»Konservatismus hat die Ewigkeit für sich.« (Moeller van den Bruck) Das heißt, weniger pathetisch, der Konservative hat einen strengen Sinn für das Gründende im Leben (des Menschen), das nicht selber »wiederum bloß als Vollzugsform oder Facette dieses Lebens zu beschreiben ist« (Dieter Henrich).
Hier soll nun auf drei geistesgeschichtliche Konstellationen verwiesen werden, die das Gründende für konservatives Denken in Deutschland ausmachen:
I. Die Reichsidee, die, in den Worten von Ernst Jünger, »weniger an ein nationales Erwachen als an das Einschmelzen der Grenzen« denken läßt. Das literarisch-spirituelle Projekt des Geheimen Deutschland (Stefan George) ist prototypisch für konservatives Denken.
II. Die Idee der Freiheit, die aus lutherischer Bestimmung des Zugleichseins von Freiheit und Pflicht folgt: »Eyn Christen mensch ist eyn freyer herz / über alle ding / und niemandt unterthan«, und »Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan.«
III. Die Idee der Antipolitik, so wie sie in jenem politischen Säkulum zwischen Friedrich Nietzsche – »was gross ist im Sinn der Cultur war unpolitisch, selbst antipolitisch« – und Gottfried Benn gerade in Deutschland als unzeitgemäße Idee freien Denkens entworfen wurde.
I.
Als Ernst Jünger die Nachricht vom Fall der Berliner Mauer erhielt, schrieb er in sein Tagebuch: »Daß es einmal zur Wiedervereinigung kommen würde, habe ich nie bezweifelt … Dabei habe ich weniger an ein nationales Erwachen als an das Einschmelzen der Grenzen … gedacht.«
Diese Überlegung Jüngers führt uns ins Zentrum dessen, was ich Deutschlands Beruf nennen möchte. Nämlich jenes Verhältnis von Nationalem und Transnationalem denkerisch und politisch auszubalancieren, eine (vielleicht antipolitische) Form dafür konstruieren zu müssen. Nicht entweder auf das eine oder das andere zu setzen, wovon die deutsche Geschichte schmerzlich zeugt. – Jüngers langer Denkweg selber, durchs 20. Jahrhundert, ist der exemplarische Fall, wie man vom existentiellen Gegeneinander des Einen und Anderen, und des Sich-in-die-Schanze-Schlagen für das Eine gegen das Andere, zu einer Synthese beider, d. h. zu einem »Dritten« denkerisch kommen kann. Das kann dann auch zunächst, wie eben beim Jünger-Freundeskreis, zu Konstellationen des Transpolitischen und Antipolitischen führen. Etwas, das der frankophile Ernst Jünger in einer Begriffsassoziation von der literarischen Moderne her vielleicht Sur-Nationalism (und gerade nicht Internationalismus) genannt hätte.
Der deutsche Geist – sozusagen das L’Allemagne èternelle – stand immer in der (bisweilen auch tragisch selber unbegriffenen) Spannung nationaler Selbsttranszendenz. Wie unverstanden (und mißgedeutet) diese spirituelle Basis des »Deutschseins« gerade zwischen den Kriegen war, davon zeugt eine Erinnerung des polnischen PEN-Mitgliedes Jaroslaw Iwasz¬kiewicz, der in seinen Erinnerungen (1975) schreibt: »Der mystische Ghibellinismus, die Grundlage des deutschen Denkens und auch entscheidend für die neuere europäischer Geschichte, war für mich ein Buch mit sieben Siegeln.«
Das heißt: Der Geist des Konservativen in Deutschland wollte sich nie national-begrenzt verstehen, niemals regional (bzw. konfessionell) eingehegt als beispielsweise Christus der Nationen (wie Polen), oder als »Grand Nation« (wie Frankreich), weder als imperiales Commonwealth noch als ein auf sich selbst bezogenes Reich der Mitte.
1. Was in diesem Sinne Deutschlands Beruf genannt werden könnte, soll am poetischen Projekt des George-Kreises – idealtypisch für deutsches konservatives savoir-vivre – vom Geheimen Deutschland verdeutlicht werden. – Ein im besten Sinne metapolitisches Projekt, das übrigens ausdrücklich gegen alle »bigotte Kulturseligkeit der modernen Welt« gerichtet sei, wie es Robert Curtius einmal gesagt hat.
Die Idee vom Geheimen Deutschland begegnet uns exemplarisch in einer dramatischen deutschen Stunde, als tragischer Hoffnungsruf am Ende jenes »Gegenreichs«, das als »Drittes« wollte gelten können. Als Stauffenberg im Bendlerblock füsiliert wurde, da war, so die Legende, von ihm als sein letztes Wort zu hören: »Es lebe das Geheime Deutschland!«
Damit war ein Gedicht von Stefan George evoziert, das in einem seiner letzten Gedichtbände – Das Neue Reich (1928) – veröffentlicht wurde. Im Vers fünf heißt es:
»Da in den äußersten nöten
Sannen die Untern voll sorge
Holten die Himmlichen gnädig
Ihr lezt geheimnis …
sie wandten
Stoffes gesetze und schufen
Neuen raum in den raum …«
Die Entstehungsgeschichte jenes enigmatischen Textes ist immer noch unklar. Sie hängt aber mit Georges Weg der Dichtung überhaupt zusammen, der zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich um 1900, sich tatsächlich auch mit der politischen Situation der Zeit überkreuzt. Wenn sich George hier für den Ausdruck »geheim« entscheidet, dann eben als Gegenentwurf zu »öffentlich« oder »offiziell«. Das »geheime« Deutschland ist immer dem offiziellen, öffentlichen entgegengesetzt – und das war um 1900 für George das »zweite« Reich, das Bismarckreich. Bismarck war (wie George) ursprünglich Rheinländer, genauer: Rheinhesse, aufgewachsen in der Atmosphäre der süddeutschen Mittelstaaten, deren politische Vision – seit der 1848er Revolution – aber schon immer die großdeutsche Lösung für den sich auflösenden Deutschen Bund (von 1815) war. Dagegen nun stand dann aber der preußische Machtpolitiker Bismarck.
Kurzum: Man kann das Gedicht »Geheimes Deutschland«, wie es jetzt vorliegt, wie es entstanden ist in einer vermutlich langen Inkubationszeit, nicht verstehen ohne die Wendung, die George nach 1900 nimmt. Er hat noch 1902 ein Gedicht gegen Bismarck – »Der Preuße« – in einer Lesung im Salon Lepsius in Berlin vorgetragen, er hat dieses Bismarck-Gedicht immer bei sich getragen, bis zuletzt in Minusio, seinem Sterbeort am Luganer See. Da heißt es:
»In des ehrwürdig römischen kaisertumes
Sandgrube dieses reich gebaut, als mitte
Die kalte stadt von heer- und handelsknechten/
Und herold wurdest seelloser jahrzehnte
Von habgier feilem sinn und hohlem glanz?«
George hat diesen Text aber nie publiziert, obwohl es ein Zeitgedicht ist und in die Reihe der Zeitgedichte gepaßt hätte, mit denen Der siebente Ring (1907) eröffnet wird.
Mit dem geheimen Deutschland unterscheidet sich George ja gerade von aller Pauschalkritik am und des »Deutschen« schlechthin. Er würde niemals gegen »die Deutschen« klagen (wie noch Nietzsche), sondern immer nur gegen die, die – wirklich oder vermeintlich – ihre Zeit imperial repräsentieren oder sich national für repräsentativ halten. Gegen diese Deutschen und deren Deutschland hat George seine Kritik an den deutschen Verhältnissen ausgesprochen, währenddessen er der Auffassung war, daß die Deutschen ein zutiefst leidendes Volk in ihrer Geschichte gewesen seien. Das meint nicht nur die religiöse Spaltung, die auf deutschem Boden durch die Reformation entstand – »mönchezank« (Stefan George) – und die anschließenden provinzialisierenden Glaubenskriege. Auf diesem Wege ist den Deutschen dann jeglicher europäische Gedanke ausgetrieben worden, und um 1900 war sozusagen ein nationalpolitischer Höhepunkt in dieser Fehlentwicklung erreicht. Das preußisch-deutsche Reich, der mit Bismarcks Name verbundene Nationalstaat militärisch-industrieller Prägung wurde mit Attributen einer großen Vergangenheit geschmückt, die zum bloßen Reliquienkult verkamen. Was einmal geschichtliche Wahrheit war, das universelle Kaisertum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, geriet zur politischen Lebenslüge und zur »Auto-idolâtrie« im Sich-selber-Verstehen als Deutsche.
George wollte den Bismarckstaat im Namen eines »geheimen Deutschland« rekultivieren. Deutschland sollte wieder aus seiner Reichs¬idee heraus begreifbar werden, die alle auf seinem Geschichtsboden entstandenen Überlieferungen von Antike, Christentum und Humanismus bis hin zur Klassik in sich schloß. – Und er sah nun am Ausgang seines Lebens (1933) groteskerweise einen neuen Usurpator aufsteigen, der selber auch eine deutsche Fehlentwicklung beklagte und sich (in einem Brief an Artur Dinter, vom 25. Juli 1928) als Kämpfer für ein anderes Deutschland bekannte.
2. Man muß also genau zwischen dem anderen Deutschland und dem geheimen Deutschland unterscheiden.
Das »andere« ist der Gegenbegriff zum »geheimen« Deutschland. Das aber ist ein Schlüsselwort konservativer Bismarck-Opponenten, um das zur Sprache zu bringen, was durch den modernen Nationalstaat verschwiegen wurde: den europäischen Grundzug deutscher Vergangenheit, ein Verschiedenes von gleicher Art, das über die Jahrhunderte hinweg geistig identitätsstiftend wirkte. Das ist der Gedanke des Universalen, auf dem die Reihe der mittelalterlichen Kaiser aufbaute, die die Herrschaft nicht um der Herrschaft willen anstrebten, sondern die diese Herrschaft zu beglaubigen suchten durch die Kaiserkrönung in Rom. Das aber war keine historisierende Staffage, sondern die Idee, das Geistige und das Mächtige zu einer neuen Synthese zu bringen. Aus Rom kommt dann eben nicht bloß – wie im alten römischen Reich – ein neuer Cäsar, sondern ein neues Recht, dem die Idee der Gewaltenteilung innewohnt. Damit ist aber eine neue europäische Verfassungskultur befördert – und so ist aus dieser Reichsidee Deutschlands die Bedingung der Möglichkeit eines neuen Europa identifizierbar.
Das »andere« Deutschland ist später entstanden – inmitten des europäischen Bürgerkrieges. Bei dieser Zukunftsidee – gewissermaßen einer »Gegenzukunft« – überspringen ihre jeweiligen Wortführer sozusagen die geschichtliche Lebens- und Seelenlage und das Herkommen Deutschlands. Die linksextreme Seite versprach sich von der sozialen Revolution, daß Unterschiede unter Menschen und Völkern einmal vollständig verschwinden und eine natürliche Verbrüderung aller eintreten würde. Die extremistische Rechte wollte ebenfalls als »das Andere« diese natürliche Verbrüderung, allerdings für nur eine einzige Gruppe, das sogenannte »eigene« Volk erreichen.
Und so bleiben die – lange klammheimlich abgelehnte – Tat des George-Schülers Stauffenberg und dessen geistiger Hintergrund für uns hierbei ein tragisches wie hoffnungsvolles Symbol für das Hochhalten dieser europäischen Dimension im Deutschen. An diesem deutschen Wesen könnte die Welt genesen! … um das mißbrauchte Geibelwort von 1861 gegen seinen nationalistischen Strich zu bürsten.
II.
Luthers Freiheitstheologie macht für konservatives Denken eine entscheidende anthropologische Dimension deutlich, die das Kreuz, die das Passionsgeschehen für den (neuen) Menschen stiftet, nämlich, daß der auch eine ganz neue Denk- und Verkehrsform ausweist: Freiheit. Von allem Anfang an – »wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit« (2 Korinther 3,17) – bis in den Umkreis der kulturellen Geburt unserer Moderne im goethezeitlichen Deutschen Idealismus ist dieser Sachverhalt das philosophische Axiom, aus dem alles andere erst folgt: »Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes.«
Freiheit – und mit ihr das selbsttätige (personale) Individuum – gewährt natürlich niemals wieder die alte Bindungs- und Gefolgschaftskraft der vorösterlichen (Gruppen-)Gemeinschaftlichkeit. Dieser mit dem Freiheitsgewinn einhergehende Verlust ist also nicht erst der sogenannten Korruptibilität moderner, laizistischer, hedonistischer Gesellschaften geschuldet, sondern eben: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Galater 5,1). Freiheit ist also keine Hoffart unserer Spätkultur, sondern jene Hoffnung, ja Verheißung, mit der unsere (christliche) Art, neu zu leben – als Freier, als personal Einzelner –, überhaupt angetreten ist. Das ja war es, was der Großinquisitor bei Dostojewski dem überraschend inmitten der institutionell-christlichen Hochkultur wieder auftauchenden Christus Jesus verstört entgegenhält, daß der nämlich von allem Anfang an immer nur eines gewollt habe – eben »Freiheit, die du höher stelltest als alles andere. … Du mehrtest noch der Menschen Freiheit, statt sie einfach an dich zu nehmen!«
Dieses neue Glaubensgut – der Gekreuzigte: »für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1 Korinther 1,23) – überwindet also alle bisherige gesetzesförmige Religiösität, bei der Glauben und Glaubenstreue an tagesausfüllende Vorschriften gebunden waren. Das betrifft bei dergleichen Religionen immer sowohl äußere Alltagsformen (Bekleidung, Begleitung, Beköstigungen) der Gläubigen als auch hochkontrollierte Gefolgschafts- und Begegnungsrituale in der Kommunikation untereinander und mit Fremden. Und natürlich betrifft das dort die straf-(ja todes-)bewährte Irreversibilität des einmal bekundeten Credos. – Am Ende der Aufklärung kommt man deshalb zu der generellen Auffassung, »daß Religion nie auf Satzungen (so hohen Ursprungs sie immer sein mögen) gegründet werden könne«.
Luthers Freiheitstheologie hat ein neues Religionsverständnis entscheidend mit vorbereitet. – Dessen Doppelnatur allerdings hatte eben gerade Nietzsche mit kräftigem Strich gezeichnet. Einerseits sei an Luther der Einfall »des individuellen Handelns« zu bewundern, also »nicht, wie einer sich unter ein Gesetz zwingt, sondern wie einer trotz allem Gebot und Verbot sich selber treu ist«. Andererseits »versteckte sich bei Luther der abgründliche Haß auf den ›höheren Menschen‹ und die Herrschaft des ›höheren Menschen‹, wie ihn die Kirche [ursprünglich] concipirt hatte«.
Das wiederum ist Nietzsche im Blick auf die plebejische Herkunft des Reformators einleuchtend, denn: »Was könnte eine mit so groben Begierden überladene Natur mit dem ursprünglichen Christenthum anfangen!« – Luthers Freiheit eines Christenmenschen denkt nach über die objektivitätsstiftende Form einer logosgeborenen Freiheit als jener ursprünglichen Revolution der Denkungsart, die mit dem Golgathaereignis verbunden bleibt. Luthers Doppelbestimmung – sein »zween beschluß … [a] Ich byn frey yn allen dingen / [sowie b] un hab mich eynß ydrma knecht gemacht«, also »diße zwo widderstendige rede / der freyheyt und dienstparkeyt … sollen wir gedencken / das eyn yglich Christen mensch ist zweyerley natur / geystlicher un leyplicher« – macht den Menschen, als einen innerlichen und einen äußerlichen, zunächst zum Bürger zweier Welten. Wie aber mit diesem Widerspruch leben? Denn der äußerliche Mensch »findt ynn seynem fleysch eynen widerspenstigen willen / der wil der welt dienen vn suchen was yhn lustet«. Hier finden wir noch nicht den Ort der Freiheit. Und so wird dann zunächst allen, »die Christ angehören« aufgegeben, zu »creutzigen yhr fleysch mit seynen bößen lüsten«. Das aber durch ein – objektives – »werck« sublimieren zu wollen, verweigert der Reformator. Er fokussiert alles auf »die person zuuor … die die werck thun soll«. Die (Person) nun erkennt ihren Grund (und Halt) jetzt in ihrer durch den – Transzendenz strukturierenden – Glauben geformten Innerlichkeit, damit aber als Freiheit (als Unbedingtes), die als – objektive – Teilhabe-Form an der Transzendenz allerdings etwas völlig anderes ist als – solipsistisch – »eitel teuffelische / vosfurische lere«. – Freiheit erscheint damit hier zunächst als Glaubensfreiheit, »die rechte / geystliche / Christliche freyheyt«.
Die so erzeugte Freiheit ist allerdings als seine gründende Ausstattung für den Menschen zu begreifen, die dann erst im Deutschen Idealismus systematisch aufgedeckt wird. Denn hier wird sie nicht als etwas bloß Kognitives (Wissen) begriffen, sondern als derjenige praktische Verkörperungsmodus, als dessen Resultat ein neuer Mensch (Mensch-als-des-Menschen-Nächster) autopoeitisch erzeugt wird und der in der Golgathaerzählung seine sozusagen vernunftmythologische Anschauungsform ausweist: »Alßo soll ein Christen mensch / wie Christus seyn« – ein leiblich Körper zwar, aber (gottesabkömmlich) mit überleiblichen, spirituellen Vermögen. Namentlich dessen Logos-Kompetenz ist das beseelende, verbindende, vermittelte – analogische – Prinzip, das in der Metapher der Gottesbildähnlichkeit des Menschen (imago dei) anschaulich wird. Daß wir als Menschen Freie sind, verbindet uns und verdanken wir unserer göttlichen Verwandtschaft, unserer Abkunft aus dem verbum dei.
Gerade das hat das konservative Denken immer wieder hochzuhalten versucht: sich dem Geist – nicht nur dem Symbol – des Kreuzes auch wieder philosophisch zuzuwenden, gerade »inmitten einer Zeit, welche die Bestimmung und die Schmach des Kreuzes nicht mehr kennt«.
III.
Mit der Moderne ist durch die konservative Sensibilität auch das Antipolitische aufgekommen: als das – bittere – Lachen über die Epiphanien sogenannter historischer Morgenröten – je nach politischer Passion – des Parlamentarismus, der Suffragetten, des Sozialismus, des Vegetarismus, der Nation-Building mit ihren Heils-Versprechen … Der solitäre, aristokratische Gestus dagegen, jenem Neuen erstens nicht einfach mit dem Erfolg und als Mit-Opfern-Erkämpftes auch gleich augenscheinliche natürliche Vernunft zu attestieren, und zweitens immer auch eine verborgene Komik in den neuen Erlösungs- oder Verheißungswelten zu sehen, die mit Asymmetrien und Sinnverkehrungen zu tun haben, mit denen sie jeweils hervorbrechen, gehört zum markanten Stil der aufkommenden konservativen Kultur- und Zivilisationskritik. Dieses »Das-Moderne-ist-das-Vernünftige« mit dem »Der-König-ist-doch-nackt«(-und-häßlich) zu konfrontieren, wird die konservative Essayistik fortan auszeichnen.
Von den europäischen Meistern mit einem feinen Sinn für paradoxe Konstellationen der »aufgeklärten« Moderne weiß sich konservatives Denken exemplarisch etwa mit Stendhal verbunden.
So wurde einmal gerade von Stendhal am Abbé Sieyès, einem der sozusagen ersten Ideeningenieure einer neuen Lebenslage politischer Egalität und Allgemeinheit – Qu’est-ce que le tiers état? (1789) –, das überraschende Paradox bezeichnet, daß eben der auch »der Begründer der literarischen Aristokratie war«. Ein Motiv dafür hatte auch schon Stendhal empfunden: »Ich sehe mich mitten in einem Zeitalter des Übergangs, d. h. der Mittelmäßigkeit.«
Von einem anderen literarisch bemerkenswerten, aristokratischen Zeitgenossen waren »die geruhsamen Umtriebe der allgemein gleichgeschalteten Hirne« beklagt worden. Das eben ist zunächst die dem Massenzeitalter ganz gemäße Betriebsform des Egalitär-Allgemeinen – im Politischen als Demokratismus, im Alltäglichen als religiös konfirmierter Moralkanon, im Nachbarlichen als neidbewährte Gleichheit (vom Essen bis zum Vergnügen), sowie als Öffentlichkeit ein bisher unbekannter (massen)medienerzeugter, seelenbeherrschender Servilismus und im Blick auf »Fremde« und nach »draußen« wahlweise als common-sense-Rassismus oder Patriotismus. Allem Extravaganten im Leben wie im Denken steht man unsicher (und feindlich) gegenüber, es wird mehrheitlich als konformitätshindernd von sich fern gehalten und unter Verdacht gestellt (Dekadenz, Nihilismus, Relativismus).
Aber gerade jetzt – im neunzehnten Jahrhundert, da »das vorzüglichere Individuum sich auflehnt gegen die die ganze Art verderbende Nivellierung« – entdeckt der konservative Geist schließlich auch das, was im Gleichgemachtem eben verlorenging – Noblesse, Eigensinn, Lebendigkeit, Diskretion, Stil, Leidenschaft, Persönlichkeit, Freiheit. Daß aber daran inmitten unserer uniformen neuen Welt doch dringlich immer wieder zu erinnern ist, das will uns konservatives Denken von Anfang an verdeutlichen. – Es entwickelt dabei etwas, was man früh schon »Antipolitik« genannt hat. Das Antipolitische identifiziert und distanziert sich von einem scheinbar naturwüchsigen, aber gleichwohl als pathogen vermuteten Sachverhalt im kulturellen Selbstverständnis, der vom späten Gottfried Benn einmal so beschrieben wird: »Das Zoon politikon, dieser griechische Mißgriff, diese Balkanidee – das ist der Keim des Untergangs, der sich jetzt vollzieht.«
Dieser Affekt des Antipolitischen müßte natürlich auch auf die Bestimmung dessen, was dann noch »Revolution« im Terminus Konservative Revolution bedeuten mag, eine deutliche semantische Auswirkung haben. Man wäre hier nämlich gut beraten, sich jene mephistophelische Resignation zu eigen zu machen, die in Faust II so klingt: »O weh! hinweg! Und laßt mir jene Streite / Von Tyrannei und Sklaverei bei Seite. / Mich langeweilt’s, denn kaum ist’s abgethan, / So fangen sie von vorne wieder an; / Sie streiten sich, so heißt’s, um Freiheitsrechte, / Genau besehn sind’s Knechte gegen Knechte.«