Dies beachtend, reden wir jetzt über die NPD, denn das ist notwendig und gleichsam interessant.
Allerdings erweist es sich als schwierig, denn niemand, nicht einmal der dilettierende Verfassungsschutz, dürfte die wesentlichen Interna kennen. Wäre beispielsweise klar zu bestimmen, ob die NPD in den weitläufigen Bereichen ihrer Basis eine hitleristische Partei ist oder ob sie sich vom Nationalsozialismus in dessen historischer Gestalt abgrenzt? Vermutlich sind die meisten Wahrnehmungen von außen gerade mit Blick auf diese Fragen unklar und nur durch Mitglieder der in sich differenzierten Führungsriege darzustellen, dürfte man voraussetzen, daß deren politischen Stellungnahmen redlich und nicht eher aus vorbeugend taktischer Selbstzensur heraus erfolgen.
Mag sein, die allseits geschmähte Partei krankt – abgesehen von ihrem beeindruckenden verfahrenstechnischen und finanziellen Ungeschick – selbst eher an der eigenen ideologischen Ortung als an der Ausgrenzung durch die anderen und dem drohenden Verbotsverfahren. Abgesehen davon, daß es um belastete Begriffe und deren komplizierte Zuschreibungen geht: Die Semiotik avanciert mittlerweile ohnehin zur politischen Wisssenschaft.
Im übrigen wird die NPD, ganz abstrakt und logisch angeschaut, eine gewisse Exklusivität – und sei es jene des Skandals – nie verlieren, stellt sie sich doch selbst (und ebenso in den Augen der Betrachter) als die totale Alternative dar. Das ist, was die Gemüter erhitzt. Anders, gewissermaßen mit Luhmanns Systemtheorie angeschaut: Die NPD setzt systemisch eine krasse Unterscheidung, eine Differenz. Im wissenschaftlichen Wortsinn: Sie diskriminiert. Damit fordert sie die Aufklärung und deren gesamte Tradition heraus. Die verteidigt sich lautstark, nicht ohne Angst vor der eigenen Courage, sich ihrer selbst nämlich längst nicht mehr sicher. Pfeifen im Walde?
Außerdem: Die Protagonisten der NPD finden sich durch die sogenannte Zivilgesellschaft in einer Weise erledigt, verfemt und ins Abseits gestürzt, wie man es nur von Figuren Shakespeares kennt. Das ist keine Aufwertung, sondern ein Vergleich.
Hätte eine sich radikal verstehende Rechte eine Chance, die sich konsequent vom Hitlerismus distanzierte und rassistische, antisemitische, kurz nazistische Haltungen überhaupt glaubhaft ausschlösse, sich im klaren darin, welche Verbrechen zu Lasten der Hitler-Diktatur gingen? Kann es eine solche radikale Rechte in Deutschland geben, wo schon die moderate als Politverbrechen gilt? Wüßte sie zu relevanten, mithin moderneren Themen zu finden und sich auf Aktionen einzustimmen, die, wie seitens der Parteiführung beteuert wird, tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Oder ist das einfach unmöglich? Hat die NPD im Gegensatz zu anderen rechtsradikalen Bewegungen in Europa nicht eine verdammt altes Gesicht?
Wie bemerkt: schwierig darüber zu befinden, denn alles redet über die NPD, kaum jemand aber mit ihr. Thorsten Hinz hat in einem erstklassigen Beitrag auf die Malesche der Partei ebenso hingewiesen wie auf den “volkspädagogisch” inszenierten Theaterdonner, der um ihr Verbot veranstaltet wird. Ganz andere Fragen, meint er zu Recht, wären weit existentieller.
Die „Demokraten“, überhaupt all die erklärtermaßen „Anständigen“, tabuisieren die Rechtsaußenpartei nicht nur (was zum politischen Geschäft gehört); sie pathologisieren sie vielmehr und vergeben sich damit die Möglichkeit einer operativen Auseinandersetzung, die, wie sie finden, nicht zu führen ist. Die NPD wird als das politische Böse und dabei als ein nonkausales Phänomen betrachtet, das es so eigentlich nicht geben dürfte, ein Monstrum, das unerklärlich erscheint.
Die Positionierung der anderen fällt an dieser Stelle so leicht wie offenbar sonst nirgendwo. Sie gleicht der in Ost und West während des Kalten Krieges dauernd gestellten Gewissensfrage: Bist du für den Frieden? Es gab nur eine Antwort, und die hatte hüben wie drüben so undifferenziert wie reflexartig auszufallen, sonst erschien keine weitere Verständigung mehr möglich: Ja, natürlich! – Nur war damit sehr wenig gesagt und noch gar nichts bewegt. Einen Satz des Chefkommentators des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, „an die Adresse des Gegners“ könnten die „Anständigen“ auf die NPD übertragen, wenn sie nur ein Wort auswechselten: „Alles, was vom Westen kommt, kommt vom Gegner, auch die Wahrheit.“
Wer „gegen Nazis“ mitmacht, hat in bequemer Weise per se Recht, und zwar auf ganzer Breite; wer dabei distanziert bleibt, ist verdächtig, mindestens ein Verharmloser, vielleicht schon in Gefahr, am Ende gar bereits „Täter“. Das Gute an sich steht dem Bösen als solchem gegenüber, etwas, was es sonst so nur im Märchen gibt: Das Licht gegen das Dunkel, Rotkäppchen gegen den bösen Wolf, die Elben gegen die Orks, Harry Potter gegen Lord Voldemort. Das versteht jeder, das kann jeder; Irrtum von vornherein ausgeschlossen.
Selbst wo gar nichts mehr los ist, im äußeren deutschen Nordosten etwa, geht sofort etwas los, wenn „die Nazis“ kommen. Eine Handvoll davon reicht völlig aus, eigentlich schon ein einzelner. Verteilt da nicht jemand mit Kapuze auf dem Schulhof Musik-CDs? Die Pest ist in der Stadt, die braune Pest! Alle sind gefordert, wieder für weltanschaulich hygienische Zustände zu sorgen und beginnen mit dem vielfach durchgeprobten Programm von Menschenketten über Kerzenhalterei bis zur Mahnwache. Sorgen die „Nazis“ schon selbst für keinen Radau, weil sie durch ihre Führer autoritär diszipliniert werden, so um so mehr die in Sternfahrten anreisende „Antifa“, die sich stets gebärdet, als müsse augenblicklich ein faschistischer Putsch niedergeschlagen werden.
Denn der „Nazi“, das Gegenbild, ist immer der ganz andere, jener, der so, wie er ist, vernünftigerweise gar nicht zu denken wäre – und gerade deswegen ein Phänomen sondergleichen darstellt, weil es ihn dennoch gibt. Sichtbar und oft genug martialisch. Diese Tatsache ist der politischen Bildung selbst ein Rätsel, denn „der Nazi“, der „ewiggestrige“, müßte in unserer Welt, die sich im Verständnis von Aufklärung und hegelianischer Geschichtsphilosophie immer weiter verbessert und läutert, ideologisch längst ausgestorben sein, insbesondere weil „aus der Bewältigung der Vergangenheit“ von allen anderen längst „die richtigen Lehren gezogen wurden“ und so permanent wie flächendeckend „gegen Rechts“ gekämpft wird. Jedes Kind weiß doch, daß der „Nazi“ so etwas wie ein politisch Perverser ist, mit dem man keinesfalls mitgehen darf.
Der „Nazi“ aber erweist sich diesen Kampagnen gegenüber als resistent oder als verblendet „fehlgeleitet“. Von wem? Woher? Alle Argumente zur Klärung dessen muten geradezu gnostisch an. Es kann sich letztendlich nur um einen Defekt handeln, an dem alle anderen nicht leiden, der „Nazi“ aber umgekehrt in solcher Intensität, daß er es in seiner Verbohrtheit gar nicht merkt! Er ist „unbelehrbar“ in einer Art und Weise, die von modernen „Antifaschisten“ nur als etwas Krankes, Abartiges, mithin Gefährliches angesehen wird, wovon zudem Infektionsgefahr ausgeht. Udo Pastörs, der vor einem abseitigen mecklenburgischen Supermarkt Schüler und deren stummen Lehrer in ein Gespräch ziehen wollte, gilt deswegen als Mißbräuchler und wurde strafrechtlich verurteilt. Als Video-Filmchen eine finstere Posse!
Durchaus ergibt sich eine Art Weltanschauungs-Apartheid, die es ausschließt, „Nazis“ zur Auseinandersetzung überhaupt zuzulassen, denn das hieße, ihnen „ein Podium zu bieten“ und so die Gefahr der Verführung anderer sehr unfreiwillig gar noch zu erhöhen. Nein, da bleiben nur Sprechchöre, Pfeifkonzerte und „kreativer Protest“, um die feindlichen Redner niederzuschreien. Oder anders: Sich bei Spitzenkandidaten-Interview-Runden nach Landtagswahlen mit NPD-Erfolgen umzudrehen und lieber zu verschwinden, wenn der “Nazi” etwas zu sagen versucht, versteht man neuerdings unter „Kampf“
Einerseits verfügen die Nazibekämpfer über ein an Selbstgefälligkeit grenzendes Selbstbewußtsein, anderseits trauen sie dem Vermögen des Demokratischen nicht mehr zu, im Meinungsstreit zu obsiegen, obwohl dessen Kultur Ultrarechte in einst erprobte Rituale der Rede und Gegenrede hineinzwänge. Die Habermassche Diskursethik, das philosophische Selbstverständnis der Republik, soll oder darf gegenüber Rechten nicht gelten.
Geläuterte „Nazis“, Renegaten und Überläufer, müssen folgerichtig nicht nur zum eigenen Schutz in ein Quarantäneprogramm, sondern weil es, wieder wohlmeinend gedacht, gar nicht anders geht, wenn einer derart kontaminiert ist. So jemand braucht Zeit für die politische Genesung von ideologischer Durchseuchung. Den Fall Nadja Drygallas kann man dem Verfahren nach als Beispiel zeitgemäßer Inquisition auffassen. Man zeigte der mit einem „Nazi“ Liierten höflich die Werkzeuge, und das läuterte sie glücklicherweise. Drängte man sie erst aus dem olympischen Rennen, folgen jetzt, da sie doch einsichtig ist, die Gnadenakte der Wiederzulassung zu Förderungsprogrammen.
Da den modernen „Antifaschisten“ all jene rechts der Mitte mindestens potentiell als „Nazis“ gelten, da ferner „Nazis“ und „Rechte“ fast durchweg als Synonyme verstanden werden bzw. angenommen wird, daß der „Rechte“ irgendwann wie unter evolutionärem Druck Gefahr läuft, zum „Nazi“ hinüberwachsen oder unter besonderen Bedingungen spontan in dieser Richtung zu mutieren, wird dieser Gegner als sehr gefährlich empfunden, verschlimmert noch dadurch, daß mit gesteigertem Feingefühl nahezu überall, in politischen Handlungen wie in der Sprache, Anzeichen einer Gefahr von rechts ausgemacht werden. Schon rein prophylaktisch. Allen „rechts“ der Mitte, aber „links“ der NPD wird zudem die Perfidie unterstellt, vor allem eine „Scharnierfunktion“ erfüllen zu wollen – eine Hinterhältigkeit also, der insbesondere intellektuelle Rechte geziehen werden, die stets im Verdacht stehen, die NPD durch die Hintertür hereinzuwinken.
Mit Fug und Recht darf man der NPD einiges, darunter sehr Prinzipielles unterstellen. Aber kann man diese ausgegrenzte, geschmähte, von allen Seiten an den Pranger gestellte Partei, die sich zudem inhaltlich, finanziell und kaderpolitisch auf so verblüffende Weise immer wieder selbst demoliert und verschleißt, tatsächlich für eine Gefahr halten, die sich anschickt, nach der politischen Macht zu greifen und Deutschland in die Finsternis zu stürzen?
Niemand dürfte damit rechnen – trotz lauter Worte, trotz schwarzer Demos, trotz NSU. Aber die dagegen sich aufstellende und den Mut ihrer hohen Mehrzahl so hochschätzende Gegen-rechts-Bewegung, diese vielleicht letzte deutsche Volksfront, möchte in der NPD bzw. „den Nazis“ eine existentielle Bedrohung erkennen. Um ihres eigenen Selbstverständnisses willen! Sie muß es, denn sie lebt aus der Projektion. Gegenbild des Nazismus ist einvernehmlich die „demokratische Mitte“, ein schwieriger Ort deswegen, weil sie in der Krise ist – unter anderem deswegen, weil sie sich selbst nicht mehr differenzieren will und differenzieren läßt. Sie setzt keine Unterschiede und nähert sich so der Blockpolitik, für die bereits ein Name generiert ist – die Mitte. Die Wahlbeteiligung sinkt daher stetig, das Prinzip der Subsidiarität steht seit längerem in Frage, die offiziell erwünschte Supranationalität der EU konterkariert erlebbar erprobte nationale demokratische Regularien, der Bürger, insofern es ihn als „Citoyen“ überhaupt noch geben mag, erkennt, daß vielfach die Macht eben nicht mehr von ihm ausgeht, weil seine Entscheidung immer weniger Wesentliches legitimieren oder ablehnen darf – den Euro ebensowenig wie eine einst angestrebte EU-Verfassung.
Als die Demokratie national noch funktionierte, war „der Nazi“ kaum Thema. Heute ist er das allererste, und zwar in Permanenz und mit freudianischen Phänomenen: Immer wieder die Schirmmützen in immer neuen TV-Dokumentationen, und kaum eine moderne Theater-Inszenierung, die ohne eine SS-Fratze auskommt, einerlei ob die nun hineinpaßt oder nicht. Es ist das Zeichen einer paranoiden Gesellschaft, wenn jeder, der etwas nachdrücklich Kritisches schreibt oder spricht, sich damit der Gefahr aussetzt, als Nazi oder als dessen Helfer verschrien zu werden. Als Brandstifter, der Biedermann bedroht! Autor der JF oder SEZESSION zu sein reicht völlig aus, anderswo zur persona non grata zu werden.
Der gefährlichste Feind der Demokratie ist eben nicht der „Nazi“, sondern – wie oft in der Geschichte – die Demokratie als das schwierige Geschäft politischen Ausgleichs von Interessen selbst. Es fällt nur schwer, darüber zu reden – in der erforderten Genauigkeit, im historischen Verständnis, in der Disparität der Interessen und in kritischer Ansicht der Akteure. Es fällt weit leichter, über „den Nazi“ zu sprechen, der, wie alle wissen sollen, die Demokratie nicht will. Da kann man im großen Konsens endlich jemanden dingfest machen und sich etwa die enervierende Diskussion darüber, warum man in unserer Demokratie zwar wählen, aber manch Mißliebiges nicht abwählen darf, sparen.
Auf die NPD einzudreschen erscheint einfacher und freudvoller, als eine echte Demokratie wieder „von unten auf“ zu denken, beispielsweise als Diskurs darüber, inwiefern „marktkonforme Demokratie“ mit all ihren vermeintlichen Alternativlosigkeiten eben keine lebendige Demokratie mehr ist, sondern zu einer Marketing-Agentur der Wirtschafts- und Finanz-Welt verkommt. Falls ein “gesamtgesellschaftlicher Diskurs” in Anbetracht der Ausdifferenzierung von Interessen überhaupt noch möglich ist, denn eher als diskutiert wird entschieden. Dezisionismus konterkariert Demokratie.
Man muß gar nicht so weit ausgreifen, es reicht aus, verfestigte Leit- und Trostbegriffe kritisch anschauen zu wollen, und man wird von den Eliten, „Multiplikatoren“ und Bekennern als Anti-Demokrat verunglimpft, der an den Grundfesten der freiheitlichen Ordnung rührt, obwohl man, im Gegenteil, die Debatte als Herzstück des Demokratischen wieder zu beleben wünscht.
Indem die selbsterklärten Demokraten die müde gewordene Demokratie selbst keiner Revision unterziehen, sondern ihr pauschal als Abstraktum applaudieren, indem sie in dieser Nachlässigkeit aber mindestens intuitiv erleben, daß Demokratie aus Veränderungen heraus, die ein waches Bürgerbewußtsein so nie hätte zulassen dürfen, kaum mehr lebendig funktioniert, wenden sie sich, einen faulen Burgfrieden schließend, „gegen Rechts“, weil sie dort eine Gefahr zu identifizieren meinen, die handhabbar ist. Man sollte diesbezüglich Karl Raimund Popper neu lesen und den Mut zu Falsifikationen aufbringen.
Die existentielle Gefährdung der Demokratie geht mitnichten von der NPD aus, sondern von Exponenten des Establishments selbst, die sich ebenfalls lieber auf Anti-Nazi-Demos feiern lassen und selbstverständlich ein schnelles NPD-Verbot fordern, als hart mit sich ins Gericht zu gehen – ein Vorgang, der ohnehin mehr und mehr dem Verfassungsgericht obliegt. Worin man nun tatsächlich ein ernstes Zeichen erblicken kann.
Hermann Becker
Man lebt in Symbiose, die pc-Demokraten mit der NPD. Auffallend ist seit langem, daß man den Popanz NPD, der vermutlich zu diesem Zweck unterhalten wird, stets dann aufbaut, wenn allerhand gemauschelt werden soll.