30. Todestag Arthur Koestlers

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Alain de Benoist

Arthur Koestler ist das erstaunliche Beispiel eines Menschen, der durch alle großen Stürme des 20. Jahrhunderts ging,...

als begeis­ter­ter Anhän­ger der gro­ßen, ver­füh­re­ri­schen Ideen, mit denen er schließ­lich radi­kal abrech­ne­te, um sich einer Art von ruhe­lo­sem Kon­ser­va­tis­mus zuzuwenden.
Gebo­ren in Ungarn als Sohn einer deutsch­spra­chi­gen jüdi­schen Fami­lie, stu­dier­te er ab 1922 Inge­nieurs­wis­sen­schaf­ten, Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur in Wien, wo die Fami­lie seit 1920 leb­te. Dort ent­deck­te er das Juden­tum und wur­de nach sei­ner Bekannt­schaft mit Wla­di­mir Jabo­tin­sky zum lei­den­schaft­li­chen und radi­ka­len Anhän­ger des »zio­nis­ti­schen Revi­sio­nis­mus«, der mit allen Mit­tel einen jüdi­schen Staat in Paläs­ti­na errich­ten woll­te. Als jun­ger Prä­si­dent einer schla­gen­den zio­nis­ti­schen Stu­den­ten­ver­bin­dung war er sogar einer der Mit­be­grün­der der bis heu­te bestehen­den jüdi­schen Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on »Betar«.

Bren­nend auf prak­ti­sche Umset­zung sei­ner Ideen, reis­te er nach Paläs­ti­na, wo er sich als Land­ar­bei­ter einem land­wirt­schaft­li­chen Kol­lek­tiv anschloß. Er führ­te in der Fol­ge eine ärm­li­che Exis­tenz in den Stra­ßen von Hai­fa, Tel Aviv und Jeru­sa­lem. Die­se Erfah­rung ver­ar­bei­te­te er viel spä­ter in sei­nem Buch Die­be in der Nacht (1946). Die Ent­täu­schung kam schnell: »Ich fand mich an einem ver­lo­re­nen Ort in der Mit­te des Nichts wie­der, einem unheil­vol­len und elen­den Ort.« Es folg­te der defi­ni­ti­ve Bruch mit dem Zio­nis­mus. 1948 erklär­te er im Jewish Chro­nic­le anläß­lich der Staats­grün­dung Isra­els, daß die Juden von nun an kei­ne ande­re Wahl haben soll­ten, als nach Isra­el ein­zu­wan­dern oder sich voll­stän­dig zu assi­mi­lie­ren, wie er selbst es getan habe.

Anfang der drei­ßi­ger Jah­re arbei­te­te Koest­ler in Deutsch­land für die Ull­stein- Ver­lags­grup­pe, vor allem für die Vos­si­sche Zei­tung, deren wis­sen­schaft­li­che Abtei­lung er lei­te­te, und für die Ber­li­ner Zei­tung am Mit­tag. Im Dezem­ber 1931 schloß er sich der KPD an, reis­te mehr­fach in die Sowjet­uni­on und ging schließ­lich nach Paris, wo er für den Pro­pa­g­an­da­chef der Kom­in­tern, Wil­li Mün­zen­berg, arbei­te­te. Als Bericht­erstat­ter der eng­li­schen Zei­tung News Chro­nic­le wur­de er 1937 wäh­rend des Spa­ni­schen Bür­ger­kriegs in Mála­ga von fran­quis­ti­schen Trup­pen ver­haf­tet, zunächst zum Tode ver­ur­teilt, dann aber gegen die Gat­tin eines Flie­ger­as­ses der Natio­na­len aus­ge­tauscht, die von den Repu­bli­ka­nern gefan­gen­ge­hal­ten wur­de. Die­se Epi­so­de inspi­rier­te ihn zu den fes­selnds­ten Sei­ten sei­nes gro­ßen auto­bio­gra­phi­schen Buches Ein spa­ni­sches Tes­ta­ment (1937). Ein Jahr spä­ter brach er end­gül­tig mit der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, als Zei­chen des Pro­tes­tes gegen die Mos­kau­er Schauprozesse.

Als der Zwei­te Welt­krieg aus­brach, befand sich Koest­ler in Frank­reich, wo er von den fran­zö­si­schen Behör­den als »uner­wünsch­ter Aus­län­der« ein­ge­stuft und im Lager von Ver­net inter­niert wur­de. Auf Druck der bri­ti­schen Behör­den wur­de er ent­las­sen, trat der Frem­den­le­gi­on bei, wech­sel­te sei­ne Iden­ti­tät, deser­tier­te in Nord­afri­ka und floh nach Lon­don, wo er eine Tätig­keit im Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um annahm. 1940 erschien der Roman Son­nen­fins­ter­nis, in dem er einen sta­li­nis­ti­schen Pro­zeß gegen einen hohen sowje­ti­schen Funk­tio­när beschreibt, der der­art indok­tri­niert ist, daß er sei­ne eige­ne Hin­rich­tung akzep­tiert, obwohl ihn kei­ner­lei Schuld trifft. Das Werk wur­de schnell als Klas­si­ker des Anti­to­ta­li­ta­ris­mus vom Ran­ge von Orwells 1984 aner­kannt, führ­te aber zum Zer­würf­nis mit den Intel­lek­tu­el­len der Lin­ken, allen vor­an Jean-Paul Sartre.

Nach dem Krieg arbei­te­te Koest­ler mit dem vom CIA orga­ni­sier­ten und dis­kret finan­zier­ten »Kon­greß für kul­tu­rel­le Frei­heit« zusam­men. Das Werk die­ses gro­ßen Ver­füh­rers (über des­sen Frau­en­ge­schich­ten viel Tin­te ver­geu­det wur­de), das unab­läs­sig zwi­schen den Extre­men schil­lert, teilt sich in Roma­ne, Essays und auto­bio­gra­phi­sche Schrif­ten. 1972 wur­de er mit dem »Order of the Bri­tish Empire« aus­ge­zeich­net. 1976 behaup­te­te er in Der drei­zehn­te Stamm, daß das heu­te in der Dia­spo­ra leben­de Juden­tum nicht von den Juden des anti­ken Paläs­ti­na abstam­me, son­dern von dem Turk­volk der Cha­sa­ren, das im 13. Jahr­hun­dert zum Juden­tum kon­ver­tiert sei. Die­se umstrit­te­ne The­se wur­de von der moder­nen gene­ti­schen For­schung nicht bestä­tigt, nichts­des­to­trotz drei­ßig Jah­re spä­ter von dem israe­li­schen His­to­ri­ker Shlo­mo Sand aufgegriffen.

Koest­ler ließ sich dau­er­haft in Lon­don nie­der, wo er sich seit den frü­hen fünf­zi­ger Jah­ren lei­den­schaft­lich der Para­psy­cho­lo­gie und ande­ren »unor­tho­do­xen« wis­sen­schaft­li­chen Strö­mun­gen wid­me­te. Er kri­ti­sier­te den klas­si­schen Dar­wi­nis­mus und alle Arten des Reduk­tio­nis­mus inner­halb der Kogni­tiv­wis­sen­schaf­ten wie der Psy­cho­lo­gie, der Neu­ro­phy­sio­lo­gie, der Bio­lo­gie und der Wirt­schafts­wis­sen­schaft. Ihm ist die Erfin­dung des Begrif­fes »Holon « (das »ganz­heit­lich Sei­en­de«) zu ver­dan­ken, der jen­seits der simp­len Gegen­über­stel­lung der Tei­le und des Gan­zen die Fähig­keit von leben­den Orga­nis­men beschreibt, emer­gen­te Eigen­schaf­ten zu ent­wi­ckeln. 1969 gab er zusam­men mit J. R. Smy­thi­es die Auf­satz­samm­lung Das neue Men­schen­bild (Bey­ond Reduc­tion­ism) her­aus, die Vor­trä­ge eines gro­ßen inter­na­tio­na­len Kol­lo­qui­ums ent­hält, das in Alp­bach (Öster­reich) abge­hal­ten wur­de. Teil­neh­mer waren unter ande­rem Jean Pia­get, Jérô­me Bru­ner und Lud­wig von Ber­tal­anffy. Es erschien eine Rei­he von Büchern, die glei­cher­ma­ßen den Mate­ria­lis­mus wie den Freu­dia­nis­mus atta­ckier­ten, kul­mi­nie­rend in Der Mensch, Irr­läu­fer der Evo­lu­ti­on (1978). Erkrankt an Leuk­ämie und am Par­kin­son- Syn­drom, nahm er sich 1983 das Leben, zusam­men mit sei­ner drit­ten Ehe­frau Cyn­thia Jef­fe­ries, nach dem Vor­bild von Ste­fan Zweig und sei­ner Frau. Als Ver­tei­di­ger der Eutha­na­sie war er zwei Jah­re zuvor Vize­prä­si­dent der Gesell­schaft für frei­wil­li­ge Eutha­na­sie (Vol­un­t­a­ry Eutha­na­sia Socie­ty) geworden.

Schrif­ten: Ein spa­ni­sches Tes­ta­ment (Spa­nish Tes­ta­ment, 1937, dt.: 1938); Die Gla­dia­to­ren (The Gla­dia­tors, 1939, dt.: 1948); Son­nen­fins­ter­nis (Dark­ness at Noon, 1940, dt.: 1946); Ein Mann springt in die Tie­fe (Arri­val and Depar­tu­re, 1943, dt.: 1945); Der Yogi und der Kom­mis­sar (The Yogi and the Com­mis­sar, 1945, dt.: 1950); Die­be in der Nacht (Thie­ves in the Night, 1946, dt.: 1949); Die Geheim­schrift (The Invi­si­ble Wri­ting, 1954, dt.: 1955); Die Nacht­wand­ler (The Sleep­wal­kers, 1959); Das Gespenst in der Maschi­ne (The Ghost in the Machi­ne, 1967, dt.: 1968); Die Wur­zeln des Zufalls (The Roots of Coin­ci­dence, 1972); Die Her­ren Call-Girls (The Call Girls, 1972); Der drei­zehn­te Stamm (The Thir­te­enth Tri­be, 1976, dt.: 1977); Der Mensch, Irr­läu­fer der Evo­lu­ti­on, 1978.

Lite­ra­tur: John Atkins: Arthur Koest­ler, New York 1956; Chris­ti­an G. Buckard: Arthur Koest­ler. Ein extre­mes Leben 1905–1983, Mün­chen 2004; David Cesa­ra­ni: Arthur Koest­ler. The Home­l­ess Mind, Lon­don 1998; Iain Hamil­ton: Koest­ler. A Bio­gra­phy, Lon­don 1982; Michel Laval: L’homme sans con­ces­si­ons. Arthur Koest­ler et son siè­cle, Paris 2005; Mark Leve­ne: Arthur Koest­ler, New York 1984; Micha­el Scam­mel: Koest­ler. The Lite­ra­ry and Poli­ti­cal Odys­sey of a Twen­tieth-Cen­tu­ry Skep­tic, New York 2009.

 

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