In diesem Moment durchschlugen vier Pflastersteine die seitlichen Fenster des Audimax. Die Steine zielten auf Bahro, verfehlten ihn aber knapp. Die hektische Suche nach den Tätern verlief erfolglos, die Polizei wurde gerufen. Bahro selbst ließ sich von dem Vorfall nicht beeindrucken und setzte die Vorlesung fort: „Der Kampf um die allgemeine Emanzipation des Menschen ist so angelegt, daß mehr und mehr Individuen, mehr und mehr Kilogramm und Kilowatt pro Kopf für ihre Selbstverwirklichung brauchen. Das verträgt sich nicht mit der Endlichkeit der Erde.”
Mit Sicherheit waren es solche Sätze, an denen sich der Haß der Steinewerfer auf den Sozialökologen Bahro entzündete.
Und dennoch bleibt es für oberflächliche Beobachter verwunderlich, daß der Anschlag im Audimax von linken Tätern ausgeführt wurde. Galt Bahro nicht zeit seines Lebens selbst als Linker? Schließlich war er es doch, der mit der Alternative die folgenreichste Kritik des „real existierenden Sozialismus” geschrieben hatte, ohne von der kommunistischen Idee lassen zu können. Zwar hatte ihn die DDR für dieses Buch zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, aber Bahro kam dennoch nur sehr zögerlich zu der Einsicht, daß sich dieser Staat nicht reformieren lassen würde. Und war es nicht Bahro, der sich, kaum im Westen angekommen, den Grünen anschloß, um sie wieder zu verlassen, als sie zur „Systempartei” wurden? Der nach dem Mauerfall zunächst nur den einen Gedanken hatte, daß sein Vaterland (die DDR!) in Gefahr war, dem westlichen Konsumismus anheimzufallen?
Allein diese Haltung zu begreifen, fällt schwer. Aber gerade die linken Angriffe, denen Bahro seit Anfang der neunziger Jahre nicht nur im Audimax der Humboldt-Universität ausgesetzt war, leisten einen Beitrag zum Verständnis von Bahros Denken. Sie machen deutlich, daß wir es mit einer seltenen Konstellation zu tun haben, die Bahro selbst einmal als „Kreuzung aus russischem Revolutionär und deutschem Klassiker” bezeichnet hat. Vielleicht ist die Rede vom „urdeutschen Rebellen” (so war ein Nachruf überschrieben) noch treffender, weil sie die Gegensätze näher zusammenbringt: Seine Rebellion war deutsch, weil sie auf das Ganze zielte. Und er war ein Rebell, weil er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aufschwang, den Gehorsam aufkündigte und damit bereitwillig die Konsequenzen in Kauf nahm, immer mit der Überzeugung, für die richtige Sache zu streiten. Als „deutscher Klassiker” war er Literaturkenner und Musikliebhaber, als „russischer Revolutionär” rücksichtslos sich selbst und dem einzelnen überhaupt gegenüber, was sich etwa darin äußerte, daß er die kommunistischen Verbrechen kaum zur Kenntnis nahm. Daß er dennoch nicht über die Stränge schlug, verhinderte die Bildung, die ihn das rechte Maß lehrte. Nicht die Religion, zu der er ein funktionales Verhältnis hatte (er wußte um ihre Macht, ohne ihr zu folgen), sondern Musik und Literatur gaben ihm den Maßstab des Handelns. Mit dem „urdeutschen Rebellen” ist zuletzt noch das Sendungsbewußtsein angesprochen, das sich aus dem Bewußtsein des Ernstfalls nährt und keine Ruhe zuläßt: Denn es ist immer fünf vor zwölf, und immer steht alles auf dem Spiel.
In seinem letzten Spiegel-Interview, kurz nach seiner Krebserkrankung und zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Bahro gefragt: „Was glauben Sie, wird von Ihren Anstrengungen, diese Gesellschaft zu verändern, bleiben?” Seine Antwort: „Also eine Menge geistiger Innovationen, mehr als ein Professorenleben hergibt. Das würde ich immer sagen.” Ohne sein Leben, das kurzzeitig auch ein Professorenleben war, sind seine geistigen Innovationen nicht vermittelbar. Leben und Werk bilden bei Bahro eine Einheit.
Bahro erlebte als Flüchtlingskind (1935 im niederschlesischen Bad Flinsberg geboren) und Jugendlicher die Aufbaujahre der DDR. Zunächst schien es nicht so, als ob er sich daran in besonderer Weise beteiligen wollte. Gegen seinen Willen (es war das einzige Mal, so Bahro später, daß er etwas gegen seinen Willen getan habe) trat er der FDJ bei, um so überhaupt das Abitur ablegen zu können. Hier jedoch, auf der Oberschule, traf er auf einen Lehrer, der sich als ehemaliger HJ-Führer auf so authentische Weise vom Sozialismus begeistert zeigte, daß er seinen Schüler damit ansteckte, was vielleicht weniger am Bekenntnis selbst als an der Art und Weise lag, wie dies vermittelt wurde: durch Offenheit und Ehrlichkeit, die weder die Mängel noch die Mißstände leugnete.
Bahro wurde 1952 Kandidat der SED, 1954 Mitglied. Aber aus der bereits damals angelegten Verbindung aus deutscher Bildungstradition und Revolutionsbegeisterung folgten rasch Konflikte, wenn auch zunächst recht zögerlich. Bahro protestierte zwar 1956 öffentlich gegen das Vorgehen in Ungarn, blieb aber im Hintergrund – im Gegensatz zu anderen Kommilitonen. Als Parteimitglied war er im Grunde loyal und wollte lediglich helfen, den Sozialismus, an den er ehrlich glaubte, aufzubauen. Dazu trug auch ein für heutige Verhältnisse gesundes Nationalbewußtsein bei. Das Thema seiner Diplomarbeit in Philosophie lautete dann auch: Johannes R. Becher und das Verhältnis der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Partei zur nationalen Frage. Auch später, nach der Wende, hat er immer das unterschiedliche Verhältnis zur Nation, das in beiden deutschen Staaten herrschte, betont und den westdeutschen Linken vorgehalten: „Wir waren in der DDR nie nationalmasochistisch, hatten keine Schwierigkeiten, vom ‚deutschen Volk‘ zu sprechen und ihm auch noch etwas anderes zuzutrauen als braunes Ressentiment.”
Den großen Bruch löste bei Bahro erst das Jahr 1968 aus. Das hatte jedoch nichts mit der westlichen Kulturrevolution zu tun, die in der DDR nicht als solche wahrgenommen wurde, sondern mit den Ereignissen in der damaligen Tschechoslowakei. Die dortige Opposition, die so etwas wie den dritten Weg zwischen Stalinismus und Kapitalismus gehen wollte, wurde durch die vereinte Streitmacht des Warschauer Pakts niedergeschlagen. Von diesem Zeitpunkt an war Bahro klar, daß grundsätzlich etwas im „real existierenden Sozialismus” nicht stimmte und daß nicht nur Symptome zu korrigieren seien, sondern das ganze System neu durchdacht werden mußte. Allerdings hatte er bereits ein Jahr zuvor erfahren, was es hieß, die Parteilinie zu verlassen. Als stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitschrift Forum nahm er, in Abwesenheit des Chefs, das sozialkritische Theaterstück Kipper Bauch von Volker Braun ins Blatt: Er wurde daraufhin seines Postens enthoben und zur „Bewährung in der Produktion” abgestellt, als Abteilungsleiter, zuständig für „ingenieurökonomische Rationalisierungsarbeit”.
Was ihm in jener Zeit Halt gab, war der Deutsche Idealismus, insbesondere aber Hölderlin und Beethoven. In diesen Jahren (1967 – 1969) entsteht sein Buch … die nicht mit den Wölfen heulen.
Darin zieht er Parallelen zwischen seiner Situation und der von Hölderlin, Fichte und vor allem Beethoven: Er interpretiert Hölderlins Flucht in den Turm und Fichtes letztlich unhaltbar werdende Stellung als Folgen der Restauration, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Hoffnungen der Französischen Revolution begraben habe. Beethoven verfalle zwar in Depressionen, unterliege diesen jedoch nicht. Er verliert, so Bahro, seine Ideale trotz der umfassenden Restauration nicht, weil sich die Partituren der Zensur entzögen. Beethoven habe sich „die Maßstäbe des eigenen Gewissens” nicht verrücken lassen.
Das Buch, das erst 1979 im Westen erscheinen konnte, wirkt auch heute noch wie eine Beschwörung eigener Kraft. Bahros Denken zeichnete sich durch die Mischung von Kommunismus und Deutschem Idealismus aus, er sah im Idealismus eine ernstzunehmende Wirklichkeitswissenschaft, die bei der Zusammenführung von Wirklichkeit und Wahrheit im Kommunismus helfen könnte. Beethoven (womit Bahro wohl sich selbst meint) konnte nur in einer „Kette alltäglicher Kompromisse” überleben, ohne jedoch den „großen Kompromiß, dem in Wahrheit der Name des Verrats gebührt”, eingegangen zu sein. Hier könnte von so etwas wie einer „inneren Emigration” gesprochen werden, wenn Bahro nicht alles andere als ein Überwintern im System vorhatte. Im Gegenteil, da er an die Richtigkeit der kommunistischen Ideale glaubte, fühlte er sich diesen verpflichtet. Und so schrieb er neben der Arbeit, die er gewissenhaft erledigte, zehn Jahre lang an der großen Analyse, die der DDR-Führung helfen sollte, auf den rechten Weg zu finden: Die Alternative (Untertitel: Zur Kritik des real existierenden Sozialismus) geht von der Prämisse aus, daß es zum Kommunismus keine Alternative gebe, weil nur er die „Verhältnisse der Entfremdung” überwinden könne.
So liegt ein Hauptaugenmerk des Buches auf der Zukunftsfähigkeit des Kommunismus, die Bahro durchaus als gegeben sah. Aus den Ideen sei aber seit 1917 eine ganz andere Gesellschaft hervorgegangen. Die totalitäre Herrschaft gehörte damit nicht zum Kommunismus selbst, sondern war befristet notwendig, um das „Reich der Freiheit” zu schaffen. „Die radikalste Kritik am existierenden Sozialismus ist daher von Marxisten geübt worden, die, wie Bahro und Dutschke, ihn eine Art fortgesetzter asiatischer Despotie genannt haben, in der die Selbstentfremdung des Menschen nicht aufgehoben, sondern potenziert worden sei” (Günter Rohrmoser). Bahros Buch, nur das macht es heute noch halbwegs interessant, beschäftigt sich also im Grunde mit der aktuellen Frage nach dem Verhältnis der Freiheit des einzelnen zur Notwendigkeit der Gesellschaft. War in der DDR erstere zu schwach ausgebildet, so daß keine Innovation mehr erfolgen konnte, besteht im Westen die zunehmende Tendenz, den einzelnen auf Kosten der Gemeinschaft zu „befreien”.
Die Veröffentlichung in der Bundesrepublik – in der DDR konnte das Buch aus naheliegenden Gründen nicht erscheinen -, zog die sofortige Verhaftung Bahros nach sich, und schließlich wurde er wegen „Geheimnisverrats” zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein Glück bestand darin, daß das Buch im Westen ein Bestseller wurde, weil zehn Jahre nach 68 die Auffassung verbreitet war, daß der Sozialismus eine ernstzunehmende Alternative darstelle, der man eben nur ein menschliches Gesicht verpassen müsse (wofür Bahro ja stand). Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt, und weltweit wurde für die Freilassung des politischen Gefangenen Bahro mit Erfolg mobil gemacht. Bereits 1979 kam Bahro durch eine wohl eigens seinetwegen erfolgte Amnestie frei und konnte in den Westen ausreisen.
Er hielt diesen Weg in die Freiheit jedoch nur für die zweitbeste Lösung. Wie sollte er vom Westen aus den Sozialismus reformieren?
Überhaupt saß Bahro im Westen zwischen allen Stühlen. War es für den normalen DDR-Bürger und vor allem für seine Mitgefangenen schwer zu begreifen gewesen, daß er trotz Bautzen Kommunist geblieben war, so entblödeten sich im Westen nicht wenige (vor allem Wolfgang Abendroth), Bahro wegen seiner Kritik am Sozialismus des Verrats am „besseren Deutschland” zu bezichtigen. Zudem war er ein Dorn im Auge der Kalten Krieger. Für Gerhard Löwenthal war klar, daß Bahro ein Spitzel sein mußte und andere Häftlinge verraten hatte, was er dann auch, flankiert durch einen Zeugen, öffentlich behauptete. Später kam heraus, daß der Zeuge gekauft war.
Anschluß fand Bahro bei den sich gerade formierenden Grünen. Dabei half ihm eine bereits in der Alternative formulierte Forderung nach einer „nachhaltigen Produktionsweise”. Bereits auf dem Gründungsparteitag irritierte er allerdings einen großen Teil der Delegierten, als er seinen Vorredner Baldur Springmann spontan umarmte und anschließend davon sprach, daß sich in der Linken auf bestimmte Probleme keine Antworten formulieren ließen, ohne sich auf die Arbeiten von Herbert Gruhl und Springmann einzulassen.
Auch wenn Bahro kurzzeitig im Bundesvorstand der Grünen war, ergab sich von dort keine Perspektive für ihn. Er sah die Partei auf dem Weg der systemimmanenten Kritik und machte sich auf die Suche nach spirituellen Erfahrungen, die ihn bis nach Oregon zu Baghwan führte. So wandte er sich nach wenigen Jahren mit einem Paukenschlag, seiner Rede auf dem Hamburger Parteitag im Dezember 1984, von den Grünen ab. In dieser Rede betonte Bahro erstmals die Notwendigkeit, den Zusammenhang zwischen „Ökopax-Bewegung und Faschismus” zu sehen, ihn nicht zu verdrängen, sondern positiv nutzbar zu machen. Gleichzeitig wollte er die Grünen davor warnen, sich durch Beteiligung an der Macht korrumpieren zu lassen. Er sprach auch vom „fundamentalistischen Bund”, der im Glauben wurzele. Damit waren die Verbindungen zu den Grünen, die auf dem Weg zur „Systempartei” waren, abgeschnitten.
Aber Bahro dachte auch als Einzelgänger an der ökologischen Idee weiter. Sein zweites Hauptwerk, die Logik der Rettung, das er in den folgenden Jahren schrieb, beschäftigt sich mit den „Grundlagen ökologischer Politik” in ungewohnter Weise. Oftmals wird das Buch, mangels Verständnis, auf folgendes Zitat reduziert: „Es kann aus derselben Energie, die damals auf die Katastrophe hin disponiert war, sogar aus der Neigung zum Furor teutonicus, wenn sie bewußt gehalten und dadurch kontrolliert wird, heute etwas Besseres werden. Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes 1933?! Gerade der aber kann uns retten. Die Ökopax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muß Hitler miterlösen – die seelische Tendenz, die er, wenn auch schwächer, immer noch in uns ist – wie Rußland jetzt Stalin erlöst, ohne Verteufelung, ohne Beschönigung, mit aller Erfurcht für die Opfer.” Da die beiden letzten Sätze deutlich machen, daß Bahro hier nicht einer Machtergreifung das Wort redet, sondern psychische Blockaden, die Deutschlands Zukunftsfähigkeit betreffen, provokant anspricht, werden sie oft einfach weggelassen. Einige Seiten später heißt es: „Ich halte die Frage nach dem Positiven, das vielleicht in der Nazibewegung verlarvt war und dann immer gründlicher pervertiert wurde, für eine aufklärerische Notwendigkeit, weil wir sonst von Wurzeln abgeschnitten bleiben, aus denen jetzt Rettendes erwachsen könnte.” Damit wird auch der eigentliche Grundgedanke des Buches deutlich: Ökologische Politik ist Ordnungspolitik, die auf Einsicht und damit Bewußtseinsänderung basiert. Bahros Ruf nach dem „Fürst der ökologischen Wende” macht deutlich, wie grundsätzlich die „Umkehr” gemeint war.
Bahro hatte sich seit Mitte der 1980er Jahre von den Konsenssprachregelungen der Bundesrepublik entfernt. Die Folge war, daß man ihn entweder Faschist, Guru oder Spinner nannte. Der Fall der Mauer bestärkte Bahro, weil er seine Kritik des Sozialismus (und auch die des Ökosozialismus) bestätigt sah: „(…) wieso erweisen sich Werke wie die Heideggers, C. G. Jungs, Ernst Jüngers, Carl Schmitts heute, in der ökologischen Krise, als im Theoretischen aufschlußreich, während so manche antifaschistische Analyse ihren Impuls erschöpft hat?” In diesem Sinne kam Bahro gleich bei seiner Berliner Antrittsvorlesung im Herbst 1990 – er hatte an der HU eine Professur für Sozialökologie erhalten – auf das Thema zu sprechen: „Manchmal ist ein Thema so tabu, im Bewußtsein so sehr einem traumatisch erlebten Akteur zugeordnet, daß man mit dem verwechselt wird, indem man sich bloß auf die Sache selbst einläßt.
Nur so ist mir erklärlich, daß es Menschen gibt, die, dann noch dazu aus zweiter Hand, wissen wollen, ich sei eigentlich faschistoid oder gar faschistisch geworden. (…) wir können den Faschismus nicht länger ein Tabuthema sein lassen. (…) Ich kann nicht ausschließen, daß ich Ende der 20er Jahre bei den Nazis gelandet wäre. Und es ist ganz wichtig, daß wir bereit sind, uns solche Fragen zu stellen.” Die Vorlesungstätigkeit in Berlin verstand er folglich als fortgesetztes Fragen ohne Rücksicht auf beschwichtigende Befindlichkeiten.
Damit sind wir an den Ausgangspunkt zurückgekehrt, weil hier die Ursache für die Steinwürfe liegt: Bahro galt als Ökofaschist, der zur Rettung der Welt eine Diktatur errichten wollte. Tatsächlich war er ein Ernstfalldenker, der provokant den Finger immer wieder in die Wunde legte. Dennoch glaubte Bahro nicht daran, daß sich auf dem Weg des Zwangs die Welt verbessern läßt. Konsequent schuf er sich keine politische Plattform mehr, sondern setzte seine Hoffnung auf kleine Projekte, die den einzelnen veranlassen sollten, freiwillig Verantwortung zu übernehmen. Über seinen Tod hinaus (er starb am 5. Dezember 1997 an Blutkrebs) hat davon nur das sächsische LebensGut Pommritz in der Nähe von Bautzen Bestand. Dort leben heute fünfzig Erwachsene und eine entsprechende Anzahl Kinder (die Geburtenrate beträgt 2,3 pro Frau!). Auslöser für die Gründung war ein Vortrag Kurt Biedenkopfs, damals Ministerpräsident von Sachsen, innerhalb der Vorlesungsreihe von Bahro, in dem er die Frage nach dem „Aufbau ökologisch tragfähiger Gesellschaftsformen” stellte.
Bahro nahm ihn daraufhin beim Wort und fragte ihn nach den konkreten Möglichkeiten, die ziellos in die neuen Länder fließenden Mittel eben für solche Projekte zu verwenden. Biedenkopf versprach Unterstützung, bezweifelte jedoch, daß sich die dazu notwendigen Menschen finden lassen würden. Da sich diese fanden, kam das Projekt zustande, das ökologische Landwirtschaft mit sozialökologischer Grundlagenarbeit verbindet und das wie jede dieser Kommunen in verstärkter Weise mit dem „Faktor Mensch” zu kämpfen hat.
Außerhalb solch kleiner Kreise ist Bahros Lebenswerk der Marginalisierung anheimgefallen. Standen ihm in den frühen achtziger Jahren alle Kanäle offen, so war es bereits in den neunziger Jahren schwierig für ihn, einen Verleger zu finden. Wer etwas von Bahro lernen will, ist auf seine mediale Präsenz nicht angewiesen: Er kann sich an sein tabuloses Fragen halten und so die eigene Kohlhaasnatur weiterentwickeln: denn manchmal ist dies die bessere Alternative.