Autorenportrait Rudolf Bahro

pdf der Druckfassung aus Sezession 20/Oktober 2007

sez_nr_20Am Montag, den 14. November 1994 hatten sich um achtzehn Uhr im Auditorium Maximum der Humboldt-Universität zweihundert Hörer versammelt, um wie jede Woche an der zweistündigen Sozialökologie-Vorlesung Rudolf Bahros teilzunehmen. Diese Vorlesungsreihe war seit dem Wintersemester 1990/91 eine feste Institution im Berliner Veranstaltungskalender, die weniger von Studenten, als vielmehr von interessierten Berlinern als Studium Generale besucht wurde. An diesem Tag referierte Bahro über „Naturgerechte Ordnung und menschliche Emanzipation heute". Wie immer stand er auf der großen Bühne, sprach frei, hin- und wieder aus einem Buch zitierend. Seine Vortragsweise erforderte vom Hörer eine gewisse Geübtheit, da er die Angewohnheit hatte, sich in gleichsam kreisender Weise dem Kern des Themas zu nähern. Auf Tafelbildern versinnbildlichte er, mit beiden Händen gleichzeitig schreibend, das Gesagte. Die Menschheit lege es, so Bahro an diesem Tag, in großen Teilen darauf an, unser einzigartiges Ökosystem auf ihre absolute Belastbarkeit hin zu prüfen, ohne dabei zu bedenken, daß es im Falle der Überlastung nicht zu ersetzen wäre. „Ein absoluter Unfug, weil praktisch die ganze psycho-physische Existenz des Menschen an diesen Bios gebunden ist, das ist ja gerade das Geniale - dieser Zusammenhang!".

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.


In die­sem Moment durch­schlu­gen vier Pflas­ter­stei­ne die seit­li­chen Fens­ter des Audi­max. Die Stei­ne ziel­ten auf Bah­ro, ver­fehl­ten ihn aber knapp. Die hek­ti­sche Suche nach den Tätern ver­lief erfolg­los, die Poli­zei wur­de geru­fen. Bah­ro selbst ließ sich von dem Vor­fall nicht beein­dru­cken und setz­te die Vor­le­sung fort: „Der Kampf um die all­ge­mei­ne Eman­zi­pa­ti­on des Men­schen ist so ange­legt, daß mehr und mehr Indi­vi­du­en, mehr und mehr Kilo­gramm und Kilo­watt pro Kopf für ihre Selbst­ver­wirk­li­chung brau­chen. Das ver­trägt sich nicht mit der End­lich­keit der Erde.”
Mit Sicher­heit waren es sol­che Sät­ze, an denen sich der Haß der Stei­ne­wer­fer auf den Sozi­al­öko­lo­gen Bah­ro entzündete.
Und den­noch bleibt es für ober­fläch­li­che Beob­ach­ter ver­wun­der­lich, daß der Anschlag im Audi­max von lin­ken Tätern aus­ge­führt wur­de. Galt Bah­ro nicht zeit sei­nes Lebens selbst als Lin­ker? Schließ­lich war er es doch, der mit der Alter­na­ti­ve die fol­gen­reichs­te Kri­tik des „real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus” geschrie­ben hat­te, ohne von der kom­mu­nis­ti­schen Idee las­sen zu kön­nen. Zwar hat­te ihn die DDR für die­ses Buch zu acht Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt, aber Bah­ro kam den­noch nur sehr zöger­lich zu der Ein­sicht, daß sich die­ser Staat nicht refor­mie­ren las­sen wür­de. Und war es nicht Bah­ro, der sich, kaum im Wes­ten ange­kom­men, den Grü­nen anschloß, um sie wie­der zu ver­las­sen, als sie zur „Sys­tem­par­tei” wur­den? Der nach dem Mau­er­fall zunächst nur den einen Gedan­ken hat­te, daß sein Vater­land (die DDR!) in Gefahr war, dem west­li­chen Kon­su­mis­mus anheimzufallen?

Allein die­se Hal­tung zu begrei­fen, fällt schwer. Aber gera­de die lin­ken Angrif­fe, denen Bah­ro seit Anfang der neun­zi­ger Jah­re nicht nur im Audi­max der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät aus­ge­setzt war, leis­ten einen Bei­trag zum Ver­ständ­nis von Bahros Den­ken. Sie machen deut­lich, daß wir es mit einer sel­te­nen Kon­stel­la­ti­on zu tun haben, die Bah­ro selbst ein­mal als „Kreu­zung aus rus­si­schem Revo­lu­tio­när und deut­schem Klas­si­ker” bezeich­net hat. Viel­leicht ist die Rede vom „urdeut­schen Rebel­len” (so war ein Nach­ruf über­schrie­ben) noch tref­fen­der, weil sie die Gegen­sät­ze näher zusam­men­bringt: Sei­ne Rebel­li­on war deutsch, weil sie auf das Gan­ze ziel­te. Und er war ein Rebell, weil er sich zu einem bestimm­ten Zeit­punkt auf­schwang, den Gehor­sam auf­kün­dig­te und damit bereit­wil­lig die Kon­se­quen­zen in Kauf nahm, immer mit der Über­zeu­gung, für die rich­ti­ge Sache zu strei­ten. Als „deut­scher Klas­si­ker” war er Lite­ra­tur­ken­ner und Musik­lieb­ha­ber, als „rus­si­scher Revo­lu­tio­när” rück­sichts­los sich selbst und dem ein­zel­nen über­haupt gegen­über, was sich etwa dar­in äußer­te, daß er die kom­mu­nis­ti­schen Ver­bre­chen kaum zur Kennt­nis nahm. Daß er den­noch nicht über die Strän­ge schlug, ver­hin­der­te die Bil­dung, die ihn das rech­te Maß lehr­te. Nicht die Reli­gi­on, zu der er ein funk­tio­na­les Ver­hält­nis hat­te (er wuß­te um ihre Macht, ohne ihr zu fol­gen), son­dern Musik und Lite­ra­tur gaben ihm den Maß­stab des Han­delns. Mit dem „urdeut­schen Rebel­len” ist zuletzt noch das Sen­dungs­be­wußt­sein ange­spro­chen, das sich aus dem Bewußt­sein des Ernst­falls nährt und kei­ne Ruhe zuläßt: Denn es ist immer fünf vor zwölf, und immer steht alles auf dem Spiel.
In sei­nem letz­ten Spie­gel-Inter­view, kurz nach sei­ner Krebs­er­kran­kung und zwei Jah­re vor sei­nem Tod, wur­de Bah­ro gefragt: „Was glau­ben Sie, wird von Ihren Anstren­gun­gen, die­se Gesell­schaft zu ver­än­dern, blei­ben?” Sei­ne Ant­wort: „Also eine Men­ge geis­ti­ger Inno­va­tio­nen, mehr als ein Pro­fes­so­ren­le­ben her­gibt. Das wür­de ich immer sagen.” Ohne sein Leben, das kurz­zei­tig auch ein Pro­fes­so­ren­le­ben war, sind sei­ne geis­ti­gen Inno­va­tio­nen nicht ver­mit­tel­bar. Leben und Werk bil­den bei Bah­ro eine Einheit.
Bah­ro erleb­te als Flücht­lings­kind (1935 im nie­der­schle­si­schen Bad Flins­berg gebo­ren) und Jugend­li­cher die Auf­bau­jah­re der DDR. Zunächst schien es nicht so, als ob er sich dar­an in beson­de­rer Wei­se betei­li­gen woll­te. Gegen sei­nen Wil­len (es war das ein­zi­ge Mal, so Bah­ro spä­ter, daß er etwas gegen sei­nen Wil­len getan habe) trat er der FDJ bei, um so über­haupt das Abitur able­gen zu kön­nen. Hier jedoch, auf der Ober­schu­le, traf er auf einen Leh­rer, der sich als ehe­ma­li­ger HJ-Füh­rer auf so authen­ti­sche Wei­se vom Sozia­lis­mus begeis­tert zeig­te, daß er sei­nen Schü­ler damit ansteck­te, was viel­leicht weni­ger am Bekennt­nis selbst als an der Art und Wei­se lag, wie dies ver­mit­telt wur­de: durch Offen­heit und Ehr­lich­keit, die weder die Män­gel noch die Miß­stän­de leugnete.

Bah­ro wur­de 1952 Kan­di­dat der SED, 1954 Mit­glied. Aber aus der bereits damals ange­leg­ten Ver­bin­dung aus deut­scher Bil­dungs­tra­di­ti­on und Revo­lu­ti­ons­be­geis­te­rung folg­ten rasch Kon­flik­te, wenn auch zunächst recht zöger­lich. Bah­ro pro­tes­tier­te zwar 1956 öffent­lich gegen das Vor­ge­hen in Ungarn, blieb aber im Hin­ter­grund – im Gegen­satz zu ande­ren Kom­mi­li­to­nen. Als Par­tei­mit­glied war er im Grun­de loy­al und woll­te ledig­lich hel­fen, den Sozia­lis­mus, an den er ehr­lich glaub­te, auf­zu­bau­en. Dazu trug auch ein für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se gesun­des Natio­nal­be­wußt­sein bei. Das The­ma sei­ner Diplom­ar­beit in Phi­lo­so­phie lau­te­te dann auch: Johan­nes R. Becher und das Ver­hält­nis der deut­schen Arbei­ter­klas­se und ihrer Par­tei zur natio­na­len Fra­ge. Auch spä­ter, nach der Wen­de, hat er immer das unter­schied­li­che Ver­hält­nis zur Nati­on, das in bei­den deut­schen Staa­ten herrsch­te, betont und den west­deut­schen Lin­ken vor­ge­hal­ten: „Wir waren in der DDR nie natio­nal­ma­so­chis­tisch, hat­ten kei­ne Schwie­rig­kei­ten, vom ‚deut­schen Volk‘ zu spre­chen und ihm auch noch etwas ande­res zuzu­trau­en als brau­nes Ressentiment.”
Den gro­ßen Bruch lös­te bei Bah­ro erst das Jahr 1968 aus. Das hat­te jedoch nichts mit der west­li­chen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on zu tun, die in der DDR nicht als sol­che wahr­ge­nom­men wur­de, son­dern mit den Ereig­nis­sen in der dama­li­gen Tsche­cho­slo­wa­kei. Die dor­ti­ge Oppo­si­ti­on, die so etwas wie den drit­ten Weg zwi­schen Sta­li­nis­mus und Kapi­ta­lis­mus gehen woll­te, wur­de durch die ver­ein­te Streit­macht des War­schau­er Pakts nie­der­ge­schla­gen. Von die­sem Zeit­punkt an war Bah­ro klar, daß grund­sätz­lich etwas im „real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus” nicht stimm­te und daß nicht nur Sym­pto­me zu kor­ri­gie­ren sei­en, son­dern das gan­ze Sys­tem neu durch­dacht wer­den muß­te. Aller­dings hat­te er bereits ein Jahr zuvor erfah­ren, was es hieß, die Par­tei­li­nie zu ver­las­sen. Als stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der Wochen­zeit­schrift Forum nahm er, in Abwe­sen­heit des Chefs, das sozi­al­kri­ti­sche Thea­ter­stück Kip­per Bauch von Vol­ker Braun ins Blatt: Er wur­de dar­auf­hin sei­nes Pos­tens ent­ho­ben und zur „Bewäh­rung in der Pro­duk­ti­on” abge­stellt, als Abtei­lungs­lei­ter, zustän­dig für „inge­nieur­öko­no­mi­sche Rationalisierungsarbeit”.
Was ihm in jener Zeit Halt gab, war der Deut­sche Idea­lis­mus, ins­be­son­de­re aber Höl­der­lin und Beet­ho­ven. In die­sen Jah­ren (1967 – 1969) ent­steht sein Buch … die nicht mit den Wöl­fen heu­len.

Dar­in zieht er Par­al­le­len zwi­schen sei­ner Situa­ti­on und der von Höl­der­lin, Fich­te und vor allem Beet­ho­ven: Er inter­pre­tiert Höl­der­lins Flucht in den Turm und Fich­tes letzt­lich unhalt­bar wer­den­de Stel­lung als Fol­gen der Restau­ra­ti­on, die Anfang des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts die Hoff­nun­gen der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on begra­ben habe. Beet­ho­ven ver­fal­le zwar in Depres­sio­nen, unter­lie­ge die­sen jedoch nicht. Er ver­liert, so Bah­ro, sei­ne Idea­le trotz der umfas­sen­den Restau­ra­ti­on nicht, weil sich die Par­ti­tu­ren der Zen­sur ent­zö­gen. Beet­ho­ven habe sich „die Maß­stä­be des eige­nen Gewis­sens” nicht ver­rü­cken lassen.
Das Buch, das erst 1979 im Wes­ten erschei­nen konn­te, wirkt auch heu­te noch wie eine Beschwö­rung eige­ner Kraft. Bahros Den­ken zeich­ne­te sich durch die Mischung von Kom­mu­nis­mus und Deut­schem Idea­lis­mus aus, er sah im Idea­lis­mus eine ernst­zu­neh­men­de Wirk­lich­keits­wis­sen­schaft, die bei der Zusam­men­füh­rung von Wirk­lich­keit und Wahr­heit im Kom­mu­nis­mus hel­fen könn­te. Beet­ho­ven (womit Bah­ro wohl sich selbst meint) konn­te nur in einer „Ket­te all­täg­li­cher Kom­pro­mis­se” über­le­ben, ohne jedoch den „gro­ßen Kom­pro­miß, dem in Wahr­heit der Name des Ver­rats gebührt”, ein­ge­gan­gen zu sein. Hier könn­te von so etwas wie einer „inne­ren Emi­gra­ti­on” gespro­chen wer­den, wenn Bah­ro nicht alles ande­re als ein Über­win­tern im Sys­tem vor­hat­te. Im Gegen­teil, da er an die Rich­tig­keit der kom­mu­nis­ti­schen Idea­le glaub­te, fühl­te er sich die­sen ver­pflich­tet. Und so schrieb er neben der Arbeit, die er gewis­sen­haft erle­dig­te, zehn Jah­re lang an der gro­ßen Ana­ly­se, die der DDR-Füh­rung hel­fen soll­te, auf den rech­ten Weg zu fin­den: Die Alter­na­ti­ve (Unter­ti­tel: Zur Kri­tik des real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus) geht von der Prä­mis­se aus, daß es zum Kom­mu­nis­mus kei­ne Alter­na­ti­ve gebe, weil nur er die „Ver­hält­nis­se der Ent­frem­dung” über­win­den könne.
So liegt ein Haupt­au­gen­merk des Buches auf der Zukunfts­fä­hig­keit des Kom­mu­nis­mus, die Bah­ro durch­aus als gege­ben sah. Aus den Ideen sei aber seit 1917 eine ganz ande­re Gesell­schaft her­vor­ge­gan­gen. Die tota­li­tä­re Herr­schaft gehör­te damit nicht zum Kom­mu­nis­mus selbst, son­dern war befris­tet not­wen­dig, um das „Reich der Frei­heit” zu schaf­fen. „Die radi­kals­te Kri­tik am exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus ist daher von Mar­xis­ten geübt wor­den, die, wie Bah­ro und Dutsch­ke, ihn eine Art fort­ge­setz­ter asia­ti­scher Des­po­tie genannt haben, in der die Selbst­ent­frem­dung des Men­schen nicht auf­ge­ho­ben, son­dern poten­ziert wor­den sei” (Gün­ter Rohr­mo­ser). Bahros Buch, nur das macht es heu­te noch halb­wegs inter­es­sant, beschäf­tigt sich also im Grun­de mit der aktu­el­len Fra­ge nach dem Ver­hält­nis der Frei­heit des ein­zel­nen zur Not­wen­dig­keit der Gesell­schaft. War in der DDR ers­te­re zu schwach aus­ge­bil­det, so daß kei­ne Inno­va­ti­on mehr erfol­gen konn­te, besteht im Wes­ten die zuneh­men­de Ten­denz, den ein­zel­nen auf Kos­ten der Gemein­schaft zu „befrei­en”.

Die Ver­öf­fent­li­chung in der Bun­des­re­pu­blik – in der DDR konn­te das Buch aus nahe­lie­gen­den Grün­den nicht erschei­nen -, zog die sofor­ti­ge Ver­haf­tung Bahros nach sich, und schließ­lich wur­de er wegen „Geheim­nis­ver­rats” zu acht Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Sein Glück bestand dar­in, daß das Buch im Wes­ten ein Best­sel­ler wur­de, weil zehn Jah­re nach 68 die Auf­fas­sung ver­brei­tet war, daß der Sozia­lis­mus eine ernst­zu­neh­men­de Alter­na­ti­ve dar­stel­le, der man eben nur ein mensch­li­ches Gesicht ver­pas­sen müs­se (wofür Bah­ro ja stand). Das Buch wur­de in zwölf Spra­chen über­setzt, und welt­weit wur­de für die Frei­las­sung des poli­ti­schen Gefan­ge­nen Bah­ro mit Erfolg mobil gemacht. Bereits 1979 kam Bah­ro durch eine wohl eigens sei­net­we­gen erfolg­te Amnes­tie frei und konn­te in den Wes­ten ausreisen.
Er hielt die­sen Weg in die Frei­heit jedoch nur für die zweit­bes­te Lösung. Wie soll­te er vom Wes­ten aus den Sozia­lis­mus reformieren?
Über­haupt saß Bah­ro im Wes­ten zwi­schen allen Stüh­len. War es für den nor­ma­len DDR-Bür­ger und vor allem für sei­ne Mit­ge­fan­ge­nen schwer zu begrei­fen gewe­sen, daß er trotz Baut­zen Kom­mu­nist geblie­ben war, so ent­blö­de­ten sich im Wes­ten nicht weni­ge (vor allem Wolf­gang Abend­roth), Bah­ro wegen sei­ner Kri­tik am Sozia­lis­mus des Ver­rats am „bes­se­ren Deutsch­land” zu bezich­ti­gen. Zudem war er ein Dorn im Auge der Kal­ten Krie­ger. Für Ger­hard Löwen­thal war klar, daß Bah­ro ein Spit­zel sein muß­te und ande­re Häft­lin­ge ver­ra­ten hat­te, was er dann auch, flan­kiert durch einen Zeu­gen, öffent­lich behaup­te­te. Spä­ter kam her­aus, daß der Zeu­ge gekauft war.
Anschluß fand Bah­ro bei den sich gera­de for­mie­ren­den Grü­nen. Dabei half ihm eine bereits in der Alter­na­ti­ve for­mu­lier­te For­de­rung nach einer „nach­hal­ti­gen Pro­duk­ti­ons­wei­se”. Bereits auf dem Grün­dungs­par­tei­tag irri­tier­te er aller­dings einen gro­ßen Teil der Dele­gier­ten, als er sei­nen Vor­red­ner Bal­dur Spring­mann spon­tan umarm­te und anschlie­ßend davon sprach, daß sich in der Lin­ken auf bestimm­te Pro­ble­me kei­ne Ant­wor­ten for­mu­lie­ren lie­ßen, ohne sich auf die Arbei­ten von Her­bert Gruhl und Spring­mann einzulassen.
Auch wenn Bah­ro kurz­zei­tig im Bun­des­vor­stand der Grü­nen war, ergab sich von dort kei­ne Per­spek­ti­ve für ihn. Er sah die Par­tei auf dem Weg der sys­tem­im­ma­nen­ten Kri­tik und mach­te sich auf die Suche nach spi­ri­tu­el­len Erfah­run­gen, die ihn bis nach Ore­gon zu Bagh­wan führ­te. So wand­te er sich nach weni­gen Jah­ren mit einem Pau­ken­schlag, sei­ner Rede auf dem Ham­bur­ger Par­tei­tag im Dezem­ber 1984, von den Grü­nen ab. In die­ser Rede beton­te Bah­ro erst­mals die Not­wen­dig­keit, den Zusam­men­hang zwi­schen „Öko­pax-Bewe­gung und Faschis­mus” zu sehen, ihn nicht zu ver­drän­gen, son­dern posi­tiv nutz­bar zu machen. Gleich­zei­tig woll­te er die Grü­nen davor war­nen, sich durch Betei­li­gung an der Macht kor­rum­pie­ren zu las­sen. Er sprach auch vom „fun­da­men­ta­lis­ti­schen Bund”, der im Glau­ben wur­ze­le. Damit waren die Ver­bin­dun­gen zu den Grü­nen, die auf dem Weg zur „Sys­tem­par­tei” waren, abgeschnitten.

Aber Bah­ro dach­te auch als Ein­zel­gän­ger an der öko­lo­gi­schen Idee wei­ter. Sein zwei­tes Haupt­werk, die Logik der Ret­tung, das er in den fol­gen­den Jah­ren schrieb, beschäf­tigt sich mit den „Grund­la­gen öko­lo­gi­scher Poli­tik” in unge­wohn­ter Wei­se. Oft­mals wird das Buch, man­gels Ver­ständ­nis, auf fol­gen­des Zitat redu­ziert: „Es kann aus der­sel­ben Ener­gie, die damals auf die Kata­stro­phe hin dis­po­niert war, sogar aus der Nei­gung zum Furor teu­to­ni­cus, wenn sie bewußt gehal­ten und dadurch kon­trol­liert wird, heu­te etwas Bes­se­res wer­den. Kein Gedan­ke ver­werf­li­cher als der an ein neu­es ande­res 1933?! Gera­de der aber kann uns ret­ten. Die Öko­pax-Bewe­gung ist die ers­te deut­sche Volks­be­we­gung seit der Nazi­be­we­gung. Sie muß Hit­ler mit­erlö­sen – die see­li­sche Ten­denz, die er, wenn auch schwä­cher, immer noch in uns ist – wie Ruß­land jetzt Sta­lin erlöst, ohne Ver­teu­fe­lung, ohne Beschö­ni­gung, mit aller Erfurcht für die Opfer.” Da die bei­den letz­ten Sät­ze deut­lich machen, daß Bah­ro hier nicht einer Macht­er­grei­fung das Wort redet, son­dern psy­chi­sche Blo­cka­den, die Deutsch­lands Zukunfts­fä­hig­keit betref­fen, pro­vo­kant anspricht, wer­den sie oft ein­fach weg­ge­las­sen. Eini­ge Sei­ten spä­ter heißt es: „Ich hal­te die Fra­ge nach dem Posi­ti­ven, das viel­leicht in der Nazi­be­we­gung ver­larvt war und dann immer gründ­li­cher per­ver­tiert wur­de, für eine auf­klä­re­ri­sche Not­wen­dig­keit, weil wir sonst von Wur­zeln abge­schnit­ten blei­ben, aus denen jetzt Ret­ten­des erwach­sen könn­te.” Damit wird auch der eigent­li­che Grund­ge­dan­ke des Buches deut­lich: Öko­lo­gi­sche Poli­tik ist Ord­nungs­po­li­tik, die auf Ein­sicht und damit Bewußt­seins­än­de­rung basiert. Bahros Ruf nach dem „Fürst der öko­lo­gi­schen Wen­de” macht deut­lich, wie grund­sätz­lich die „Umkehr” gemeint war.
Bah­ro hat­te sich seit Mit­te der 1980er Jah­re von den Kon­sens­sprach­re­ge­lun­gen der Bun­des­re­pu­blik ent­fernt. Die Fol­ge war, daß man ihn ent­we­der Faschist, Guru oder Spin­ner nann­te. Der Fall der Mau­er bestärk­te Bah­ro, weil er sei­ne Kri­tik des Sozia­lis­mus (und auch die des Öko­so­zia­lis­mus) bestä­tigt sah: „(…) wie­so erwei­sen sich Wer­ke wie die Heid­eg­gers, C. G. Jungs, Ernst Jün­gers, Carl Schmitts heu­te, in der öko­lo­gi­schen Kri­se, als im Theo­re­ti­schen auf­schluß­reich, wäh­rend so man­che anti­fa­schis­ti­sche Ana­ly­se ihren Impuls erschöpft hat?” In die­sem Sin­ne kam Bah­ro gleich bei sei­ner Ber­li­ner Antritts­vor­le­sung im Herbst 1990 – er hat­te an der HU eine Pro­fes­sur für Sozi­al­öko­lo­gie erhal­ten – auf das The­ma zu spre­chen: „Manch­mal ist ein The­ma so tabu, im Bewußt­sein so sehr einem trau­ma­tisch erleb­ten Akteur zuge­ord­net, daß man mit dem ver­wech­selt wird, indem man sich bloß auf die Sache selbst einläßt.

Nur so ist mir erklär­lich, daß es Men­schen gibt, die, dann noch dazu aus zwei­ter Hand, wis­sen wol­len, ich sei eigent­lich faschis­to­id oder gar faschis­tisch gewor­den. (…) wir kön­nen den Faschis­mus nicht län­ger ein Tabu­the­ma sein las­sen. (…) Ich kann nicht aus­schlie­ßen, daß ich Ende der 20er Jah­re bei den Nazis gelan­det wäre. Und es ist ganz wich­tig, daß wir bereit sind, uns sol­che Fra­gen zu stel­len.” Die Vor­le­sungs­tä­tig­keit in Ber­lin ver­stand er folg­lich als fort­ge­setz­tes Fra­gen ohne Rück­sicht auf beschwich­ti­gen­de Befindlichkeiten.
Damit sind wir an den Aus­gangs­punkt zurück­ge­kehrt, weil hier die Ursa­che für die Stein­wür­fe liegt: Bah­ro galt als Öko­fa­schist, der zur Ret­tung der Welt eine Dik­ta­tur errich­ten woll­te. Tat­säch­lich war er ein Ernst­fall­den­ker, der pro­vo­kant den Fin­ger immer wie­der in die Wun­de leg­te. Den­noch glaub­te Bah­ro nicht dar­an, daß sich auf dem Weg des Zwangs die Welt ver­bes­sern läßt. Kon­se­quent schuf er sich kei­ne poli­ti­sche Platt­form mehr, son­dern setz­te sei­ne Hoff­nung auf klei­ne Pro­jek­te, die den ein­zel­nen ver­an­las­sen soll­ten, frei­wil­lig Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Über sei­nen Tod hin­aus (er starb am 5. Dezem­ber 1997 an Blut­krebs) hat davon nur das säch­si­sche Lebens­Gut Pomm­ritz in der Nähe von Baut­zen Bestand. Dort leben heu­te fünf­zig Erwach­se­ne und eine ent­spre­chen­de Anzahl Kin­der (die Gebur­ten­ra­te beträgt 2,3 pro Frau!). Aus­lö­ser für die Grün­dung war ein Vor­trag Kurt Bie­den­kopfs, damals Minis­ter­prä­si­dent von Sach­sen, inner­halb der Vor­le­sungs­rei­he von Bah­ro, in dem er die Fra­ge nach dem „Auf­bau öko­lo­gisch trag­fä­hi­ger Gesell­schafts­for­men” stellte.
Bah­ro nahm ihn dar­auf­hin beim Wort und frag­te ihn nach den kon­kre­ten Mög­lich­kei­ten, die ziel­los in die neu­en Län­der flie­ßen­den Mit­tel eben für sol­che Pro­jek­te zu ver­wen­den. Bie­den­kopf ver­sprach Unter­stüt­zung, bezwei­fel­te jedoch, daß sich die dazu not­wen­di­gen Men­schen fin­den las­sen wür­den. Da sich die­se fan­den, kam das Pro­jekt zustan­de, das öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft mit sozi­al­öko­lo­gi­scher Grund­la­gen­ar­beit ver­bin­det und das wie jede die­ser Kom­mu­nen in ver­stärk­ter Wei­se mit dem „Fak­tor Mensch” zu kämp­fen hat.
Außer­halb solch klei­ner Krei­se ist Bahros Lebens­werk der Mar­gi­na­li­sie­rung anheim­ge­fal­len. Stan­den ihm in den frü­hen acht­zi­ger Jah­ren alle Kanä­le offen, so war es bereits in den neun­zi­ger Jah­ren schwie­rig für ihn, einen Ver­le­ger zu fin­den. Wer etwas von Bah­ro ler­nen will, ist auf sei­ne media­le Prä­senz nicht ange­wie­sen: Er kann sich an sein tabu­lo­ses Fra­gen hal­ten und so die eige­ne Kohl­haas­na­tur wei­ter­ent­wi­ckeln: denn manch­mal ist dies die bes­se­re Alternative.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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