Desinformation gegen Ungarn

von Lion Edler

Die nationalkonservative ungarische Regierung ist seit Jahren das Feindbild der europäischen und westlichen Linken:...

in der EU, beson­ders aber unter deut­schen Jour­na­lis­ten. Man hat es den unga­ri­schen Wäh­lern nicht ver­zie­hen, der kon­ser­va­ti­ven Fidesz-Par­tei zu einer par­la­men­ta­ri­schen Zwei-Drit­tel-Mehr­heit zu ver­hel­fen. Wo doch die Prot­ago­nis­ten die­ser Par­tei in ihrer Mehr­heit davon aus­zu­ge­hen schei­nen, dass eine Ehe durch­aus aus einem Mann und einer Frau besteht, und dass fer­ner der lie­be Gott eine ver­trau­ens­wür­di­ge­re Instanz ist als die säku­la­ren  Glücks­ver­hei­ßun­gen der roten, brau­nen und grü­nen Ersatz­re­li­gio­nen. Bereits im letz­ten Jahr hat­te ich in einem Arti­kel für ef-online aus­führ­lich dar­ge­legt, mit was für einem Aus­maß an Des­in­for­ma­ti­on und Pro­pa­gan­da deut­sche Medi­en die unga­ri­sche Regie­rung dif­fa­mier­ten, der man einen „Angriff auf die Pres­se­frei­heit“ (Stern) oder gar einen „Marsch in den Füh­rer­staat“ (Welt) unter­stell­te.

Es sind immer die sel­ben media­len Mecha­nis­men, wenn kon­ser­va­ti­ve oder auch nur nicht-lin­ke Per­so­nen oder Orga­ni­sa­tio­nen poli­ti­schen Ein­fluss gewin­nen und eine ernst­haf­te Gegen­po­si­ti­on zum lin­ken Kon­sens bezie­hen: Denun­zia­tio­nen, Dreck­schleu­de­rei­en mit „Sexis­mus“-, Natio­na­lis­mus- oder Anti­se­mi­tis­mus-Vor­wür­fen, Her­um­schnüf­feln in Feh­lern der Ver­gan­gen­heit, Kor­rup­ti­ons-Ver­däch­ti­gun­gen, Stig­ma­ti­sie­run­gen. Wenn dann libe­ra­le oder kon­ser­va­ti­ve Jour­na­lis­ten gegen die Dreck­schleu­de­rei Posi­ti­on bezie­hen, lau­fen sie Gefahr, selbst als „Sexist“, Anti­se­mit, Nazi oder Sonst­was zu gel­ten, wes­we­gen sich die Meis­ten lie­ber anpas­sen. Oft liegt die­se Anpas­sung aber auch nicht an Feig­heit, son­dern schlicht dar­an, dass die lin­ken Kam­pa­gnen von der kon­ser­va­ti­ven Medi­en­land­schaft nicht durch­schaut werden.

Nach­dem man im ver­gan­ge­nen Jahr ein neu­es unga­ri­sches Medi­en­ge­setz zum Anlass nahm, die Regie­rung der Aus­höh­lung von Pres­se­frei­heit zu bezich­ti­gen und ihr die Vor­be­rei­tung einer Dik­ta­tur nach­zu­sa­gen, sucht man nun in der aktu­el­len Ver­fas­sungs­re­form nach Haa­ren in der Sup­pe, um die Fidesz-Par­tei und Minis­ter­prä­si­dent Vik­tor Orbán zu dis­kre­di­tie­ren. Auch Ange­la Mer­kel hat sich schon ein­ge­schal­tet und bie­dert sich wie immer dem lin­ken Main­stream an. Ein beson­ders gutes Bei­spiel für dreis­te Denun­zia­ti­on und Stig­ma­ti­sie­rung ist etwa ein Spiegel-online-Arti­kel von Keno Vers­eck vom ver­gan­ge­nen Mon­tag. Ungarn ver­ab­schie­det sich vom Rechts­staat“, heißt es da schon in der Über­schrift. Ungarn ver­ab­schie­de sich „von allen Wer­ten, die Euro­pa aus­ma­chen“, weiß Vers­eck. Vie­le Vor­wür­fe von Vers­eck wer­fen aber die Fra­ge auf, was er unter den Wer­ten ver­steht, „die Euro­pa aus­ma­chen“ – und ob das wirk­lich durch­gän­gig so sinn­vol­le Wer­te sind. So wirft er der unga­ri­schen Regie­rung unter Ande­rem vor: „Außer­dem sol­len unver­hei­ra­te­te, kin­der­lo­se oder gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re nicht in die Defi­ni­ti­on von Fami­lie ein­ge­schlos­sen wer­den.“ Von Arti­kel sechs des Grund­ge­set­zes, der Ehe und Fami­lie unter den beson­de­ren Schutz des Staa­tes stellt, scheint Vers­eck noch nichts gehört zu haben.

Der nächs­te Vor­wurf von Verseck:

Stu­den­ten sol­len ver­pflich­tet wer­den, nach ihrem Hoch­schul­ab­schluss für eine bestimm­te Zeit in Ungarn zu blei­ben und zu arbei­ten. Tun sie das nicht, müs­sen sie Stu­di­en­ge­büh­ren zahlen.

Tat­säch­lich sol­len Stu­den­ten von staat­li­chen Sti­pen­di­en der­ar­ti­gen Auf­la­gen unter­wor­fen wer­den. Wenn der Staat Jeman­den finan­ziert, will er eben auch des­sen Loya­li­tät. Wenn ich im Schul­dienst arbei­ten will, darf ich mich nicht extre­mis­tisch betä­ti­gen (in der Theo­rie jeden­falls – in der Pra­xis kommt es in der BRD natür­lich dar­auf an, ob man rechts- oder links­extre­mis­tisch ist). Wenn ich katho­li­scher Pries­ter wer­den will, muss ich mich an das Zöli­bat halten.

Wei­ter geht es:

Wahl­kampf­re­kla­me in pri­va­ten Medi­en soll ver­bo­ten werden.

Ach du mei­ne Güte, was für ein Skan­dal. Die deut­sche Gou­ver­nan­ten- und Ver­bots­re­pu­blik muss es gera­de sagen.

Eben­so bigott ist der Vor­wurf der Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit, wenn die „Wür­de der unga­ri­schen Nati­on ver­letzt” wird. Denn auch in Deutsch­land gibt es den Straf­tat­be­stand der „Ver­un­glimp­fung des Staa­tes und sei­ner Sym­bo­le“ (§90a StGB). Wört­lich heißt es im deut­schen Strafgesetzbuch:

Wer öffent­lich, in einer Ver­samm­lung oder durch Ver­brei­tung von Schriften

1. die Bun­des­re­pu­blik oder eines ihrer Län­der oder ihre ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung beschimpft oder bös­wil­lig ver­ächt­lich macht oder die Far­ben, die Flag­ge, das Wap­pen oder die Hym­ne der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder

2. eines ihrer Län­der ver­un­glimpft, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft.

Wei­ter­hin gibt es unter Ande­rem die Straf­tat­be­stän­de „Ver­un­glimp­fung des Bun­des­prä­si­den­ten“ (§90 StGB), „Ver­fas­sungs­feind­li­che Ver­un­glimp­fung von Ver­fas­sungs­or­ga­nen“ (§90b StGB), „Volks­ver­het­zung“ (§130 StGB) oder „Belei­di­gung“ (§185 StGB).

Dass Obdach­lo­se in Ungarn sich künf­tig „nicht auf öffent­li­chen Flä­chen auf­hal­ten“ dür­fen und andern­falls „straf­recht­lich ver­folgt wer­den“, wie Vers­eck schreibt, trifft so nicht zu. Der unga­ri­sche Außen­mi­nis­ter  János Mar­t­onyi ging dar­auf am 8. März in einem 3‑seitigen Brief an die Außen­mi­nis­ter der EU-Mit­glieds­staa­ten ein.  Aus die­sem Brief geht zunächst ein­mal her­vor, dass eine unga­ri­sche Neue­rung des Grund­ge­set­zes fest­leg­te, dass Staat und Gemein­den sicher­zu­stel­len haben, dass allen Obdach­lo­sen eine Unter­kunft ange­bo­ten wird. Das ist übri­gens auch in Deutsch­land so – nie­mand muss hier­zu­lan­de unter der Brü­cke schla­fen, auch wenn dies durch links­po­pu­lis­ti­sche Dem­ago­gie stän­dig sug­ge­riert wird. Man kann natür­lich unter einer Brü­cke schla­fen, wenn es einem so gefällt.

Der unga­ri­sche Außen­mi­nis­ter erläu­tert jeden­falls, das Par­la­ment oder loka­le Regie­run­gen hät­ten die Mög­lich­keit, „Restrik­tio­nen bei der Ver­wen­dung von bestimm­ten öffent­li­chen Berei­chen im Hin­blick auf die öffent­li­che Ord­nung, Sicher­heit oder Gesund­heit“ ver­hän­gen. Soli­da­ri­tät durch den Staat müs­se „Hand in Hand mit berich­tig­ten Erwar­tun­gen an die öffent­li­che Ord­nung“ erfol­gen. Von „Kri­mi­na­li­sie­rung“ der Obdach­lo­sen, wie es in deut­schen Medi­en behaup­tet wur­de, kön­ne auch des­halb kei­ne Rede sein, da selbst im Fal­le von loka­len Restrik­tio­nen kei­ne straf­recht­li­chen Sank­tio­nen, son­dern nur Geld­bu­ßen ver­hängt wer­den können.

Kom­men wir nun zum Kern-Vor­wurf von Vers­eck, der wohl die Ursa­che für die hys­te­ri­sche Über­schrift war:

Das Ver­fas­sungs­ge­richt soll Ände­run­gen des Grund­ge­set­zes künf­tig nur noch auf ihre for­ma­le, nicht auf ihre inhalt­li­che Recht­mä­ßig­keit über­prü­fen dür­fen. Außer­dem sol­len sich die Rich­ter in ihren Ent­schei­dun­gen nicht mehr auf Urtei­le beru­fen kön­nen, die sie vor Inkraft­tre­ten der neu­en Ver­fas­sung im Janu­ar 2012 gefällt haben.

Dazu erklärt Boris Kál­no­ky als einer der weni­gen eini­ger­ma­ßen nüch­ter­nen Kom­men­ta­to­ren (abge­se­hen von der Über­schrift, die er ver­mut­lich nicht ver­fasst nicht) in der Welt: „Das Gericht durf­te schon vor­her Ver­fas­sungs­än­de­run­gen nur for­mal, nicht inhalt­lich prü­fen, die­se Ein­schrän­kung kommt nicht erst jetzt.“ Gleich­wohl fin­det Kál­no­ky den­noch, die „Ver­wand­lung sol­cher Mini-Bestim­mun­gen zu Ver­fas­sungs­än­de­run­gen“ bedeu­te „fak­tisch sehr wohl, dass das Ver­fas­sungs­ge­richt umgan­gen wird“. Denn: „Es kann Inhal­te, die eigent­lich in nor­ma­le Geset­ze gehör­ten und somit auf Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit über­prüft wer­den müss­ten, nicht über­prü­fen, weil die Inhal­te in die Ver­fas­sung geschrie­ben und so der Kon­trol­le ent­zo­gen wer­den.“ Anders klingt dies jedoch in dem Brief des unga­ri­schen Außen­mi­nis­ters. Danach unter­such­te das Ver­fas­sungs­ge­richt eine Rei­he von soge­nann­ten „Über­gangs­be­stim­mun­gen“, die vom Par­la­ment im Dezem­ber 2011 ver­ab­schie­det wur­den, mit dem Zweck, dass das Ein­tre­ten in das neue Grund­ge­setz „glat­ter“ und leich­ter ermög­licht wird. In sei­nem Urteil vom Dezem­ber 2012 ver­warf das Gericht eini­ge die­ser Über­gangs­be­stim­mun­gen, und zwar mit dem Grund, dass es per­ma­nen­te ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­schrif­ten sei­en und daher in den „Über­gangs­be­stim­mun­gen” falsch auf­ge­ho­ben. Alle wesent­li­chen Ele­men­te soll­ten daher in das Grund­ge­setz selbst ver­scho­ben wer­den. Mit ande­ren Wor­ten: das Par­la­ment hat nur voll­zo­gen, was ihm vom Gericht auf­ge­tra­gen wur­de – und nicht etwa vom Gericht kas­sier­te Geset­ze durch die Hin­ter­tür  durch­ge­drückt. Und wei­ter erklärt der Außenminister:

Die Ent­schei­dung des Gerichts hat­te somit nur for­ma­le und kei­ne inhalt­li­chen Män­gel ange­spro­chen, mit nur einer Aus­nah­me: es erklär­te die Ein­füh­rung eines zusätz­li­chen Wäh­ler­ver­zeich­nis für ver­fas­sungs­wid­rig, eine Idee, die die Regie­rung danach auch auf­ge­ge­ben hatte.

Und war­um soll­te ich nun dem unga­ri­schen Außen­mi­nis­ter weni­ger glau­ben als den deut­schen Medi­en, wo die­se doch seit Jah­ren über Ungarn einen sol­chen Wust an Unsinn, Halb­wahr­hei­ten und lächer­li­chen Vor­wür­fen ver­brei­ten? Zumal dann, wenn man bedenkt, dass die­se Stel­lung­nah­me des Außen­mi­nis­ters und ande­rer Fidesz-Poli­ti­ker in der Dis­kus­si­on um die Ver­fas­sungs­re­form in den Medi­en sys­te­ma­tisch igno­riert bezie­hungs­wei­se ver­schwie­gen wer­den. Es wird fast aus­schließ­lich nur die eine Sei­te der Bar­ri­ka­de dar­ge­stellt. In einem Bericht auf der Netz­sei­te der „Tages­schau“ ließt man zu dem The­ma nur eine aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me der Sozia­lis­ten, aber nichts von einer Ant­wort der Regie­rung auf die kon­kre­ten Vor­wür­fe. Und der Spie­gel-online-Autor Ken­no Vers­eck? Der denun­ziert den unga­ri­schen Par­la­ments­prä­si­den­ten László Kövér (Fidesz) mit dem Vor­wurf, er wür­de „Paro­len“ bedie­nen, „die unga­ri­sche Rechts­extre­me seit Jah­ren pro­pa­gie­ren“.  Zu die­sen „Paro­len“ zählt er, dass das „inter­na­tio­na­le Kapi­tal“, die EU und die USA sich Ungarn als „sym­bo­li­schen Ort ihres Kal­ten Krie­ges“ aus­er­ko­ren hät­ten, weil die Ungarn eine „erns­te Abkehr“ vom „libe­ra­len Zwangs­weg“ voll­zo­gen hät­ten. Was nun an Kövérs Aus­sa­ge im Kern so falsch sein soll – das erklärt uns der Spie­gel-online-Autor auch nicht. Wozu auch aggres­si­ve Denun­zia­tio­nen begründen?

Und noch etwas zur Glaub­wür­dig­keit der sich als Demo­kra­tie-Poli­zis­ten gerie­ren­den deut­schen Leit­me­di­en: Zahl­rei­che deut­sche Blät­ter berich­ten in skan­da­li­sie­ren­dem Ton­fall, dass etwa 20 Schü­ler von einer Anti-Ter­ror-Ein­heit fest­ge­nom­men wor­den sei­en. „Die Anti-Ter­ror-Ein­heit rück­te sogar gegen Schü­ler aus“, schreibt Focus online alar­mis­tisch im fett­ge­druck­ten Anfang sei­nes Arti­kels, um gleich schon mal sicher zu stel­len, dass beim Leser von vorn­her­ein Ungarn mit Poli­zei­staat und Fol­ter­knast asso­zi­iert wird. Dass die­se Stu­den­ten mit einer Sitz­blo­cka­de den Zugang zum Par­la­ment blo­ckiert hat­ten, erfährt man dann erst spä­ter en pas­sant. In einem auf Stern.de ein­seh­ba­ren Video der Nach­rich­ten­agen­tur „Reu­ters“ wird die­se Tat­sa­che kom­plett ver­schwie­gen. Dort heißt es nur:

Der Pro­test die­ser jun­gen Leu­te vor dem unga­ri­schen Par­la­ment drang am Mon­tag nicht bis zur Mehr­heit der Abge­ord­ne­ten durch. Die Poli­zei schlepp­te die Stu­den­ten vom Ort des Gesche­hens weg, noch bevor hin­ter den Mau­ern des buda­pes­ter Abge­ord­ne­ten­hau­ses eine Ent­schei­dung fiel, die für har­sche Kri­tik an der unga­ri­schen Regie­rung sorgt.

Dass man mit der Ent­fer­nung der Stu­den­ten ledig­lich Recht und Ord­nung auf­recht erhal­ten hat und die Stu­den­ten mit ihrem Ver­hal­ten schlicht selbst schuld sind, wird infam ver­dreht. Dass die­se Stu­den­ten auch eine Tür zer­stört hat­ten und ran­da­lier­ten, erfuhr ich erst kürz­lich in Ungarn, obwohl ich bereits zuvor diver­se deut­sche Arti­kel über die­ses The­ma las.

„Vie­le Ungarn neh­men die umstrit­te­ne Ver­fas­sungs­än­de­rung ach­sel­zu­ckend hin“, wun­dert sich der Tages­spie­gel. War­um wohl? Die dumm­dreis­te Gehirn­wä­sche und Pro­pa­gan­da in deut­schen Leit­me­di­en, die soll­te Deutsch­land aller­dings nicht so ach­sel­zu­ckend hin­neh­men. Bis jetzt ist genau dies aber der Fall, und das fin­de ich beängstigend.

 

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.