Des “Papstes Schuster” erläuterte im Mai 2010 der Süddeutschen Zeitung die Bedeutung der Farbenwahl:
Das päpstliche Schuhwerk ist seit Jahrhunderten rot. Die Farbe soll an die Kreuzigung und das Blut Christi erinnern. Nur der Farbton ändert sich manchmal. Benedikt XVI. hat sich für ein schönes Feuerrot entschieden.
Und auch die BILD-Zeitung weiß zu berichten:
Seit dem 15. Jahrhundert tragen Päpste die rötlichen Schuhe. Die rote Farbe, heißt es, soll an die Kreuzigung und das Blut Christi erinnern.
Aus nämlicher Zeitung erfahren wir auch, daß der Namenspatron des Papstes, der Hl. Franz von Assisi, “tierlieb” gewesen sein soll und “Einfachheit vorgelebt hat”. „Wie gern ich eine arme Kirche für die Armen hätte“, wird Franziskus zitiert. Dieser fahre mit Bus, Bahn und Taxi, wirke “wie ein einfacher Priester”. Er “verzaubere” die Christen mit “Demuts-Gesten” wie der “spontanen” Segnung eines Blindenhundes. Und auch die Schuhe seien Ausdruck seines “schlichten, demütigen Stils”:
Er weigerte sich, sein schlichtes Eisenkreuz gegen eines aus Gold zu tauschen. Er trägt schwarze statt rote Schuhe, weil er sich nicht in den Mittelpunkt stellen möchte: „Christus ist das Zentrum der Kirche, nicht der Nachfolger Petri“, sagt er.
Auf diese und ähnliche Weise wird zur Zeit unablässig das Mantra von der vorgeblichen “Demut”, “Schlichtheit” und “Bescheidenheit” des neuen Papstes auf allen nur erdenklichen Ätherwellen gesungen, sekundiert von Refrains wie “Aufbruchsstimmung”, “Neuanfang” und ähnlichem, mit all der Einstimmigkeit, die inzwischen ebenso üblich wie unheimlich geworden ist. Inmitten dieser Flut aus stromlinienförmigem Info- und Desinfotainment frage ich mich unaufhörlich, ob ich wirklich der einzige Mensch auf der Welt bin, dem auffällt, wie penetrant die Dauerrede von der “Bescheidenheit” des neuen Papstes stinkt. (Ich bin es glücklicherweise nicht: hier Alexander von Schönburg in der Welt).
Hier ist immerhin von einem Mann die Rede, der sich nicht nur zum ersten Mal in der Kirchengeschichte überhaupt einen “neuen” Namen gab: “Johannes Paul I.” kombinierte lediglich zwei häufig benutzte Namen, und alle bisherigen “Ersten”, deren letzter Lando I. (Pontifikat 913/4) war, traten ihr Amt unter ihrem Taufnamen an. Nein, er hat sich noch zusätzlich “bescheidenerweise” den Namen eines der populärsten Heiligen der Kirchengeschichte, Franz von Assisi, der weltweit, auch außerhalb der römischen Kirche, als eines der bedeutendsten religiösen Genies verehrt wird, die je gelebt haben. In der Tat wurde nicht nur ich augenblicklich stutzig, als ich von dieser Namenswahl erfuhr – wer genauer hinhört, mag darin gar eine “Drohung” mitschwingen hören. Einbildung? Übertriebenes Mißtrauen?
Verstärkt wird dieser Eindruck allerdings noch durch eine gehäufte Fülle weiterer grob ins Auge stechender Traditionsbrüche, die jene Kreise zu verantworten haben, die Jorge Mario Bergoglio auf den Heiligen Stuhl gesetzt haben: er ist der erste lateinamerikanische Papst überhaupt, der erste Jesuit überhaupt, der erste nicht-europäische Papst seit dem 8. Jahrhundert. Dagegen nimmt sich der Traditionsbruch der schwarzen Schnürschuhe in der Tat “bescheiden” aus: diese Geste scheint mir allerdings nur so “bescheiden” wie die Turnschuhe, in denen Joschka Fischer 1985 den Amtseid im hessischen Landtag ablegte, und die ebenfalls den Einbruch eines “neuen Stils” in der Politik signalisierten.
Noch schwerer wiegt allerdings, daß dem Amt Bergoglios ein noch einschneidenderer Traditionsbruch vorausgegangen ist. Zum zweitenmal in der 2000jährigen Kirchengeschichte hat ein Papst sein Amt zu Lebzeiten niedergelegt, und zum ersten Mal seit 1294. Dante verdammte Coelestin V. dafür in die Hölle der “Lauwarmen”. Für einen solchen hat Benedikt XVI. bisher niemand gehalten, und daß gerade dieser Papst diesen gravierenden Bruch vollzogen hat, hat viele Katholiken geradezu schockiert. War das nur ein “dumpfes Gefühl”, mehr nicht? Es braucht in der Tat keinen “Blitz im Vatikan” mehr, um hier ein schlechtes Vorzeichen zu sehen.
Selbst wenn sich alles Mißtrauen konservativer Katholiken gegen Franziskus I. als unbegründet herausstellen sollte: dieser Schatten über seinem Pontifikat ist untilgbar. Er wird nicht gerade kleiner dadurch, daß er, wie nun erst bekannt wurde, bereits im Konklave von 2005 in einem nur knapp verlorenen Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Josef Ratzinger ausgespielt wurde. Es gab also offenbar innerhalb der Kirche schon seit langem starke politische Bestrebungen, Bergoglio als Papst durchzusetzen.
Daß ausgerechnet der “Anti-Ratzinger” das unter außergewöhnlichen Umständen abgetretene Amt seine Vorgängers übernimmt, wird ein etwaiges Mißtrauen jedenfalls kaum mildern. Noch weniger, daß der offenbar schon lange feststehende Kandidat bisher von der internen Politik des Vatikan bis zur Unsichtbarkeit abgeschirmt wurde: die im Vorfeld der Papstwahl ständig in den Medien auftauchenden Gesichter farbiger Papabiles (die Linksliberalen konnten sich vor Speichelfluß kaum mehr retten) erscheinen im Nachhinein wie gezielt eingesetzte Nebelwände.
Was (oder wer) auch immer Benedikt XVI. zu diesem Schritt bewogen hat, eines ist er im Gegensatz zu seinem Nachfolger bisher gewiß gewesen: nämlich “bescheiden”. Dies ist eine Sache, die sich nun tatsächlich in der Namenswahl mit ihrer hohen “Nummerierung” ausdrückt. Benedikt hat stets das Über- und Unpersönliche seines Amtes, seinen Posten als sozusagen “erster Diener seiner Kirche” betont.
Martin Mosebach hob dies in der FAZ hervor – wenn man genau hinhört, mit einem leise anklingenden, entschuldigenden Unterton:
Selten sind die Bescheidenheit und Demut Benedikts XVI. gewürdigt worden. Dieser Papst ist ein erklärter Feind jedes Personenkults – schon in seinem Papstnamen als sechzehnter deutete er an, dass er sich als einen sah, der in einer langen Reihe stand. Mit Coelestin V. hat er eine Neigung zur Zurückgezogenheit in Kontemplation und Arbeit gemeinsam, die er allerdings länger zu unterdrücken hatte.
Im Gegensatz dazu hat gerade die ausgestellte “Bescheidenheit” Franziskus’ und seine offensichtliche Mißachtung des Dienstes an der Kirche den Effekt, seine Person jenseits des Petrus-Amtes recht deutlich hervortreten zu lassen. Der Beifall kommt natürlich von genau jener Seite, die bisher auf die tatsächliche Demut Benedikts (gegenüber seiner Amtswürde und den Statuten der Kirche) gereizt reagiert hat, und die in den “Demuts-Gesten” des Franziskus – ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt – ein Aggiornamento und eine Konzession an ihren Nivellierungsanspruch sieht. All dies ist im Endeffekt banalerweise tatsächlich nur ein paar Grade von der Genugtuung über Joschka Fischers Turnschuhe und rüpelhaftes Benehmen entfernt.
Dabei ist den zumeist egalitär gesinnten Meinungsmachern nicht nur der Habitus der Erhabenheit der kirchlichen Würdenträger ein Dorn im Auge. Feindspürig nehmen sie wahr, daß dieser eben auch eine Relativierung ihres eigenen Herrschaftsanspruchs zum Ausdruck bringt. Thorsten Hinz hat bereits 2009 die eigentlichen Triebfedern für die Angriffe auf den Papst trefflich auf den Punkt gebracht:
Der Zusammenstoß des Papstes mit Presse und Politik in Deutschland war von Benedikt XVI. nicht gewollt, er war bloß unvermeidlich. Denn erstens stellt die Institution der katholischen Kirche noch im Stadium ihrer politischen Machtlosigkeit die leibhaftige Provokation für die moderne Massendemokratie dar. Alles, was sie ist und repräsentiert: Tradition, Hierarchie, Askese, Dienst an einem ferneren Ziel, das dem Einzelnen unerreichbar ist, die Ablehnung innerer Demokratie usw., steht konträr zum massenhaften Bedürfnis, die materiellen, ideellen, sexuellen Gelüste schnell und umstandslos zu befriedigen. Da sie die Offenbarung auf ihrer Seite zu haben meint, kann die Kirche auch den Majoritätswillen gelassen als Irrtum abtun. Sie hält es für wichtiger, das einzelne Gewissen zu schärfen und das Individuum gegen die Allmacht der demokratischen Mehrheit zu stärken, welche die Menschenrechte nach Belieben gewährt oder entzieht.
Es ist dieses stille, zähe Bestreiten ihrer Allmacht, der stete, stumme Verweis auf ihren relativen Charakter, der die Vertreter der Massendemokratie so sehr in Zorn versetzt. Das Durchschnittliche und Gewöhnliche, das in der aktuellen Kirchenkritik an die Oberfläche kommt, will keinesfalls bei seinem Namen genannt werden, sondern beansprucht, das Allgemeinmenschliche, die Aufklärung, wenigstens aber den Fortschritt zu verkörpern.
Und es sind nun genau diese üblichen Verdächtigen, die der Hoffnung sind, mit Papst Franziskus würde eine “Reform” in ihrem Sinne einsetzen. Alexander von Schönburg konkretisierte diesen Verdacht:
Erwähnenswert ist das überhaupt nur, weil all die von uns bejubelten Demutsgesten des neuen Papstes selbstverständlich sehr viel mehr sind als nur Demonstrationen eines neuen, bescheidenen “Stils”. Sie sind Vorzeichen einer inhaltlichen Revolution. Sie künden von einer Neudefinition des Papstamtes, somit auch der Neudefinition des Bischofsamtes und damit natürlich letztlich auch des Priesteramtes.
Das zentrale Anliegen all jener “Modernisten”, für die das Pontifikat Benedikts XVI. eine widerwillig zu erduldende Wanderung durch die Wüste bedeutete, war und ist: die mittelfristige Abschaffung des Weihepriestertums. Die Grundprämisse nämlich, dass sich Priester durch Weihe von den gewöhnlichen Laien unterscheiden, ist für Modernisten und Egalitaristen ein Graus.
Manfred Kleine-Hartlage schreibt:
Man muss sich nur anschauen, wer die Leute sind, die sich jetzt freuen, und aus welchen Gründen sie sich freuen: Der DLF-Journalist Peter Kapern, der heute abend – selbstverständlich, möchte man sagen – keinen einzigen Konservativen interviewte, hat uns in seinen Interviews schon einmal eine kleine Auswahl präsentiert: den Hamburger Weihbischof Jaschke (“Ich als katholischer Bischof habe ein Interesse daran, dass Muslime in Deutschland ihren Glauben behalten”), einen aus der Riege jener Bischöfe, die durch die Medien tingeln, ohne zu erklären, was Katholizismus ist (vermutlich, weil sie es selber nicht wissen); die CDU-Politikerin Julia Klöckner, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die den üblichen liberalen Reformwunschzettel abspulte; ein Fuzzi von “Wir sind Kirche”.
(…)
Überhaupt ist es bezeichnend, mit welchem Scharfblick gerade die Feinde der Kirche die Zeichen eines Verfalls erkennen, den viele Katholiken sich immer noch schönzureden versuchen. Beim Rücktritt Benedikts waren es ebenfalls die üblichen Verdächtigen, zum Beispiel die Freimaurer, die diesen Schritt genau deshalb bejubelten, weil er ein weiterer – und zwar großer – Schritt zur “Entmystfizierung”, zu deutsch: zur Profanisierung und Banalisierung der Kirche war.
Ähnlich drückte es der katholische Publizist Mathias von Gersdorff im Blog der Jungen Freiheit aus:
Seit mehreren Wochen ereifern sich unzählige Zeitungen, dem deutschen Publikum zu erklären, wie es innerhalb der katholischen Kirche aussieht und welche Reformen dringend notwendig sind. Es ist schon erstaunlich, welche Mühe sich dabei manche Journalisten geben, die wahrscheinlich der Meinung sind, die Katholische Kirche sollte gar nicht existieren. Trotzdem tun sie so, als ob sie genau wissen würden, wie es innerhalb der Kirche aussieht, welche die wichtigsten Probleme sind und wie man sie aus der Welt schaffen kann.
Für einen praktizierenden Katholiken wirkt die große Mehrheit dieser Texte seltsam unwirklich, als ob sie in einer Parallelwelt verfaßt worden wären. Viele Zeitungen sind durchaus in der Lage, viele Detailinformationen über Geschichte, Traditionen und Gebräuche der katholischen Kirche abzudrucken, doch irgendwie treffen sie nicht den Kern des betrachteten Objekts. Die meisten Redakteure in den deutschen Tageszeitungen erfassen offenbar das Wesen der Kirche nicht und beschreiben sie, als ob sie von einem Verein oder eine politische Partei sprechen würden. Dementsprechend klingen die Forderungen nach Reformen, die tausendfach jeden Tag reproduziert werden: Zölibat abschaffen, Sexualmoral lockern, Haltung gegenüber Abtreibung und Homosexualität ändern und so weiter. Selbst in einigen sogenannten „Qualitätszeitungen“ sind die Kommentare über Kirche und Papst längst zu Formeln verkommen, die man ohne Reflexion wiederholt.
Dementsprechend wird das Pontifikat des Franziskus nun mithilfe unklar herumschwirrender, ideologisch-emotional aufgeladener Begriffe angepriesen. Franz von Assisi eignet sich hier bestens als sentimentalisierungsfähige Projektionsfläche, während der tatsächliche Heilige, etwa mit seiner radikalen Leibfeindlichkeit und Askese, in vieler Hinsicht der heutigen Zeit ebenso fremd und antipodisch gegenüber steht wie das ganze 13. Jahrhundert überhaupt.
Bergoglio entstammt zudem einem Orden, der nicht gerade für seine franziskanische “Einfachheit” bekannt ist. Bei den Jesuiten waren seit jeher die Macchiavellisten, Militanten und Intellektuellen zuhause; heute sind sie geradezu berüchtigt für ihren starken Linksdrall.
Zu diesen Begriffen gehören mit Franz von Assisi assoziierte Themen wie “Ökologie”, “Umweltschutz” und vor allem “Armut”, die auf den Zungen der Meinungsmacher eben einen gewissen Geschmack bekommen, auf den noch einzugehen ist. Jedenfalls läuft die zuweilen etwas krampfhaft betriebene “Obamisierung” des Papstes auf Hochtouren.
Ich greife zwei willkürliche Beispiele aus der österreichischen Presse heraus. Die als “bürgerlich-konservativ” geltende Presse vom 15. März etwa wertete die Wahl Bergoglios als “Niederlage für Kurie und Konservative”; der österreichische Kardinal Schönborn,schon physiognomisch einem Wackelpudding ähnlich, wird direkt und indirekt zitiert:
Eine Mehrheit der Kardinäle sei sich einig gewesen, daß eine Reform der vatikanischen Kurie unumgänglich erscheint. … Eine Abkehr von der extremen Ausprägung des vatikanischen Zentralismus also? Schönborns diplomatische Antwort auf diese Frage: “Insgesamt ein besseres Miteinander zwischen Papst und den kontinentalen und nationalen Episkopalen.” … Das heißt konkret: Bischöfe sind nach diesem Verständnis nicht nur eine Art Filialleiter Roms, sondern nehmen unter der Leitung des Papstes an der Führung der katholischen Kirche teil. … “Wir hoffen alle, daß es zu einer tiefgründigen Säuberung des kommen wird.” Der gute Ruf des Vatikans müsse wieder hergestellt werden, verlangte Schönborn.
“Der gute Ruf des Vatikan”, in wessen Augen? Hier sprach Schönborn wohlgemerkt nicht über “Mißbrauchsskandale” und ähnliches; in der Tat blieb er auffallend vage, worauf sich diese “dringenden Aufräumarbeiten” denn beziehen würden – mangelnde Diskretion gegenüber der Presse wird es wohl kaum sein.
Die Stoßrichtung der Dezentralisierung (und damit Enteuropäisierung) Roms bekräftigte auch die als “katholisch-konservativ” geltende Furche. Diese titelte: “Ein Papst für die Welt”, ohne zu erläutern, in welchem Sinne ein lateinamerikanischer Papst nun mehr ein Papst “für die Welt” sein soll als irgendein anderer – glaubensdogmatische Gründe kann es jedenfalls nicht haben.
Ähnlich unklar fiel der Leitartikel von Rudolf Mitlöhner aus, der selbstredend das Mantra vom “demütigen” und “bescheidenen” Auftreten des Papstes wiederholte. Darin hieß es, die Wahl des Franziskus sei ein “Hoffnungszeichen in schwieriger Zeit”. Das erinnert an die berüchtigten “Hope”- und “Change”-Blasen der Obamawahl. Warum “Hoffnung”? Worauf? Für wen? Inwiefern ist unsere Zeit “schwierig”? Ähnlich vage auch der Rest:
Urbi et orbi – der Stadt und dem Erdkreis, also der ganzen Welt, gilt der päpstliche Segen, der am Anfang jedes Pontifikats steht und der schon demnächst, am Ostersonntag, erneut gespendet werden wird. Bei dem Mann aus Südamerika hat dies einen besonderen, neuen Klang. Als vor acht Jahren Joseph Kardinal Ratzinger zu Benedikt XVI. avancierte, wurde an dieser Stelle versucht zu argumentieren, warum es gut sei, dass der neue Papst aus Europa komme: weil hier, im „alten“, von Aufklärung und Säkularisierung geprägten Kontinent, die Nagelprobe für das Christentum liege; hier habe sich die Kompatibilität des christlichen Glaubens, katholischer Provenienz zumal, mit der Moderne zu erweisen. Benedikt hat dann dazu, wie schon zuvor als Theologe, Bischof und Kardinal, Wesentliches gesagt. Nun aber scheint die Zeit reif gewesen zu sein für eine zusätzliche, in einem neuen Sinn globale Perspektive.
Wieder die Frage: warum? Und warum “globale Perspektive” (die die Kirche im Anspruch ja immer schon hatte) im “neuen Sinn”? Welcher “neue Sinn”? Man ahnt es:
Ein Perspektivenwechsel steht an,von dem auch Europa profitieren kann.… Das heißt nun nicht, dass die europäische Herausforderung bewältigt wäre oder ad acta zu legen sei. Jorge Mario Bergoglio, Sohn italienischer Einwanderer nach Argentinien, ist wohl Europäer genug, um diese nicht aus dem Blick zu verlieren. Aber vielleicht tut es ja Europa gut, sich selbst ein wenig zu relativieren, will heißen: sich in Bezug zu setzen zu anderen Kontinenten, als Teil einer Weltgemeinschaft zu begreifen – gerade auch in kirchlich-religiösen Dingen. Solcherart müsste Europa den Perspektivenwechsel nicht einfach nur hinnehmen, sondern könnte dadurch gewinnen. Wer ein paar Schritte zurücktritt, sieht mehr vom Ganzen – da verändern sich Proportionen und Prioritäten. Vor allem aber: wer loslässt, steht möglicherweise nachher wieder sicherer. Garantie gibt es keine – aber wer nur festhalten will, verliert am Ende immer.
Nun klingt die Melodie schon bekannter: die Reise soll also in eine Überführung der Kirche – und mit ihr Europas – in eine wie auch immer geartete “Weltgemeinschaft” gehen. Diese wird, wie alles und jedes heutzutage, mit der Sprache des “guten Geschäfts” verkauft. Übersetzt in den üblichen Jargon: diese Überführung ist zwar erstens ein “Risiko”, von dem kein Mensch weiß, ob und wie es sich “bezahlbar” macht, zu dem man aber “Mut” haben muß, zweitens ist sie ohnehin alternativlos, dafür aber “eine Chance”, und wer obenauf schwimmen will, muß sowieso mitziehen. Mit anderen Worten: Was hier zum Ausdruck kommt, ist einmal mehr die globalistische Utopie und Ideologie der “Neuen Weltordnung”.
Dieser entsprechen auch die Tendenzen zur Entortung Roms: es ist nämlich in keiner Weise einzusehen, wieso das Auftreten eines aus Lateinamerika stammenden Papstes die “Perspektive” nach Lateinamerika oder in die sonstige Welt verschieben oder umkehren soll. Die Kirche funktioniert eben (noch?) nicht nach einem demokratischen Repräsentationsprinzip, und vermutlich hätten auch viele im Wortsinne “katholisch” gesinnte “Ultramontane” ihre Schwierigkeiten damit, wenn man etwa den Vatikan nach Rio de Janeiro oder Bangladesh verlegen würde, wenn es dort einmal zahlenmäßig mehr Gläubige gäbe als in Italien.
Bisher war der Anspruch der Kirche jedenfalls genau umgekehrt: die Welt soll sich nach Rom ausrichten, und damit eben indirekt Richtung Europa (dessen Kultur und Geschichte auf eine engere und entscheidendere Weise mit der Kirche verknüpft ist, als die irgendeines anderes Erdteiles, weshalb, von vielen “Anti-Universalisten” kritisiert, die Christianisierung der Welt bis zu einem gewissen Grade auch immer ihre Europäisierung bedeutet). Und wenn nun ein Erdteil katholisch wird, muß sich eben auch seine Kompaßnadel nach Rom richten (wobei sich die römische Kirche inzwischen vielleicht schon überdehnt hat wie einst das römische Imperium, und damit wie dieses auf ihren Zerfall zusteuert. Wer weiß, was für Nationalkirchen und Neo-Protestantismen ihrer Dezentralisierung folgen werden.)
Aber dieser Zusammenhang soll offenbar zerstört werden. Plötzlich soll es umgekehrt sein, und Rom und die Christenheit ihr Zentrum verlieren – und das nicht nur geographisch. Schon wird die Rede vom nun angeblich “demütigeren” Auftreten Roms (im idea-Artikel in Anführungsstriche gesetzt) mit der Suggestion verknüpft, daß diese “Demut” sich auch in einer begrüßenswerten Relativierung des kirchlichen Wahrheitsanspruchs zeige. Dabei irritiert besonders der Gruß des neuen Papstes „vor allem” an “die Muslime, die den einen lebendigen und barmherzigen Gott anbeten“.
Das Augenmerk sollte hier vor allem auf den “lebendigen” Gott gelegt werden: wenn es sich nicht um eine diplomatische Schmeichelei handelt, ist diese Aussage eine blanke Häresie. Franziskus selbst hat es mit Léon Bloy gesagt: wer sich nicht zu Jesus Christus bekennt, bekennt sich zum Satan. Es ist jedenfalls auch in diesen Worten an die Muslime keine “Demut” zu finden: es handelt sich um ein drastisches und eigenmächtiges Sich-Hinweg-Setzen des Papstes über die ihm aufgetragene Glaubenslehre. Worte wie diese würden jemals niemals über die Lippen eines beliebigen orthodoxen Moslems mit Selbstachtung kommen. Für die tausenden verfolgten Christen im Orient müssen sie wie Hohn klingen. Der historische Franz von Assisi hatte immerhin noch versucht, die moslemischen Sultane auf eigene Faust zu bekehren.
Mitlöhner vergißt nun nicht, seiner Leserschaft die “konservative” Beruhigungstablette zu reichen:
Umgekehrt sollte sich eigentlich von selbst verstehen, dass die Zuwendung der Kirche den Armen gelten muss. Die – letztlich politische – Frage ist nur, wie den Armen am besten geholfen wird. Dass diese Option für die Armen mit marxistischer Theorie und Praxis nicht kompatibel ist, haben bereits die beiden Vorgänger von Franziskus hinreichend deutlich gemacht. Man darf hoffen, dass auch der Papst aus Lateinamerika sich gegen Vereinnahmungen von sozialutopistischer oder ‑populistischer Seite entschieden verwahrt.
Ohne nun komplizierte theologische und exegetische Fragen aufrollen zu wollen: es sollte sich aber auch “von selbst verstehen”, daß die “Zuwendung der Kirche” allen, “Armen” und “Reichen” “gelten muß”, und zwar primär in Form der Verteilung der religiösen Heils- und Sakralgüter und nicht etwa der karitativen Zuwendung. Die angesprochenen “Vereinnahmungen” werden aber mit Sicherheit erfolgen, und zwar von der Seite, die sie am politisch wirksamsten einzusetzen weiß. Beispielsweise muß nur die Behauptung verbreitet werden, daß “den Armen am besten geholfen” sei durch “globalistische Theorie und Praxis” und die Eingliederung der Kirche und Europas in die “Weltgemeinschaft” – und wie diese auszusehen hat, wird dann auch nicht die Kirche zu entscheiden haben.
Fortsetzung folgt.
Simon Hambacher
Ich wuerde nicht sagen, dass die Herkunft des neuen Papstes einer Abkehr von Rom und Europa gleichkommt. Seit die "neue Welt" durch die Europaeer entdeckt wurde ist sie doch nichts anderes als eine Ausweitung von Europa auf einen neuen Kontinent. In Amerika gibt es "das Andere" - in Form der westafrikastaemmigen Nachkommen der Sklaven in den USA, der Karibik und Nordbrasilien und den Nachkommen der amerikanischen Ureinwohner, von den First Nations in Kanada, bis zu den indigenen Gruppen in den Anden zumeist mit mehr oder weniger gemischt europaeisch-indigener Herkunft. Es gibt aber auch die Gegenden die europaeischer sind als jede heutige westeuropaeische Großstadt. Die Italiener sind dabei eine besonders traditionalistisch eingestellte Gruppe, die sich bis heute in den USA noch nicht so stark in die angelsaechsische weiße Mehrheitsidentitaet assimiliert haben wie manch andere Gruppen. Und Argentinien ist ein Land das besonders wenig von "diversity" betroffen ist, es fehlen die ehemaligen Sklaven, und die indigenen Gruppen sind auch nur sehr schwach vertreten. Kurz: Bergoglio der Argentinier der erst zweiten Generation ist so italienisch wie man ueberhaupt nur italienisch sein kann.
Im Uebrigen ist das einmal mehr ein hervorragender Artikel, sowas findet man im Netz sonst nicht