Erstmal einen Lacher landen, sich als geistreich gewitzt ausweisen, notfalls oder bestenfalls zu Lasten der anderen. Vermutlich läßt sich das Phänomen gar tiefer fassen und ermöglicht so Rückschlüsse auf die kulturelle Pathologie der modernen Hipster- und Mediengesellschaft.
Hinsichtlich der allgegenwärtigen Witzigkeiten wird seit November letzten Jahres der aufschlußreiche Essay einer jungen Assistenzprofessorin der Universität Princeton, Christy Wampole, diskutiert. Er erschien in der Online-Ausgabe der “New York Times”. Eine prägnante deutschsprachige Wiedergabe ihrer Position findet sich im Interview mit Deutschlandradio Kultur.
Wampole beobachtet, daß Ironie in den USA und zunehmend in Europa permanent und übertrieben eingesetzt wird: „Unsere Ironie-Sensoren sind überreizt, deshalb plädiere ich (…) für die Nacheichung dieser Sensoren.“ Eigentlich liebe sie zwar Ironie und sei insbesondere eine Freundin des politischen Witzes, registriere aber, daß diese Formen intellektuellen Ausdrucks im „weißen Rauschen allgegenwärtiger Ironie“ untergingen.
Die Hipster, so Wampole, hielten sich insbesondere in Deutschland für politisch links: „Alles, was sie tun, ist ironisch gemeint. Alles, was sie kaufen, ist ironisch gemeint. Sie konsumieren weiter, verstecken sich aber hinter der Ironiemaske.“ Also der alte Spießer im neuen Narrenkleid, „links“ aus unklaren Gefühlslagen heraus oder weil es angesagt ist oder weil „rechts“ überhaupt das ganz andere ist, was man nicht sein will, schon gar nicht sein darf, wenn alle doch wissen, wie böse und gefährlich das ist – und vor allem so schlimm kulturkritisch ernst.
Die Szene reagierte in ihren Blogs aber vor allem deswegen gereizt, weil Wampole in der Verspaßung und Witzelei das Unvermögen ausgedrückt sieht, überhaupt noch Positionen beziehen zu können. Sie beklagt die augenfällige Infantilität junger Erwachsener, die an Haltung nichts vorzuweisen haben, schon gar nicht an Urteilskraft. Große Kinder, die zunehmend unfähig sind, für die eigenen Entscheidungen, geschweige denn für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen, und die solche Lebens-Inkompetenz ironisch verbrämen. Es regiert ein inszenierter Spaß. Man rufe sich rein optisch den lustig gemeinten Kita-Charme von Parteitagen der Grünen auf. Wer dort unironisch ernst bleibt, ist out oder sehr, sehr erzürnt.
Interessant: Ihren verblüffend heftige Kontroversen auslösenden Beitrag schrieb die amerikanische Romanistin im Hause ihres deutschen Freundes in Berlin-Neukölln. Sie las dort gerade Fjodor Dostojewskis Roman „Der Idiot“, dessen Held, Fürst Myschkin, ihr als – sehr nachvollziehbar! – ausgemacht unironischste Figur der Weltliteratur erschien, und verfolgte gleichzeitig mit Blick aus dem Fenster als leibhaftiges Kontrastprogramm das bunte Schauspiel der Hipster in Berlin, dieser für sie „coolsten Stadt der Welt“.
Kichershows mit eingespielten Lachsalven, die den blassen Pointen kollektiv aufhelfen, gibt es in den USA seit den Fünfzigern; heute haben „The Colbert Report“ und die „Daily Show“ Jon Stewarts solche Formate standardisiert. Für sich gebildet wähnende Stände gibt es alle Sorten Talk-Shows, insbesondere am Freitagabend im zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen – nichts anderes als Jahrmärkte ironisierter Eitelkeiten sich selbst und allen anderen gegenüber.
Der SZ-Autor Marco Felix Serrao geht dem Spaß-Komplex in einem interessanten Panorama-Beitrag seiner Zeitung mit folgender Spur nach: Wem das choreographierte Gut-drauf-Gelaber mit den immer wieder neu geladenen Dampfplauderern noch zu anspruchsvoll ist, der reiht sich bei den mittlerweile sieben Millionen Zuschauern des RTL-Dschungelcamps ein, wo eine Form aggressiver Brachialironie zum Hauptprinzip avancierte. In der „Welt am Sonntag“ bejubelt Ulf Poschradt den Trash in höchsten Tönen als „genialisch“ gehandhabt und meint, RTL käme jetzt der „anspruchsvolleren Klientel“ sogar mit „postmoderner Doppelcodierung“ entgegen. Bild.de assistiert mit Begleitmaterial und „Spiegel-Online Kultur“ (!) schreibt das Tagebuch dazu.
Das paßt: “Der Spiegel” gerierte sich spätestens seit den Siebzigern als frech-ironisches Politikorgan mit der passend kalten Diktion des überheblich oberschlauen Beobachters. Nicht nur „Sturmgeschütz der Demokratie“, sondern vor allem gut zu handhabende Hauspostille der saturierten Linken, die den vermeintlich immer freudlosen, bärbeißigen und bierernsten Konservativen wöchentlich eins drüberzog.
Tatsächlich ist es anstrengend, allüberall dem verordneten Prinzip Ironie ausgeliefert zu sein. Es dringt in dezenter Gestalt bis in die Radio-Morgenandachten der Kirche vor. Obwohl echte Ironie nun mal selten ist. Eine stilistische und literarische Kunstform, die, wo sie nur nachgeäfft wird, zur Posse, zur Farce, zum Sarkasmus, mithin zur Peinlichkeit verkommt. Ließe sich das tiefenpsychologisch fassen? Eine große Verschiebung? Obwohl man schreien möchte oder müßte, ironisiert man sich, beläßt es lieber beim eingeklemmten Dauergrinsen und kompensiert dadurch, daß man den anderen der Lächerlichkeit preisgibt?
Ein ausgestorbener Begriff lautete “Herzensbildung”. Auf diese mittlerweile voll und ganz zu verzichten erscheint der Hipster-Kultur obligatorisch. Nicht nur in der Kommunikation und in den Medien, sondern insbesondere in den Wortschwällen all der hinter Nicknames verborgenen Internet-Akteure.
Rumpelstilzchen
Na,das ist ja mal ein Thema. Danke Herr Bosselmann.
Das meine ich nicht ironisch!
Alle ideologischen Systeme verstehen keinen Spaß. Und wo die Ideologie des Konsums herrscht "amüsieren wir uns zu Tode" ( Neil Postman) oder haben "unendlichen Spaß" (David Foster Wallace) bis zur "Erschöpfung unseres Selbsts" (Alain Ehrenberg".
Und was die Herzensbildung betrifft. Da denke ich doch glatt an den wunderbaren Romano Guardini und sein Buch "Briefe über Selbstbildung", geschrieben 1930, ein Dokument der Jugendbewegung um Burg Rothenfels.
Im ersten Brief über die Freudigkeit des Herzens heißt es :
"Gott selbst ist die Quelle der wahren Freudigkeit....unabhängig von den äußeren Ereignissen. Was uns äußerlich zustößt, kann uns nichts mehr anhaben, wenn wir innerlich froh sind. Wer freudig ist, hat zu allen Dingen den RECHTEN Stand".
In diesem Sinne einen rechten Gruß Monika