Die Strahlkraft der Konservativen Revolution

pdf der Druckfassung aus Sezession 44 / Oktober 2011

Wer heute offen bekennt, er sei konservativ, macht das meist...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

, nach­dem er die­sen Begriff sei­nes poli­ti­schen Gehalts gänz­lich ent­leert hat und unter »kon­ser­va­tiv« nur mehr Kul­tur­tech­ni­ken ver­stan­den haben möch­te: einen Kra­wat­ten­kno­ten bin­den und mit einem Fisch­mes­ser umge­hen kön­nen, wis­sen, wann man wel­che Anre­de ver­wen­det, ein Kon­zert­abon­ne­ment hal­ten und imstan­de sein, fast alle Wag­ner-Opern auf­zu­zäh­len (auch dann, wenn die Geduld, sich eine anzu­hö­ren, das kon­ser­va­ti­ve Maß schon gesprengt haben mag). Karl­heinz Weiß­mann hat die­sen bloß habi­tu­el­len Kon­ser­va­tis­mus in sei­ner Begriffs­ret­tungs­schrift Das kon­ser­va­ti­ve Mini­mum am Bei­spiel eines Gesprächs mit einem »gemach­ten Mann« als den eben­so typi­schen wie nach­voll­zieh­ba­ren Weg beschrie­ben, auf dem viel­leicht acht von zehn vor­mals poli­tisch ambi­tio­nier­te Weg­ge­fähr­ten ihren Frie­den mit den Ver­hält­nis­sen suchen und finden.

Und Gün­ter Scholdt skiz­ziert in Das kon­ser­va­ti­ve Prin­zip jenen FAZ-Leser, der jeden Mor­gen aufs neue mit geplatz­tem Kra­gen sei­ne Lek­tü­re been­det, um – was eigent­lich zu tun? Was läßt Weiß­mann aus der spöt­ti­schen Beschrei­bung der Bin­de- und Abmil­de­rungs­kraft gut ein­ge­rich­te­ten, gut­si­tu­ier­ten Lebens fol­gen? Was Scholdt aus dem Dik­tum, daß wir mitt­ler­wei­le in einem poli­tisch-kul­tu­rel­len Irren­haus leben, in dem der Wahn in all sei­nen Facet­ten regiert? Legt Scholdts Zei­tungs­le­ser nicht jeden Tag mit der Sicher­heit des wie­der­um Ent­täusch­ten sei­ne Zei­tung bei­sei­te, um sich mit­tels Tag­werk zu kurie­ren? Wie lan­ge macht er das schon? Und grüßt nicht Weiß­manns kämp­fe­ri­scher Kon­ser­va­ti­ver doch höf­lich auch jenen, der bloß rein äußer­lich mit ihm ver­wech­selt wer­den kann, obwohl er nichts wei­ter ist als ein Zuschau­er im Zer­set­zungs­thea­ter unse­rer Nation?

Scholdt wirft ohne Fra­ge einen genau­en Blick auf unse­re Zeit und zeigt, daß der Umgang mit der poli­ti­schen Rech­ten einer der Grad­mes­ser der Frei­heit in unse­rem Sys­tem ist. Er sieht auch, daß Volk, Nati­on und Staat nicht mehr die Richt­grö­ßen der Poli­tik sind und zieht eine kat­echon­ti­sche Kon­se­quenz dar­aus, eine, die den ein­zel­nen zu einem illu­si­ons­lo­sen »Auf­hal­ter« macht, zu einer der wür­di­ge­ren Figu­ren im gro­ßen, ewi­gen Spiel, zu einem Stei­ne­wäl­zer: Sisy­phus – das ist Scholdts Kon­ser­va­ti­ver, der gründ­lich nach­ge­dacht und das Leben stu­diert hat. Zuletzt näm­lich liegt der Stein wie­der im Tal, und damit man »die Pau­sen dazwi­schen in selbst­ge­wähl­ter Ver­ant­wor­tung sinn­voll gefüllt« bekom­me, sol­le man sich wenigs­tens die Frei­heit neh­men, den Stein auf die je eige­ne Wei­se zu rol­len – manch­mal in Gemein­schaft mit ande­ren, der­zeit wohl eher allei­ne. So lau­tet Scholdts Ver­hal­tens­re­gel: Man mache aus frei­em Ent­schluß das, was getan wer­den muß, und zwar unter dem kon­ser­va­ti­ven Anspruch, dabei der Ord­nung und dem Gan­zen, nicht der Auf­lö­sung und der Ato­mi­sie­rung zu die­nen. Den Stein auf die­se Art zu wäl­zen, kann emi­nent poli­tisch sein, gera­de­zu eine kon­ser­va­ti­ve Ur-Übung inmit­ten des Stroms der Lemminge.

Weiß­manns Hand­lungs­auf­for­de­rung ist direk­ter, zeit­lich nicht so geo­lo­gisch ange­legt. Er, der sich wie Scholdt über den Men­schen an und für sich kei­ne Illu­sio­nen macht, nennt sein Buch im letz­ten Satz eine »Kampf-Ansa­ge«: gegen die Deka­denz, gegen die fal­sche Nor­ma­li­sie­rung, gegen den Kon­for­mis­mus, also gegen die Akzep­tanz des zufäl­lig Heu­ti­gen, so es lebens‑, gemeinschafts‑, leistungs‑, ord­nungs- und hier­ar­chie­feind­lich ist; zusam­men­ge­faßt: gegen den poli­ti­schen Geg­ner in sei­ner Viel­ge­stal­tig­keit, und zwar gegen den Geg­ner von Heu­te, nicht den von Immer.

Wer ist die­ser Geg­ner von Heu­te? Sind es die Lin­ken, die Libe­ra­len, die CDU-Prag­ma­ti­ker, die Poli­ti­ker ins­ge­samt? Ist es der Zeit­geist an sich oder am Ende etwas in uns selbst: unser aller Nach­las­sen und Nach­ge­ben, unse­re Ermü­dung, die Ermü­dung des »wei­ßen Man­nes«? Oder ist die­ser Geg­ner jener Gut­mensch, der auf der einen Sei­te aus­ge­sorgt hat, auf der ande­ren nun gegen »Stutt­gart 21« oder den Flug­ha­fen Ber­lin-Schö­ne­berg Sturm läuft, weil das so die ein­zi­gen Pro­blem­chen sind, die ihn auf die Stra­ße trei­ben? Eines scheint es jeden­falls nicht zu sein: unser poli­ti­sches Sys­tem, denn das kann ich auf­grund mei­ner vie­len Gesprä­che mit mei­nen Autoren sagen: Noch nicht ein­mal hin­ter ver­schlos­se­nen Türen stel­len Karl­heinz Weiß­mann oder Gün­ter Scholdt die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Fra­ge, jenes Sys­tem, von dem man behaup­ten kann, daß es sei­ne Okku­pa­ti­on durch Inter­es­sen­grup­pen zulas­se, für die Par­tei­en einen gran­dio­sen Selbst­be­die­nungs­la­den auf­ge­baut habe und über­haupt alles (Ver­mö­gen, Bil­dungs­stand, Homo­ge­ni­tät, Leis­tungs­ethos) ver­nut­ze, was uns Deut­sche nach jeder Kata­stro­phe dazu befä­hig­te, rasch und sicher wie­der auf die Füße zu kommen.

Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on ist nicht die Sache poli­ti­scher Kon­ser­va­ti­ver von heu­te: Die BRD wird als Staat akzep­tiert, als ein auf Funk­ti­ons­tüch­tig­keit ange­leg­tes, Sicher­heit gewäh­ren­des, den Ord­nungs­raum der Nati­on bil­den­des Gehäu­se – und wo wäre der kon­ser­va­ti­ve Über­mut, es zu zer­schla­gen und ein bes­se­res an sei­ne Stel­le zu set­zen? Ver­än­dern: ja! Refor­mie­ren: ja! Erneu­ern im Sin­ne einer fun­da­men­ta­len Gegen-Auf­klä­rung: ja! Aber revo­lu­tio­nie­ren? Umsto­ßen, weil es fällt? Hier kann der Kon­ser­va­ti­ve nicht mehr mit, hier wird er von sei­nem Respekt vor dem, was die Abläu­fe regelt (leid­lich zwar, aber immer­hin), aus­ge­bremst, hier scheut er das Cha­os nach dem Zusam­men­bruch so sehr, daß er auf die Chan­ce eines radi­ka­len Neu­be­ginns verzichtet.

Wer Kom­pro­miß­lo­ses lesen möch­te, soll­te Rene­ga­ten von links auf­su­chen und zum Auf­satz »Die Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer« grei­fen. Er stammt aus der Feder des ehe­ma­li­gen »Dutsch­ke von Wien«, Gün­ter Maschke, der die­sen ful­mi­nan­ten, in bes­ter Schmitt­scher Tra­di­ti­on ste­hen­den Text 1985 vor­leg­te. »Die Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer« ist eine schar­fe und gleich­zei­tig prä­zi­se Ana­ly­se der poli­ti­schen Situa­ti­on Deutsch­lands nach 1945 und des eben­so geis­ti­gen wie prak­ti­schen Lan­des­ver­rats sei­ner poli­ti­schen Eli­te. »Muß, wer Ade­nau­er sagt, nicht auch Rudi Dutsch­ke sagen, und wer Strauß sagt, nicht auch Otto Schi­ly und sogar Rote-Armee-Frak­ti­on sagen?« Ist – in Maschkes Wor­ten – nicht »die Ver­fas­sung das Gefäng­nis, dem es zu ent­rin­nen gilt«? Und sind die längst an die Macht gekom­me­nen Revo­luz­zer von 68 nicht bloß der »radi­ka­li­sier­te Wurm­fort­satz« der frü­he­ren inne­ren Fein­de des deut­schen Vol­kes, jener Betrei­ber eines »Auto­ge­no­zids«, für die es kei­nen Gerichts­hof gibt?

Ich habe in mei­nem Arti­kel über »Die Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer« für den 2. Band des Staats­po­li­ti­schen Hand­buchs (Schlüs­sel­wer­ke) geschrie­ben, daß die­ser Text ein gefähr­li­cher Text sei, ein Bei­spiel für aggres­si­ves Den­ken. Der Text sei sug­ges­tiv und von umstür­zen­der Deut­lich­keit und kön­ne jene »Dop­pel­wir­kung aus Erre­gung und Läh­mung ent­fal­ten, die jeder unver­mit­tel­ten Bot­schaft aus dem Bereich erst­ran­gi­gen, kate­go­ri­schen Den­kens zu eigen ist.«

Was ist das, eine »Dop­pel­wir­kung aus Erre­gung und Läh­mung«? War­um tritt über­haupt neben die Erre­gung dar­über, daß es nicht nur Symp¬tome, son­dern auch Ursa­chen gebe, eine Hand­lungs­läh­mung, eine Denk­läh­mung? Mei­ner Erfah­rung nach ist die­se Läh­mung dem Wei­ter­den­ken, Wei­ter­han­deln zuträg­lich: Wo ein Gene­ral­an­griff auf bestehen­de poli­ti­sche Lebens- und Hand­lungs­ord­nun­gen erfol­gen müß­te und ein tota­ler Wider­stand auf­scheint, wird aus der Läh­mung eine not­wen­di­ge Kom­po­nen­te des poli­ti­schen (und damit gesell­schaft­li­chen) Wei­ter­le­ben­kön­nens: Zieh den Fuß zurück, miß den Abgrund nicht aus, über­span­ne den Bogen nicht, auch nicht als Den­ker. Denn es läßt sich aus dem tota­len Durch­blick kei­ne Poli­tik ableiten.

Weiß­mann und Scholdt – denen ich seit lan­gem zuhö­re – wie­der­ho­len dies in Gesprä­chen wie ein Man­tra: Wo wäre das Wir­kungs­plus sol­cher Ver­bal­ra­di­ka­lis­men, was lie­ße sich auf ihnen auf­bau­en? Und ist das am Ende nicht ein Mär­ty­rer-Ton, und zwar einer zur fal­schen Zeit? Sie haben recht: Läh­men­de Erkennt­nis ist etwas Unpo­li­ti­sches, ist ein gut getarn­ter Kräf­te­ver­schleiß. Die fun­da­men­ta­le Oppo­si­ti­on führt in die Eska­la­ti­on (wenn die power dafür da ist) oder in den Defai­tis­mus (wie der­zeit). Die Grau­tö­ne ver­schwin­den, es gibt schwarz und weiß, man kommt dort an, wo Maschke schon ist – im Unver­ne­bel­ten zwar, aber doch als Zyni­ker und als Schöp­fer von Bon­mots wie jenem von den zwei ver­blie­be­nen, frei­en Beru­fen: dem des Anti­quars und dem des Kopierladenbesitzers.

Wel­che Fol­gen es haben kann, wenn man den Bogen über­spannt, hat das deut­sche Volk, hat die deut­sche Nati­on 1945ff erken­nen und erlei­den müs­sen, und zwar so gründ­lich, daß die deut­schen Kon­ser­va­ti­ven auch aus die­sem Grund seit­her und bis heu­te die harm­lo­ses­te Rech­te stel­len, die es je gab. Weiß­mann kon­sta­tiert in sei­ner Kur­zen Geschich­te der kon­ser­va­ti­ven Intel­li­genz nach 1945, daß die deut­schen Kon­ser­va­ti­ven »defai­tis­tisch, mit einer Selbst­wahr­neh­mung als ver­lo­re­ner Hau­fen oder als Ver­lie­rer« auf die durch nichts gerecht­fer­tig­te Über­macht der Lin­ken und Libe­ra­len reagier­ten. Die Kon­ser­va­ti­ven sei­en »nie­mals zuvor so harm­los, so zahm und zivil« aufgetreten.

Es gab ein­mal eine Zeit, in der das anders war. Die soge­nann­te Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on von 1918 bis 1932 hat bis heu­te ihre Strahl­kraft auch des­halb nicht ver­lo­ren, weil sie in ihren Haupt­ver­tre­tern radi­kal und kom­pro­miß­los war, so ganz und gar bereit für etwas Neu­es, einen Drit­ten Weg, einen Umsturz, eine Recon­quis­ta, einen revo­lu­tio­nä­ren, deut­schen Gang in die Moder­ne. Auch die­ser geis­ti­gen und poli­ti­schen Pha­se war ein Zusam­men­bruch vor­an­ge­gan­gen, aber er wog weni­ger schwer als der von 1945 und wur­de durch die Bank als his­to­ri­sches Unrecht emp­fun­den, das sei­nen Höhe­punkt im Ver­sailler Dik­tat von 1919 erreicht hat­te. Gegen die­se Demü­ti­gung tra­ten zwei Gene­ra­tio­nen kon­ser­va­ti­ver Poli­ti­ker, Schrift­stel­ler, Ver­le­ger, Publi­zis­ten, Wis­sen­schaft­ler, Akti­vis­ten, Indus­tri­el­ler und Orga­ni­sa­to­ren an, mit außer­or­dent­li­chem Schwung, rück­halt­lo­ser Unver­söhn­lich­keit und einer wahr­nehm­ba­ren Brei­ten­wir­kung. Von Harm­lo­sig­keit, zivi­li­sier­ter Zurück­hal­tung, Zahn­lo­sig­keit kei­ne Spur.

Ernst Jün­ger, der »Chro­nist des 20. Jahr­hun­derts«, der selbst­er­nann­te »Seis­mo­graph« poli­ti­scher Erd­be­ben und Ver­wer­fun­gen, beklag­te sich nach 1945 über sein zeit­wei­li­ges Ver­öf­fent­li­chungs­ver­bot unter den Besat­zungs­mäch­ten und fand, man kön­ne »die Baro­me­ter nicht für die Tai­fu­ne büßen las­sen, falls man nicht zu den Pri­mi­ti­ven zäh­len will.« Sol­len wir unse­ren Jün­ger ernst­neh­men als harm­lo­sen Baro­me­ter, als Nur-noch-Seis­mo­gra­phen und Ange­hö­ri­gen jener Wahr­neh­mungs­eli­te, zu der neben ihm auch sein Bru­der Fried­rich Georg stieß, nach­dem Herr Hit­ler gesiegt hat­te? Wir neh­men ihn nicht ernst – und sind mit Armin Moh­ler in die­ser Fra­ge in guter Gesell­schaft: Auch die­sem war der Weg vom Aben­teu­er­li­chen Her­zen, der Tota­len Mobil­ma­chung und dem gran­dio­sen Essay Über den Schmerz bis dort­hin, wo auf den Nacht­schränk­chen älte­rer Damen die Tage­buch­samm­lung Sieb­zig ver­west steht, zwar nicht zu weit, aber in sei­ner nach­ge­reich­ten Glät­tung nicht unbe­dingt nachvollziehbar.

Die Strahl­kraft gera­de Ernst Jün­gers liegt für bestimm­te Leser eben nicht dar­in, daß er zum Deu­ter gewis­ser Wel­len­gän­ge, erd­um­span­nen­der Pro­zes­se und zum Sän­ger des Welt­staats wur­de. Er war nicht immer so zahm, so rei­ner Beob­ach­ter, Fie­ber­kur­ven auf­zeich­nend, Druck­ge­bie­te regis­trie­rend. Er war viel­mehr mit­ten­drin in der geis­ti­gen Mobil­ma­chung der Zwi­schen­kriegs­zeit, war mit sei­nen natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Tex­ten einer ihrer Wort­füh­rer und stell­te sein publi­zis­ti­sches Kön­nen aus­drück­lich in den Dienst eines neu­en Deutsch­lands, einer Revan­che. »Der Tag, an dem der par­la­men­ta­ri­sche Staat unter unse­rem Zugriff zusam­men­stürzt, und an dem wir die natio­na­le Dik­ta­tur aus­ru­fen, wird unser höchs­ter Fest­tag sein«, schrieb Jün­ger und wur­de kon­kret: »Es wird nicht pro­tes­tiert in Vor­trags­rei­hen, son­dern sehr sach­lich und nüch­tern mit Hand­gra­na­ten und Maschi­nen­ge­weh­ren auf dem Straßenpflaster.«

Hand­lungs­an­wei­sun­gen sind das, Befehls­aus­ga­ben, Auf­for­de­run­gen zur Akti­on. Im Natio­nal­so­zia­lis­mus sah Jün­ger einen Ast, der par­al­lel zu dem von ihm pro­pa­gier­ten »Neu­en Natio­na­lis­mus« oder »Front­na­tio­na­lis­mus« wuchs und des­sen poli­ti­schen Arm bil­de­te, mit Zugriff auf die Arbei­ter­schaft. Es ist bezeich­nend, daß er die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewe­gung ab etwa 1929 nicht des­we­gen kri­ti­sier­te, weil sie ihm zu radi­kal gewor­den wäre, son­dern, weil er in Hit­lers Lega­li­täts­kurs die »Rein­heit der Mit­tel« beschmutzt sah.

Das sind natür­lich Fund­stü­cke der extre­men Sor­te. Man kann auch lesen, was Arthur Moel­ler van den Bruck über einen Drit­ten Weg, ein Drit­tes Reich zu sagen hat­te, was Edgar Juli­us Jung über die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen oder Carl Schmitt über die geis­tes­ge­schicht­li­che Lage des Par­la­men­ta­ris­mus: Daß das Wort »kon­ser­va­tiv« zum Attri­but des Begriffs »Revo­lu­ti­on« wur­de, zeigt, wie sehr die­se Auto­ri­tä­ten und Begriffs­schöp­fer zwar auf den Ord­nungs­ge­dan­ken hin ori­en­tiert waren: Revo­lu­ti­on wur­de nicht als Expe­ri­ment gedacht, nicht als über­na­tio­na­les Wunsch­bild, son­dern als not­wen­di­ger Durch­gang hin zu For­men, Ord­nun­gen, Insti­tu­tio­nen, deren Erhal­tung sich loh­nen wür­de. Eine per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on im Sin­ne lin­ker Wege hin zum neu­en Men­schen stand nicht zur Debat­te – aber eine kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on: Das soll­te und muß­te schon sein.

Man ver­glei­che den Ton von damals mit dem, der in den mitt­ler­wei­le vier­und­vier­zig Aus­ga­ben der Sezes­si­on ange­schla­gen wird: Hier wälzt sich die Redak­ti­on schlaf­los, bevor eine Behaup­tung Nietz­sches den Schluß eines Arti­kels zie­ren darf: »Nur Bar­ba­ren kön­nen sich ver­tei­di­gen.« Und die Fest­stel­lung, daß »der Feind schon dies­seits der Mau­ern ist«, wird im Zwei­fels­fall meta­pho­risch und nicht ganz und gar plas­tisch-hand­fest über­setzt. Tex­te, etwa über eine Schlä­ge­rei mit einem Tür­ken (ein Erin­ne­rungs­stück aus dem Jah­re 1992, das für das »Islam«-Heft geplant war), blei­ben in der Schub­la­de. Alles ist am Ende ange­legt auf Ein­spei­sung in die gro­ße, intel­lek­tu­el­le Debat­te – mit erkenn­ba­rer Marsch­rich­tung zwar, aber es mar­schie­ren letzt­end­lich doch nur die Gedan­ken, die wie­der­um zum Den­ken auf­for­dern – und nicht zur Akti­on, und sei sie auch nur sym­bo­lisch. Von der frü­hen Jün­ger-Zeit scheint uns jeden­falls eine Kul­tur­schwel­le zu trennen.

Eine Woche, nach­dem das Sezes­si­on-The­men­heft »Islam« die Abon­nen­ten erreicht hat­te, ging des Nachts ein Fax ein – dar­auf mit Schreib­ma­schi­ne geschrie­ben der Leser­brief eines »lang­jäh­ri­gen Abon­nen­ten« (so die Unter­schrift). In Erman­ge­lung eines per­sön­li­che­ren Absen­ders konn­ten wir ihn nicht fra­gen, ob er mit dem Aus­druck sei­ner Zei­len ein­ver­stan­den sei. Daß es nun ohne Ein­wil­li­gung geschieht, ist der Preis für den ver­ständ­li­chen, aber auch ein­fa­chen Weg der Anony­mi­tät. Der Leser schrieb (und die Ortho­gra­phie ist unver­än­dert wiedergegeben):

 

als das alte euro­pa von bar­ba­ren­hor­den zuneh­mend gestürmt wur­de und sich sein ende abzu­zeich­nen begann, brach­ten sei­ne letz­ten ver­tei­di­ger schrift­rei­hen auf den markt, in denen höchst fein­sin­nig rai­son­niert wur­de über die fra­ge, ob es eine phä­no­ty­pi­sche affi­ni­tät gäbe zwi­schen engeln mus­li­mi­scher her­kunft und denen christ­li­cher. in der fol­gen­den denk-pau­se stand man just bei pro­sec­co und schweins­bra­ten plau­dernd bei­sam­men, als ein krumm­sä­bel­schwin­gen­der, auf­ge­regt schrei­en­der sohn moham­meds in der tür erschien. die ver­sam­mel­ten such­ten flugs deckung hin­ter tischen und stüh­len. in den dar­auf fol­gen­den tagen berich­te­ten die jour­na­le noch weni­ger als zuvor von den for­men des wider­stands in der zita­del­le des den­kens. als die grü­ne fah­ne des pro­phe­ten auch von deren zin­nen weh­te, tauch­te noch ein­mal ein – dies­mal anony­mes – pam­phlet auf, das die heral­di­sche bedeu­tung die­ser far­be mit jenen ver­glich, die man bis­her hät­te his­sen können.

 

Auch so wird man also wahr­ge­nom­men: Als Korin­then­ka­cker, intel­lek­tu­ell, sprach­lich abge­ho­ben, zere­bral aus­dif­fe­ren­ziert, eben­so aus­dif­fe­ren­ziert wie wehr­los, eben­so wehr­los wie wir­kungs­los, eben­so wir­kungs­los wie selbst­ge­fäl­lig, und noch im Unter­gang deu­tungs­mäch­tig und dem Neben­säch­lichs­ten zuge­wandt, kurz­um: in der geis­ti­gen Par­al­lel­wirk­lich­keit so sehr zuhau­se, daß man weder die Ein­schlä­ge näher­kom­men hört, noch nach dem Ver­lust der Fes­tung end­lich die Klap­pe hält.

War­um hat der »lang­jäh­ri­ge Abon­nent« nicht wenigs­tens gekün­digt? Unter »irrele­vant« ein­sor­tiert zu wer­den ist schlimm, aber irrele­vant zu sein und den­noch gele­sen zu wer­den, ist nur schwer zu ertra­gen. War­um hält einer sein Abon­ne­ment, wenn er sol­che Brie­fe schrei­ben muß? Aus Mit­leid? Weil er die Schnitt­chen-Dia­lo­ge nicht ver­pas­sen will? Weil ihn sonst nichts erhei­tert? Oder weil unse­re Spra­che unse­rer Lage so ganz und gar ange­mes­sen ist? So jeden­falls wür­de es Karl­heinz Weiß­mann sagen und sich sol­cher Kri­tik gegen­über völ­lig unbe­rührt zeigen.

Mir gelingt das nicht leicht, mich frißt das an, es gibt da eine Sai­te, die man nicht ange­schla­gen haben möch­te, die man vom Instru­ment abge­spannt wähn­te: Aber sie ist noch da und will klin­gen: Man will doch gefähr­lich sein, dyna­misch, fähig zur Revol­te; man will nicht in einem »gehei­men Deutsch­land« sich sein Häus­chen des Seins bau­en und in einem »Inne­ren Reich« den Kai­ser suchen und über die kon­ser­va­ti­ven Ster­ne auf dem walk of fame tän­zeln; man will sich nicht auf hohem Niveau ver­krü­meln und den Dia­log derer füh­ren, die noch lesen kön­nen. Und dann schaue ich nach und kann im Ord­ner mit den Rezen­sio­nen über unse­re Zeit­schrift lei­der kei­ne Bespre­chung ent­de­cken, in der etwa stün­de, es ste­cke »etwas von der Skru­pel­lo­sig­keit schlimms­ten Machia­vel­lis­mus« dar­in, oder: »Für die­se Leu­te ist immer Krieg, auch wenn sie Bücher machen.« So urteil­te indes die Neue Leip­zi­ger Zei­tung im Okto­ber 1931 über den Foto­band Das Gesicht der Demo­kra­tie, den Edmund Schultz her­aus­ge­ge­ben und mit einem Vor­wort von Fried­rich Georg Jün­ger ver­se­hen hat­te. Das Fas­zi­nie­ren­de an die­sem Band sind sei­ne Moder­ni­tät (Bild­mon­ta­ge, sug­ges­ti­ver Ein­satz von Bild und Text), der gera­de­zu läs­si­ge Angriffs­geist sei­ner Autoren und nicht zuletzt der humo­rig-ätzen­de Stil, gezielt als direk­te Ant­wort auf den kurz zuvor von Kurt Tuchol­sky ver­öf­fent­lich­ten Bild­band von links: Deutsch­land, Deutsch­land über alles.

Ernst Jün­gers Publi­zis­tik, Fried­rich Georg Jün­gers Betei­li­gung an der »dezi­diert poli­tisch aus­ge­rich­te­ten akti­vis­ti­schen Pho­to­gra­phie« Edmund Schult­zes – zwei radi­ka­le, weil natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Bei­spie­le aus einem Fun­dus inten­si­ver Momen­te der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on. Inten­si­ves, gebün­del­tes Licht strahlt auch von dort aus, wo sich bei Ernst Rowohlt neben Ber­tolt Brecht, Wal­ter Ben­ja­min und ande­ren lin­ken Intel­lek­tu­el­len ganz selbst­ver­ständ­lich die Brü­der Jün­ger, Ernst von Salo­mon, Otto Stras­ser, Hans Zeh­rer ein­fin­den konn­ten: Sie waren inter­es­sant genug, sie hat­ten etwas zu sagen, man muß­te sie als Ver­le­ger im Auge behal­ten – vor allem dann, wenn man in Gesprächs­run­den nicht – wie heu­te aller­or­ten üblich – den Gleich­klang, son­dern die »pyro­tech­ni­sche Mischung« (Ernst Jün­ger) hochschätzte.

Und wie unter einem Brenn­glas ver­dich­ten sich Vor­stel­lun­gen der Jung­kon­ser­va­ti­ven dort, wo Gene­ral Kurt von Schlei­cher in den letz­ten Mona­ten der Wei­ma­rer Repu­blik eine Quer­front gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu bil­den und den Block um die Brü­der Stras­ser her­aus­zu­bre­chen sich bemüh­te und dabei von Carl Schmitt juris­ti­schen, von Edgar Juli­us Jung poli­ti­schen und von Johan­nes Popitz stra­te­gi­schen Nek­tar sogen. Jung bezahl­te schon 1934 mit sei­nem Leben für sei­nen Wider­stand, der preu­ßi­sche Spit­zen­be­am­te Popitz im gro­ßen Auf­räu­men nach Stauf­fen­berg, zu des­sen wei­te­rem Umfeld er gehört hat­te. Auch in deren bei­der Bio­gra­phie: Inten­si­tät, Kon­se­quenz, und Rück­sichts­lo­sig­keit vor allem sich selbst gegen­über, weil wohl etwas grö­ßer, wich­ti­ger war als das Ich.

Woher rüh­ren also unse­re Vor­sicht, unse­re Zag­haf­tig­keit? Schreckt am Ende doch die Tat­sa­che, daß es – gegen alle offi­zi­el­len Behaup­tun­gen – heu­te in Deutsch­land für den ein­zel­nen und gan­ze Grup­pen gefähr­lich ist, eine radi­ka­le Mei­nung zu for­mu­lie­ren? Auch in der BRD des Jah­res 2011 gibt es poli­ti­sche Jus­tiz, gibt es Gefäng­nis­stra­fen für Mei­nungs­de­lik­te, und wo nicht Arrest, dort die Ver­fol­gung und die Denun­zia­ti­on bis ins Pri­va­te hin­ein, die sozia­le Äch­tung. In Naum­burg, Wei­mar, Frank­furt, Hei­del­berg, Gie­ßen, Göt­tin­gen und Pots­dam wur­den unse­re Lesun­gen über die Wir­kung Sar­ra­zins von ver­ängs­tig­ten Buch­händ­lern abge­sagt, die um ihre Fens­ter­schei­ben und um ihren nor­ma­len Geschäfts­all­tag bang­ten. Und ab und an fragt ein Neu­abon­nent der Sezes­si­on, ob er beden­ken­los sich sechs­mal im Jahr das Heft nach Hau­se lie­fern las­sen kön­ne oder ob uns nicht Fäl­le von Über­grif­fen auf Leser bekannt sei­en und der Arbeits­platz in Gefahr gera­te. Ich habe kei­ne Kennt­nis von solch schlim­men Kon­se­quen­zen für Abon­nen­ten, sol­che Sor­gen sind ja ganz albern. Aber jedes­mal fin­de ich die Fra­ge bezeich­nend in der Hin­sicht, daß der zukünf­ti­ge Leser sol­che Ver­fol­gun­gen in unse­rem Land über­haupt für mög­lich hält.

War­um macht uns die­ses mie­fi­ge Kli­ma nicht rebel­lisch? Auch wir Deut­schen hät­ten alles Recht, uns in der Ver­tei­di­gung des Eige­nen zu üben und ein­zu­rich­ten, aus ande­ren, aber eben­so guten Grün­den wie die Jün­gers, Moel­ler van den Brucks, Jungs, Sta­pels, Schmitts oder Nie­kischs vor 80 Jah­ren, und es wür­de heu­te tat­säch­lich nur noch um die Ver­tei­di­gung gehen – im Gegen­satz zu damals. Denn man muß sich vor Augen füh­ren, daß zwi­schen den Welt­krie­gen Deutsch­lands Exis­tenz im Kern nicht bedroht war. Die Nati­on sah sich durch die Nie­der­la­ge von 1918 um ihre her­aus­ra­gen­de Rol­le als Welt­macht beson­de­ren Zuschnitts gebracht, sie sah sich eini­ger Pro­vin­zen beraubt, unter eine Art inter­na­tio­na­ler Auf­sicht gestellt und völ­ker­recht­lich inak­zep­ta­bel behan­delt. Im Innern expe­ri­men­tier­te Deutsch­land mit einer Regie­rungs­form, die natio­na­len Krei­sen als eine den Deut­schen nicht gemä­ße galt. Im Kern aber war Deutsch­land nicht ange­grif­fen, war nicht wider­legt, war imstan­de zu einer Revi­si­on, einer Revan­che, einem zwei­ten Anlauf. Es strotz­te, auch in sei­ner Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung, vor Kraft und sah die unter­schied­lichs­ten Lager einig in der Mei­nung, daß das Deut­sche in der Welt noch nicht ange­mes­sen zur Gel­tung gebracht wor­den sei und daß man auf­ge­ru­fen sei, die­se Beson­der­heit im Staat selbst und nach außen inner­halb sei­ner Ein­fluß­sphä­re durchzusetzen.

Wir sind heu­te als Rech­te oder Kon­ser­va­ti­ve aus his­to­ri­schen und ande­ren Grün­den mei­len­weit von sol­chem Selbst­be­wußt­sein ent­fernt und müs­sen froh sein, wenn es für die Ver­tei­di­gung des Eige­nen noch reicht. Aber schon ange­sichts die­ser nicht mehr aus­grei­fen­den, son­dern nur noch sichern­den Auf­ga­be haben wir als Deut­sche zu kon­sta­tie­ren, daß wir 1. nicht mehr wis­sen, was das Deut­sche eigent­lich noch sein könn­te, 2. allen­falls zurück­hal­ten­de, gebro­che­ne Selbst­bil­der zeich­nen, 3. den Weg aller wei­ßen Natio­nen hin zur Uto­pie mul­ti­kul­tu­rel­ler Gesell­schaf­ten nicht auf­hal­ten konn­ten, 4. gar nicht sagen kön­nen, wohin­ein sich ein Frem­der inte­grie­ren soll­te, 5. Stück für Stück unser Land, unse­re Sou­ve­rä­ni­tät, unse­re selbst­be­stimm­te Zukunft in frem­de Hän­de über­ge­hen sehen, 6. wenn es hoch­kommt, von einer Ade­nau­er­zeit träu­men, 7. als Visi­on den frei­en Aus­tausch der Mei­nun­gen for­dern oder die Teil­ha­be an der Poli­tik for­mu­lie­ren, 8. damit noch nicht ein­mal an die radi­ka­le Rhe­to­rik von 68 anschlie­ßen, 9. uns auf unse­re zivi­li­sier­te Ver­nunft und unse­re Scheu vor allem wahr­haft Anti­bür­ger­li­chen etwas ein­bil­den und 10. aus die­sem Grund als Kon­ser­va­ti­ve, als Rech­te kei­ne zwei­te Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on zu bil­den imstan­de sind – wenn wir es über­haupt noch wollten.

Die ers­te KR strahlt in ihrer kur­zen, rei­chen Blü­te bis heu­te aus, weil ihr Per­so­nal in sei­nen Haupt- und Neben­rol­len durch­ge­spielt hat, was an inne­rer und äuße­rer Mobil­ma­chung, tota­ler Mobil­ma­chung für eine kom­men­de Aus­ein­an­der­set­zung mög­lich und not­wen­dig war. Aus die­sem Grund dach­te und schrie­be ein Ernst Jün­ger erre­gend unge­zähmt und grell aus­ge­leuch­tet. Auf unse­rem Papier aber liegt ein Schat­ten. War­um das so ist, weiß ich manch­mal. Manch­mal auch nicht.

 

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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