Canale Mussolini ist ein Epochen- und Familienroman, der – autobiographisch angereichert – davon erzählt, wie aus den Männern und Frauen einer norditalienischen, mittellosen Bauernsippe handfeste Faschisten werden: un-ideologische zwar, aber ist das nicht immer so, wenn es um die Masse unterhalb der weltanschaulich gefestigten Revolutionäre geht?
Grandios schildert Pennacchi den Kippunkt in diesem hervorragend erzählten Buch: wie die Männer und Frauen der Sippe Peruzzi auf ihren Felder schuften und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen; wie sie schon mit einem Fuß bei den Sozialisten stehen, aber auch bei den Faschisten auf einer Versammlung vorbeischauen; wie sie dann unter dem gewaltsamen Druck der Linken (die das nicht dulden mögen) halb im Zorn, halb aus Rache zu den Schwarzhemden überlaufen und erst einmal alles niederbrennen, was an sozialistischen Parteilokalen in ihrer Reichweite ist.
Hier findet schlicht die persönliche Lage das geeignete politische Gefährt, und die Widerborstigkeit der Sippe paßt einfach nicht zur Bräsigkeit der linken Gewerkschaftsbonzen. Der Dank der Bewegung bleibt nicht aus: Mitte der dreißiger Jahre bekommen die Peruzzis Land in den trockengelegten Pontinischen Sümpfen und bauen mit an diesem faschistischen Großprojekt, das 30000 umgesiedelten Neubauern Land und Brot gibt.
Ein Rezensent, der Canale Mussolini im Original las, berichtete von hinreißenden Dialogen in Mundart. Zum Glück versucht die Übersetzung erst gar nicht, irgendein Kauderwelsch an die Stelle der italienischen Dialekte zu setzen, der Ton des Romans ist auch so »mündlich« genug. Es wird richtig erzählt, episch, abschweifend.
Die ganze faschistische Epoche Italiens wird plastisch, immer aus Sicht der kleinen Leute, der unterschiedlichen Charaktere der Peruzzis. Da tauchen die faschistischen Suppenküchen auf, die Solidaritätsvereine, die Versammlungshäuser, die Paraden, Uniformen und modernen Errungenschaften. Der Duce hämmert – noch nicht an der Macht – den Pflug der Peruzzis wieder gerade und starrt dabei dem Sippen-Zentrum, der stolzen »Mama« Armida, auf den Hintern, was ihr nicht schlecht gefällt. Immer wieder schildert der Erzähler die völlig harmlose Szene, und vielleicht erinnert sich Mussolini nur deshalb nach Jahren noch an diese Familie.
Wenn überhaupt von ideologischem Überbau die Rede ist, dann treuherzig, ein bißchen wie auswendig gelernt (»diese fixe Idee vom Römischen Reich und von der imperialen Größe, die uns Italienern von Natur aus und von Rechts wegen zustanden, aber auch diese etwas heidnische Vorstellung, daß die Menschen nicht irgendwie alle gleich sind«). Die Weltgeschichte ist mit eingewoben, denn irgendein Peruzzi ist immer dabei: ob im Abessinienkrieg und seinen elenden Gemetzeln, ob in Nordafrika oder beim griechischen Intermezzo (das nur mit deutscher Waffenhilfe nicht in einem Desaster endete), aber auch dort, wo – erzählt wie vom Hörensagen – Mussolini sich mit Italo Balbo oder einem anderen faschistischen Granden anlegt oder auf Hitler trifft.
Es gibt dieses seltsame Wort von der »befreienden Lektüre«: Ein Text rauscht durch die Köpfe wie das Wasser durch den Augiasstall – der ganze Mist, der sich angesammelt hat, wird fortgespült. Canale Mussolini könnte für Italien eine solche Wirkung haben, die Voraussetzungen für einen hysteriefreien Blick auf die eigene Geschichte sind dort besser als bei uns.
Für deutsche Leser könnte die Wirkung nur dann befreiend sein, wenn sie verstünden, daß man die Massen im faschistischen Italien durchaus mit jenen im Dritten Reich vergleichen kann. Aber dieses Vorverständnis einzufordern, ist für sie etwa so, als vergliche man eine Mausefalle mit einer Tretmine.
Antonio Pennacchi: Canale Mussolini. Roman, München: Hanser 2012. 446 S., 24.90 €