Fußnote: Was rechts, was links …

von Heino Bosselmann

Des öfteren werde ich neuerdings um ein Bekenntnis angegangen, ob ich nun ein echter Rechter wäre oder nicht.

Als wäre das in veri­fi­zier­ba­ren Labor­wer­ten aus­zu­wei­sen. Im Ein­klang damit wird etwa bearg­wöhnt, daß ich regel­mä­ßi­ger Leser der „Süd­deut­schen Zei­tung“ und gegen „links“ offen­bar nicht klar abge­grenzt sei.

Und tat­säch­lich – ich ver­öf­fent­lich­te unter mei­nem Pseud­onym, das so ver­schlis­sen ist wie ein alter Man­tel, in sich links geben­de Blät­tern zu lite­ra­ri­schen The­men – aller­dings nur so lan­ge, bis dort alar­miert wur­de, ich wäre ein ganz sinis­trer Ultrarechter.

Der Stil der Vor­wür­fe unter­schei­det sich. Wäh­rend die sich als genui­ne Rech­te Füh­len­den meist kul­ti­viert nach­fra­gen, wes Geis­tes Kind ich denn sei, reagie­ren die Lin­ken gif­tig und denun­zie­ren auf so anony­me wie unan­ge­neh­me Wei­se. Der Ver­weis auf die von mir geschätz­ten Medi­en JUNGE FREIHEIT und SEZESSION reich­te aus, um Ver­la­ge panisch wer­den zu las­sen oder in Redak­tio­nen Sit­zun­gen dar­über ein­zu­be­ru­fen, wel­che Laus man sich mit mir in den Pelz gesetzt habe. Und typisch links: Wer jetz­te bit­te dafür gera­de­zu­ste­hen und Selbst­kri­tik zu üben hätte?

Ich lebe weit­ge­hend ohne Bekennt­nis­se. Ohne reli­giö­se ohne­hin, was unter Kon­ser­va­ti­ven ein bedenk­li­ches Allein­stel­lungs­merk­mal dar­stellt, aber eben­so­we­nig mit dra­ma­ti­siert poli­ti­schen: Erweck­te, Beschwö­rer und Zeug­nis­ab­le­ger sind mir mit ihrem fun­da­men­ta­lis­ti­schen Hang, ihrer Schutz‑, Trost‑, Gefähr­ten- und vor allem tota­li­tä­ren Wahr­heits­su­che suspekt – Ergeb­nis mei­ner Her­kunft aus einem vor­mund­schaft­li­chen Staat, der täg­lich in der Manier eines neu­ro­ti­schen Eltern­teils Bekennt­nis­se ver­lang­te: Stehst du auch noch unver­brüch­lich fest zu uns, Jun­ge? – Hal­tung zu oder gegen etwas bedarf mehr als eines Bekennt­nis­ses, fin­de ich. Als wich­ti­ger emp­fän­de ich u. a. das Zie­hen eige­ner Konsequenzen.

Jenen, die mei­ne unmaß­geb­li­chen Tex­te ver­öf­fent­lich­ten, ohne von mir ein­gangs Pro­ben einer Welt-Anschau­ung zu erwar­ten, bin ich dank­bar. Auch dafür, daß sie zuwei­len publi­zier­ten, was ihnen selbst frag­wür­dig erschien. Nir­gend­wo sehe ich links eine sol­che Frei­heit! Die Kul­tu­re­dak­teu­rin einer Zei­tung teil­te mir kürz­lich am Tele­fon mit, es gäbe „ein Ver­dikt“, daß sol­che wie ich, also sol­che von der „Jun­gen Frei­heit“ und “Sezes­si­on”, dort gar nicht schrei­ben dür­fen. – Mit Mor­gen­sterns Palm­ström also: … weil, so schließt er mes­ser­scharf, nicht sein kann, was nicht sein darf!” Und ich erin­ner­te mich sogleich der Stimm­la­ge mei­ner FDJ-Sekre­tä­rin, an die­sen Gelöb­nis­ton, fei­er­lich bis echauf­fiert. Ein “Ver­dikt” also. Aha. – Man kann sich über insti­tu­tio­nel­le Zen­sur auf­re­gen. Ande­rer­seits macht Zen­sur Publi­zis­tik auch spannend.

Zur über­flüs­si­gen per­sön­li­chen Erklä­rung ansatz­wei­se ein paar Notizen:

1.) Man müß­te ent­we­der stumpf­sin­nig oder vom Sys­tem bzw. vom Gehalt völ­lig kor­rum­piert sein, wür­de man in zwan­zig­jäh­ri­ger Unter­richts­tä­tig­keit an staat­li­chen und pri­va­ten Schu­len, vor­zugs­wei­se soge­nann­ten Gym­na­si­en, nicht zu kul­tur­kon­ser­va­ti­ven Ansich­ten gelangen.

2.) Dar­an anschlie­ßend: Sucht man bei­spiels­wei­se zu Bil­dungs­the­men das Gespräch, wird schnell deut­lich, daß kla­re Rede dar­über nicht mehr mög­lich ist – eben­so wie über­haupt die Seman­tik von Begrif­fen in der poli­ti­schen Dis­kus­si­on der letz­ten Jah­re zuneh­mend unbe­herrsch­bar wur­de. Man prü­fe das an sprach­li­chen Zei­chen wie Euro­pa, Nati­on, Inte­gra­ti­on, Inklu­si­on, Anti­dis­kri­mi­nie­rung, Popu­lis­mus und vie­len ande­ren, mei­net­we­gen auch an sol­chen Klas­si­fi­zie­rungs­wor­ten wie „rechts“ und „links“.

Genau­er: Zei­chen – außer aprio­ri­sche, also etwa mathe­ma­ti­sche – sind im Gespräch immer unklar; und nach Witt­gen­stein besteht Phi­lo­so­phie u. a. dar­in, das Den­ken aus der Ver­he­xung zu befrei­en, in die es die Spra­che immer wie­der führt. Nur muß die­ser Vor­gang dann poli­tisch zuge­las­sen sein. Er ist es gegen­wär­tig in all­zu vie­len wich­ti­gen Berei­chen weni­ger denn je! Und: Eine Klä­rung des poli­ti­schen Den­kens und Spre­chens ist nach mei­ner Erfah­rung der­zeit viel eher von rechts mög­lich als von links, schon gar nicht aber aus der auf sich selbst fixier­ten Mit­te heraus.

Daß die poli­ti­sche Rech­te als unzu­mut­bar, als unap­pe­tit­lich, als patho­lo­gisch dif­fa­miert wird, ermög­licht ihr umge­kehrt offen­bar eine kla­re kri­ti­sche Sicht, weil sie außer­halb des eta­blier­ten Milieus steht, aus­ge­schlos­sen von der Ämter­pa­tro­na­ge und den „Stel­len­jä­ger­par­tei­en“, wie Max Weber sie in „Poli­tik als Beruf“ beschreibt. Ver­fe­mun­gen, Dis­kri­mi­nie­run­gen und Aus­ge­schlos­sen­heit befrei­en, wenn man sie mög­lichst unauf­ge­regt erträgt. Wer „rechts“ han­delt und publi­ziert, darf zwar weder auf Kar­rie­re noch auf dickes Salär hof­fen, er kann aber, ja er muß gänz­lich aus frei­en Stü­cken han­deln. Exis­ten­tia­lis­tisch! Gelingt ihm das, ohne daß er sich etwa als Out­law, als Frei­heits­held und bes­se­rer Mensch fühlt oder sei­ne Exklu­si­on gar noch bejam­mert, steht er in den erfri­schends­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Wo denn sonst noch?

3.) Nach mei­nem Ein­druck befin­den sich Deutsch­land und Euro­pa unmit­tel­bar am Vor­abend einer min­des­tens kul­tu­rel­len, damit aber ver­bun­de­nen poli­ti­schen Wen­de. The­men und Pro­ble­me her­zu­zäh­len ist dies nicht der Ort; sie sind der­zeit ohne­dies über­all so auf­dring­lich wie offi­zi­ell tabui­siert prä­sent. Ich kann nicht erken­nen, wo die Mit­te und die Lin­ke dazu Ansät­ze ver­mit­teln, mit denen mehr zu errei­chen wäre als die frag­wür­di­ge Impro­vi­sa­ti­on inner­halb eines bedenk­li­chen Sta­tus quo, an dem aller­dings eini­ges Wesent­li­che bewah­rens­wert sein mag, ande­res, eben­falls sehr Wesent­li­ches, aber radi­kal ver­än­dert wer­den müß­te – prio­ri­tär eine ideel­le Sta­gna­ti­on, die in erstarr­ten Phra­sen intel­lek­tu­ell, mora­lisch und lebens­prak­tisch uner­träg­lich wird. Man kann bei­spiels­wei­se nicht einer­seits Demo­kra­tie wol­len, ande­rer­seits Debat­ten und Wahl­ent­schei­dun­gen zu viru­len­ten The­men ängst­lich ver­mei­den oder „Wahl­al­ter­na­ti­ven“, die ihren kri­ti­schen Urtei­len fol­gen, als dem­ago­gisch, dümm­lich, ewig gest­rig und popu­lis­tisch ver­teu­feln.

Dies allein in Rech­nung stel­lend, sehe ich Impul­se für Bewe­gung und Ver­än­de­rung eher von rechts aus­ge­hen, wenn­gleich mir frei­lich nicht das gesam­te Spek­trum an The­men und Per­so­nen liegt, was ich nur selbst­ver­ständ­lich fin­de, möch­te ich doch selbst mit­nich­ten aller Welt Freund sein.

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