erwartet man graphisch aufbereitete Stimmungsbilder zum gewählten Thema. In dieser Hinsicht wird der Leser nicht enttäuscht, Güllner fördert Erhellendes über die Grünen und ihre Wähler zutage, ohne seine steile These belegen zu können. Die These lautet verkürzt: Die Grünen sind an allem schuld. Etwas differenzierter: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Wahlerfolgen der Grünen und der immer geringer werdenden Wahlbeteiligung. Daraus leitet Güllner eine Gefährdung der bundesrepublikanischen Demokratie ab. Er geht dabei von einem Vergleich mit anderen Ländern aus, in denen es weder eine starke grüne Partei gibt noch einen derartigen Abfall der Wahlbeteiligung.
Güllner versucht nicht, seine Abneigung gegen die Grünen zu verbergen, sondern läßt seiner Empörung freien Lauf. Er verübelt den Grünen, daß ihr gesellschaftlicher Einfluß wesentlich größer ist, als er es nach ihrem Wähleranteil sein dürfte. Insofern würde eine Minderheit über das Schicksal der Mehrheit bestimmen. Er sieht diese Tendenz bereits in der Gründung der Grünen angelegt: Sie seien nicht aufgrund eines Problemdrucks entstanden, den Güllner den 68ern fraglos zugesteht, sondern aus grundsätzlicher Opposition gegen das herrschende System. Bei der Hochschätzung, die Güllner den sogenannten Volksparteien entgegenbringt, ist dieser Vorwurf fragwürdig, da zumindest die SPD einen ebensolchen Ursprung hat. Aber nicht nur hier mißt Güllner mit zweierlei Maß, sondern an vielen Stellen. Die Schlüsse, die er daraus zieht, sind deshalb selten überzeugend. Polemisch wird Güllner, wenn es darum geht, alle Fehlentwicklungen der letzten dreißig Jahre den Grünen anzulasten. Sie hätten einen moralischen Druck auf die Volksparteien ausgeübt, der zu all den Absurditäten wie »E10« und Hausdämmung geführt habe. Richtig ist, daß die Grünen über einen großen Rückhalt in Medien und Wissenschaft verfügen. Ob der jedoch ausreicht, um die Folgsamkeit der Volksparteien zu erklären, darf bezweifelt werden.
Güllner geht es darum, aus der Herrschaft der grünen Minderheit ein zweites Weimar an die Wand zu malen. Die Leute würden nicht mehr wählen gehen, weil sich die Volksparteien der grünen Ideologie angeglichen hätten. Die näherliegende Erklärung, daß die Wähler dieser Parteienoligarchie, bei der egal ist, wer gerade regiert, grundsätzlich überdrüssig sind, diskutiert Güllner nicht einmal. Dabei war der Anlaß für dieses Buch, daß Güllner im September 2011 über die hohe Wahlbeteiligung in Dänemark erstaunt gewesen sei. Dazu fiel ihm ein, daß es dort keine mit den Grünen vergleichbare Partei gebe. Daß dort eine wählbare rechte Partei, die Dänische Volkspartei, existiert, verschweigt er. Es ist wenig überzeugend, den Grünen ihre Erfolge vorzuwerfen und gleichzeitig das System, in dem sie diese erringen konnten, nicht in Frage zu stellen.
Manfred Güllner: Die Grünen. Höhenflug oder Absturz?, Freiburg i. Br.: Herder 2012. 180 S., 16.99 €