Martin Lichtmesz´ großes Porträt anläßlich Seidls 60. Geburtstag sowie vor allem seine Filmkritik in der jüngsten Jungen Freiheit haben mich verlockt. Ich hatte Grund zur Hoffnung auf einen grandiosen Film. Erstens liegen mir realistische, gern auch „naturalistische“ Filme näher als romantische, zweitens interessiert mich das Sex-Tourismus-Thema, drittens schätze ich mich als wenig empfindlich ein bezüglich politischer Unkorrektheit, viertens stimme ich mit Lichtmesz ohnehin meist überein. Jedoch: Der Film war ein Grauen.
Der Spielfilm zeigt die alleinerziehende, mittelalte Teresa, die während eines Urlaubs in Kenia den Liebesverheißungen junger Autochthoner auf den Leim geht. Diese Version des Sextourismus, die die altbekannte Thaiversion geschlechtermäßig umkehrt, ist noch nicht allzu lange ein Massenphänomen. Sie ist es bis heute in vergleichsweise bescheidenen Ausmaßen.
Teresa also, eine biedere Frau der mittleren bis unteren Mittelschicht, hat traurige Erfahrungen mit Männern gemacht. Die offensive Schwärmerei ihrer Freundin vom Liebesspiel mit jungen schwarzen Gigolos wehrt sie genauso ab wie die Zudringlichkeiten der Kenia-Boys. Erst als da einer kommt, der rudimentäre Gesten der Höflichkeit beherrscht und „ernsthaft“ behauptet, in Teresa verliebt zu sein, wird sie schwach. Stutzig wird sie, als Munga um immer mehr Geld für „soziale Zwecke“ bittet: Das Kind seiner Schwester sei schwer krank, der Vater brauche medizinische Hilfe. Als Teresa dann Munga mit „Schwester“ und Kind in inniger Umarmung zufällig am Strand sieht, reagiert sie denkbar erbittert.
Ein verständnisvoller Tröster ist bald gefunden. Dabei sind weder sie noch die jungen Schwarzer eigentlich auf sexuelles Vergüngen aus. Sie sucht jemanden, der in ihr Herz, in ihre Seele vorstößt, die Männer benötigen Geld; für ihre Familien, vielleicht auch für ein fesches Mofa.
Eine tragische Konstellation, die natürlich vielerlei altbekannte und daueraktuelle Fragen tangiert: den Marktwert des Körpers und des Gefühls, die Attitüde des weißen Herren, der hier und jetzt eine Dame ist, die Rolle des Tourismus als Wirtschaftsfaktor, die Emanzipation der Frauen wie die der Schwarzen.
Und was macht nun Seidl daraus? Lichtmesz zitiert Werner Herzog, der in Seidls Filmen „eine tiefe Utopie, eine Sehnsucht“ erkennen will. Er, Lichtmesz selbst, sieht eine „durchaus christlich durchtränkte Melancholie, eine Sensibilität der Desillusionierung und des Gefallenseins“. Seidls Paradies-Trilogie – Paradies:Liebe ist deren erster Teil, der zweite, Paradies:Glaube sei wegen einer angedeuteten Masturbationsszene mithilfe eines Kruzifixes bereits auf Empörung gestoßen – formuliere einen „Anschluß an christliche Bedeutungsfelder”, weshalb er die drei separat anlaufenden Filme nach den Kardinaltugenden betitelt habe: Glaube, Hoffnung, Liebe. Lichtmesz lobt, daß Seidl das „letztendliche Urteil“ dem Betrachter selbst überlasse. Daß er seine Protagonisten „nicht denunziere“. Vor allem: daß hier „mit Erbarmen“, „auf eine subtile, respektvoll distanzierte Weise“ auf diese Welt geblickt.werde
Gut: der Film war nie langweilig, immerhin. Dennoch habe ich nichts von all dem gesehen, das Lichtmesz euphemistisch bennent, von der christlichen Melancholie, schon gar nicht von Respekt, Distanz , Subtilität und Erbarmen, auch nichts von einer moralischen Offenheit. Was ich sah, war das exakte Gegenteil: Bloßstellung, Zynismus, Erbarmungslosigkeit. Der Film, dessen Anfangsszene wenig subtil geistig Behinderte (von Teresa betreut) in ekstatischen Zuständen zeigt, kennt – mit einer Ausnahme, einem Schwarzen, der die erotische Annäherung an Teresa voller Skrupel verweigert – nur Menschen in ihrer niedrigsten Gestalt.
Sämtliche Frauen, die man sich in würdig bekleidetem Zustand als wohlbeleibt vorstellen darf, treten im Film großteils halb- oder vollends nackt auf. Selbst wo sie es nicht tun – Teresas Teenager-Tochter und ihre Bekannte, die sich um Kind und Katze kümmert- werden sie als heillos monströse Figuren gezeichnet. Faul, behäbig, dumm, banal, hochkompliziert, kichernd, in jedem Fall unmäßig. Die Nacktheit der geistig-seelisch verwahrlosten Keniatouristinnen nutzt Seidl aus, um seinen Streifen letztlich zum Horrorfilm zu verwandeln: Unter dem biederen Angestelltengesicht der einen Urlauberin baumeln Speckmassen in Zentnern, Teresa selbst wird in schonungslosen Langeinstellungen als Fleischhaufen unterm Moskitonetz gezeigt, man sieht sie bei hygienischen Verrichtungen, bei grotesk anmutenden „erotischen“ Annäherungen und wieder und wieder bei der traurigen Vorführung gegenüber ihrem Liebhaber, wie segensreich ihr Büstenhalter wirke: „up“- der BH wird gelöst- „down!“ Das gesunkene Fleisch, das down erscheint Teresa als ihr Schicksal, sie quittiert es selbst mit bleiernem Gelächter, und wir erinnern uns ungut an die ausgelassenen Menschen mit Down-Syndrom aus der Eingansszene. Und wir fragen uns beklommen, ob nicht diese gnadenlos sich entblößenden Schauspielerinnen eine Form der Prostitution vorexerzieren.
Überhaupt, diese bestialische Bildersprache! Seidl zeigt uns die bettelnden, nicht loszuwerdenden Affen auf Teresas Balkon, und zeigt hernach die prekären Schwarzen am Strand, die nichts anderes tun: Lästig sein wie die Schmeißfliegen, sich weder abwimmeln noch kraß verscheuchen lassen und akrobatische Turnübungen vorführen, affengleich eben.
Die Weiber hingegen gleichen ebensowenig feinsinnig dem nackten toten Huhn, nach dem bei einer touristischen Vorführung die Krokodile schnappen. Als Tiere zeichnet Seidl die Kenianer ebenso wie die Frauen. Lichtblicke: nirgends.
Banale Vermutung: Wurde da jemand, ein gewisser Regisseur vielleicht, schnöde sitzengelassen, eventuell zugunsten eines Minderzivilisierten? Nein, Seidl ist seit langem fest liiert, seine Frau hat sogar das Drehbuch mitgeschrieben. Einerlei: Mag die von sozialutopischen Schnulzen und politisch korrekten Romanzen zugekleisterte Welt des Standardfilms langweilig und ärgerlich sein – Ulrich Seidls Welt ist haßerfüllt und gott- und hoffnungslos. Ist sie es wirklich? Man kann beim Blick auf den Menschen dessen Gloriole herbeiahnen oder in seinen Anus hineinfilmen. Die Wahrheit, oder wenigstens die Sublimierungsaufgabe eines Regisseurs, wäre ein Mittleres.
Toni München
Eindrucksvolle Worte, Frau Kositza. Sie veranlassen mich (als Mann), mal wieder seit längerer Zeit einen eigenen Kommentar zu formulieren. Ich kenne den kommentierten Film von Ulrich Seidl nur aus Rezensionen und von ein paar Fotos, aber ich spüre aus Ihren bitteren Worten, dass Sie selber eine hoffnungsvolle utopische Welt in sich tragen, in die man gerne seine Kinder setzen würde.
Ich mag ja Lichtmesz sonst auch, aber möglicherweise hat er selber keine eigenen Kinder, da könnte der Unterschied liegen. Ich selber habe vier. Lichtmesz zitiert in seiner Rezension in der Jungen Freiheit Werner Herzog mit: "Nie möchte man in eine Welt geboren sein, die Ulrich Seidl zeigt". - Schon, aber wir sind nun mal da. Die Welt ist leider so. Und man muss wenigstens nicht bei allem mitmachen. Obwohl der Zugriff dieser Drecks-Welt umfassend ist.
Doch ich möchte den Herzog-Spruch abwandeln: "Nie möchte man Kinder in eine Welt setzen, die Ulrich Seidl zeigt." Vielleicht liegt auch darin das deutsche Geburten/Nachwuchs-Problem begründet. Es schaut ja, wohin man blickt, alles wirklich ziemlich hoffnungslos, versaut und apokalyptisch aus. Und ich weiß nicht, ob ich vor den kalten Zynikern und schamlosen Hedonisten oder vor den diktatorischen Gutmenschen mehr Angst haben muss.