zudem aus dem „SED-Zentralorgan“ hervorgegangen ist, sich angestrengt wendete, wenden mußte, sich aber nicht verriet, sondern in ihrem angestammten Spektrum zu einem informativen und gehaltvollen Blatt entwickelte. Mit für den literaturinteressierten Leser vergleichsweise hervorragendem Feuilleton!
Man mag es hier finden, wie man will: Ich hielt es für angezeigt, in der Wochenendbeilage des ND einen meiner Essays zur sogenannten neuen Lyrik zu veröffentlichen, und zwar unter meinem im Netz völlig fadenscheinigem Pseudonym, dessen Öffnung ich Protagonisten der Lyrik-Szene zu verdanken habe, die sich von mir angegriffen fühlten und mit allerlei Schmähung an der Grenze des Cyber-Mobbings reagierten. Gerade deswegen beschloß ich, Literarisches und Essayistisches unter dem verschlissenen Namen „Martin Mollnitz“ ganz bewußt weiter zu publizieren, sandte ein Manuskript an die Kulturredaktion des ND und wurde prompt an exponierter Stelle plaziert.
Das geschah an einem Sonnabend. Bereits am Montagmorgen war der Skandal da: Irgend jemand hatte gleich früh die Kulturredaktion alarmiert, die von mir Rechenschaft forderte, denn es gäbe „ein Verdikt, daß Autoren der ‚Jungen Freiheit’ im ND nichts zu suchen hätten.“ Mir schoß am Telefon nur ein: Gibt es ein solches „Verdikt“ umgekehrt gegen linke Autoren ebenso in der JF oder „Sezession“. Ich hoffe doch nicht. Einer sich frei verstehenden Presse sollte es nicht primär um Parteigängerei zu tun sein! Die Stimmen der anderen sorgen erst für Debatten, von denen wir uns mehr wünschen sollten.
Um die Redakteurin zu beruhigen, schrieb ich sehr freundlich an die Chefredaktion und erklärte mich. Dort nämlich war man völlig aufgescheucht, ja hocherbost, mutmaßte man doch ein rechtes Bubenstück und machte später unmißverständlich klar: „Ihr Lyrik-Text wäre im ‚Neuen Deutschland’ nicht erschienen, hätten Sie die zuständige Redakteurin nicht über ihre wahre Identität arglistig getäuscht.“
Arglistig getäuscht! Ich bot an, öffentlich zu reagieren und empfahl, mir doch noch einmal eine schöne große Seite Platz einzuräumen, um hinsichtlich Politik und Literatur über die Begriffe des Linken und Rechten nachdenken zu dürfen, aber man verzichtete lieber darauf. Dies um so mehr, da ich – zufällig – in einem anderen Beitrag des ND als Referent vor der „rechten Burschenschaft ‚Gothia“ benannt wurde, worauf darunter der Blog-Kommentator „Johannes20“ mit Blick auf meinen Lyrik-Essay sofort denunzierte: „Im Artikel wird ein Herr Bosselmann erwähnt, ein Kolumnist der rechtsnationalen Wochenzeitung ‚Junge Freiheit’. Vielleicht sollte man mal erwähnen, daß er auch ein ND-Autor ist. Unter dem Namen Martin Mollnitz veröffentlichte er am 24.11.2012 einen Essay im ND. Eine Reaktion des ND ist bisher nicht erfolgt.“ – Hört, hört! Vielleicht sollte man mal erwähnen … Und weshalb schweigt die Chefradaktion zu der rechten Bazille? – Was für eine zählebige Mentalität des Anzeigens und Denunzierens! Kann man sich auf etwas verlassen, dann darauf, daß sofort jemand anzuschwärzen bereit ist, vorzugsweise politisch, weil’s so noch immer am sichersten Erfolg verspricht.
Ich kommentierte gleichfalls umgehend, stellte klar, daß mein Essay über Lyrik rein gar nichts mit einem Vortrag über Bildung bei der „Gothia“ zu tun hat, wurde aber mit meinen zwei sehr moderaten, sachlichen und ausnehmend höflichen Anmerkungen nicht freigeschaltet – ein Vorgang, wie ich ihn im Online-Journalismus noch nie erlebte. Statt meiner meldete sich der Chefredakteur in der Spalte doch lieber persönlich und beeilte sich väterlich vorzubeugen, damit nicht noch mehr artige linke Leser verschreckt würden:
„Hinter dem Pseudonym verbarg sich Heino Bosselmann. Unter seinem Originalnamen schreibt er seit mehreren Jahren als Kolumnist für die ‚Junge Freiheit’ wie auch für das nationalkonservative Magazin ‚Sezession’. In einer Erklärung gegenüber unserer Redaktion entschuldigte Bosselmann sich, daß er über seine tatsächliche Identität nicht informiert hatte. Als Grund nannte er: Sein Text wäre dann sicher abgelehnt worden. Das ist richtig vermutet: Für JF-Kolumnisten hat ‚ND’ keine offenen Seiten.“
Ach ja, das „Verdikt“! Tatsächlich hatte ich per Mail eine solche „Entschuldigung“ formuliert – vor allem um die Redakteurin aus der Bredouille zu nehmen, die meinen Essay angenommen hatte und drucken ließ, bevor es dann in der Chefredaktion zu Krisensitzungen kam und eilige Mails kursierten, die mir vorliegen, weil sich noch überall ein Klardenker findet, der einem den O‑Ton durchkopiert, weil er sonst mit seinem stillen konsterniertem Kopfschütteln allein bleibt.
Fazit: Das Grundproblem besteht darin, daß es, seit die Rede auf Heino Bosselmann kam, überhaupt nicht mehr um meinen Lyrik-Essay ging, der beifällig angenommen und publiziert worden war, sondern nur noch darum, DASS ich Autor der „Jungen Freiheit“ und der „Sezession“ bin. Gegenüber der Politik schweige also die Literatur! Als ich nachfragte, welch gefährlich rechtes Gedankengut man mir in meinem Essay nachweisen wolle – nur indigniertes Schweigen. Ich wurde als der böse, böse Rechte angesehen, der sich im trojanischen Pferd seines eigenen Feuilleton-Beitrages in die Zeitung geschmuggelt hatte. Und man war ärgerlich, darauf hereingefallen zu sein. – Nur war das überhaupt nicht mein Ansinnen! Es sollte gar keiner hereinfallen. Ich wollte über Lyrik reden. Mehr nicht!
Mindestens meines Wissen wurde weder von der „Jungen Freiheit“ noch von der „Sezession“ aus ideologischen Gründen abgewiesen, wer dort schreiben wollte. Offenbar gibt es keine „Verdikte“. Ich rechne den beiden Blättern zudem hoch an, daß sie fraglos Beiträge von mir veröffentlichten, die im landläufigen Verständnis nicht unbedingt als konservativ oder als rechts zu identifizieren wären. – Wer in der konservativen oder rechtsintellektuellen Presse veröffentlicht, riskiert, daß er außerhalb dieses Ortes zu schweigen hat – ganz egal, wovon er reden wollte. Ganz abgesehen davon, daß er vielen als persona non grata gelten wird und mit Karriereplänen besser abschließen sollte. Längst wäre eine offensive Diskussion darüber zu führen, ob Autoren nichtradikaler Blätter einer institutionellen Zensur derart anheimfallen, daß sie, schreiben Sie für die JF oder „Sezession“, nicht einmal – wie in meinem Fall – in belletristischen Verlagen Lyrik und Prosa veröffentlichen können, sondern mit klarem Verweis auf ihren journalistischen Ort abgewiesen werden.
Die beiden Chefredakteure des ND jedenfalls, die sich doch wohl als intellektuell kämpferische Linke verstehen dürften, hat der Mut verlassen, nachdem ihnen hinterbracht wurde, wer da plötzlich in ihrem Feuilleton steht. Souverän fand ich das nicht. Schade, ich hätte mir eine interessante übergreifende Diskussion vorstellen können, die ich mir schon lange wünsche, wäre mir ein zweiter Auftritt, diesmal eher politisch akzentuiert, gestattet worden. Aber nein, statt dessen Weltanschauungsapartheit: Nicht bei uns!
Kurt Schumacher
Lieber Herr Bosselmann, die Reaktion des ND war kleinlich, typisch BRD. Sie haben recht, von einer Zeitung, die selbst "randständig" ist, hätte man etwas mehr Offenheit erwartet. Das "Neue Deutschland" (ich lese es selbst ab und zu, und ich bin ein konservativer "Wessi") hat doch die einmalige Chance, ein Stück anderen Lebens im falschen weiterzutragen. Man sollte meinen, der Rückhalt der DDR-Vergangenheit würde die Redaktion immunisieren gegen die BRD-Konformität?! Aber nein. Auch nur eine Zeitung wie viele andere. Schade.
Nur: warum verwendeten Sie das Pseudonym "Martin Mollnitzer"? Sie sagen ja selbst: im Netz-Zeitalter fadenscheinig. Warum wählten Sie nicht ein frisches, unverbrauchtes?
Zu Ihrer Lyrik-Besprechung: tut mir leid, da will ich Ihnen nicht folgen. In meinen Augen ist diese Nora Bossong einfach Gartenlaube 2.0; ein Fall für den Papierkorb.