisse zum Tanzen bringe, war gleichzeitig ein Eingeständnis, daß sie nicht tanzten. Aber wenn sie zu tanzen beginnen, dann geraten wir in den Trichter, und es geht hinein in den Sanduhrkanal, beschleunigt, durch eine Zeitschleuse gewissermaßen, und alles wird auf den Kopf gestellt.
Man könnte diese Fahrt durch die Schleuse achselzuckend als das hinnehmen, was sie wohl ist: eine grobe Umsortierung, die weder Ihre noch meine Bibliothek in Mitleidenschaft ziehen wird, und vielleicht drückt sich die Haltung des Sezessionisten darin aus, daß er auch dann nicht zu laufen beginnt, wenn ihm der letzte Bus vor der Nase wegzufahren droht.
Wir haben das schon oft erwogen: konsequent stets genau das Gegenteil von dem zu tun, was der Newsticker fordern könnte, oder besser: stets das zu tun, was der ganz eigene Plan fordert als nächstes; sich also weder im positiven noch im verneinenden Sinn von außen den Tag diktieren zu lassen. Dies aber wäre Georgisch, waldgängerisch, zirkelnd, arrogant, selbstvergessen, auch spielend und künstlerisch, wäre vom Zeitverständnis her geologisch, also sozusagen außerhalb der Sanduhr, aber nicht mehr metapolitisch. Dies wäre ein Granit ohne Durchlässigkeit.
Sezession aber ist EXPRESSIVE LOSLÖSUNG: wahrnehmen und urteilen, aufnehmen und formen; auf der Höhe und außerhalb der Zeit lautstark gehen, entlang roter Fäden und gestützt auf Monolithen – das alles in einem Heft, nicht getrennt voneinander, sondern zusammengeführt aus Ein-Mann-Kasernen, in denen innerhalb eines selbstgesteckten Rahmens und nach einem selbstgeschriebenen Dienstplan ein selbstformuliertes Protokoll vollzogen wird.«
So der Antwortbrief, und wieder also: kräftige Bilder. Wer ständig gegen den Strom schwimmt, darf kräftige Bilder wählen, um seine Arbeit zu beschreiben, und wer in den Bildern und Büchern der Neuen Rechten zu Hause ist, weiß, daß die von Ernst Jünger beschworenen einsamen Axtschläge zu hören sind, wenn man einmal innehält, um sich zu vergewissern, daß auch andere an der Arbeit sind. Sie sind an der Arbeit, schlagen ihre Schneisen, und nicht gestört werden will dabei vor allem die Besatzung des Ritterguts, aus dem es ausnahmsweise einmal deutlich und frei nach Jonathan Meese tönt:
Die jungen Leute sollen strammstehen, da, wo sie sind. Die sollen nicht hierherkommen und ihre Gehversuche vorzeigen, das interessiert uns nicht. Uns interessiert ihr dienstfähiges Gesicht, wir wollen sehen, ob sie Soldaten der Idee werden können, ja oder nein: der Idee der Nation oder der Tradition, der Reaktion oder der Nutzlosigkeit, des Ego non oder des Si vis pacem, para bellum. Wenn man sich gegen unsere Epoche stellt und sich dem Anspruch einer deutlich herausgemeißelten Gegen-Gestalt unterwirft: dem Widerständigen nämlich, braucht man keine Karriere zu machen: Man dient einfach, fertig, öffnet den Rotwein mit der Schere oder trinkt den teuersten Cognac, den man auftreiben kann – nie jedoch, weil »man das so macht« oder weil es ein Bild dafür gibt irgendwo, sondern weil man ist, wie man ist, heute, jetzt, schon immer. Denn dies gehört zum unverwechselbaren Stil der Ein-Mann-Kaserne, deren Tore aus Mangel an Versöhnung mit den gegenwärtigen Verhältnissen geschlossen wurden: Nur so kann darin an der Form und im Stil der EXPRESSIVEN LOSLÖSUNG gearbeitet werden.