aber auch jene als „Historikerstreit“ firmierende geschichtspolitische Kontroverse, die seither eine unbefangene Sicht auf das imposante Lebenswerk verstellt hat. Im Zentrum des Nolteschen Geschichtsdenkens, welches bei aller wissenschaftlichen Solidität nicht zuletzt durch seine philosophischen Valenzen besticht, steht jedoch unbestreitbar der Nationalsozialismus.
Immerhin fielen Noltes Kindheitsjahre mit denen der nationalsozialistischen Bewegung weitgehend zusammen, und die frühe Erfahrung, in einem Zeitalter großer ideologischer Auseinandersetzungen zu leben, sollte für sein Denken wegweisend sein. War zunächst ein großdeutscher Katholizismus pazifistischer Prägung „die geistige Welt, in der ich aufgewachsen war“, so wurde für den Freiburger Studenten die Begegnung mit Martin Heidegger bestimmend, dessen philosophische Lehre ihm das geläuterte Erbe nicht nur des Katholizismus, sondern der abendländischen Metaphysik insgesamt anzutreten schien.
Während der Kriegsjahre allerdings empfand Nolte das unverdiente Privileg, studieren zu dürfen, während die Schulkameraden an allen Fronten kämpften und sein jüngerer Bruder in der Nähe von Sedan fiel, als eine schwere Last, die er fortan durch die selbstauferlegte Verpflichtung zur geistigen Auseinandersetzung mit den tieferen Ursachen der deutschen Katastrophe abzutragen suchte. So betrieb Nolte nach Kriegsende – neben seiner regulären Tätigkeit als Gymnasiallehrer für Deutsch und alte Sprachen – umfangreiche zeitgeschichtliche Studien, als deren Ergebnis er 1963 seine grundlegende Arbeit Der Faschismus in seiner Epoche präsentierte, mit der er sich an der Universität Köln habilitierte. Von 1965 ab lehrte Nolte an der Universität Marburg Neuere Geschichte, bis er 1973 an die Freie Universität Berlin berufen wurde, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 wirken sollte. Zwischenzeitlich führten ihn zahlreiche Gastaufenthalte nach Holland, England, Frankreich, USA, Israel und nicht zuletzt nach Italien, welches für den Wahlberliner gleichsam zur zweiten Heimat geworden ist.
Der Faschismus in seiner Epoche bildete den Grundstein für Noltes ebenso eigenständigen wie eigenwilligen Denkweg. Alle Leitmotive, die in späteren Werken weiterentwickelt und abgewandelt werden, finden sich hier bereits keimhaft angelegt. Mit seiner europäischen Generalisierung des Begriffs Faschismus und dessen ideologiehistorischer Definition als Antimarxismus eröffnete Nolte eine neue wissenschaftliche Perspektive vergleichender Forschung, und mit seiner Verortung insbesondere der radikalfaschistischen Ideologie des Nationalsozialismus in der französischen Tradition der Gegenrevolution wiederum überwand er das negativ nationalistische Paradigma des deutschen Sonderwegs. In den folgenden Büchern Deutschland und der Kalte Krieg (1974) und Marxismus und Industrielle Revolution (1983) faßte Nolte sodann das welthistorische Nachspiel sowie die ideologiehistorische Vorgeschichte der faschistischen Epoche in den Blick. So rundeten sich die ersten großen Werke zu einer Trilogie, die nicht weniger bot als „eine Geschichte der Entstehung, des Praktischwerdens und des Scheiterns der großen modernen Ideologien“.
Stets hat Nolte sich von Ideologien als den tiefsten bewegenden Kräften der Geschichte fasziniert gezeigt. Daß sich ihm als Grundfigur aller historischen Dynamik immer mehr das dialektische Wechselspiel von „linker“ oder revolutionärer Herausforderung und „rechter“ oder gegenrevolutionärer Erwiderung aufdrängte, mußte schließlich zu einer Revision seiner eurozentrisch selbstbezogenen Deutung des Faschismus führen, welchen es nunmehr in den welthistorischen Bezug zum Kommunismus als seiner conditio sine qua non zu setzen galt.
Diesen Perspektivenwechsel strengte Nolte in seinem umstrittensten Werk Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus (1987) an, worin er jene historische Grunddialektik an diesen beiden totalitären Ideologien exemplifizierte, welche durch einen „kausalen Nexus“ miteinander verbunden seien und somit in „feindlicher Nähe“ zueinander stünden. An Noltes Zuspitzung dieses Theorems auf das Verhältnis zwischen „Gulag“ und „Auschwitz“ entzündete sich der Historikerstreit, obgleich Nolte gerade aufgrund seines Vergleichs des russischen „Originals“ (der sozialen Klassenvernichtung) mit der deutschen „Kopie“ (der biologischen Rassenvernichtung) zur Diagnose der Einzigartigkeit des Holocaust gelangte. Seine bedeutsamste konzeptionelle Neuerung bestand indessen in der Entwicklung einer historisch-genetischen Totalitarismustheorie, die sich als eine Synthese aus der historischen Faschismus- und der strukturellen Totalitarismustheorie darstellt.
Das Erscheinen seiner Streitpunkte (1993), in denen Nolte sich programmatisch mit revisionistischen Positionen der Geschichtswissenschaft auseinandersetzte, ließ ihn hierzulande vollends zur persona non grata werden. In geistiger Vereinsamung schrieb er sein nicht nur an Umfang reiches Spätwerk Historische Existenz (1998), welches noch einmal alle großen Leitmotive seines Denkens zu universalhistorischer Entfaltung brachte, nicht ohne ihnen einen philosophisch-anthropologischen Resonanzboden zu verschaffen. Eine neuerliche Perspektivenerweiterung sollte Nolte mit seinem gegenwartsbezogenen Buch Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus (2009) vornehmen, bevor er als sein „letztes Wort“ schließlich Späte Reflexionen (2011) publizierte, die thematisch um Judentum und Zionismus kreisen und sich wie ein pointiertes Resümé all seiner revisionistischen Thesen und Tendenzen ausnehmen.
Wenngleich Noltes Denken eine zunehmend konservative Entwicklung mit zuweilen radikal rechten Parteinahmen durchlaufen hat, steht sein geistiger Konservatismus doch nur sekundär für eine politische Haltung; primär kommt ein altmodisch anmutendes Pathos der Distanz darin zum Ausdruck, welches Nolte stets als eine unabdingbare Voraussetzung aller Wissenschaft behauptet und gegen politisierende Zudringlichkeiten verteidigt hat. Immerhin wird die philosophische Spannbreite seines Geschichtsdenkens von den Ecksteinen Marx und Nietzsche markiert. Nolte selbst bekannte, es gebe in seinem Werk ebenso viele linke wie rechte Thesen, und damit stehe er „gleichsam zwischen den Fronten, wo es nicht eben behaglich ist“.
Als konservativer Liberaler Nolte hat immer wieder die Freiheit des Menschen und die Offenheit der Geschichte betont, aber am intensivsten sollte er sich doch an den tragischen Ausweglosigkeiten und katastrophischen Einbrüchen der historischen Existenz des Menschen abarbeiten, ohne daß er sich als nachgeborener Historiker ein eindeutiges moralisches Urteil gestattet hätte. Gerade die profunden Ambivalenzen seines vielschichtigen Lebenswerkes stellen eine unerschöpfliche und allemal bereichernde Herausforderung zum Nachdenken über Geschichte dar.
Literatur:
Siegfried Gerlich: Ernst Nolte. Portrait eines Geschichtsdenkers, Schnellroda 2009
Ernst Nolte: Am Ende eines Lebenswerks. Drei letzte Reden 2011/2012, Schnellroda 2012