als der vergleichsweise kleine „Verein für Sprachpflege (VfS)“ und die ihm angeschlossene Zeitschrift „Deutsche Sprachwelt“, beide maßgeblich geführt durch den unermüdlichen Thomas Paulwitz.
Wer sich so fachlich versierter wie engagierter Verbündeter gegen die unsägliche Banausigkeit der administrativ durchgedrückten Rechtschreibreform, gegen so verheerende Lehrmethoden wie jener von Jürgen Reichen („Lesen durch Schreiben“) oder gegen die jetzt forciert betriebene Abschaffung der Schreibschrift versichern wollte, kommt an dem rührigen Verein nicht vorbei.
Mit seinem jüngsten Vorhaben folgt er sinnvoll und geschickt der beliebten bildungstouristischen Idee, Orte von einschlägiger Bedeutung zu einer thematischen Route zusammenzufassen, gemäß seiner Intentionen also zur „Straße der Deutschen Sprache“.
Gegen dieses Ansinnen beckmesserte im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ vom 3. Januar Burkhard Müller, ein auf sympathisch unmoderne Weise durchgebildeter Journalist und Buchautor, der noch über Spektrum verfügt, dem man als aufmerksamer Leser eine Menge verdankt und der zu jenen wenigen Skribenten gehört, deren Stil und Diktion selbst ohne Autorenangabe erkennbar sind – ein markanter Schreiber, immer kritisch, stets pointiert, dabei uneitel auf eine klassische Bildung zurückgreifend, die nirgendwo mehr vermittelt wird.
Jetzt allerdings meint er, daß die bereits etablierte „Straße des Bieres“ ihm sinnvoller erscheine als eine „Straße der Deutschen Sprache“, die zwei Dutzend Orte in Mitteldeutschland verbindet. Mitteldeutschland! Schon allein dieser gefährlich mißverständliche Begriff, der entweder rein geographisch das Gebiet mitteldeutscher Mundarten umfaßt, gelegen zwischen der norddeutschen Tiefebene und der Mainlinie, oder der eben, wie Müller mutmaßt, eine „prekäre Mitte“ bezeichnet, „bei der eine längst weggebrochene östliche Peripherie stillschweigend mitgedacht wird.“ Womit für Burkhard Müller offenbar der hinlängliche Beweis dafür erbracht ist, daß es sich mit der „Straße der Deutschen Sprache“ um ein Unterfangen unverbesserlicher Reaktionäre und Revanchisten handelt, für die die Orte Kants, Gryphius’, Hoffmanns und Eichendorffs nicht an der “Peripherie” lagen, die gewissermaßen aus statischen Gründen so “wegbrach”.
Abgesehen davon, daß Müller die Streckenführung bemängelt, daß er meint, Geburtsorte sagten kaum etwas über Dichter aus und daß es kein zu vermarktendes Interesse der Deutschen an einer solchen Straße gäbe, versteigt er sich in eine sprachphilosophische Exegese der eigenen Art:
„Aber eine Straße der Deutschen Sprache – das tut so, als gäbe es für sie privilegierte Zonen, die sich im Land verteilen wie in der Welt des alten Glaubens die Orte der Heiligkeit, zu denen man pilgert, weil man dort besonderen Segen und sogar Genesung zu empfangen sucht. Das aber hieße das Wesen der Sprache verkennen, die das allgemeinste und gleichmäßigste Gut der Menschheit überhaupt darstellt. Jeder Sprecher hat die Sprache ganz und hängt über diese Nabelschnur in einem direkten Verhältnis mit dem verdunkelten Ursprung unserer Gattung zusammen (…) ‚Was du ererbt von deinen Vätern hast,/Erwirb es, um es zu besitzen!’ – diesen Satz aus dem ‚Faust’ kann man wohl ohne Abstriche als Devise aller Sprachpfleger bezeichnen. Aber wozu erwerben, was man schon besitzt?“
Was man schon besitzt? Jeder Sprecher hat die Sprache ganz? Ja, er mag sprechen können, notfalls mit limitiertem Wortschatz, aber die Verluste sind spätestens im Schriftsprachlichen signifikant.
Weiß Burkhard Müller, daß er mittlerweile in einem Land publiziert, in dem nach Feststellung des Rates für deutsche Rechtschreibung zwanzig Prozent aller Fünfzehnjährigen funktionale Analphabeten sind und in dem das Abitur im Fach Deutsch nur deswegen in so hoher Zahl bestanden werden kann, weil die Korrektur auf Fehlerquoten zu verzichten hat und nur bei gravierenden Verständnisschwierigkeiten bis zu zwei Notenpunkte abzieht? Weiß er um die große Unverbindlichkeit des Literaturunterrichts nach Rücknahme der Kanonisierung und überhaupt um das Problem, daß für viele Heranwachsende Sprache ganz offenbar keinen kulturellen Wert darstellt, wenn man sich nur irgendwie rudimentär noch über das Wichtigste zu verständigen weiß? Ahnt Müller, daß seine geistreiche Essayistik von einem großen Teil der Abiturienten leider kaum verstanden würde und daß denen das Feuilleton der deutschen Qualitätspresse ein ganz unbekanntes Gelände ist?
In eigener Sache: Spätestens seit den Neunzigern habe ich bei aller Mühe im Üben und verzweifelten Anregen eine Menge Schüler mit gutem bis sehr gutem Abitur entlassen, von denen klar war, daß sie nicht auf qualifiziertem, geschweige denn akademisch erfordertem Niveau lesen und schreiben können! Dies geschah nicht, weil ich ein sehr kulanter Lehrer und Prüfer bin, sondern einfach entlang der völlig aufgeweichten ministeriellen Vorschriften und Erwartungsbilder! Es ist in Deutschland mittlerweile überhaupt kein Problem, ein Deutsch-Abitur abzulegen, ohne von der deutschen Sprache eine hinlängliche Ahnung zu haben, einerlei ob im Elementarbereich, im Stilistischen oder Literarischen. Nein, man muß dafür kaum mehr auch nur eine funktionierende Sprachlichkeit nachweisen.
Noch beklagen die Professoren die wachsende Zahl agrammatischer Studenten; aber sie werden ebenso reagieren müssen, wie es die Schule seit Jahrzehnten praktiziert: Niveau senken, Bewertungen inflationieren, Abschlüsse einfach zuerkennen. Die Politik will es so: Mehr Abi – mehr Jobs! Möglichst per Dekret.
Eine „Straße der Deutschen Sprache“ wird Deutschland nicht realphabetisieren, aber sie ist das richtige Signal, um überhaupt wieder darauf hinzuweisen, daß die Sprache engstes Geschwisterteil des Denkens und somit des Fühlens und Handelns ist. Wenn es der Politik rhetorisch schon immer um die Entwicklung von Freiheit und um die Entfaltung von Persönlichkeit und Individualität zu tun ist, so wird dies ohne aktive Sprachpflege nicht möglich sein. Aber die sogenannte politische Klasse agiert so geschichts- wie sprachvergessen. Mittlerweile dürften die ersten von der Schule selbst zu verantwortenden Sprachversehrten in den Parlamenten, Ministerien und vielleicht gar im Fachbereich Deutschunterricht der Germanistik angekommen sein. Daß die politische Redekultur litt, wird vielfach beklagt; von der dazugehörigen Schreibkultur sieht man dagegen weniger. Es dürfte ihr nicht besser gehen.
Die „Straße des Bieres“ von Passau nach Bad Frankenhausen hat sicher ihre alltags- und sogar kulturgeschichtliche Berechtigung. Allerdings: Gäbe es sie nicht, müßte man sich um den Bierkonsum kaum sorgen. Auf die noch immer faszinierende deutsche Braukunst brauchte man nicht eigens aufmerksam machen, auf den Niedergang der Sprache jedoch wäre unerläßlich hinzuweisen. Vielen Dank, Verein für Sprachpflege, vielen Dank an Herrn Paulwitz und dessen Mitstreiter.
Das von Müller bemühte große Faustwort stand in Antiqua-Lettern über dem Portal meiner alten Schulen, einer “Erweiterten Oberschule” der DDR. Sicheres Sprachvermögen war dort Eingangs‑, heute ist es nicht mal mehr Ausgangsbedingung.
Gottfried
"Das aber hieße das Wesen der Sprache verkennen, die das allgemeinste und gleichmäßigste Gut der Menschheit überhaupt darstellt."
Es gibt ja so eine Irrlehre der "Sprachwissenschaftler" (Linguisten) die "Sprache" (ohne Artikel im zeitgenössischen BERTELSMANN-Jargon am besten) für ein autonomes Subjekt halten, wie den z.B. Löwenzahn, der sich nachweisbar über die Aussaat selber tradiert.
"Sprache prägt Kultur. Kultur begegnet Politik. Politik trifft Kirche ..."
Unsere Kultur, die vom Humanismus nicht aufrechterhalten werden kann und als ein Feind betrachtet muß, weil sie Unterschiede ("Diskriminierungen") abbildet, ist nichts anderes als die Summe aller Repressionen, die dem aufwachsenden Einzelnen entgegengesetzt werden beim Bestreben der freien Entfaltung seiner kreatürlichen und narzißtischen Augenblickswünsche.
Der Humanismus vergötzt in weiblicher Art und Weise den Präsens, das Gerade-so-sein, die männliche Kultur hingegen ist das Futur, das Werden.
Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, wenn der ewigheutige "Kommunikations"-Romantiker lehrt, daß die Sprache ein Medium der Nachrichtenübertragung sei und Verbindung schaffe.
Auch das kann mitunter passieren, jedoch ist der jeweilige Wortschatz des Einzelnen in sehr hohem Maße auch dazu da, Distinktion zu schaffen, niemand erträgt es in seiner Lebenswirklichkeit, nur einer der sieben Millarden Gleichen des Götzen der Humanisten, der "Mensch"heit zu sein, seiner Identität beraubt, auf sein nacktes Menschsein reduziert.
Forscht man länger nach, dann bemerkt man auch, daß der Linguist ja auch nichts gegen die Subkulturen verschiedener primitiver Jugendsprachen hat, ganz im Gegenteil. Er bekämpft nur jede Bemühung, die für die Pflege unserer deutschen Standardsprache oder gehobener Sprachformen geleistet wird.
So mag der Linguist eigentlich auch nicht von Literatur sprechen, er zieht den Terminus "Texte" vor, um alles einzuplanieren, so daß den gleichen "Menschen" schließlich die gleichen Güter zur Verfügung stehen.
Nee, also wirklich, "die Sprache ganz haben", gerade, wenn man weit überdurchschnittlich sprachbegabt ist, wälzt man doch immer wieder einmal seine Nachschlagewerke, oder nicht?
Oder man ist reich mit Sprache ausgerüstet und stellt dann jedoch fest, daß immer mehr Jetztsassen bei immer mehr Begriffen nicht mehr verstehen, worum es geht.
Im DUDEN wurden mal, und zwar wegen der Doppeleintragungen "Sonntagsfahrer" bzw. "Sonntagsfahrerin", unzählige Eintragungen gestrichen, damit der Band nicht zu dick ausfiel.