, nachdem er diesen Begriff seines politischen Gehalts gänzlich entleert hat und unter »konservativ« nur mehr Kulturtechniken verstanden haben möchte: einen Krawattenknoten binden und mit einem Fischmesser umgehen können, wissen, wann man welche Anrede verwendet, ein Konzertabonnement halten und imstande sein, fast alle Wagner-Opern aufzuzählen (auch dann, wenn die Geduld, sich eine anzuhören, das konservative Maß schon gesprengt haben mag). Karlheinz Weißmann hat diesen bloß habituellen Konservatismus in seiner Begriffsrettungsschrift Das konservative Minimum am Beispiel eines Gesprächs mit einem »gemachten Mann« als den ebenso typischen wie nachvollziehbaren Weg beschrieben, auf dem vielleicht acht von zehn vormals politisch ambitionierte Weggefährten ihren Frieden mit den Verhältnissen suchen und finden.
Und Günter Scholdt skizziert in Das konservative Prinzip jenen FAZ-Leser, der jeden Morgen aufs neue mit geplatztem Kragen seine Lektüre beendet, um – was eigentlich zu tun? Was läßt Weißmann aus der spöttischen Beschreibung der Binde- und Abmilderungskraft gut eingerichteten, gutsituierten Lebens folgen? Was Scholdt aus dem Diktum, daß wir mittlerweile in einem politisch-kulturellen Irrenhaus leben, in dem der Wahn in all seinen Facetten regiert? Legt Scholdts Zeitungsleser nicht jeden Tag mit der Sicherheit des wiederum Enttäuschten seine Zeitung beiseite, um sich mittels Tagwerk zu kurieren? Wie lange macht er das schon? Und grüßt nicht Weißmanns kämpferischer Konservativer doch höflich auch jenen, der bloß rein äußerlich mit ihm verwechselt werden kann, obwohl er nichts weiter ist als ein Zuschauer im Zersetzungstheater unserer Nation?
Scholdt wirft ohne Frage einen genauen Blick auf unsere Zeit und zeigt, daß der Umgang mit der politischen Rechten einer der Gradmesser der Freiheit in unserem System ist. Er sieht auch, daß Volk, Nation und Staat nicht mehr die Richtgrößen der Politik sind und zieht eine katechontische Konsequenz daraus, eine, die den einzelnen zu einem illusionslosen »Aufhalter« macht, zu einer der würdigeren Figuren im großen, ewigen Spiel, zu einem Steinewälzer: Sisyphus – das ist Scholdts Konservativer, der gründlich nachgedacht und das Leben studiert hat. Zuletzt nämlich liegt der Stein wieder im Tal, und damit man »die Pausen dazwischen in selbstgewählter Verantwortung sinnvoll gefüllt« bekomme, solle man sich wenigstens die Freiheit nehmen, den Stein auf die je eigene Weise zu rollen – manchmal in Gemeinschaft mit anderen, derzeit wohl eher alleine. So lautet Scholdts Verhaltensregel: Man mache aus freiem Entschluß das, was getan werden muß, und zwar unter dem konservativen Anspruch, dabei der Ordnung und dem Ganzen, nicht der Auflösung und der Atomisierung zu dienen. Den Stein auf diese Art zu wälzen, kann eminent politisch sein, geradezu eine konservative Ur-Übung inmitten des Stroms der Lemminge.
Weißmanns Handlungsaufforderung ist direkter, zeitlich nicht so geologisch angelegt. Er, der sich wie Scholdt über den Menschen an und für sich keine Illusionen macht, nennt sein Buch im letzten Satz eine »Kampf-Ansage«: gegen die Dekadenz, gegen die falsche Normalisierung, gegen den Konformismus, also gegen die Akzeptanz des zufällig Heutigen, so es lebens‑, gemeinschafts‑, leistungs‑, ordnungs- und hierarchiefeindlich ist; zusammengefaßt: gegen den politischen Gegner in seiner Vielgestaltigkeit, und zwar gegen den Gegner von Heute, nicht den von Immer.
Wer ist dieser Gegner von Heute? Sind es die Linken, die Liberalen, die CDU-Pragmatiker, die Politiker insgesamt? Ist es der Zeitgeist an sich oder am Ende etwas in uns selbst: unser aller Nachlassen und Nachgeben, unsere Ermüdung, die Ermüdung des »weißen Mannes«? Oder ist dieser Gegner jener Gutmensch, der auf der einen Seite ausgesorgt hat, auf der anderen nun gegen »Stuttgart 21« oder den Flughafen Berlin-Schöneberg Sturm läuft, weil das so die einzigen Problemchen sind, die ihn auf die Straße treiben? Eines scheint es jedenfalls nicht zu sein: unser politisches System, denn das kann ich aufgrund meiner vielen Gespräche mit meinen Autoren sagen: Noch nicht einmal hinter verschlossenen Türen stellen Karlheinz Weißmann oder Günter Scholdt die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage, jenes System, von dem man behaupten kann, daß es seine Okkupation durch Interessengruppen zulasse, für die Parteien einen grandiosen Selbstbedienungsladen aufgebaut habe und überhaupt alles (Vermögen, Bildungsstand, Homogenität, Leistungsethos) vernutze, was uns Deutsche nach jeder Katastrophe dazu befähigte, rasch und sicher wieder auf die Füße zu kommen.
Fundamentalopposition ist nicht die Sache politischer Konservativer von heute: Die BRD wird als Staat akzeptiert, als ein auf Funktionstüchtigkeit angelegtes, Sicherheit gewährendes, den Ordnungsraum der Nation bildendes Gehäuse – und wo wäre der konservative Übermut, es zu zerschlagen und ein besseres an seine Stelle zu setzen? Verändern: ja! Reformieren: ja! Erneuern im Sinne einer fundamentalen Gegen-Aufklärung: ja! Aber revolutionieren? Umstoßen, weil es fällt? Hier kann der Konservative nicht mehr mit, hier wird er von seinem Respekt vor dem, was die Abläufe regelt (leidlich zwar, aber immerhin), ausgebremst, hier scheut er das Chaos nach dem Zusammenbruch so sehr, daß er auf die Chance eines radikalen Neubeginns verzichtet.
Wer Kompromißloses lesen möchte, sollte Renegaten von links aufsuchen und zum Aufsatz »Die Verschwörung der Flakhelfer« greifen. Er stammt aus der Feder des ehemaligen »Dutschke von Wien«, Günter Maschke, der diesen fulminanten, in bester Schmittscher Tradition stehenden Text 1985 vorlegte. »Die Verschwörung der Flakhelfer« ist eine scharfe und gleichzeitig präzise Analyse der politischen Situation Deutschlands nach 1945 und des ebenso geistigen wie praktischen Landesverrats seiner politischen Elite. »Muß, wer Adenauer sagt, nicht auch Rudi Dutschke sagen, und wer Strauß sagt, nicht auch Otto Schily und sogar Rote-Armee-Fraktion sagen?« Ist – in Maschkes Worten – nicht »die Verfassung das Gefängnis, dem es zu entrinnen gilt«? Und sind die längst an die Macht gekommenen Revoluzzer von 68 nicht bloß der »radikalisierte Wurmfortsatz« der früheren inneren Feinde des deutschen Volkes, jener Betreiber eines »Autogenozids«, für die es keinen Gerichtshof gibt?
Ich habe in meinem Artikel über »Die Verschwörung der Flakhelfer« für den 2. Band des Staatspolitischen Handbuchs (Schlüsselwerke) geschrieben, daß dieser Text ein gefährlicher Text sei, ein Beispiel für aggressives Denken. Der Text sei suggestiv und von umstürzender Deutlichkeit und könne jene »Doppelwirkung aus Erregung und Lähmung entfalten, die jeder unvermittelten Botschaft aus dem Bereich erstrangigen, kategorischen Denkens zu eigen ist.«
Was ist das, eine »Doppelwirkung aus Erregung und Lähmung«? Warum tritt überhaupt neben die Erregung darüber, daß es nicht nur Symp¬tome, sondern auch Ursachen gebe, eine Handlungslähmung, eine Denklähmung? Meiner Erfahrung nach ist diese Lähmung dem Weiterdenken, Weiterhandeln zuträglich: Wo ein Generalangriff auf bestehende politische Lebens- und Handlungsordnungen erfolgen müßte und ein totaler Widerstand aufscheint, wird aus der Lähmung eine notwendige Komponente des politischen (und damit gesellschaftlichen) Weiterlebenkönnens: Zieh den Fuß zurück, miß den Abgrund nicht aus, überspanne den Bogen nicht, auch nicht als Denker. Denn es läßt sich aus dem totalen Durchblick keine Politik ableiten.
Weißmann und Scholdt – denen ich seit langem zuhöre – wiederholen dies in Gesprächen wie ein Mantra: Wo wäre das Wirkungsplus solcher Verbalradikalismen, was ließe sich auf ihnen aufbauen? Und ist das am Ende nicht ein Märtyrer-Ton, und zwar einer zur falschen Zeit? Sie haben recht: Lähmende Erkenntnis ist etwas Unpolitisches, ist ein gut getarnter Kräfteverschleiß. Die fundamentale Opposition führt in die Eskalation (wenn die power dafür da ist) oder in den Defaitismus (wie derzeit). Die Grautöne verschwinden, es gibt schwarz und weiß, man kommt dort an, wo Maschke schon ist – im Unvernebelten zwar, aber doch als Zyniker und als Schöpfer von Bonmots wie jenem von den zwei verbliebenen, freien Berufen: dem des Antiquars und dem des Kopierladenbesitzers.
Welche Folgen es haben kann, wenn man den Bogen überspannt, hat das deutsche Volk, hat die deutsche Nation 1945ff erkennen und erleiden müssen, und zwar so gründlich, daß die deutschen Konservativen auch aus diesem Grund seither und bis heute die harmloseste Rechte stellen, die es je gab. Weißmann konstatiert in seiner Kurzen Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945, daß die deutschen Konservativen »defaitistisch, mit einer Selbstwahrnehmung als verlorener Haufen oder als Verlierer« auf die durch nichts gerechtfertigte Übermacht der Linken und Liberalen reagierten. Die Konservativen seien »niemals zuvor so harmlos, so zahm und zivil« aufgetreten.
Es gab einmal eine Zeit, in der das anders war. Die sogenannte Konservative Revolution von 1918 bis 1932 hat bis heute ihre Strahlkraft auch deshalb nicht verloren, weil sie in ihren Hauptvertretern radikal und kompromißlos war, so ganz und gar bereit für etwas Neues, einen Dritten Weg, einen Umsturz, eine Reconquista, einen revolutionären, deutschen Gang in die Moderne. Auch dieser geistigen und politischen Phase war ein Zusammenbruch vorangegangen, aber er wog weniger schwer als der von 1945 und wurde durch die Bank als historisches Unrecht empfunden, das seinen Höhepunkt im Versailler Diktat von 1919 erreicht hatte. Gegen diese Demütigung traten zwei Generationen konservativer Politiker, Schriftsteller, Verleger, Publizisten, Wissenschaftler, Aktivisten, Industrieller und Organisatoren an, mit außerordentlichem Schwung, rückhaltloser Unversöhnlichkeit und einer wahrnehmbaren Breitenwirkung. Von Harmlosigkeit, zivilisierter Zurückhaltung, Zahnlosigkeit keine Spur.
Ernst Jünger, der »Chronist des 20. Jahrhunderts«, der selbsternannte »Seismograph« politischer Erdbeben und Verwerfungen, beklagte sich nach 1945 über sein zeitweiliges Veröffentlichungsverbot unter den Besatzungsmächten und fand, man könne »die Barometer nicht für die Taifune büßen lassen, falls man nicht zu den Primitiven zählen will.« Sollen wir unseren Jünger ernstnehmen als harmlosen Barometer, als Nur-noch-Seismographen und Angehörigen jener Wahrnehmungselite, zu der neben ihm auch sein Bruder Friedrich Georg stieß, nachdem Herr Hitler gesiegt hatte? Wir nehmen ihn nicht ernst – und sind mit Armin Mohler in dieser Frage in guter Gesellschaft: Auch diesem war der Weg vom Abenteuerlichen Herzen, der Totalen Mobilmachung und dem grandiosen Essay Über den Schmerz bis dorthin, wo auf den Nachtschränkchen älterer Damen die Tagebuchsammlung Siebzig verwest steht, zwar nicht zu weit, aber in seiner nachgereichten Glättung nicht unbedingt nachvollziehbar.
Die Strahlkraft gerade Ernst Jüngers liegt für bestimmte Leser eben nicht darin, daß er zum Deuter gewisser Wellengänge, erdumspannender Prozesse und zum Sänger des Weltstaats wurde. Er war nicht immer so zahm, so reiner Beobachter, Fieberkurven aufzeichnend, Druckgebiete registrierend. Er war vielmehr mittendrin in der geistigen Mobilmachung der Zwischenkriegszeit, war mit seinen nationalrevolutionären Texten einer ihrer Wortführer und stellte sein publizistisches Können ausdrücklich in den Dienst eines neuen Deutschlands, einer Revanche. »Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt, und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein«, schrieb Jünger und wurde konkret: »Es wird nicht protestiert in Vortragsreihen, sondern sehr sachlich und nüchtern mit Handgranaten und Maschinengewehren auf dem Straßenpflaster.«
Handlungsanweisungen sind das, Befehlsausgaben, Aufforderungen zur Aktion. Im Nationalsozialismus sah Jünger einen Ast, der parallel zu dem von ihm propagierten »Neuen Nationalismus« oder »Frontnationalismus« wuchs und dessen politischen Arm bildete, mit Zugriff auf die Arbeiterschaft. Es ist bezeichnend, daß er die nationalsozialistische Bewegung ab etwa 1929 nicht deswegen kritisierte, weil sie ihm zu radikal geworden wäre, sondern, weil er in Hitlers Legalitätskurs die »Reinheit der Mittel« beschmutzt sah.
Das sind natürlich Fundstücke der extremen Sorte. Man kann auch lesen, was Arthur Moeller van den Bruck über einen Dritten Weg, ein Drittes Reich zu sagen hatte, was Edgar Julius Jung über die Herrschaft der Minderwertigen oder Carl Schmitt über die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus: Daß das Wort »konservativ« zum Attribut des Begriffs »Revolution« wurde, zeigt, wie sehr diese Autoritäten und Begriffsschöpfer zwar auf den Ordnungsgedanken hin orientiert waren: Revolution wurde nicht als Experiment gedacht, nicht als übernationales Wunschbild, sondern als notwendiger Durchgang hin zu Formen, Ordnungen, Institutionen, deren Erhaltung sich lohnen würde. Eine permanente Revolution im Sinne linker Wege hin zum neuen Menschen stand nicht zur Debatte – aber eine konservative Revolution: Das sollte und mußte schon sein.
Man vergleiche den Ton von damals mit dem, der in den mittlerweile vierundvierzig Ausgaben der Sezession angeschlagen wird: Hier wälzt sich die Redaktion schlaflos, bevor eine Behauptung Nietzsches den Schluß eines Artikels zieren darf: »Nur Barbaren können sich verteidigen.« Und die Feststellung, daß »der Feind schon diesseits der Mauern ist«, wird im Zweifelsfall metaphorisch und nicht ganz und gar plastisch-handfest übersetzt. Texte, etwa über eine Schlägerei mit einem Türken (ein Erinnerungsstück aus dem Jahre 1992, das für das »Islam«-Heft geplant war), bleiben in der Schublade. Alles ist am Ende angelegt auf Einspeisung in die große, intellektuelle Debatte – mit erkennbarer Marschrichtung zwar, aber es marschieren letztendlich doch nur die Gedanken, die wiederum zum Denken auffordern – und nicht zur Aktion, und sei sie auch nur symbolisch. Von der frühen Jünger-Zeit scheint uns jedenfalls eine Kulturschwelle zu trennen.
Eine Woche, nachdem das Sezession-Themenheft »Islam« die Abonnenten erreicht hatte, ging des Nachts ein Fax ein – darauf mit Schreibmaschine geschrieben der Leserbrief eines »langjährigen Abonnenten« (so die Unterschrift). In Ermangelung eines persönlicheren Absenders konnten wir ihn nicht fragen, ob er mit dem Ausdruck seiner Zeilen einverstanden sei. Daß es nun ohne Einwilligung geschieht, ist der Preis für den verständlichen, aber auch einfachen Weg der Anonymität. Der Leser schrieb (und die Orthographie ist unverändert wiedergegeben):
als das alte europa von barbarenhorden zunehmend gestürmt wurde und sich sein ende abzuzeichnen begann, brachten seine letzten verteidiger schriftreihen auf den markt, in denen höchst feinsinnig raisonniert wurde über die frage, ob es eine phänotypische affinität gäbe zwischen engeln muslimischer herkunft und denen christlicher. in der folgenden denk-pause stand man just bei prosecco und schweinsbraten plaudernd beisammen, als ein krummsäbelschwingender, aufgeregt schreiender sohn mohammeds in der tür erschien. die versammelten suchten flugs deckung hinter tischen und stühlen. in den darauf folgenden tagen berichteten die journale noch weniger als zuvor von den formen des widerstands in der zitadelle des denkens. als die grüne fahne des propheten auch von deren zinnen wehte, tauchte noch einmal ein – diesmal anonymes – pamphlet auf, das die heraldische bedeutung dieser farbe mit jenen verglich, die man bisher hätte hissen können.
Auch so wird man also wahrgenommen: Als Korinthenkacker, intellektuell, sprachlich abgehoben, zerebral ausdifferenziert, ebenso ausdifferenziert wie wehrlos, ebenso wehrlos wie wirkungslos, ebenso wirkungslos wie selbstgefällig, und noch im Untergang deutungsmächtig und dem Nebensächlichsten zugewandt, kurzum: in der geistigen Parallelwirklichkeit so sehr zuhause, daß man weder die Einschläge näherkommen hört, noch nach dem Verlust der Festung endlich die Klappe hält.
Warum hat der »langjährige Abonnent« nicht wenigstens gekündigt? Unter »irrelevant« einsortiert zu werden ist schlimm, aber irrelevant zu sein und dennoch gelesen zu werden, ist nur schwer zu ertragen. Warum hält einer sein Abonnement, wenn er solche Briefe schreiben muß? Aus Mitleid? Weil er die Schnittchen-Dialoge nicht verpassen will? Weil ihn sonst nichts erheitert? Oder weil unsere Sprache unserer Lage so ganz und gar angemessen ist? So jedenfalls würde es Karlheinz Weißmann sagen und sich solcher Kritik gegenüber völlig unberührt zeigen.
Mir gelingt das nicht leicht, mich frißt das an, es gibt da eine Saite, die man nicht angeschlagen haben möchte, die man vom Instrument abgespannt wähnte: Aber sie ist noch da und will klingen: Man will doch gefährlich sein, dynamisch, fähig zur Revolte; man will nicht in einem »geheimen Deutschland« sich sein Häuschen des Seins bauen und in einem »Inneren Reich« den Kaiser suchen und über die konservativen Sterne auf dem walk of fame tänzeln; man will sich nicht auf hohem Niveau verkrümeln und den Dialog derer führen, die noch lesen können. Und dann schaue ich nach und kann im Ordner mit den Rezensionen über unsere Zeitschrift leider keine Besprechung entdecken, in der etwa stünde, es stecke »etwas von der Skrupellosigkeit schlimmsten Machiavellismus« darin, oder: »Für diese Leute ist immer Krieg, auch wenn sie Bücher machen.« So urteilte indes die Neue Leipziger Zeitung im Oktober 1931 über den Fotoband Das Gesicht der Demokratie, den Edmund Schultz herausgegeben und mit einem Vorwort von Friedrich Georg Jünger versehen hatte. Das Faszinierende an diesem Band sind seine Modernität (Bildmontage, suggestiver Einsatz von Bild und Text), der geradezu lässige Angriffsgeist seiner Autoren und nicht zuletzt der humorig-ätzende Stil, gezielt als direkte Antwort auf den kurz zuvor von Kurt Tucholsky veröffentlichten Bildband von links: Deutschland, Deutschland über alles.
Ernst Jüngers Publizistik, Friedrich Georg Jüngers Beteiligung an der »dezidiert politisch ausgerichteten aktivistischen Photographie« Edmund Schultzes – zwei radikale, weil nationalrevolutionäre Beispiele aus einem Fundus intensiver Momente der Konservativen Revolution. Intensives, gebündeltes Licht strahlt auch von dort aus, wo sich bei Ernst Rowohlt neben Bertolt Brecht, Walter Benjamin und anderen linken Intellektuellen ganz selbstverständlich die Brüder Jünger, Ernst von Salomon, Otto Strasser, Hans Zehrer einfinden konnten: Sie waren interessant genug, sie hatten etwas zu sagen, man mußte sie als Verleger im Auge behalten – vor allem dann, wenn man in Gesprächsrunden nicht – wie heute allerorten üblich – den Gleichklang, sondern die »pyrotechnische Mischung« (Ernst Jünger) hochschätzte.
Und wie unter einem Brennglas verdichten sich Vorstellungen der Jungkonservativen dort, wo General Kurt von Schleicher in den letzten Monaten der Weimarer Republik eine Querfront gegen den Nationalsozialismus zu bilden und den Block um die Brüder Strasser herauszubrechen sich bemühte und dabei von Carl Schmitt juristischen, von Edgar Julius Jung politischen und von Johannes Popitz strategischen Nektar sogen. Jung bezahlte schon 1934 mit seinem Leben für seinen Widerstand, der preußische Spitzenbeamte Popitz im großen Aufräumen nach Stauffenberg, zu dessen weiterem Umfeld er gehört hatte. Auch in deren beider Biographie: Intensität, Konsequenz, und Rücksichtslosigkeit vor allem sich selbst gegenüber, weil wohl etwas größer, wichtiger war als das Ich.
Woher rühren also unsere Vorsicht, unsere Zaghaftigkeit? Schreckt am Ende doch die Tatsache, daß es – gegen alle offiziellen Behauptungen – heute in Deutschland für den einzelnen und ganze Gruppen gefährlich ist, eine radikale Meinung zu formulieren? Auch in der BRD des Jahres 2011 gibt es politische Justiz, gibt es Gefängnisstrafen für Meinungsdelikte, und wo nicht Arrest, dort die Verfolgung und die Denunziation bis ins Private hinein, die soziale Ächtung. In Naumburg, Weimar, Frankfurt, Heidelberg, Gießen, Göttingen und Potsdam wurden unsere Lesungen über die Wirkung Sarrazins von verängstigten Buchhändlern abgesagt, die um ihre Fensterscheiben und um ihren normalen Geschäftsalltag bangten. Und ab und an fragt ein Neuabonnent der Sezession, ob er bedenkenlos sich sechsmal im Jahr das Heft nach Hause liefern lassen könne oder ob uns nicht Fälle von Übergriffen auf Leser bekannt seien und der Arbeitsplatz in Gefahr gerate. Ich habe keine Kenntnis von solch schlimmen Konsequenzen für Abonnenten, solche Sorgen sind ja ganz albern. Aber jedesmal finde ich die Frage bezeichnend in der Hinsicht, daß der zukünftige Leser solche Verfolgungen in unserem Land überhaupt für möglich hält.
Warum macht uns dieses miefige Klima nicht rebellisch? Auch wir Deutschen hätten alles Recht, uns in der Verteidigung des Eigenen zu üben und einzurichten, aus anderen, aber ebenso guten Gründen wie die Jüngers, Moeller van den Brucks, Jungs, Stapels, Schmitts oder Niekischs vor 80 Jahren, und es würde heute tatsächlich nur noch um die Verteidigung gehen – im Gegensatz zu damals. Denn man muß sich vor Augen führen, daß zwischen den Weltkriegen Deutschlands Existenz im Kern nicht bedroht war. Die Nation sah sich durch die Niederlage von 1918 um ihre herausragende Rolle als Weltmacht besonderen Zuschnitts gebracht, sie sah sich einiger Provinzen beraubt, unter eine Art internationaler Aufsicht gestellt und völkerrechtlich inakzeptabel behandelt. Im Innern experimentierte Deutschland mit einer Regierungsform, die nationalen Kreisen als eine den Deutschen nicht gemäße galt. Im Kern aber war Deutschland nicht angegriffen, war nicht widerlegt, war imstande zu einer Revision, einer Revanche, einem zweiten Anlauf. Es strotzte, auch in seiner Bevölkerungsentwicklung, vor Kraft und sah die unterschiedlichsten Lager einig in der Meinung, daß das Deutsche in der Welt noch nicht angemessen zur Geltung gebracht worden sei und daß man aufgerufen sei, diese Besonderheit im Staat selbst und nach außen innerhalb seiner Einflußsphäre durchzusetzen.
Wir sind heute als Rechte oder Konservative aus historischen und anderen Gründen meilenweit von solchem Selbstbewußtsein entfernt und müssen froh sein, wenn es für die Verteidigung des Eigenen noch reicht. Aber schon angesichts dieser nicht mehr ausgreifenden, sondern nur noch sichernden Aufgabe haben wir als Deutsche zu konstatieren, daß wir 1. nicht mehr wissen, was das Deutsche eigentlich noch sein könnte, 2. allenfalls zurückhaltende, gebrochene Selbstbilder zeichnen, 3. den Weg aller weißen Nationen hin zur Utopie multikultureller Gesellschaften nicht aufhalten konnten, 4. gar nicht sagen können, wohinein sich ein Fremder integrieren sollte, 5. Stück für Stück unser Land, unsere Souveränität, unsere selbstbestimmte Zukunft in fremde Hände übergehen sehen, 6. wenn es hochkommt, von einer Adenauerzeit träumen, 7. als Vision den freien Austausch der Meinungen fordern oder die Teilhabe an der Politik formulieren, 8. damit noch nicht einmal an die radikale Rhetorik von 68 anschließen, 9. uns auf unsere zivilisierte Vernunft und unsere Scheu vor allem wahrhaft Antibürgerlichen etwas einbilden und 10. aus diesem Grund als Konservative, als Rechte keine zweite Konservative Revolution zu bilden imstande sind – wenn wir es überhaupt noch wollten.
Die erste KR strahlt in ihrer kurzen, reichen Blüte bis heute aus, weil ihr Personal in seinen Haupt- und Nebenrollen durchgespielt hat, was an innerer und äußerer Mobilmachung, totaler Mobilmachung für eine kommende Auseinandersetzung möglich und notwendig war. Aus diesem Grund dachte und schriebe ein Ernst Jünger erregend ungezähmt und grell ausgeleuchtet. Auf unserem Papier aber liegt ein Schatten. Warum das so ist, weiß ich manchmal. Manchmal auch nicht.