Die Universität dämmert unter dem grauen Himmel vor sich hin. Langsam löschen die Lichter in ihren Fenstern. An den Mauern der Alma Mater drücken sich paar junge Leute entlang. Ihr Nervosität ist offensichtlich. Einer trägt einen großen unförmigen Sack, der andere eine Tasche, aus der ein Plakat ragt. Sie betreten das Gebäude durch den Hintereingang. Aufgeschreckt zucken sie zusammen: Eine Tür fällt irgendwo schwer ins Schloss. Man ist auf feindlichem Territorium. Nervös nestelt einer in seinem Sack. Ein Strauß an Masken kommt zum Vorschein, ein CD-Spieler, eine Fahne. Mit zittrigen Fingern werden Schnipsel verteilt, nervös gezischte letzte Anordnungen und dann geht es los.
Mit übergezogenen Masken verfällt die Gruppe in Laufschritt. Ihr Ziel ist ein kleinerer Hörsaal im Ostflügel, in welchem gerade der in Österreich namhafte “Rechtsextremismusexperte“ Andreas Peham seinen Text vorträgt. Den identitären Aktivisten ist er gut bekannt. Wütend und amüsiert hatte man sich am Stammtisch über seine Tiraden gegen die Gruppe, echauffiert. Das Vortragsthema ist klar. Es geht um Rechtsextremismus und neue „Tarnstrategien“. Peham will die junge, identitäre Bewegung gleich präventiv mit der NS-Keule erschlagen.
Nur wenige Studenten sind dem Rufe gefolgt, wie es die Informanten im Saal vorher noch per SMS zugetragen haben. So oder so, die Masken sind auf, jetzt gibt es ohnehin kein zurück mehr. Der rotzige Bass aus dem Getthoblaster zerreißt die akademische Stille, sie reißen die Tür auf und treten ins Licht und Stimmengewirr, das aus dem Hörsaal dringt.
Dann geht alles ganz schnell: Die Lambdafahne wird gehißt, ein Regen an bedruckten Papierschnipseln geht auf die Zuhörer nieder. Die unmißverständliche Botschaft, die sich auf Pehams bissige Aussagen über den identitären Tanzsstil bezieht, lautet: „Besser schlecht tanzen als Scheiße reden!“
Der Vortragenden verliert sofort die Contenance und stürzt, wie von Sinnen, mit den Händen fuchtelnd, auf die Eindringlinge los. Er schreit, strampelt, tritt nach ihnen, wirft mit seiner Wasserflasche, während sich die Identitären lachend und feixend aus dem Staub machen. Man war da und hat gezeigt, daß jeder mit solchen Aktionen rechen muß. Mehr wollte man nicht.
Das Ganze ereignete sich vor rund 2 Wochen und ist eine von vielen ähnlichen Aktionen die sich in Wien in letzter Zeit häufen. Erst am Mittwoch, den 28. November, kamen die identitären Tanzguerillas wieder zum Einsatz und stürmten in aller Herrgottsfrühe in ein Protest-Zeltlager, das von linksextremen „No-Border No-Nation“ Aktivisten und aufgehetzten Asylanten aufgemacht wurde. Ziel war, die versammelte Gemeinde mit Hardbass-Rhytmen zu wecken. Wieder das blitzartige Auftauchen, die Papierschnipsel und das ebenso rasche Verschwinden.
Die sogenannten „Hardbass-Flashmobs“ scheinen zum fixen Bestandteil der identitären Protestkultur geworden zu sein. Das nicht nur zur Freude vieler konservativer Beobachter, welche die Aktionsform als stil- und einfallslos abtun. Ja, man ortet in ihr sogar jene postmoderne Beliebigkeit, die Martin Lichtmesz unlängst der Lambda-Bilderflut im www attestierte, welche die identitäre Generation, mehr zum Symptom des, als zum Panaceum für den Zeitgeist machen könnte.
Dem möchte ich hier entschieden widersprechen. Zwar ist klar, daß die Tanzaktionen nicht die einzige und auch nicht die Hauptaktionsform einer echten Bewegung bleiben können. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß sie als aktivistischer Nebeneffekt, zum online-anonymen Larvenstadium der Bewegung, bald in Vergessenheit geraten und allenfalls als Nostalgie noch aufgegriffen werden. Auch in Frankreich ist diese Aktionsform nicht dominant, und die Fixierung auf sie wird jenseits des Rheins bereits etwas belächelt.
Und doch hat sie für den Moment einen großen Nutzen, paßt gut ins Konzept und wird wohl noch eine geraume Zeit lang die identitäre Strömung begleiten. Die Hardbass-Aktionen sind vielleicht deshalb so beliebt, weil sie einen radikalen Bruch mit dem üblichen Auftreten nationaler Jugendbewegungen bedeuten, von denen sich die Identitären ja abgrenzen wollen.
Es gibt kein verkrampftes Marschieren, keinen Pathos, keinen Fackelschein. Sie sind weniger wütend als amüsiert, sie sind weniger erhebend als selbstironisch. Wer beobachtet oder erlebt hat, wie jedes andere öffentliche Auftreten bisher nur in skurrilen Grusel-Paraden, zwischen Polizeispalieren, vom Hass „breiter Bürgerbündnisse“ umwogt und mit Wurfgeschossen linksradikaler Demonstranten eingedeckt, geendet hat, erfährt diese Aktionsform vielleicht als befreiend.
Sie ist, trotz ihres womöglich postmodernen Stils, eine konsequente Umsetzung der reinen Provokationsstrategie, die Götz Kubitschek im kaplaken-Band Provokation (der unter uns Identitären als Manifest kreist) dargelegt hat.
Man fragt nicht nach und man erklärt nicht. Man trifft den Gegner in seinen eigenen Räumen und im Gefühl der Sicherheit und Macht. Man fährt ihm in die Parade und erzeugt eine Atmosphäre der Ungewißheit und Nervosität. Keiner weiß wo und wann man wieder auftauchen und zuschlagen wird. Der Gegner wird in die Defensive gedrängt und blamiert. Man selbst setzt die Umstände und beherrscht den Moment.
Kubitschek schreibt auf Seite 63:
Weil der gelungenen Provokation ein zündender Gedanke vorausgeht, ein Geistesblitz oder eine sorgfältige Komposition, wird das Politische in seiner provokativen Form zur Kunst und damit zum Abbild des Formwillens und des gestaltgebenden Formbewußtseins eines Ichs, das sich äußern will.
Hier wird und darf man zurecht die Frage stellen welcher Formwille sich hinter dem maskierten Abtanzen zu Techno im Schnipselregen verbirgt. Ich würde aber vorschlagen diese Frage und eine hämische Kritik ein paar Monate zu verschieben, bis sich die identitäre Bewegung tatsächlich konstituiert hat und aus ihrem Facebook-Kokon hervorgebrochen ist.
Bis dahin könnte man die Hardbass Aktionen als „Instant-Provokation von der Stange“ betrachten. Man braucht keine Vorbereitung, kein Konzept, keine Planung und wenig Leute. Es ist die „Provokation zum Runterladen und Ausdrucken“, wie die identitären Papierschnipsel, die derzeit im Netz kursieren. Die Aktionen sind laut, nervtötend, unübersehbar und witzig. Gegen tanzende Maskierte zu protestieren oder sich über sie aufzuregen, wirkt immer lächerlich. Man nimmt sich selbst nicht allzu ernst und damit dem Gegner jede Möglichkeit zur adäquaten Reaktion. Er kann im Grunde nur stumm zusehen bis man das Feld räumt, oder protestieren und sich dabei unsterblich blamieren. Da diese Aktionen keine Planung benötigen und relativ gefahrlos sind, kann man sie spontan und flexibel anberaumen und auch unpolitische oder leicht anpolitisierte Bekannte mitnehmen. Mit jedem Mal wachsen Mobilisierungspotential und Routine, und daß die Provokation funktioniert, kann man am Wutgeheul der Gestörten hören, bei denen die Nerven mittlerweile blank liegen.
Eines Tages werden die Identitären mit Sicherheit die Masken ablegen, und die täglich wachsende Schar soölchermaßen an der Provokation geschulter Aktivisten wird auch für größere und besser inszenierte Protestaktionen einsetzbar sein. Des weiteren zeigen die Hardbass-Aktionen erfreulicherweise schon, daß die Aktionsformen der Identitären keine alten Muster wiederholen, sondern vor allem in unangemeldeten, gewaltfreien und überfallsartigen Provokationen liegen werden.
Das ist meiner Ansicht nach ein erfreuliches Zeichen. Die Instant-Rumpf-Provoktion des Hardbassflashmobs hat Entwicklungspotential, und die Identitären sind kreativ, offen und unvorhersehbar genug um das zur Entfaltung zu bringen. Bis dahin kann ich mit ihnen allen ewigen Kritikastern, die aus den Höhen intellektueller Eitelkeit ihre Papierpfeile auf sie schießen nur existenzialistisch entgegenhalten:
Sie sind vielleicht nicht perfekt aber sie sind da. Und sie sind gekommen um zu bleiben.
Weltversteher
Man beachte, daß die hier geschilderten Gestalten bei ihren Einsätzen anscheinend schneller verschwinden als sie gekommen sind. Und zum Trost: Man war ja da.
Natürlich, als Mutprobe und zum Aufwärmen aus dem Dauerschlaf ist das völlig in Ordnung. Auf die Dauer macht es aber den Eindruck von kleinen Wänstern, die bei großen Jungs die Nervensäge spielen, hinter der Ecke pupsen, mit Papierkügelchen werfen und sich abkichern. Hoffen wir, daß es nicht dabei bleibt.