Lebensreform und Politik

pdf der Druckfassung aus Sezession 44 / Oktober 2011

Wenn man das Schlagwort von der »Konservativen Revolution« auf seinen eigentlichen Gehalt zurückführt,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

bedeu­tet es nichts ande­res, als daß man das, was man bewah­ren will, erst durch eine Umwäl­zung der Ver­hält­nis­se schaf­fen muß. Hugo von Hof­manns­thal bezeich­net des­halb in sei­ner berühm­ten Rede Das Schrift­tum als geis­ti­ger Raum der Nati­on »eine neue deut­sche Wirk­lich­keit, an der die gan­ze Nati­on teil­neh­men kön­ne«, als das Ziel der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on. Er bet­tet die­sen Pro­zeß nicht nur in die Gegen­be­we­gung zu 1789 und zur Roman­tik ein, son­dern sieht ihn auch gegen die Renais­sance und Refor­ma­ti­on gerich­tet. Was im ers­ten Moment frag­wür­dig klingt, klärt sich, wenn man die­se his­to­ri­schen Phä­no­me­ne unter dem Aspekt der Spal­tung betrach­tet: in Volk und Eli­te, in Luthe­ra­ner und Katho­li­ken, wobei ins­be­son­de­re die­se Spal­tung eine schwe­re Bür­de für die deut­sche Nati­on darstellte.

Hof­manns­thal geht es um die Syn­the­se: »daß der Geist Leben wird und Leben Geist, mit ande­ren Wor­ten: zu der poli­ti­schen Erfas­sung des Geis­ti­gen und der geis­ti­gen des Poli­ti­schen, zu einer wah­ren Nati­on«. Hier schim­mert die alte Fra­ge »Was ist deutsch?« oder »Was ist des Deut­schen Vater­land?« durch. Gleich­zei­tig wird aber auch der unge­heu­re Anspruch an die­se »inne­re Gegen­be­we­gung« deut­lich. Letzt­lich geht es um nichts weni­ger als die (Wieder-)Herstellung einer völ­ki­schen Ein­stim­mig­keit auf geis­ti­ger Grund­la­ge, den alten Traum von der frag­lo­sen Einig­keit, von der einen Mit­te und der Auf­he­bung der Gegen­sät­ze im Gemeinwesen.

Wenn man die­sen Anspruch mit den Schrif­ten der gemein­hin unter dem Begriff der KR zusam­men­ge­faß­ten Autoren abgleicht, wird man zunächst kaum Ent­spre­chun­gen fin­den. Bei den Köp­fen, die aus der Mas­se her­aus­ra­gen, fin­den wir, etwas zuge­spitzt, den skep­ti­schen Blick auf eine End­zeit (Speng­ler), die Pose des Kamp­fes um des Kamp­fes wil­len (der frü­he Ernst Jün­ger) und die katho­li­sche Kir­che als Insti­tu­ti­on des Kon­ser­va­ti­ven (Carl Schmitt). Am ehes­ten wird der Anspruch von Hof­manns­thal noch in den Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen von Tho­mas Mann ein­ge­löst, der die Demo­kra­tie nicht zuletzt des­halb ablehnt, weil sie Unfrie­den stif­te und Gemein­schaft zer­stö­re. Aller­dings spricht er noch nicht von Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­ti­on, son­dern von einer Reform: »Kon­ser­va­tiv sein heißt nicht, alles Bestehen­de erhal­ten zu wol­len: die Kon­ser­va­ti­ven beteu­ern ihre Bereit­wil­lig­keit zu Refor­men. Kon­ser­va­tiv sein heißt: Deutsch­land den­noch deutsch erhal­ten zu wol­len …«. Die­sen Gedan­ken hat dann Moel­ler van den Bruck in sei­nem Drit­ten Reich auf­ge­nom­men und letzt­end­lich in die Revo­lu­ti­on gewen­det. Er spricht aber auch von der »drit­ten Par­tei«, die zwar die Par­tei aller Deut­schen sein soll, ja aber den­noch »Par­tei« und nicht Reich oder Staat ist.

Der Anspruch bei Mann, Moel­ler van den Bruck und Hofmanns¬thal ist den­noch ähn­lich: Die Syn­the­se, der drit­te Weg, die Kul­tur sol­le die Grund­la­ge des Erhal­tens­wer­ten bil­den. Kei­ner meint damit eine Restau­ra­ti­on der Vor­kriegs­ver­hält­nis­se. Daß nicht mehr von Reform gere­det wird, liegt an den Zeit­be­din­gun­gen. Der sicht­bars­te Aus­druck der Zer­ris­sen­heit war die Revo­lu­ti­on von 1918, die eine Nati­on, die vier Jah­re lang wei­test­ge­hend ein­träch­tig gegen den Rest der Welt gekämpft hat­te, in den Bür­ger­krieg führ­te. Gegen eine Revo­lu­ti­on aber, so die Über­le­gung, kom­me man nicht mit einer Reform an.

Die­ser Gedan­ke ist an die Per­spek­ti­ve gebun­den, aus der die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on nach 1918 beschwo­ren wird. Im Gegen­satz zu ande­ren kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­nä­ren, sei­en es Augus­tus oder der Reichs­frei­herr vom Stein, sitzt man nicht an den Hebeln der Macht. Man ist in der Rol­le des Unter­le­ge­nen, der mit anse­hen muß, wie die­je­ni­gen, die herr­schen, alles zer­stö­ren, wor­an man sel­ber glaubt. Daß man zu einem Umsturz auf­ru­fen muß, um das Gan­ze zu ret­ten, ist unge­wohnt, da man sich natür­li­cher­wei­se der Eli­te zuge­hö­rig fühlt, die aber durch Schwä­che oder Unge­rech­tig­keit kei­ne Ent­fal­tungs­mög­lich­keit bekommt. Im Hin­ter­grund steht das Zeit­al­ter der Mas­sen, das kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen in die Oppo­si­ti­on zwingt und ihr schein­bar nur den revo­lu­tio­nä­ren Weg offenläßt.

Hof­manns­thal zieht die Linie zu den Vor­fah­ren der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, zur Roman­tik und ihren Aus­läu­fern, und sieht dar­in eine unheil­vol­le Tra­di­ti­on, die jedoch durch das 19. Jahr­hun­dert ein ganz ande­res Gesicht bekom­men habe. Es gehe den »Suchen­den« nicht mehr dar­um, dem Leben zu ent­flie­hen, son­dern dar­um, den Raum des Lebens zu sichern. Den­noch: Alle Pro­zes­se, die sich im 20. Jahr­hun­dert ent­fal­ten, sind im 19. Jahr­hun­dert ange­legt. Das beginnt mit dem Ein­heits­stre­ben in den Befrei­ungs­krie­gen und hört bei Nietz­sche auf. Wie sehr man sich bereits damals, nach Nietz­sche, als Epi­go­ne fühl­te, bringt Gott­fried Benn zum Aus­druck, wenn er schreibt: »Eigent­lich hat alles, was mei­ne Gene­ra­ti­on dis­ku­tier­te, inner­lich sich aus­ein­an­der­dach­te, man kann sagen: erlitt, man kann sagen: breit­trat – alles das hat­te sich bereits bei Nietz­sche aus­ge­spro­chen und erschöpft, defi­ni­ti­ve For­mu­lie­rung gefun­den, alles Wei­te­re war Exege­se.« Die­se Bezie­hung hat auch der Rezep­ti­on der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, wenn deren Prot­ago­nis­ten im Schnitt auch etwas jün­ger als Benn waren, enge Gren­zen gesetzt.

So unbe­grün­det es im ers­ten Moment klingt, so hat sich doch im Wil­hel­mi­ni­schen Kai­ser­reich, einem der bes­ten Staa­ten, die es auf gesamt­deut­schem Boden gege­ben hat, bereits der Spalt auf­ge­tan, den Hof­manns­thal und all die ande­ren nach 1918 wie­der schlie­ßen woll­ten. Nietz­sche hat es bereits in den Unzeit­ge­mä­ßen Betrach­tun­gen auf den Punkt gebracht, wenn er schreibt, daß die­se Kul­tur es ver­lernt habe, zwi­schen echt und unecht, zwi­schen tot und leben­dig zu unter­schei­den und »ihr der gesun­de, männ­li­che Instinkt für das Wirk­li­che und Rech­te ver­lo­ren­ge­gan­gen« sei. Georg Sim­mel hat das unter den Begriff der »Tra­gö­die der Kul­tur« gefaßt, die dar­in bestehe, daß die ver­nich­ten­den Kräf­te aus dem zu ver­nich­ten­den Wesen selbst kämen. Die Kul­tur, das selb­stän­di­ge Objek­ti­ve, in dem der Geist das Sub­jekt zu sich selbst hin­füh­ren will, braucht die Sub­jek­te für sich selbst und per­ver­tiert auf die­se Wei­se die Sub­jekt-Objekt-Syn­the­se. Nietz­sche wur­de als Zeu­ge die­ses Pro­zes­ses ver­stan­den, der schließ­lich der kal­ten Phi­lo­so­phie der Abs­trak­ti­on, die mit dem Leben nichts mehr gemein hat­te, zum Opfer fiel.

Aus die­sem Wider­spruch resul­tier­te aber auch früh­zei­tig, seit der Grün­der­zeit, die soge­nann­te Lebens­re­form­be­we­gung, die man damit zu den unmit­tel­ba­ren Vor­läu­fern der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on zäh­len muß. All die Grup­pen und Gedan­ken der KR sind nicht plötz­lich 1918 dage­we­sen, son­dern wur­den ange­legt in der Mischung aus Kul­tur­kri­tik und Lebens­re­form, von der die letz­ten Vor­kriegs­jahr­zehn­te geprägt waren. Aus der bun­ten Palet­te der Lebens­re­form­be­we­gung, die vom Vege­ta­ris­mus bis zum Pazi­fis­mus, von der Euge­nik bis zur Jugend­be­we­gung reicht, las­sen sich daher gemein­sa­me Ein­sich­ten destil­lie­ren. An ers­ter Stel­le steht dabei die Erkennt­nis, daß aus der Höher­ent­wick­lung der tech­ni­schen Kul­tur nichts der­glei­chen für die Sub­jek­te fol­gen muß, son­dern daß sie sich dem Fort­schritt zuneh­mend unter­wer­fen müs­sen und die Frei­räu­me klei­ner wer­den. Dar­aus folgt die inner­li­che Los­sa­gung des ein­zel­nen, die unbe­wußt von der Ein­sicht getra­gen ist, daß sich auch die fest­ge­füg­tes­te Ord­nung irgend­wann ein­mal erschöpft haben wird. Es bedarf daher neu­er Bindungen.

Ein Glücks­fall der Lebens­re­form­be­we­gung war, daß sie sich in einem Staat ent­fal­te­te, der poli­tik­freie Räu­me aner­kann­te und damit die Mög­lich­keit eröff­ne­te, gesell­schaft­li­che Wir­kun­gen zu ent­fal­ten, ohne par­tei­po­li­tisch gebun­den zu sein oder sich ent­spre­chend zu beken­nen. Das meis­te spiel­te sich in die­sen Schutz­räu­men ab. Der namens­ge­ben­de Begriff des Lebens wur­de zum Maß­stab, der an die Her­vor­brin­gun­gen von Wis­sen­schaft und Lite­ra­tur anzu­le­gen war. Beson­ders in ihm kommt die Bedeu­tung des 19. Jahr­hun­derts für die geis­ti­ge Syn­the­se, die Hof­manns­thal anspricht, zum Aus­druck. Ernst Jün­ger hat in die­sem Sin­ne nicht die Bestre­bun­gen der Wis­sen­schaft, das Leben zu erklä­ren, als den wesent­li­chen Zug die­ser Zeit aus­ge­macht, son­dern das Spie­gel­bild die­ses Pro­zes­ses: »das Leben, vor­drin­gend in den wis­sen­schaft­li­chen Raum, um sich mit dem Geschrei der Märk­te, dem Haß der Bluts­ge­mein­schaf­ten und dem Toben der poli­ti­schen Kämp­fe in ihm anzu­sie­deln«. Auch das ent­fal­te­te sich erst end­gül­tig nach dem Zusam­men­bruch von 1918.

Damit hat­te sich die beschau­li­che Welt der Lebens­re­form erle­digt, weil ab jetzt alles poli­tisch war. Das Erbe der Lebens­re­form konn­te auf die­se Art nicht ange­tre­ten wer­den, da man es sich mit ande­ren poli­ti­schen Strö­mun­gen tei­len muß­te. Vie­les von dem, was damals dem Leben die­nen woll­te, wur­de dadurch zu einer »ver­kapp­ten Reli­gi­on«, die vor­gab, die gan­ze Welt aus einem bestimm­ten Punkt hei­len zu kön­nen. Die KR war vor die­ser Gefahr nicht gefeit, vie­le Ver­stie­gen­hei­ten, ihre Ste­ri­li­tät und Lebens­fremd­heit haben hier ihren Ursprung. Im Grun­de war die KR aber, von etli­chen Ver­bal­ra­di­ka­lis­men abge­se­hen, eher auf eine Reform als eine Revo­lu­ti­on aus. Zwar bringt sie eine gewis­se Unver­söhn­lich­keit dem Sys­tem gegen­über zum Aus­druck, doch spielt sich die­se eben nicht auf der Stra­ße, son­dern in den Zeit­schrif­ten und Büchern ab. Zu bei­dem, zur Reform als auch zur Revo­lu­ti­on, fehl­ten ihr die Mit­tel: zur Reform die Macht (wenn man von der kur­zen Pha­se der aus­sichts­lo­sen Prä­si­di­al­ka­bi­net­te absieht), zur Revo­lu­ti­on die Mas­sen. Wel­chen Weg man indes nicht gehen woll­te, war gera­de der von Hof­manns­thal vor­ge­schla­ge­ne: die Nati­on vom Grund auf­bau­end, jeder ein­zel­ne bei sich anfan­gend, um sowohl dem Geist als auch dem Leben gerecht zu werden.

Damit hat sich die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on – unab­hän­gig der Ver­fol­gun­gen, die sie im Drit­ten Reich zu erlei­den hat­te, und unab­hän­gig der Ver­däch­ti­gun­gen, denen sie bis heu­te aus­ge­setzt ist – auch selbst der Mög­lich­keit beraubt, das ver­bin­den­de Glied zwi­schen Lebens­re­form und Kom­mu­ni­ta­ris­mus zu sein, was sie in der Rede Hof­mannst­hals durch­aus war. Wenn man die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on auf die­sen Kern zurück­führt, bleibt zumin­dest ihr gro­ßer Anspruch bestehen. Es ging ihr nicht um ent­we­der Revo­lu­ti­on oder Erhal­tung und auch nicht um einen fau­len Kom­pro­miß aus bei­dem. Es ging ihr um ein Sowohl-Als-auch, sowohl um Revo­lu­ti­on als auch um Bewah­rung. Die Ent­schei­dung dar­über, was es umzu­stür­zen und was es zu bewah­ren gilt, muß immer wie­der neu getrof­fen werden.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.