1983 geborenen Autors Leif Randt erschien. Aber es lohnt sich, diese Ich-Erzählung jetzt zu lesen: Man kann an ihr das abgleichen, was seit einigen Monaten als »Identitäre Bewegung« den Widerstand gegen die Lebenswirklichkeit in Zentraleuropa ausruft und dabei dezidiert sagt, daß es die Perspektive auf irgendeinen Drecksjob, auf ein überfremdetes Lebensumfeld und auf eine Zerrüttung jeder Hierarchie sei, die zur Feinderklärung gegen die Generation der 68er geführt habe.
In Randts Roman gibt es diese Wut nicht einmal im Ansatz. Coby County ist irgendeine von der Sonne und vom Reichtum verwöhnte Küstenstadt, eine Chiffre für eines jener Wohnviertel, in denen eine Generation heranwächst, der alles geschenkt wird: Ich-Erzähler Wim verbringt ein Leben, das nach einer ausgedehnten, vernünftig gemanagten Jugendzeit in einen unanstrengenden, gutbezahlten Job mündet. Man hat eine Beziehung, in der nichts leidenschaftlich, sondern alles befriedigend und abgeklärt abläuft. Man ist sich über sich selbst im klaren, man bewegt sich individuell und dennoch typisiert innerhalb eines Rahmens, in dem ein Generationengefühl ebenso seinen Platz hat wie die Eltern, mit denen man gut auskommt und lässig kommuniziert. Man hat ihnen nichts vorzuwerfen, sich selbst auch nicht, und auch nicht der Zeit, in der man lebt. Man hat nämlich eines begriffen: Die freiwillige Formierung durch den einzelnen ist das Konzept, das am besten funktioniert. Es ist eine Art Endstadium der »offenen Gesellschaft«. Toleranz ist ein Dauergefühl, das eigentlich nie auf die Probe gestellt wird: denn es gibt keine Abweichler mehr.
Selbstreflektiert, unaufgeregt, angekommen – so sind die jungen Bewohner und die junggebliebenen Älteren. Jede Regung wird eingeordnet, keine Unvernunft zu weit getrieben, und bei den drei im Buch geschilderten Katastrophenszenarien (eine Hochbahn springt aus den Schienen, ein paar Villen stehen in Flammen und ein Sturm zieht auf) zeigt die angemessene Anteilnahme ihr vorbildlich staatsbürgerliches Gesicht: Man versammelt sich vor Bildschirmen, beklatscht die Aktionen der Rettungskräfte und verliert nie die Zuversicht, daß die Manöver gelingen werden.
Mir fiel auf (und bisher fand ich dafür in keiner anderen Rezension einen Beleg), daß sich Leif Randt an den katastrophischen Bildern aus Jakob van Hoddis’ Gedicht Weltende bedient: “die Eisenbahnen fallen von den Brücken”, “in allen Lüften hallt es wie Geschrei”, “und an den Küsten – liest man – steigt die Flut”, und selbst dieser Vers findet als kleines Alltagsproblem seine Entsprechung: “Die meisten Menschen haben einen Schnupfen” – für diese Art “Weltende”, bevölkert vielleicht von Nietzsches “letzten Menschen” muß man ein Sensorium haben: Leif Randt hat es.
Für jeden Umstand abseits der Norm-Breite gibt es ein Verhaltensmuster, und als Wim in eine kleine existentielle Krise gerät, gibt ihm der freundliche Chef für ein paar Tage frei. Wim bricht auf: Er verläßt Coby County und fährt mit dem Zug ins Hinterland, bloß um am nächsten Bahnhof den Zug zurück zu nehmen – eine Karikatur jener »Heimkunft« nach einem Gang in die Fremde, von dem Hölderlin als einer der großen existentiellen Notwendigkeiten des Lebens sprach.
In Coby County aber gibt es keine Not, und deshalb muß sie auch nicht abgewendet werden. Wenn jemand über den Strand läuft und das Gefühl hat, er könnte jeden Moment einbrechen, »als wäre da bloß Sand auf eine marode Kuppel gehäuft«, weil da »eine innere Gefahr herangewachsen ist, in den allermeisten von uns« – dann wird er als Neo-Spiritualist abgetan, als Spinner, den man natürlich trotzdem »total toleriert«. Es ist ebenso verblüffend wie lähmend, daß Wim sich über jede Nuance im klaren ist und dennoch ohne Spott oder Häme davon erzählt. Wenn er an seiner Mutter bemerkt, sie scheine »mit ihren Phrasen identisch zu werden«, weil sie »abgegriffene Formulierungen auf eine Weise« benutzt, »als wären sie gerade eben erst von ihr erfunden worden«, will er ihr sagen, daß sie altklug und bieder geworden sei – »aber ich kontrolliere mich und schweige«, und dann steigt er in die Trambahn, denn: »Wer immer nur läuft, macht sich zu unabhängig, der verliert vielleicht irgendwann den Bezug zur Gemeinschaft.« Das ist selbstverordnete Philanthropie zum Wohle aller, Temperaturkontrolle, Selbstnormung entlang einer verbindlichen Skala von Minimalregungen.
Auch homosexuelle Erfahrungen hat hier jeder einmal gemacht, und Wim gibt auf geradezu naive Weise zu, daß er doch eher auf einen bestimmten Typ Frauen stehe, obwohl die Lehrer stets rieten, »daß wir nicht Äußerlichkeiten verfallen sollen, sondern realen Charakteren, unabhängig von class und race und gender.« Es ist diese bewußt gesetzte Unvereinbarkeit des aufgeklärten Geredes bei gleichzeitiger Verwendung der Überwältigungsvokabel »jemandem verfallen«, die den federnden, teils an Christian Krachts Faserland erinnernden Stil Leif Randts auf den Punkt bringt: schimmernder Dunst, Milchglasfenster. Woher sollte – bei so viel Aufgeklärtheit – noch rebellisches Potential kommen, woher überhaupt eine Begründung für ein ganz anderes Leben, ein echtes Gefühl? Hier sind doch alle identisch mit sich selbst, man hat alles unter Kontrolle, selbst vermeintliche Aussetzer, selbst den Brechreiz: »Insgeheim empfinde ich das Übergeben als rebellische Geste, als eine Art Befreiung von den Zwängen, mit denen ich lebe und die ich ja alle selbst zu verantworten habe.« Das ist dann »total angemessen«, indes: Wer so davon redet, steht vielleicht wirklich auf einer Kuppel aus Sand.
Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County, Roman, Berlin: Berlin Verlag 2011. 191 S., 18.90 €
Kurt Schumacher
Ich habe den Roman nicht gelesen, aber mir fällt spontan zweierlei ein:
1.) Die Frage: ist das Buch eine Satire? (so à la Swift)
2.) Nietzsches Beschreibung des Letzten Menschen. "Sie hatten ihr kleines Glück für den Tag, und ihr kleines Glück für die Nacht. Aber sie sorgten dafür, daß es nicht zu anstrengend würde." (sinngemäß; von mir aus dem Gedächtnis zitiert)
antwort kubitschek:
Sie sollten den roman unbedingt lesen, ist eine rasche, suggestive lektüre. eine satire a la swift ist das nicht, eher eine dystopie (wenn man das ablehnt, was da gezeichnet wird), die in einer ganz feinen sprache wie eine schöne utopie klingt.
nietzsche: das triffts schon.