Bei allem, was Christen mit dieser „Frohen Botschaft“ verbinden, dürfte sich leider in keiner Zeit des christlichen Jahreskreises so extrem zeigen, wie weit die Säkularisierung durch offensiv-aggressiven Ökonomismus und Konsumismus vorgedrungen ist. Immer wieder phänomenal, mit welcher Brachialgewalt der „Wachstumsfaktor Weihnachten“ seine Regentschaft beginnt, spätestens wenn der vielleicht einzige echt kontemplative Monat des Jahres, der ungeliebte, aber ruhige November, vorbei ist.
Unmittelbar nach dem noch still verstreichenden Totensonntag gibt es keine Pietätsfrist mehr, und es beginnt die Materialschlacht der Werbung. Die Erwartung des Lichterfestes wird mit Scheinwerferstärke und Dauerilluminationen hochgefahren und dabei ein Freßfest gehalten, das den bereits übermäßigen Durchschnittsverbrauch des Jahres noch toppt.
„Der Fetischcharakter der Waren und sein Geheimnis“, diese von Marx so treffend wie süffisant gewählte Kapitelüberschrift im ersten Band des „Kapital“, gäbe mit Blick auf die gegenwärtigen Weihnachtsgewohnheiten einen stimmigen Slogan her und könnte ehrlicherweise über den Shopping-Malls und Weihnachtsmärkten aufleuchten. Keine Frage, was Jesus dazu sagen würde; aber in Abwandlung des in Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ auftretenden Großinquisitors, der keine andere Wahl zu haben meint, als den Messias als Störer zu verhaften, träte dem Erlöser heute vermutlich der „Verband des Einzelhandels“ entgegen, um indigniert vorzurechnen, wie unverantwortlich die christliche Botschaft das Geschäft gefährden würde. Man kann das auf seiner Website sogar unmittelbar einsehen.
Was mag sich zudem ein redlicher Pfarrer oder Pastor denken, wenn er nach einem Jahr Predigt vor schwindender Gemeinde zum Heiligabend erleben muß, wie sein Gottesdienst von Massen geflutet wird, die sich die Kirche wie eine kunstgewerbliche Kulisse ausborgen, nur weil das einmal im Jahr eine ominöse Sentimentalität bedient und man sogar meint, ein solcher Besuch wäre ein sehr christlicher Akt. – Ich bewundere die Geistlichen, daß sie in diesem Moment an sich halten und die Liturgie erfüllen, anstatt in der Wortpredigt dem einmal im Jahr schier überfüllten Kirchenschiff so richtig die Leviten zu lesen und klarzumachen, womit das Neue Testament nun überhaupt nicht vereinbar ist.
Eine sogenannte Elite-Schule, an der ich arbeitete, fand es alljährlich angezeigt, ihr großes Weihnachtsfest in einer pittoresken mecklenburgischen Dorfkirche des Nachbardorfes zu feiern, in einem frühgotischen Feldsteinbau, so klein wie hüllend, aber, abgesehen von ein paar alten Leuten, kaum noch über eine christliche Gemeinde verfügend und versorgt von einem Pfarrer, der in Ergebnis kirchlichen Stellenabbaus neben dieser noch in einer Menge anderer einsamer Kirchlein zu predigen hatte. (In der atheistischen DDR waren die Sprengel übrigens kleiner, und es gab weit mehr Kirchendörfer mit angestammtem Pfarrer und Pfarrhaus.)
Diese fast vergessene Dorfkirche wurde anläßlich der Adventsfeier von den Technikern der Schule mit Heißlüftern stundenlang warmgebullert, bevor unterm Lichterkranz eine respektable Show der musizierenden, singenden und vortragenden Talente begann. Pünktlich wurde abgerückt, einen Seeweg entlang zurück ins Internat, wo eines der schrill-pubertären „Happy-Xmas-Events“ losbrach, mit blinkenden Nikolausmützen, sehr freizügig gekleideten Weihnachtsengeln und XXXL-Bonbonnièren für die Kleinen. Dazu eine als Comedy gestaltete Bescherung, die Lehrer und Schüler ironisch vorführte, insgesamt also der übliche Klamauk mit Übertragungsleinwand in jeden Mensaraum, wo schon wegen der donnernden Baßverstärker an Weihnachten überhaupt nicht zu denken war.
Das Kirchlein auf der anderen Seite des Sees fiel indessen in die Dunkelheit und hatte wieder ein Jahr Ruhe, bevor es abermals überrannt wurde, um die Staffage für ein Weihnachts-Entertainment abzugeben. Aber wenn einem all das nur peinlich ist, dann bleibt eine mittelbar sehr christliche Reaktion: die Umkehr. Umkehr ist meist entschlossene Abkehr.
Antihunkebunk
Nicht "toppt": übertrifft!