ökonomisch, ethisch und ästhetisch wie alle anderen Unternehmen. Feuilleton und Kritik sowie der gesamte Rummel um Preise und Stipendien scheinen den Gewinnlinien weitgehend gleichgeschaltet. Betriebswirtschaftlichen Motiven folgend, werden bestehende Bedürfnisse bedient und neue suggeriert.
Müßig darüber zu klagen, daß eine Neuerscheinung mit einem Vampir oder einem pornösen Motiv auf dem Einband – idealerweise beides in einem – bessere Erfolgschancen hat als anspruchsvolle Stoffe. Die es freilich immer noch gibt und mit deren „Backlists“ die großen Häuser gut leben – so gut, daß sie neuen Angeboten, insbesondere des sogenannten ernsten Faches, sehr skeptisch gegenüberstehen. Umfangreich sein darf, was trendig ist. Während der Selbstläufer Fantasy-Literatur großformatig erscheint und gar nicht genug Papier aufbieten kann, bittet man die anstrengend anspruchsvollen Schreiber dringend um Prägnanz und Kürzungen. Der Leser vertrage keine langen gedanklichen Läufe mehr; gewöhnt an die Schnittsequenzen von RTL, zappe er sich schnell raus.
Wichtiger aber: Literatur mischt sich mittlerweile kaum mehr ins Politische ein. Sie steht außerhalb des intellektuellen Stoffwechsels der Nation, so man davon ausgehen mag, daß es beides im herkömmlichen Sinne überhaupt noch mit nennenswertem Gewicht und einander bedingend geben mag – Intellektualität und Nation. Außerdem gehört es zur gegenwärtigen Grundannahme, den Rückzug des Politischen für entspannend zu halten, insofern der Kampf der Ideologien vorbei und der Krieg zwischen streitenden Reichen befriedet wäre. Freilich, Kunst ist nicht Waffe. Wo sie es sein wollte oder mußte, entstanden plakativer Kitsch oder Werbung. Aber bleibt sie politisch abstinent, fehlt der Gesellschaft die notwendige andere Lesart zur Verlautbarungsrhetorik der “marktkonformen Demokratie” und deren vermeintlicher “Alternativlosigkeit”.
Ohne Zweifel erscheinen sehr gute Bücher, insbesondere jenseits der Spiegel-Bestsellerliste, dieses Indikators gängigen Geschmacks. Was man aber kaum aufspürt, sind Werke, die sich offensiv einmischen, die provozieren und inspirieren. Ganz so, wie der sogenannten politischen Klasse neben ihrer Haushaltsrechnerei die existentiellen Themen abhanden kamen, fehlen sie anscheinend der Literatur.
Zweierlei findet sich statt dessen in auffallender Breite – in der Prosa zum einen aufgewitzelte Lifestyle-Themen, eher psychologisch als dramatisch, zum anderen das gute alte Moralisieren. Über ersteres merkt der Literaturkolumnist des „Merkur“ David Wegner in dem ihm eigenen Plauderton etwa an:
„Wieder in Berlin überfällt mich der große Romanhunger. Ich liege im Bett und lese mich zurück. Innerhalb weniger Tage verschlinge ich André Kubiczeks ‚Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn’, Hanna Lemkes ‚Geschwisterkinder’ und Bernd Cailloux’ ‚Gutgeschriebene Verluste’. Berlinbücher auf ihre Art und Weise alle drei. Im Nachhinein plagt mich allerdings mein Gewissen, habe ich diese Bücher nicht zu schnell und hintereinander gelesen? Wo doch auf jeder Seite, in fast jedem Satz zu spüren war, wie lange da gearbeitet wurde?“
In die zweite Gruppe gehört Ursula Krechels 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman „Landgericht“ – konventionell und gut erzählt, vor allem aber staatstragend in der Thematik: Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrt ein jüdischer Richter nach Deutschland zurück, wird dort nicht gerade willkommen geheißen und erlebt skeptisch die Adenauerjahre. Die Jury:
“Bald poetisch, bald lakonisch, zeichnet Krechel präzise ihr Bild der frühen Bundesrepublik – von der Architektur über die Lebensformen bis hinein in die Widersprüche der Familienpsychologie.” Dies sei “ein bewegender, politisch akuter, in seiner Anmutung bewundernswert kühler und moderner Roman”. Ursula Krechel ist ohne Zweifel eine interessante Autorin. Aber „politisch akut“ und „modern“ ist sie gerade nicht. Beide Attribute werden von der Jury projiziert.
Überhaupt dreht sich die literarische Welt vor allem um den Roman, ganz in Nachahmung der amerikanischen Erfolgsautoren. Bei aller Wertschätzung: Das ist eigentlich neunzehntes Jahrhundert, bester, aber epigonaler Realismus, Naturalismus, Impressionismus, so als hätte es Thomas Mann, Robert Musil, überhaupt die große Moderne und die fragwürdige Postmoderne nie gegeben. Individualisten wie Hans Henny Jahnn, Arno Schmidt, Thomas Bernhard sucht man vergebens. Durchweg Konventionalismus. Ja, es gibt beispielsweise beschreibungskräftige junge Frauen: Julie Zeh, Judith Zander, Judith Schalansky. Echte Literatur! Selten! Politisch allerdings opportun, angepaßt. – Die letzte einflußreiche literarische Avantgarde – ob man es will oder nicht – kam von links. Wechselt die Richtung? –
Das Theater spielt in den wenigen Häusern, die es sich leisten können, vor elitärem Publikum und Schulklassen weiter seine großen Stoffe von der Antike über Shakespeare, die Weimarer Klassik und Georg Büchner bis zu Tschechow, Beckett, und Müller durch. Ansonsten experimentiert es wild mit viel nacktem Fleisch und SS-Schirmmützen. Über die großen Städte kommt es in seinen politischen Mobilisierungsversuchen nicht hinaus. Von mutigen Ausnahmen abgesehen. Das Theater Anklam etwa war in der DDR und noch nach der Wende ein subversiv-produktiver Ort am nordöstlichen Rand. Bei allem Engagement des wackeren Wolfgang Bordel bleibt nach der harten Revision der Kämmerer spielplantechnisch nicht viel davon.
Und die Lyrik – in Zeiten politischer Bewegung das operative und gedankenverdichtende Genre schlechthin – zog sich zurück. Ihre Formspezifik scheint das Thematisieren des Individuellsten, Nebensächlichsten, Kleinteiligsten nicht nur zu legitimieren, sondern zu verlangen. Viel zuviel erste Person im engen Umkreisen des eigenen Ichs, das sich seine Belanglosigkeit sprachlich illustriert. Als Dichtung gelten heute schon Gedankensekretion und Poetry-Slam, also Sprechgesang dahergeredeter Prosa, und die protokollierte Weinerlichkeit all der empfindsamen Betroffenheiten in geschlossenen Räumen. Wer sich nur introvertiert genug wähnt, der ist schon Dichter, ja Poet und nimmt an der Selbstverwertung in Zirkeln Gleichgesinnter teil. Man publiziert sich selbst, liest sich selbst und bespricht sich selbst. Kaum jemanden außerhalb der Hermetik dieser Szene interessiert es.
Der Versuch der „Zeit“, politische Lyrik wiederzubeleben, geriet größtenteils zur Farce. Mit Brecht: Schlechte Zeiten für Lyrik. – Bis die ideelle Stagnation aufbricht. Mag jedoch sein, wir stehen kurz davor. Krise als Chance! Expressivität statt Impressionen!
Durs Grünbein, der tatsächlich Dichter ist, wirkt in seinem neusten Suhrkamp-Band ebenfalls ratlos. Er bemüht – mal wieder – die Eule der Minerva:
Interieur mit Eule I: Mond scheint ins Zimmer. Nichts ist real./Jeder Augenblick unergründlich, die Welt/Kolossales Echo im Labyrinth der Sinne./In der Hand eine Münze – mein Talisman/Siebzehn Gramm Silber, reines Symbol./Eule, erleuchte mich, öffne die Augen/Tier auf der Tetradrachme aus Attika, hilf.
Was sind das für Zeiten, in denen der knickrige Streit um den großen Suhrkamp-Verlag schon wichtiger ist als das, was er gerade publiziert? Was bleibt einem als Schreiber? Tatsächlich nur die Sezession, die mutige Abkehr vom Gewöhnlichen, der Abstand zum Gängigen, also die Suche nach Ausdruckskraft und Sprachpotenz, möglichst aus dem Abseits heraus, nicht aus der City, in der sich Möchtegernmodernisten an „urbaner Literatur“ versuchen. Der geschmähte Richard Millet nennt dies die „freiwillige Apartheit“ seines inneren Exils: „Absage ist meine Weigerung, das literarische, politische, ästhetische Spiel mitzuspielen.“ Literatur und Kunst von Wert entstanden nie anders. Sie setzten sich von der Selbstverwaltung des Betriebes ab.
Rumpelstilzchen
Die Verflachung des Literaturbetriebes wird jeder tiefgängige Mensch wie einen stechenden Zahnschmerz wahrnehmen.
Während man früher noch zwischen Trivialliteratur und "gehobener" Literatur unterschied und unterscheiden konnte, gelingt das heute nicht mehr.
In den trvialen Buchhandelsketten wie Thalia oder Weltbild gibt es nicht mehr die Abteilungen Philosophie oder Theologie, dafür Esoterik und Lebenshilfe. Anselm Grün gibt den Theologen, der Glücksguru David Precht den Philosophen. Dazwischen "Wohlfühlartikel" wie Kettchen und Seifen.
Grauslig. Man muß da nicht reingehen.
Über Vampirromane und pornöse, feuchte Bücher sollte man nicht jammern. Diese heutigen trivialen Bücher sind Nachfolger von Konsalik, Simmel, Angelique und Co.. Und seien dem hart arbeiteten Volk zur Entspannung gegönnt.
Schlimmer finde ich, daß das Banale Anspruch auf was Höheres erhebt (kann das momentan nicht besser ausdrücken) und die Seelen fangen will.
Dagegen ist m.e. die beste Medizin der Griff zum Klassiker, der Austausch in anspruchsvollen Foren wie diesen, der Gang in kleine feine Buchhandlungen, die es noch gibt.
Also nicht jammern, Alternativen suchen und bilden.