Parolen der Konservativen Revolution

pdf der Druckfassung aus Sezession 44 / Oktober 2011

»… der Orden als Keimzelle des Staates. Das war es, was wir suchten. Und wir fanden es, aber als wir es aussprachen,... 

wur­den wir nicht ver­stan­den, denn in der Zwi­schen­zeit war eine gro­ße Wel­le über uns weg­ge­rollt: die des Natio­nal­so­zia­lis­mus … Unse­re Neu­set­zun­gen, wir bemüh­ten uns zu sagen: Was ist Staat? Was ist Nati­on? Was ist Volk? Was ist dies alles? Und plötz­lich, unse­re Ant­wor­ten, die röhr­ten durch alle Stra­ßen, durch Rund­funk, durch alles, nicht wahr, und er benutzt unse­re Begrif­fe im ver­kehr­ten Sinn.« Ernst von Salo­mon in einem Inter­view, 1979.

 

DAS DRITTE REICH war ohne Zwei­fel eine der Schlüs­sel­for­meln der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on. Das hängt mit der – wenn­gleich ver­spä­te­ten – Wir­kung des gleich­na­mi­gen Buches von Arthur Moel­ler van den Bruck zusam­men, das 1923 erschie­nen war, des­sen Autor aber bereits zwei Jah­re spä­ter Selbst­mord beging und inso­fern kei­nen Ein­fluß mehr auf die wei­te­re Ent­wick­lung neh­men konn­te. Von dem Erfolg sei­nes Wer­kes ahn­te er jeden­falls nichts, schon gar nichts von der Wir­kung des Buch­ti­tels als Schlag­wort. Denn die Ent­schei­dung zu des­sen Guns­ten war eher zufäl­lig zustan­de gekom­men. Ursprüng­lich hat­te Moel­ler an »Die drit­te Par­tei« oder auch »Der drit­te Stand­punkt« – näm­lich der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on jen­seits von Reak­ti­on und Libe­ra­lis­mus – gedacht. Nur wirk­te bei­des zu blaß, wes­halb sich sein jugend­li­cher Freund Max Hil­d­e­bert Boehm mit dem Vor­schlag »Das drit­te Reich« durch­set­zen konn­te. In einem Brief von 1932 schrieb Boehm: »Moel­ler deu­te­te selbst an, daß das Wort ursprüng­lich einen chi­li­as­ti­schen Sinn hat­te und offen­bar in der okkul­ten Lite­ra­tur sei­ne Geschich­te hat.« Auch ein Bezug auf die Idee des »drit­ten Ita­li­ens« in der Pro­pa­gan­da des frü­hen Faschis­mus habe eine Rol­le gespielt. Boehm fährt dann fort: »… ich glau­be sagen zu kön­nen, daß für Moel­lers Wahl die Anleh­nung an das ita­lie­ni­sche Bei­spiel bestim­mend gewe­sen sein dürf­te und daß bei ihm auch ein Ein­fluß der hege­lia­ni­schen Dia­lek­tik nach­wirk­te. Auf den mys­ti­schen Klang hat er es, soviel ich weiß, nicht pri­mär abge­se­hen gehabt.«

In allen Unter­su­chun­gen zur Begriffs­ge­schich­te wird dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die Rede vom »Drit­ten Reich« als einem Reich der Ver­söh­nung der Gegen­sät­ze oder einem Reich der Voll­endung bis in die Zeit der ori­en­ta­li­schen Hoch­kul­tu­ren zurück­ver­folgt wer­den kann, daß sich Bele­ge oder Hin­wei­se in der Bibel fin­den und in der anti­ken Lite­ra­tur, und daß die­ses Kon­zept spä­tes­tens mit der (häre­ti­schen) Geschichts­spe­ku­la­ti­on über das Kom­men eines drit­ten, »tau­send­jäh­ri­gen Rei­ches« des Joa­chim von Fio­re Ein­fluß auf die Vor­stel­lungs­welt des Abend­lan­des gewann, der sich fort­setz­te in allen mög­li­chen sek­tie­re­ri­schen, mau­re­ri­schen, auf­klä­re­ri­schen, roman­ti­schen, idea­lis­ti­schen Entwürfen.

Moel­ler war die­ser Hin­ter­grund kaum im Detail bekannt, aber schon Anfang des Jah­res 1921 hat­te er einen pro­gram­ma­ti­schen Auf­satz unter dem Titel »Das tau­send­jäh­ri­ge Reich« ver­öf­fent­licht und in dem Zusam­men­hang auch von einem »drit­ten Reich« gespro­chen. Viel­leicht ging sei­ne Deu­tung des Begriffs im Sinn eines mobi­li­sie­ren­den natio­na­len Mythos zurück auf ent­spre­chen­de Erwä­gun­gen Dos­to­jew­skis, des­sen Wer­ke Moel­ler in Über­set­zung her­aus­ge­ge­ben hat­te und der von Mos­kau als »drit­tem Rom« sprach, oder auf die Kennt­nis von Vor­stel­lun­gen im Kon­text der »Ideen von 1914«. So hat­te Tho­mas Mann bereits 1915 in einem Auf­satz für das Svens­ka Dag­bla­det geschrie­ben, daß Deutsch­land den Krieg begrüßt habe, weil er der »Brin­ger sei­nes Drit­ten Rei­ches« sei: »Was ist denn sein Drit­tes Reich? – Es ist die Syn­the­se von Macht und Geist – sie ist sein Traum und Ver­lan­gen, sein höchs­tes Kriegs­ziel – und nicht Calais oder ›die Knech­tung der Völ­ker‹ oder der Kon­go. Es gibt Reak­tio­nä­re in Deutsch­land: das sind die Getreu­en des ers­ten Rei­ches, des geis­ti­gen. Es gibt Kon­ser­va­ti­ve: das sind die unbe­ding­ten Anhän­ger des zwei­ten, des Macht­rei­ches. Und es gibt Gläu­bi­ge der Zukunft: sie mei­nen das dritte …«

Manns Ent­wurf war ungleich poli­ti­scher und kon­kre­ter als die Erwar­tung des Phi­lo­so­phen Ger­hard von Muti­us, der 1916 ein Buch unter dem Titel Die drei Rei­che ver­öf­fent­lich­te, des­sen mys­ti­sche Vor­stel­lun­gen ande­rer­seits gro­ße Ähn­lich­keit mit denen des Ver­le­gers Eugen Diede­richs auf­wie­sen, der in der Zeit­schrift Die Tat noch im Dezem­ber 1918 von einem »kom­men­den drit­ten Reich« sprach, das mit einer neu­en Inner­lich­keit auch zu einer neu­en Macht­stel­lung Deutsch­lands füh­ren soll­te. Der Text lös­te eine hef­ti­ge Debat­te aus, die bis zum Som­mer 1920 in den Spal­ten der Tat geführt wur­de, wobei Diede­richs auf sei­ner Visi­on eines »johannei­schen Zeit­al­ters« beharr­te, was unter den gege­be­nen poli­ti­schen und sozia­len Umstän­den einen Teil der Leser äußerst befrem­de­te. In einer Art Schluß­wort schrieb der Arbei­ter­dich­ter Karl Brö­ger, daß das »drit­te Reich« im Grun­de eine Uto­pie sei, deren Ver­wirk­li­chung zwangs­läu­fig in den Kom­mu­nis­mus mün­den werde.

Sol­che Vor­be­hal­te fan­den sich oft auf kon­ser­va­ti­ver Sei­te, haben aber die Kar­rie­re der Losung des »drit­ten Reichs« in der »natio­na­len Oppo­si­ti­on« nicht auf­hal­ten kön­nen, was ganz pro­sa­isch damit zu erklä­ren ist, daß auch dem schlich­ten Gemüt leicht zu erklä­ren war, daß nach einem »ers­ten« – dem Hei­li­gen Römi­schen Reich deut­scher Nati­on – und einem »zwei­ten« – dem Bis­marck­reich – und einem »Zwi­schen­reich« – der Wei­ma­rer Repu­blik – ein »drit­tes« Reich zu erwar­ten ste­he. Der ent­spre­chen­de Gebrauch des Begriffs muß schon unmit­tel­bar nach dem Ende der Mon­ar­chie ver­brei­tet gewe­sen sein und hat sich spä­ter mit ande­ren Vor­stel­lun­gen, ins­be­son­de­re den­je­ni­gen Moel­ler van den Brucks, verknüpft.

Es ist des­halb unwahr­schein­lich, daß die Grün­dung der Zeit­schrift Das drit­te Reich im Umfeld des »Bun­des Ober­land« – einer Kern­or­ga­ni­sa­ti­on der natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Rech­ten – 1924 schon mit Moel­lers Buch zusam­men­hing. Eine direk­te Bezug­nah­me auf Moel­ler fand sich anfangs über­haupt nur in der natio­na­lis­ti­schen Intel­li­genz. Deren Abgren­zung zur NSDAP war bis Ende der zwan­zi­ger Jah­re nicht scharf gezo­gen. Das gilt vor allem für den Umkreis der Brü­der Gre­gor und Otto Stras­ser. Otto Stras­ser, der eigent­li­che ideo­lo­gi­sche Kopf, war nach sei­ner Abwen­dung von der Lin­ken unter den Ein­fluß Moel­lers gekom­men und von des­sen Ideen nach­hal­tig beein­druckt wor­den. Der Pro­pa­g­an­da­chef der Natio­nal­so­zia­lis­ten, Joseph Goeb­bels, wie­der­um kam im Umfeld Stras­sers zuerst mit den Anschau­un­gen Moel­lers in Berüh­rung und hat­te am 30. Dezem­ber 1925 in sei­nem Tage­buch notiert: »Lek­tü­re ›Das drit­te Reich‹ von Moel­ler van den Bruck. Erschüt­ternd wahr. War­um stand er nicht in unse­ren Rei­hen. [sic]« Knapp zwei Jah­re spä­ter erschien Goeb­bels’ ers­tes Buch unter dem Titel Wege ins drit­te Reich (1927). Goeb­bels gelang es in der Fol­ge­zeit, die For­mel »das drit­te Reich« sehr weit­ge­hend für die Par­tei Hit­lers zu mono­po­li­sie­ren. Dage­gen konn­ten weder Stras­ser noch die Jung­kon­ser­va­ti­ven etwas tun, die sich als eigent­li­che Erben Moel­lers betrach­ten durften.

HEROISCHER REALISMUS war eine Leit­vor­stel­lung jener Grup­pen inner­halb der Bewe­gung, die sich eher als »revo­lu­tio­när-kon­ser­va­tiv«, weni­ger als »kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­när« betrach­te­ten. Sie waren von nietz­schea­ni­schen Pathos erfüllt und gin­gen am radi­kals­ten vor in der Ana­ly­se des­sen, was nicht bewahrt wer­den kön­ne. Nach Mei­nung die­ser »preu­ßi­schen Anar­chis­ten«, »Natio­nal­bol­sche­wis­ten«, »Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re« hat­ten der Krieg und der Kol­laps der alten Ord­nung jenen Nihi­lis­mus nur nackt her­vor­tre­ten las­sen, der seit der Auf­klä­rung mäch­tig war, aber durch die kon­ser­va­ti­ven Kulis­sen ver­deckt blieb. Dem konn­te nur der »wahr­haft kon­ser­va­tiv deter­mi­nier­te Mensch« (Gus­tav Stein­bö­mer) ent­ge­gen­tre­ten, der nicht nur die Illu­sio­nen des Fort­schritts, son­dern auch die Morsch­heit des Wil­hel­mi­nis­mus durch­schau­te. Was die­sen Typus kenn­zeich­ne­te, war eine beson­de­re Men­ta­li­tät, die sich nur in Para­do­xa aus­drü­cken ließ; Tho­mas Mann hat­te früh vom »Wil­len zur Welt­taug­lich­keit« gespro­chen, weni­ger glück­lich war die For­mel »skep­ti­scher Enthu­si­as­mus« (Hans Roese­ler), undeut­lich »poli­ti­scher Rea­lis­mus« (Heinz O. Zieg­ler), über­zeu­gend schließ­lich »heroi­scher Realismus«.

Zuerst ver­wen­det wur­de die For­mel durch den Juris­ten Wer­ner Best in sei­nem Bei­trag zu dem von Ernst Jün­ger her­aus­ge­ge­be­nen Sam­mel­band Krieg und Krie­ger. Sei­ne Bekannt­heit ver­dank­te er aller­dings der Über­nah­me durch Jün­ger in des­sen Arbei­ter, wo Heroi­scher Rea­lis­mus als die Hal­tung der neu­en »Gestalt« gekenn­zeich­net wird, die ergrif­fen ist von der Not­wen­dig­keit, das Alte hin­ter sich zu las­sen, kei­ner bür­ger­li­chen oder reli­giö­sen Über­lie­fe­rung län­ger zu trau­en, im Grun­de von gar kei­ner Sub­stanz­haf­tig­keit mehr aus­zu­ge­hen und die »orga­ni­sche Kon­struk­ti­on« in Angriff zu nehmen.

Bezeich­nen­der­wei­se hat sich Jün­ger von die­ser vor­ge­scho­be­nen Posi­ti­on sehr bald zurück­ge­zo­gen, viel­leicht weil ihm klar wur­de, daß er sich kon­se­quent auf eine Welt­sicht zube­weg­te, in der nur noch ästhe­ti­sche Kate­go­rien Gel­tung bean­spru­chen konn­ten. Anders Gott­fried Benn, dem 1933 für einen Augen­blick eine neue gro­ße Ord­nung denk­bar schien, der dann aber resi­gniert erkann­te, daß die schöp­fe­ri­sche Kraft ver­gan­ge­ner Epo­chen sich auf dem beschrit­te­nen Weg nicht zurück­ge­win­nen ließ:

 

»Natür­lich bau­ten sie Dome

drei­hun­dert Jah­re ein Stück,

wis­send, im Zeitenstrome

brö­ckelt der Stein zurück,

 

es ist nicht zu begreifen,

was hat­ten sie für Substanz,

wis­send, die Zei­ten schleifen

Turm, Rose, Kryp­te, Monstranz,

 

vor­bei, à bas und nieder

die gro­ße Konfession,

à bas ins Hühnergefieder

kon­for­mer Konvention …«

LEWER DOD AS SLAW oder »Lever dood as Slaav« im Ost­frie­si­schen, »Lewer duad üs Slav« im Nord­frie­si­schen (es sind noch wei­te­re Schrei­bun­gen üblich), war als Paro­le in allen Tei­len der natio­na­len Bewe­gung nach 1919 ver­brei­tet, um die Ent­schlos­sen­heit zum Wider­stand gegen den Ver­sailler Ver­trag zum Aus­druck zu brin­gen. Bekannt­heit erlang­te die For­mel aber als Schlacht­ruf der Land­volk­be­we­gung, die am Ende der zwan­zi­ger Jah­re die rebel­li­schen Bau­ern zuerst in Schles­wig-Hol­stein, dann auch im übri­gen Nor­den und Osten des Reichs­ge­biets zusam­men­faß­te, um gegen die wirt­schaft­li­che Not und für das »Land«, gegen die »Stadt« und die libe­ra­le und bür­ger­li­che Repu­blik zu kämp­fen. Die Bau­ern hat­ten natur­ge­mäß kei­ne eige­nen Pro­gram­ma­ti­ker, was dazu führ­te, daß sich Völ­ki­sche, Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re und Bün­di­sche, aber auch Kom­mu­nis­ten und Natio­nal­so­zia­lis­ten zur Ver­fü­gung stell­ten oder sich des Land­volks zu bedie­nen such­ten. Zu deren sehr erfolg­rei­chem Kon­zept gehör­te, das Land­volk in die Kon­ti­nui­tät der Bau­ern­krie­ge und der Selbst­be­haup­tungs­kämp­fe der Frei­bau­ern­schaf­ten, ins­be­son­de­re der Ost­frie­sen, etwa der Ste­din­ger, zu stellen.

Bei­de Tra­di­tio­nen gehör­ten seit dem 19. Jahr¬hundert zum Bil­dungs­gut der natio­na­len wie der demo­kra­ti­schen Bewe­gung in Deutsch­land. Inso­fern ist auch nicht mehr zu klä­ren, ob das »Lewer dod as Slaw« tat­säch­lich authen­tisch auf das Mit­tel­al­ter oder die frü­he Neu­zeit zurück­ge­führt wer­den kann, oder aber der Inter­pre­ta­ti­on des Gesche­he­nen, zum Bei­spiel am Frie­sen­denk­mal in Hart­war­den (das 1914 errich­tet wur­de und die Inschrift »Lewer dod as Sklav« trug) oder in der Bal­la­de »Pidder Lüng« von Det­lev von Lili­en­cron, zu ver­dan­ken war, deren Ver­se immer mit der Zei­le »Lew­wer duad üs Slaav« endeten.

 

NATIONALBOLSCHEWISMUS Die Mög­lich­kei­ten eines »preu­ßi­schen«, »deut­schen« oder »natio­na­len Bol­sche­wis­mus« wur­den in Deutsch­land seit dem Zusam­men­bruch von 1918 inten­siv dis­ku­tiert. Dabei spiel­te die Absicht ein­zel­ner Kom­mu­nis­ten eine Rol­le, den Natio­na­lis­mus für die eige­nen Zie­le zu instru­men­ta­li­sie­ren; auf der ande­ren Sei­te gab es eine rela­tiv gro­ße Zahl von Anhän­gern einer tak­ti­schen Koope­ra­ti­on, die nur die aus der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on resul­tie­ren­de Ener­gie gegen die West­mäch­te nut­zen woll­ten. Was die­se zwei­te Vari­an­te betrifft, so fand sie Unter­stüt­zung in der Reichs­wehr­füh­rung und unter Poli­ti­kern der Wei­ma­rer Repu­blik, die die mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit mit der Roten Armee und eine Wie­der­auf­nah­me »bis­marck­scher« Ost­po­li­tik betrie­ben. Von die­ser Frak­ti­on zu unter­schei­den ist die radi­ka­le Min­der­heit der »wah­ren Natio­nal­bol­sche­wis­ten« (Lou­is Dupeux), die durch­aus eine tota­le Umwäl­zung in Deutsch­land befür­wor­te­te, weil ihrer Mei­nung nach eine sozia­le wie eine natio­na­le Revo­lu­ti­on nötig waren als Vor­aus­set­zung für den Wie­der­auf­stieg des Reiches.

Der pro­gram­ma­ti­sche Kopf des Natio­nal­bol­sche­wis­mus war ohne Zwei­fel Ernst Nie­kisch. Der von ihm pro­jek­tier­te »ger­ma­nisch-sla­wi­sche Block«, als des­sen Kern er Deutsch­land und die Sowjet­uni­on betrach­te­te, soll­te durch sei­ne geo­po­li­ti­sche Lage, sein wirt­schaft­li­ches und demo­gra­phi­sches Gewicht ein Macht­fak­tor ers­ten Ran­ges wer­den und fähig, den Revan­che­krieg gegen die Ver­sailler Ver­trags­mäch­te zu füh­ren. Daß dabei der ungleich grö­ße­re rus­si­sche Anteil den klei­ne­ren deut­schen erdrü­cken könn­te, fürch­te­te Nie­kisch nicht. Er glaub­te an eine qua­li­ta­ti­ve Über­le­gen­heit Deutsch­lands im »völ­ki­schen« Sinn und ging davon aus, daß man die preu­ßi­sche Leis­tung im gro­ßen Maß­stab wie­der­ho­len kön­ne, das heißt wie bei der mit­tel­al­ter­li­chen Ost­ko­lo­ni­sa­ti­on die sla­wi­schen Ele­men­te anzu­lei­ten und einzuschmelzen.

Nie­kisch gelang es am Ende der zwan­zi­ger Jah­re, die füh­ren­den Köp­fe der natio­na­lis­ti­schen Intel­li­genz für sei­ne Zeit­schrift Wider­stand zu gewin­nen – Ernst und Fried­rich Georg Jün­ger, Franz Schau­we­cker, Fried­rich von dem Reck-Mallec­ze­wen, Hugo Fischer, Ernst von Salo­mon, Alfred Baeum­ler, Arnolt Bron­nen –, gera­de weil er sei­ne Absich­ten mit scho­nungs­lo­ser Här­te ver­trat. In einem Flug­blatt der »Wider­stands­be­we­gung« hieß es: »Die Wider­stands­be­we­gung ist gegen die Ideen des Wes­tens schlecht­hin gerich­tet, gleich in wel­cher Form sie auf Deutsch­lands Schick­sal ein­wir­ken. Den Auf­stand gegen den römi­schen Herr­schafts­ge­dan­ken, gegen römi­sches Recht, gegen das Gedan­ken­gut von 1789, die Ideen der Zivi­li­sa­ti­on, des Indi­vi­dua­lis­mus, Libe­ra­lis­mus, Demo­kra­tis­mus, gegen die bür­ger­li­che Welt- und Wirt­schafts­auf­fas­sung betrach­tet sie als uner­läß­li­che Vor­aus­set­zung des deut­schen Frei­heits­kamp­fes. Die Abkehr von den Gütern Euro­pas ist ihr aber nicht nur ein Lip­pen­be­kennt­nis, son­dern sie ist auch wil­lens, die Kon­se­quen­zen aus die­ser Hal­tung in ihrer gan­zen Trag­wei­te und Schwe­re zu zie­hen. Die Wider­stands­be­we­gung ver­langt u. a. die ent­schlos­se­ne poli­ti­sche Blick­wen­dung nach Osten … Anknüp­fung von Bezie­hun­gen zu allen unter­drück­ten Völ­kern, Ent­fa­chung einer ›Irre­den­ta‹ in allen Staa­ten, in denen deut­sches Volks­tum gekne­belt wird. Gewöh­nung der Nati­on, ins­be­son­de­re der Jugend, an ein kärg­li­ches Leben, an ein Leben in Zucht und Pflich­ten. Pfle­ge der Wehr­haf­tig­keit mit allen Mit­teln, Absa­ge an das Prin­zip des Pri­vat­ei­gen­tums im Sin­ne des römi­schen Rechts. Beschrän­kung der Ver­fü­gungs­ge­walt über das Pri­vat­ei­gen­tum, Abkehr von der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts- und Gesell­schafts­form. Umfas­send vor­be­rei­te­ter und rück­sichts­lo­ser Rück­zug aus der Welt­wirt­schaft mit allen Konsequenzen.«

Aber selbst unter den Bedin­gun­gen der gro­ßen Wirt­schafts­kri­se besaß Nie­kischs Idee eines spar­ta­ni­schen und zwangs­wei­se agra­ri­sier­ten Deutsch­land kei­ne Anzie­hungs­kraft auf die Mas­sen, und es blieb bei dem von ihm immer bespöt­tel­ten »Grau­en vor dem Osten«. Der Macht­zu­wachs der NSDAP mit ihrem scharf anti¬kommunistischen Pro­gramm seit Anfang der drei­ßi­ger Jah­re bedeu­te­te zwar eine gewis­se Irri­ta­ti­on, aber Nie­kisch blieb davon über­zeugt, daß nach der Des­il­lu­sio­nie­rung der Basis über die Kor­rup­ti­on der Füh­rer – Nie­kischs 1932 erschie­ne­ne Bro­schü­re Hit­ler – Ein deut­sches Ver­häng­nis soll­te gera­de der Auf­klä­rung über die­sen Punkt die­nen – die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Mas­se auf die Sei­te des Natio­nal­bol­sche­wis­mus über­tre­ten wür­de. Ange­sichts des gemein­sam von KPD und NSDAP in Ber­lin getra­ge­nen Ver­kehrs­ar­bei­ter­streiks froh­lock­te Nie­kisch im Herbst 1932 über den »Natio­nal­bol­sche­wis­mus als poli­ti­sche Wirk­lich­keit«, der sich gegen den Lega­lis­mus Hit­lers eben­so durch­set­zen wer­de wie gegen den Inter­na­tio­na­lis­mus der kom­mu­nis­ti­schen Füh­rung, die den Zusam­men­hang von Klas­sen­kampf und deut­schem Befrei­ungs­kampf nicht ver­ste­hen wolle.

Bezeich­nen­der­wei­se ist es nie­mals zur Grün¬dung einer natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Par­tei gekom­men. Ent­spre­chen­de Plä­ne eines Zir­kels aus abtrün­ni­gen SA-Leu­ten und Kom­mu­nis­ten, Bün­di­schen und Völ­ki­schen um Karl O. Pae­tel waren von vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt. Trotz­dem ging die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Füh­rung nach 1933 mit äußers­ter Här­te gegen die­se For­ma­ti­on und spä­ter auch gegen Nie­kisch und sei­ne Anhän­ger vor, weil man fürch­te­te, daß – für den Fall einer sich wei­ter ver­schär­fen­den Wirt­schafts­la­ge – der Natio­nal­bol­sche­wis­mus den Deut­schen doch noch als denk­ba­re Alter­na­ti­ve erschei­nen wür­de. Umge­kehrt haben ein­zel­ne aus dem natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Lager ange­sichts des Hit­ler-Sta­lin-Pakts geglaubt, daß der Welt­geist doch auf ihrer Sei­te stünde.

 

ROTGRAUE AKTION war die Bezeich­nung für die von dem Jun­gen­schafts­füh­rer Eber­hard Koe­bel – tusk – im Som­mer 1931 durch­ge­führ­ten Maß­nah­men, mit der er sei­ne dj 1.11 – die (auto­no­me) deut­sche jun­gen­schaft vom 1. 11. (1929) – zum Kern eines alle deut­schen Jun­gen zwi­schen zehn und vier­zehn Jah­ren ver­ei­ni­gen­den »Hoch­bunds« machen woll­te. Der Begriff erklärt sich aus der Gestal­tung der rot-grau­en Bun­des­fah­ne der Jun­gen­schaf­ter, hat­te jeden­falls nichts zu tun mit tusks Sym­pa­thie für die KPD bezie­hungs­wei­se die Sowjet­uni­on, die sich erst im fol­gen­den Jahr deut­li­cher abzeichnete.

In der Zeit­schrift Tyr­ker und in Flug­blät­tern hat­te tusk zuvor die Bil­dung »rot­grau­er Grup­pen und Gaue« gefor­dert, eine »Zel­len­bil­dung an allen Plät­zen, wo Jun­gen ler­nen und arbei­ten«, letzt­lich die Schaf­fung einer »Jun­gen­front vom Gym­na­si­um bis zur Fabrik«. Des­halb wur­de gezielt Wer­bung in Ver­ei­nen und Schu­len und auf der Stra­ße betrie­ben, aber auch in den ver­schie­de­nen Bün­den. Nach außen hieß es, daß deren Eigen­stän­dig­keit grund­sätz­lich gewahrt, aber die Ein­heit der Jun­gen­schaft durch die gemein­sa­me Kluft – die von tusk ent­wor­fe­ne blaue Jun­gen­schafts­ja­cke »Juja« – kennt­lich gemacht wer­den soll­te. Zuletzt ging es aber doch um die Spren­gung der alten Strukturen.

Daß sol­che hoch­ge­steck­ten Erwar­tun­gen mit der Rot­grau­en Akti­on ver­knüpft wer­den konn­ten, erklärt sich wesent­lich aus dem Ein­fluß, den tusk seit Anfang der drei­ßi­ger Jah­re auf die deut­sche Jugend­be­we­gung ins­ge­samt gewon­nen hat­te. Zwar schlu­gen sei­ne Ver­su­che fehl, zuerst die Frei­schar, dann die Frei­schar Jun­ger Nati­on und zuletzt den Deut­schen Pfad­fin­der­bund ganz oder teil­wei­se zu über­neh­men, aber die von ihm ent­wor­fe­nen Zeit­schrif­ten, die Klei­dung und das Auf­tre­ten von d.j. 1.11 wirk­ten stilbildend.

Trotz­dem schei­ter­te die Rot­graue Akti­on und wur­de im Juni 1932 abge­bro­chen. Einer der Mit­kämp­fer tusks – Hans Graul – hat spä­ter davon gespro­chen, daß die­ses Schei­tern zwangs­läu­fig war, auf­grund der pro­gram­ma­ti­schen Unklar­heit tusks, sei­nes poli­ti­schen Wan­kel­muts und des im Grun­de »para­si­tä­ren« Cha­rak­ters der Jun­gen­schaft, die sich der bestehen­den Bün­de bedie­nen woll­te, ohne trag­fä­hi­gen eige­nen Auf­bau. Über die eigent­li­che Anzie­hungs­kraft von tusk und d.j. 1.11 ist damit aller­dings nichts gesagt. Bezeich­nen­der­wei­se über­nah­men die Natio­nal­so­zia­lis­ten nach 1933 für das »Jung­volk« nicht nur die Bezeich­nung »Jun­gen­schaft«, son­dern auch vie­le ande­re von tusks Kon­zep­ten und Ent­wür­fen, sogar die Juja, die bis 1936 getra­gen wurde.

MACHTGESCHÜTZTE INNERLICHKEIT ist ein von Tho­mas Mann kre­ierter Begriff. Er fin­det sich in dem Essay »Lei­den und Grö­ße Richard Wag­ners«, den Tho­mas Mann am 10. Febru­ar 1933 im Audi­to­ri­um Maxi­mum der Uni­ver­si­tät Mün­chen vor­trug und der erst­mals einen Monat spä­ter im April­heft der Neu­en Rund­schau erschien. Wag­ner, so wird kri­tisch bemerkt, sei »den Weg des deut­schen Bür­ger­tums gegan­gen: von der Revo­lu­ti­on zur Ent­täu­schung, zum Pes­si­mis­mus und einer resi­gnier­ten, macht­ge­schütz­ten Inner­lich­keit. Den­noch steht das in einem gewis­sen Sin­ne sehr undeut­sche Wort in sei­nen Schrif­ten: ›Wer sich unter der Poli­tik hin­weg­stiehlt, belügt sich sel­ber!‹ Ein so leben­di­ger und radi­ka­ler Geist war sich selbst­ver­ständ­lich der Ein­heit des huma­nen Pro­blems, der Untrenn­bar­keit von Geist und Poli­tik bewußt; er hat nicht der bür­ger­lich-deut­schen Selbst­täu­schung ange­han­gen, man kön­ne ein unpo­li­ti­scher Kul­tur­mensch sein – die­sem Wahn, der Deutsch­lands Elend ver­schul­det hat.« Unver­kenn­bar ist hier Manns Selbst­kri­tik her­aus­zu­hö­ren, die sich gegen sei­ne Hal­tung aus den Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen von 1918 rich­tet, als er noch vehe­ment die Posi­ti­on des anti­de­mo­kra­ti­schen, poli­tik­ver­ach­ten­den Geis­tes­men­schen ein­nahm. Folg­lich zog sich Tho­mas Mann auf­grund des Essays, in dem es u. a. heißt, Wag­ner sei als Poli­ti­ker »mehr Sozia­list und Kul­turut­opist … denn Patri­ot im Sin­ne des Macht­staa­tes« gewe­sen, ein­mal mehr den Zorn der Natio­nal­so­zia­lis­ten zu. Den­noch behielt Tho­mas Mann zeit­le­bens ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zum Phä­no­men der »macht­ge­schütz­ten Inner­lich­keit«, von der auch Tho­mas Nip­per­dey sag­te, daß das »spe­zi­fisch Inter­es­san­te« der deut­schen Kul­tur »gera­de an ihrer Ver­wur­ze­lung im Unpo­li­ti­schen« lie­ge. Denn »Inner­lich­keit … rich­tet sich auch gegen das Eigen­recht des Nicht-Poli­ti­schen … ›Macht­ge­schützt‹ ver­weist auf die objek­ti­ven Grund­la­gen der ›unpo­li­ti­schen‹ Exis­tenz, dar­auf, daß man ande­ren den inne­ren und äuße­ren ›Schutz‹ über­läßt.« (Tho­mas Nip­per­dey) Dar­über hin­aus ver­wies Tho­mas Mann in sei­nem Vor­trag »Deutsch­land und die Deut­schen« vom 6. Juni 1945 in Washing­ton auf »die viel­leicht berühm­tes­te Eigen­schaft der Deut­schen, die­je­ni­ge, die man mit dem sehr schwer über­setz­ba­ren Wort ›Inner­lich­keit‹ bezeich­net«, und benann­te sie fol­gen­der­ma­ßen: »Zart­heit, der Tief­sinn des Her­zens, unwelt­li­che Ver­spon­nen­heit, Natur­fröm­mig­keit, reins­ter Ernst des Gedan­kens und des Gewis­sens, kurz alle Wesens­zü­ge hoher Lyrik mischen sich dar­in, und was die Welt die­ser deut­schen Inner­lich­keit ver­dankt, kann sie selbst heu­te nicht ver­ges­sen: Die deut­sche Meta­phy­sik, die deut­sche Musik, inson­der­heit das Wun­der des deut­schen Lie­des, etwas natio­nal völ­lig Ein­ma­li­ges und Unver­gleich­li­ches waren ihre Früchte.«

 

»Kul­tur und Zivi­li­sa­ti­on« oder »Gemein­schaft und Gesell­schaft« lau­te­ten die Dua­lis­men, mit denen man nach dem Ers­ten Welt­krieg die Span­nung zwi­schen Deutsch­land und dem Wes­ten auf grif­fi­ge For­meln brach­te. Auch Lud­wig Kla­ges’ Schlag­wort vom GEIST ALS WIDERSACHER DER SEELE gehört in die­sen Kon­text und sucht die poli­ti­schen oder kul­tu­rel­len Gegen­sät­ze zugleich auf einer tie­fe­ren, meta­phy­si­schen Ebe­ne zu fassen.

Sys­te­ma­tisch aus­ge­führt hat Kla­ges sei­nen Grund­ge­dan­ken, der sich in Ansät­zen schon in den Jugend­dich­tun­gen Rhyth­men und Runen fin­det, erst­mals in der Abhand­lung »Geist und See­le«, die er zwi­schen 1916 und 1919 in meh­re­ren Tei­len in der Zeit­schrift Deut­sche Psy­cho­lo­gie publi­zier­te; zu einem Schlüs­sel­be­griff der intel­lek­tu­el­len Debat­ten wur­de er aber erst durch sein drei­bän­di­ges Haupt­werk Der Geist als Wider­sa­cher der See­le (1929–1932). In des­sen umfang­rei­chen erkennt­nis­theo­re­ti­schen und onto­lo­gi­schen Dar­le­gun­gen such­te der bis­lang als Gra­pho­lo­ge her­vor­ge­tre­te­ne Phi­lo­soph zu zei­gen, daß das »kos­mi­sche« Leben ein raum­zeit­li­ches Kon­ti­nu­um sei, dem der eigen­schafts­lo­se, »punk­tu­el­le« Geist, trotz sei­ner »Außer­raum­zeit­lich­keit«, durch wil­lens­ge­lei­te­te Erkennt­nis­ak­te »Spal­tun­gen« zufü­ge, die es ver­frem­den und letzt­lich zer­stö­ren wür­den. Anders als vie­le Theo­re­ti­ker der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, die jen­seits der Dua­lis­men nach »Drit­ten Wegen« such­ten, schloß Kla­ges eine künf­ti­ge Ver­mitt­lung eben­so kate­go­risch aus wie ein ursprüng­lich fun­die­ren­des drit­tes Prin­zip, was ihm von Sei­ten sei­ner zahl­rei­chen Geg­ner – nicht nur auf der poli­ti­schen Lin­ken, son­dern auch von Natio­nal­so­zia­lis­ten wie Bäum­ler und Rosen­berg – den Vor­wurf des »Irra­tio­na­lis­mus« einbrachte.

Obwohl Kla­ges zu den popu­lärs­ten phi­lo­so­phi­schen Autoren der drei­ßi­ger Jah­re gehör­te und von eini­gen sei­ner Anhän­ger, vor allem sei­nem spä­te­ren Bio­gra­phen Hans Eggert Schrö­der, dem neu­en Regime – erfolg­los – als Vor­den­ker ange­dient wur­de, blieb er ein Außen­sei­ter, des­sen Werk zwar von Schrift­stel­lern wie Her­mann Hes­se und Robert Musil, Psy­cho­lo­gen wie Hans Prinz­horn und Phil­ipp Lersch und außer­aka­de­mi­schen Kul­tur­theo­re­ti­kern wie Wal­ter Ben­ja­min rezi­piert, von der Uni­ver­si­täts­phi­lo­so­phie aber weit­ge­hend igno­riert wur­de. Zu scharf war sei­ne Ableh­nung nahe­zu sämt­li­cher Reprä­sen­tan­ten der phi­lo­so­phi­schen Tra­di­ti­on; und zu schwer­wie­gend erschie­nen auch die Wider­sprü­che, die sich aus sei­nem radi­ka­len Dua­lis­mus ergaben.

Zu einer »Deut­schen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on«, wie sie der Dra­ma­ti­ker Wer­ner Deu­bel im Anschluß an Kla­ges erstreb­te, kam es nicht, aber sein Den­ken wirk­te auch nach 1945 fort – nicht zuletzt durch sei­ne Impul­se für die Ökologiebewegung.

DIE HERRSCHAFT DER MINDERWERTIGEN mani­fes­tier­te sich zwar erst 1927 in einem Buch­ti­tel, gehör­te aber seit Beginn der Wei­ma­rer Repu­blik unaus­ge­spro­chen zum Arse­nal der Kri­tik an ihr. Am Tag der Ver­ei­di­gung Eberts zum Reichs­prä­si­den­ten brach­te die Ber­li­ner Illus­trier­te Zei­tung auf dem Titel ein Bild, das Ebert und Noske in wenig vor­teil­haf­ter Pose, schmer­bäu­chig und in aus­ge­beul­ter Bade­ho­se, zeig­te. Der Klad­de­ra­datsch dich­te­te dazu eine neue »Volks­hym­ne«: »Heil dir am Bade­strand, Herr­scher im Vater­land, Heil Ebert, dir! Du hast die Bade­büx, sonst hast du wei­ter nix. Als dei­nes Lei­bes Zier. Heil, Ebert, dir!« Alles das ziel­te dar­auf ab, die Füh­rer der Repu­blik als min­der­wer­tig und unge­eig­net her­aus­zu­stel­len. In Hit­lers Mein Kampf bekommt die Paro­le eine anti­se­mi­ti­sche Bedeu­tung, wenn er schreibt: »Mit der Zer­trüm­me­rung der Per­sön­lich­keit und der Ras­se fällt das wesent­li­che Hin­der­nis für die Herr­schaft des Min­der­wer­ti­gen – die­ser aber ist der Jude.«

Das Buch von Edgar Juli­us Jung, das die Paro­le im Titel trägt, schließt sich die­ser Aus­le­gung nicht an, son­dern ori­en­tiert sich an Nietz­sche und Speng­ler, bei denen die »Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen« aller­dings nicht wort­wört­lich vor­kommt. Die For­mel ist aber ein­deu­tig von Nietz­sches Spät­werk inspi­riert, in dem er eini­ge Male den Begriff »Tschand­ala« ver­wen­det, der im indi­schen Kas­ten­den­ken das Min­der­wer­ti­ge bezeich­net. (Bereits 1899 hat­te Moel­ler van den Bruck sich in sei­ner Schrift Tschand­ala Nietz­sche mit die­sem Zusam­men­hang beschäf­tigt.) Nietz­sche spricht von »dem Nicht-Zucht-Men­schen, dem Misch-masch-Men­schen, dem Tschand­ala«. Ein direk­ter Bezugs­punkt zur Situa­ti­on von Jung ergibt sich, wenn Nietz­sche schreibt: »Wen has­se ich unter dem Gesin­del von Heu­te am bes­ten? Das Sozia­lis­ten-Gesin­del, die Tschand­ala-Apos­tel, die den Instinkt, die Lust, das Genüg­sam­keits-Gefühl des Arbei­ters mit sei­nem klei­nen Sein unter­gra­ben – die ihn nei­disch machen, die ihn Rache leh­ren …« In die­sem Sin­ne wur­de die Paro­le in den zwan­zi­ger Jah­ren ver­stan­den und als »Kaf­fer« (Hans W. Fischer), »Kanail­le« (Ernst Jün­ger) oder »Man« (Heid­eg­ger) viel­fach variiert.

Das Buch von Edgar Juli­us Jung erleb­te drei Auf­la­gen mit ins­ge­samt fünf­zehn­tau­send Exem­pla­ren. Daß das umfang­rei­che Buch viel gele­sen wur­de, ist unwahr­schein­lich. Aber es faß­te im Titel auf genia­le Wei­se zusam­men, was man in der natio­na­len Oppo­si­ti­on über die Wei­ma­rer Repu­blik dach­te. Ernst Jün­ger hat den Begriff in einem Auf­satz auf­ge­grif­fen, in dem er 1928 beklag­te, daß »Natio­na­lis­ten und Arbei­ter zusam­men in den Zucht­häu­sern sit­zen, wäh­rend drau­ßen die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen tri­um­phiert«. Gemeint ist immer das­sel­be: Die, die herr­schen, tun es zu Unrecht, weil sie cha­rak­ter­lich min­der­wer­tig sei­en. Herr­schaft im voll­wer­ti­gen Sin­ne wür­de bedeu­ten, daß sie sich dem Wie­der­erstar­ken Deutsch­lands wid­men müß­te und nicht dem libe­ra­lis­ti­schen Ver­zicht auf Poli­tik im eigent­li­chen Sinne.

Mit dem PREU­ßI­SCHEN SOZIALISMUS wird eine lan­ge Tra­di­ti­on des sozia­len Gedan­kens inner­halb des kon­ser­va­ti­ven Den­kens auf den Punkt gebracht. Die Tra­di­ti­on reicht von den Sozi­al­kon­ser­va­ti­ven des 19. Jahr­hun­derts (Her­mann Wage­ner und Bis­marck) über den natio­na­len Sozia­lis­mus von Fried­rich Nau­mann bis zum Kriegs­so­zia­lis­mus Walt­her Rathen­aus. Aus­gangs­punkt für die Paro­le vom »preu­ßi­schen Sozia­lis­mus« war die Schrift Preu­ßen­tum und Sozia­lis­mus von Oswald Speng­ler, die im Dezem­ber 1919 erschien und zahl­rei­che Auf­la­gen erleb­te. Rück­bli­ckend nahm Speng­ler für sich in Anspruch: »Von die­sem Buche hat die natio­na­le Bewe­gung ihren Aus­gang genom­men.« Der Aus­gangs­punkt Speng­lers ist dar­in die Novem­ber­re­vo­lu­ti­on, die »dümms­te und feigs­te, ehr- und ideen­lo­ses­te Revo­lu­ti­on der Welt­ge­schich­te«. Am Unter­schied zwi­schen eng­li­scher und preu­ßi­scher Staats­auf­fas­sung zeigt er, daß Marx nicht nach Deutsch­land gehö­re und es hier eine eige­ne Tra­di­ti­on des Sozia­lis­mus gebe. Preu­ßen sei kein his­to­ri­scher Staat, son­dern ein Instinkt, eine Hal­tung, ein Cha­rak­ter. Sozia­lis­mus defi­niert Speng­ler als Ethos, der Pri­vat­wirt­schaft vor­aus­set­ze und kei­nen Gegen­satz zwi­schen Arbeit­neh­mer und Arbeit­ge­ber ken­ne. Mit sei­ner Schrift woll­te Speng­ler die Kon­ser­va­ti­ven wach­rüt­teln, damit sie den neu­en demo­kra­ti­schen Zeit­geist, der unaus­weich­lich sei, nicht ver­schla­fen. Statt alt­kon­ser­va­ti­ver Besitz­stands­wah­rung for­dert er ein Zusam­men­ge­hen des wert­vol­len Teils der deut­schen Arbei­ter­schaft mit den »bes­ten Trä­gern des alt­preu­ßi­schen Staats­ge­fühls« unter dem Ban­ner des Pflicht­ge­fühls und der gemein­sa­men Auf­ga­be, der Gestal­tung einer deut­schen Zukunft – gegen den Ein­fluß des eng­li­schen Liberalismus.

Speng­lers pro­gram­ma­ti­sche Schrift hat der Paro­le vom »preu­ßi­schen Sozia­lis­mus« den Weg geeb­net. Sie ist aus dem Wort­schatz der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on seit­dem nicht mehr weg­zu­den­ken. Den Abschluß fand sie 1932 im Arbei­ter von Ernst Jün­ger, der die­sen preu­ßi­schen Sozia­lis­mus in der Gestalt des Arbei­ters sicht­bar macht. Wenig spä­ter wur­de sie durch die his­to­ri­schen Ereig­nis­se in Gestalt des Natio­nal­so­zia­lis­mus über­holt, was sich nicht zuletzt dar­in zeigt, daß der His­to­ri­ker Fried­rich Schin­kel die Paro­le bereits 1933 in dem gleich­na­mi­gen Buch historisierte.

 

 

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