Nicolas Sarkozy – Liberaler unter Jakobinern?

pdf der Druckfassung aus Sezession 19/August 2007

sez_nr_198von Daniel L. Schikora

Am 6. Mai 2007 errang der UMP-Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy mit 53 Prozent der Stimmen einen europaweit (und darüber hinaus) vielbeachteten Wahlsieg über seine sozialistische Konkurrentin Ségolène Royal (PS) - und konnte daraufhin am 17. Mai die Amtsnachfolge seines einstigen politischen Ziehvaters Jacques Chirac antreten. Mit diesem hatte Sarkozy über Jahre hinweg eine (innerparteiliche) Intimfeindschaft verbunden, die sich mehrfach in staatspolitisch gewichtigen Fragen öffentlichkeitswirksam niederschlug - ob es nun um die offizielle französische Ablehnung des Irakkrieges ging (von der Sarkozy sich vorsichtig abzusetzen suchte) oder um religionspolitische Themen: Hier handelte sich Sarkozy den Ruf eines „Liberalen" oder gar eines „Angelsachsen" ein, als er ein generelles Kopftuch-Verbot in öffentlichen Schulen für „problematisch" erklärte und im Umgang von Staat und Gesellschaft mit neuen spirituellen Bewegungen für ein höheres Maß an Toleranz plädierte - in beiden Fällen stellte er bewußt den symbolpolitischen Laizismus Präsident Chiracs in Frage und sah sich erwartungsgemäß seitens des PS dem Vorwurf ausgesetzt, die Errungenschaft der laïcité zugunsten eines „angelsächsischen" Pluralitätsverständnisses zu opfern.


Sar­ko­zy trat also in sei­nem poli­ti­schen Dis­sens mit Chi­rac kei­nes­falls (aus­schließ­lich) als bär­bei­ßi­ger Natio­nal­kon­ser­va­ti­ver her­vor. Viel­mehr schien er um ein Pro­fil als Trans­at­lan­ti­ker (gegen­über den „gaul­lis­ti­schen” Atti­tü­den Chi­racs) sowie als Libe­ra­ler oder kul­tu­rel­ler Plu­ra­list (gegen­über der eher „jako­bi­ni­schen” Linie des dama­li­gen Prä­si­den­ten zumin­dest im Bereich „lai­zis­ti­scher” Sym­bol­po­li­tik) bemüht. Gera­de der fun­da­men­tal­op­po­si­tio­nell auf­tre­ten­den natio­na­len Rech­ten jedoch, wie sie ins­be­son­de­re im Front Natio­nal und sei­nem lang­jäh­ri­gen Vor­sit­zen­den Jean-Marie Le Pen ver­kör­pert wird, lagen (und lie­gen) die ame­ri­ka- wie die islam­po­li­ti­schen Avan­cen Sar­ko­zys pro­gram­ma­tisch fern: Durch Sar­ko­zys Ver­ständ­nis für die Hal­tung der Bush-Admi­nis­tra­ti­on gegen­über Sad­dam Hus­sein sah die­se Rech­te die Wür­de Frank­reichs als einer auch nach außen hin sou­ve­rän han­deln­den Groß­macht in Zwei­fel gezo­gen – von den poli­ti­schen Bezie­hun­gen des FN-Vor­sit­zen­den zu der baat­his­ti­schen Staats­füh­rung des Irak ein­mal ganz abge­se­hen -, wäh­rend Sar­ko­zys Ein­tre­ten für staat­lich sub­ven­tio­nier­ten Moscheen­bau vie­len Par­tei­gän­gern des FN (und der klei­ne­ren Rechts­par­tei­en) als Aus­druck des Kotaus der poli­ti­schen Klas­se Frank­reichs vor den oft­mals aggres­siv vor­ge­tra­ge­nen isla­mi­schen For­de­run­gen nach Aner­ken­nung im öffent­li­chen Raum erschei­nen mußte.
Auf der ande­ren Sei­te trat Sar­ko­zy aber als Innen­mi­nis­ter in ein­wan­de­rungs- und inte­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Fra­gen, soweit sie nicht unmit­tel­bar sei­ne „libe­ra­len” reli­gi­ons­po­li­ti­schen Prä­mis­sen tan­gier­ten, durch Law-and-Order-Pro­kla­ma­tio­nen und Vor­stö­ße gesetz­ge­be­ri­scher Art her­vor und eröff­ne­te sich dadurch die Mög­lich­keit, poten­ti­el­le Wäh­ler des FN und von Phil­ip­pe de Vil­liers’ natio­nal-kon­ser­va­ti­vem Mou­ve­ment pour la France (MPF) für sei­ne UMP zu gewin­nen. Hier posi­tio­nier­te er sich, ins­be­son­de­re, als die fran­zö­si­sche Öffent­lich­keit seit Ende Okto ber 2005 unter dem Ein­druck der Gewalt­ex­zes­se jun­ger Mus­li­me ara­bi­scher und schwarz­afri­ka­ni­scher Her­kunft in der ban­lieue stand, gezielt „rechts” von Chi­rac sowie von ande­ren Mit­glie­dern der Regie­rung, an der er selbst betei­ligt war. Daß in Frank­reich die Debat­ten über ein­wan­de­rungs­po­li­ti­sche Pro­ble­me tra­di­tio­nell außer­or­dent­lich kon­tro­vers geführt wer­den und von par­tei­po­li­ti­scher Pola­ri­sie­rung geprägt sind, mach­te sich Sar­ko­zy zunut­ze, um sich rechts­kon­ser­va­ti­ven Fran­zo­sen als der poli­tisch hand­lungs­fä­hi­ge Gegen­spie­ler einer sozia­lis­ti­schen Lin­ken zu prä­sen­tie­ren – einer Lin­ken, deren „mora­li­sche Auto­ri­tä­ten”, wie etwa Jack Lang, sich im Früh­jahr 2006 osten­ta­tiv zu dem Pro­test gegen die Abschie­bung eines neun­zehn­jäh­ri­gen Marok­ka­ners ohne gül­ti­ge Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung bekann­ten, eine als inhu­man ange­pran­ger­te Maß­nah­me, die durch die auf Sar­ko­zys Initia­ti­ve zurück­ge­hen­de ein­wan­de­rungs­recht­li­che Rege­lung erst ermög­licht wor­den war.

Der Fall des marok­ka­ni­schen Schü­lers stand, im Kon­text der „men­schen­recht­li­chen” Kam­pa­gne des PS, stell­ver­tre­tend für 50.000 bis 100.000 Kin­der ille­gal ein­ge­wan­der­ter Fami­li­en, die von den Aus­wir­kun­gen des mit dem Namen Sar­ko­zy ver­bun­de­nen Geset­zes­pro­jekts poten­ti­ell betrof­fen waren.
Im Zen­trum des Ein­wan­de­rungs­ge­set­zes, das am 17. Juni 2006 schließ­lich durch den Senat ange­nom­men wur­de, steht der Begriff der „aus­ge­wähl­ten Ein­wan­de­rung”, durch wel­che das Prin­zip der „erdul­de­ten Ein­wan­de­rung” ersetzt wer­den soll­te. Dabei strich Sar­ko­zy her­aus, daß durch das Geset­zes­werk dem ein­wan­de­rungs­po­li­ti­schen Son­der­weg Frank­reichs ein Ende berei­tet wer­den sol­le (wäh­rend gleich­zei­tig die Zuwan­de­rung von „Exper­ten” und „Talen­ten” for­ciert wer­de). Das Gesetz vom 17. Juni 2006 zielt vor allem auf die Ein­däm­mung unkon­trol­lier­ter Zuwan­de­rung unqua­li­fi­zier­ter Afri­ka­ner. Anstel­le des bis­lang groß­zü­gig aus­ge­leg­ten Rech­tes auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ist der Nach­zug nun nur noch dann gestat­tet, wenn er mit Ein­kom­men und Wohn­raum des bereits legal in Frank­reich ansäs­si­gen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen ver­ein­bar ist. Mit dem Gesetz wur­de der Natu­ra­li­sie­rung (Ein­bür­ge­rung) von ille­ga­len Ein­wan­de­rern, die über zehn Jah­re lang in Frank­reich leb­ten, die Rechts­grund­la­ge entzogen.
Weit davon ent­fernt, den natio­na­lis­ti­schen Pos­tu­la­ten eines umfas­sen­den Ein­wan­de­rungs­stopps zu genü­gen, legt die Ein­wan­de­rungs­rechts­re­form Zeug­nis ab vom Geschick Sar­ko­zys als Gegen­spie­ler einer sich huma­ni­ta­ris­tisch gebär­den­den, „poli­tisch kor­rek­ten” Lin­ken, dem es gleich­zei­tig gelang, Le Pen einen nicht unbe­trächt­li­chen Teil sei­ner Anhän­ger abspens­tig zu machen. Der Erfolg die­ser Stra­te­gie läßt sich mit Blick auf die Ergeb­nis­se sowohl der ers­ten als auch der zwei­ten Run­de der dies­jäh­ri­gen Prä­si­dent­schafts­wah­len bele­gen: Le Pen, der in der ers­ten Run­de der Prä­si­dent­schafts­wah­len von 2002 mit 16,9 Pro­zent der Stim­men den PS-Kan­di­da­ten Lio­nel Jos­pin über­run­det (und in der Stich­wahl, als Kon­tra­hent Chi­racs, sogar 17,8 Pro­zent der Stim­men erhal­ten) hat­te, konn­te fünf Jah­re spä­ter nur noch 10,4 Pro­zent der fran­zö­si­schen Wäh­ler über­zeu­gen. In der Stich­wahl votier­te dann das Gros der FN-Anhän­ger für Sarkozy.
Die deut­sche Monats­zeit­schrift Blät­ter für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik, her­aus­ge­ge­ben unter ande­rem von Jür­gen Haber­mas und Wal­ter Jens, sah sich in Anbe­tracht des Aus­gangs der fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len dazu ver­an­laßt, einen gleich­sam kul­tur­re­vo­lu­tio­nä­ren Pro­zeß zu dia­gnos­ti­zie­ren: „Frank­reich vor der kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on”, so ist der Arti­kel des tra­di­tio­na­lis­ti­schen Lin­ken Ber­nard Schmid in der Juni-Aus­ga­be der Blät­ter beti­telt, der den Sieg des „gröbere[n] Übel[s]” in Paris und die mög­li­chen gra­vie­ren­den Fol­ge­er­schei­nun­gen die­ser rup­tu­re zum Gegen­stand hat. Bereits mit dem auf eine Samm­lung der Fran­zo­sen rechts des PS aus­ge­rich­te­ten Lager­wahl­kampf Sar­ko­zys kamen – Schmid zufol­ge – ers­te Kon­tu­ren jener „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on” zum Vor­schein, deren telos Schmid in nichts gerin­ge­rem zu erken­nen glaubt, als in einem Gene­ral­an­griff auf die „sozia­len Errun­gen­schaf­ten der fran­zö­si­schen Geschich­te”. Schmid beschreibt mit Miß­ver­gnü­gen, wie der kon­ser­va­ti­ve Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat sich in sei­ner „Rede von Besan­çon” aus­drück­lich „als Opfer der Poli­ti­cal Cor­rect­ness im Gefol­ge von 1968” in Sze­ne zu set­zen ver­moch­te und – hor­ri­bi­le dic­tu – „nicht weni­ger als acht­und­zwan­zig Mal die Wor­te ‚Iden­ti­tät‘, ‚natio­na­le Iden­ti­tät‘ und ‚iden­ti­tär‘” benutzt habe.
Tat­säch­lich nahm Prä­si­dent Sar­ko­zy prak­tisch unmit­tel­bar nach den für die UMP eben­falls erfolg­rei­chen Par­la­ments­wah­len die Rea­li­sie­rung eines poli­tisch bri­san­ten Pro­gramm­punkts sei­nes Wahl­kamp­fes in Angriff: die Ein­rich­tung eines „Minis­te­ri­ums für Ein­wan­de­rung, Inte­gra­ti­on, natio­na­le Iden­ti­tät und Zusam­men­ar­beit in Ent­wick­lungs­fra­gen” – ein Vor­stoß, der His­to­ri­ker wie Jac­ques Le Goff, Roger Char­tier und Hen­ry Rous­so zu schar­fen Pro­tes­ten ver­an­laß­te. Befürch­tet wird eine regie­rungs­of­fi­zi­el­le natio­nal- patrio­ti­sche Geschichts­po­li­tik, die nicht nur auf eine Apo­lo­gie etwa der fran­zö­si­schen Kolo­ni­al­ver­gan­gen­heit zie­le, son­dern auch auf eine Infra­ge­stel­lung des uni­ver­sa­lis­ti­schen Cha­rak­ters des Modells der „repu­bli­ka­ni­schen Inte­gra­ti­on” zuguns­ten einer (letzt­lich eth­no-kul­tu­rell gefaß­ten) Exklu­si­vi­tät einer natio­na­len fran­zö­si­schen Iden­ti­tät, die durch Ein­wan­de­rung bedroht werde.

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