Schöne Literatur – Leif Randts “Schimmernder Dunst über Coby County”

(Rezension aus Sezession 51 / Dezember 2012)

Es ist schon über ein Jahr her, daß dieser kurze Roman aus der Feder des...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

1983 gebo­re­nen Autors Leif Randt erschien. Aber es lohnt sich, die­se Ich-Erzäh­lung jetzt zu lesen: Man kann an ihr das abglei­chen, was seit eini­gen Mona­ten als »Iden­ti­tä­re Bewe­gung« den Wider­stand gegen die Lebens­wirk­lich­keit in Zen­tral­eu­ro­pa aus­ruft und dabei dezi­diert sagt, daß es die Per­spek­ti­ve auf irgend­ei­nen Drecks­job, auf ein über­frem­de­tes Lebens­um­feld und auf eine Zer­rüt­tung jeder Hier­ar­chie sei, die zur Feind­er­klä­rung gegen die Gene­ra­ti­on der 68er geführt habe.

In Randts Roman gibt es die­se Wut nicht ein­mal im Ansatz. Coby Coun­ty ist irgend­ei­ne von der Son­ne und vom Reich­tum ver­wöhn­te Küs­ten­stadt, eine Chif­fre für eines jener Wohn­vier­tel, in denen eine Gene­ra­ti­on her­an­wächst, der alles geschenkt wird: Ich-Erzäh­ler Wim ver­bringt ein Leben, das nach einer aus­ge­dehn­ten, ver­nünf­tig gema­nag­ten Jugend­zeit in einen unan­stren­gen­den, gut­be­zahl­ten Job mün­det. Man hat eine Bezie­hung, in der nichts lei­den­schaft­lich, son­dern alles befrie­di­gend und abge­klärt abläuft. Man ist sich über sich selbst im kla­ren, man bewegt sich indi­vi­du­ell und den­noch typi­siert inner­halb eines Rah­mens, in dem ein Gene­ra­tio­nen­ge­fühl eben­so sei­nen Platz hat wie die Eltern, mit denen man gut aus­kommt und läs­sig kom­mu­ni­ziert. Man hat ihnen nichts vor­zu­wer­fen, sich selbst auch nicht, und auch nicht der Zeit, in der man lebt. Man hat näm­lich eines begrif­fen: Die frei­wil­li­ge For­mie­rung durch den ein­zel­nen ist das Kon­zept, das am bes­ten funk­tio­niert. Es ist eine Art End­sta­di­um der »offe­nen Gesell­schaft«. Tole­ranz ist ein Dau­er­ge­fühl, das eigent­lich nie auf die Pro­be gestellt wird: denn es gibt kei­ne Abweich­ler mehr.

Selbst­re­flek­tiert, unauf­ge­regt, ange­kom­men – so sind die jun­gen Bewoh­ner und die jung­ge­blie­be­nen Älte­ren. Jede Regung wird ein­ge­ord­net, kei­ne Unver­nunft zu weit getrie­ben, und bei den drei im Buch geschil­der­ten Kata­stro­phen­sze­na­ri­en (eine Hoch­bahn springt aus den Schie­nen, ein paar Vil­len ste­hen in Flam­men und ein Sturm zieht auf) zeigt die ange­mes­se­ne Anteil­nah­me ihr vor­bild­lich staats­bür­ger­li­ches Gesicht: Man ver­sam­melt sich vor Bild­schir­men, beklatscht die Aktio­nen der Ret­tungs­kräf­te und ver­liert nie die Zuver­sicht, daß die Manö­ver gelin­gen werden.

Mir fiel auf (und bis­her fand ich dafür in kei­ner ande­ren Rezen­si­on einen Beleg), daß sich Leif Randt an den kata­stro­phi­schen Bil­dern aus Jakob van Hod­dis’ Gedicht Welt­ende bedient: “die Eisen­bah­nen fal­len von den Brü­cken”, “in allen Lüf­ten hallt es wie Geschrei”, “und an den Küs­ten – liest man – steigt die Flut”, und selbst die­ser Vers fin­det als klei­nes All­tags­pro­blem sei­ne Ent­spre­chung: “Die meis­ten Men­schen haben einen Schnup­fen” – für die­se Art “Welt­ende”, bevöl­kert viel­leicht von Nietz­sches “letz­ten Men­schen” muß man ein Sen­so­ri­um haben: Leif Randt hat es.

Für jeden Umstand abseits der Norm-Brei­te gibt es ein Ver­hal­tens­mus­ter, und als Wim in eine klei­ne exis­ten­ti­el­le Kri­se gerät, gibt ihm der freund­li­che Chef für ein paar Tage frei. Wim bricht auf: Er ver­läßt Coby Coun­ty und fährt mit dem Zug ins Hin­ter­land, bloß um am nächs­ten Bahn­hof den Zug zurück zu neh­men – eine Kari­ka­tur jener »Heim­kunft« nach einem Gang in die Frem­de, von dem Höl­der­lin als einer der gro­ßen exis­ten­ti­el­len Not­wen­dig­kei­ten des Lebens sprach.

In Coby Coun­ty aber gibt es kei­ne Not, und des­halb muß sie auch nicht abge­wen­det wer­den. Wenn jemand über den Strand läuft und das Gefühl hat, er könn­te jeden Moment ein­bre­chen, »als wäre da bloß Sand auf eine maro­de Kup­pel gehäuft«, weil da »eine inne­re Gefahr her­an­ge­wach­sen ist, in den aller­meis­ten von uns« – dann wird er als Neo-Spi­ri­tua­list abge­tan, als Spin­ner, den man natür­lich trotz­dem »total tole­riert«. Es ist eben­so ver­blüf­fend wie läh­mend, daß Wim sich über jede Nuan­ce im kla­ren ist und den­noch ohne Spott oder Häme davon erzählt. Wenn er an sei­ner Mut­ter bemerkt, sie schei­ne »mit ihren Phra­sen iden­tisch zu wer­den«, weil sie »abge­grif­fe­ne For­mu­lie­run­gen auf eine Wei­se« benutzt, »als wären sie gera­de eben erst von ihr erfun­den wor­den«, will er ihr sagen, daß sie alt­klug und bie­der gewor­den sei – »aber ich kon­trol­lie­re mich und schwei­ge«, und dann steigt er in die Tram­bahn, denn: »Wer immer nur läuft, macht sich zu unab­hän­gig, der ver­liert viel­leicht irgend­wann den Bezug zur Gemein­schaft.« Das ist selbst­ver­ord­ne­te Phil­an­thro­pie zum Woh­le aller, Tem­pe­ra­tur­kon­trol­le, Selbst­nor­mung ent­lang einer ver­bind­li­chen Ska­la von Minimalregungen.

Auch homo­se­xu­el­le Erfah­run­gen hat hier jeder ein­mal gemacht, und Wim gibt auf gera­de­zu nai­ve Wei­se zu, daß er doch eher auf einen bestimm­ten Typ Frau­en ste­he, obwohl die Leh­rer stets rie­ten, »daß wir nicht Äußer­lich­kei­ten ver­fal­len sol­len, son­dern rea­len Cha­rak­te­ren, unab­hän­gig von class und race und gen­der.« Es ist die­se bewußt gesetz­te Unver­ein­bar­keit des auf­ge­klär­ten Gere­des bei gleich­zei­ti­ger Ver­wen­dung der Über­wäl­ti­gungs­vo­ka­bel »jeman­dem ver­fal­len«, die den federn­den, teils an Chris­ti­an Krachts Faser­land erin­nern­den Stil Leif Randts auf den Punkt bringt: schim­mern­der Dunst, Milch­glas­fens­ter. Woher soll­te – bei so viel Auf­ge­klärt­heit – noch rebel­li­sches Poten­ti­al kom­men, woher über­haupt eine Begrün­dung für ein ganz ande­res Leben, ein ech­tes Gefühl? Hier sind doch alle iden­tisch mit sich selbst, man hat alles unter Kon­trol­le, selbst ver­meint­li­che Aus­set­zer, selbst den Brech­reiz: »Ins­ge­heim emp­fin­de ich das Über­ge­ben als rebel­li­sche Ges­te, als eine Art Befrei­ung von den Zwän­gen, mit denen ich lebe und die ich ja alle selbst zu ver­ant­wor­ten habe.« Das ist dann »total ange­mes­sen«, indes: Wer so davon redet, steht viel­leicht wirk­lich auf einer Kup­pel aus Sand.

Leif Randt: Schim­mern­der Dunst über Coby Coun­ty, Roman, Ber­lin: Ber­lin Ver­lag 2011. 191 S., 18.90 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (8)

Kurt Schumacher

28. Februar 2013 13:14

Ich habe den Roman nicht gelesen, aber mir fällt spontan zweierlei ein:

1.) Die Frage: ist das Buch eine Satire? (so à la Swift)
2.) Nietzsches Beschreibung des Letzten Menschen. "Sie hatten ihr kleines Glück für den Tag, und ihr kleines Glück für die Nacht. Aber sie sorgten dafür, daß es nicht zu anstrengend würde." (sinngemäß; von mir aus dem Gedächtnis zitiert)

antwort kubitschek:
Sie sollten den roman unbedingt lesen, ist eine rasche, suggestive lektüre. eine satire a la swift ist das nicht, eher eine dystopie (wenn man das ablehnt, was da gezeichnet wird), die in einer ganz feinen sprache wie eine schöne utopie klingt.
nietzsche: das triffts schon.

Yvonne

28. Februar 2013 18:13

Klingt interessant. Erinnert mich ein bisschen an American Psycho, auch wenn es dort natürlich anders zur Sache geht.
Diese Gesellschaft ist seelenlos, sie trägt nichts in sich. Ist man erst mal abgerückt, dann kommt die totale Entfremdung. Es könnte doch viel mehr sein...
Das ist es, was mich treibt, politische Romantik eben.

K.

1. März 2013 11:56

Danke für den Buchtip. Ich bin normalerweise mißtrauisch bei sehr jungen Autoren (d.h. eigentlich alles unter 50, lol), aber das hier klingt interessant.

Ein Fremder aus Elea

1. März 2013 12:35

Brave New World Stand 2011.

Gott, ich habe mir grade Carsten Bohns Musik von 78/79 zu Gemüte geführt, hier: https://www.youtube.com/watch?v=nCq4k76UsFw und die bekannteren Stücke hier: https://www.youtube.com/watch?v=osdw6RZcPOI

Sagt irgendwo alles, Reizüberflutung.

Immerhin, so schlimm isses nicht mehr. Der Schwindel, die Persönlichkeitszersplitterung.

Fight back

1. März 2013 22:59

Auch wenn es hier nicht hingehört: Wie wäre es, wenn sich ein paar Leute mehr finden würden, die uns bei amazon,de mit Rezensionen und Kommentaren unterstützen würden?
Einfach ein Buch kaufen und nach 48 Stunden kann man Bücher von JF, edition antaios usw. rezensieren und sich an Diskussionen gegen Linke beteiligen.
Bewegt Euch!

Kurt Schumacher

5. März 2013 15:24

So, ich habe mir jetzt das Buch gekauft. Bin ungefähr auf Seite 30. Aber ich muß sagen, daß es mir schwerfällt, es zu lesen. Nicht, weil der Stil zu vertrackt wäre (das ist er nicht; ist relativ lakonisch erzählt), aber weil mir die Figuren so unsympathisch sind. Und zwar alle! Vielleicht ändert sich das ja noch, aber im Augenblick habe ich das Gefühl, als schwömme ich gegen eine Strömung.

Hölderlin

5. März 2013 15:39

Es ist "erstaunlich" zu sehen, wie mehr und mehr Menschen, Verwandte, Freunde - zumindest die, die es sich leisten können, - trotz allem, was um uns geschieht, genau so (wie in dem besprochenen Roman) werden, und man jede Abweichung mit dem Ton des Bedauerns vorgehalten bekommt. Ja, man kann es nicht einmal mehr als Vorhaltung bezeichnen, es ist gar keine Auseinandersetzung (und Haltung sowieso nicht), sondern ein gleichgültiges Unverständnis, dem kein Verstehen vorausgeht oder folgen will, es hat etwas von Mitleid, das einem entgegengebracht wird. Immer die Frage, warum man denn dies und jenes nicht einfach mal so sehen oder machen kann, wie es üblich und schön und harmonisch und anerkannt sei ...

So werde ich also einmal Kubitscheks Empfehlung für einen Roman folgen - wenn er mir nicht gefällt, dann weiß ich schon, an wen ich ihn weiter verschenke!

Hölderlin

7. März 2013 19:20

Habs gekauft und lese! Es gibt mittlerweile eine Taschenbuchausgabe!

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