Schöne Literatur – Antonio Pennacchi und der Canale Mussolini

Rezension aus Sezession 53 / April 2013

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Cana­le Mus­so­li­ni ist ein Epo­chen- und Fami­li­en­ro­man, der – auto­bio­gra­phisch ange­rei­chert – davon erzählt, wie aus den Män­nern und Frau­en einer nord­ita­lie­ni­schen, mit­tel­lo­sen Bau­ern­sip­pe hand­fes­te Faschis­ten wer­den: un-ideo­lo­gi­sche zwar, aber ist das nicht immer so, wenn es um die Mas­se unter­halb der welt­an­schau­lich gefes­tig­ten Revo­lu­tio­nä­re geht?

Gran­di­os schil­dert Pen­n­ac­chi den Kip­punkt in die­sem her­vor­ra­gend erzähl­ten Buch: wie die Män­ner und Frau­en der Sip­pe Per­uz­zi auf ihren Fel­der schuf­ten und trotz­dem auf kei­nen grü­nen Zweig kom­men; wie sie schon mit einem Fuß bei den Sozia­lis­ten ste­hen, aber auch bei den Faschis­ten auf einer Ver­samm­lung vor­bei­schau­en; wie sie dann unter dem gewalt­sa­men Druck der Lin­ken (die das nicht dul­den mögen) halb im Zorn, halb aus Rache zu den Schwarz­hem­den über­lau­fen und erst ein­mal alles nie­der­bren­nen, was an sozia­lis­ti­schen Par­tei­lo­ka­len in ihrer Reich­wei­te ist.

Hier fin­det schlicht die per­sön­li­che Lage das geeig­ne­te poli­ti­sche Gefährt, und die Wider­bors­tig­keit der Sip­pe paßt ein­fach nicht zur Brä­sig­keit der lin­ken Gewerk­schafts­bon­zen. Der Dank der Bewe­gung bleibt nicht aus: Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re bekom­men die Per­uz­zis Land in den tro­cken­ge­leg­ten Pon­ti­ni­schen Sümp­fen und bau­en mit an die­sem faschis­ti­schen Groß­pro­jekt, das 30000 umge­sie­del­ten Neu­bau­ern Land und Brot gibt.

Ein Rezen­sent, der Cana­le Mus­so­li­ni im Ori­gi­nal las, berich­te­te von hin­rei­ßen­den Dia­lo­gen in Mund­art. Zum Glück ver­sucht die Über­set­zung erst gar nicht, irgend­ein Kau­der­welsch an die Stel­le der ita­lie­ni­schen Dia­lek­te zu set­zen, der Ton des Romans ist auch so »münd­lich« genug. Es wird rich­tig erzählt, episch, abschweifend.

Die gan­ze faschis­ti­sche Epo­che Ita­li­ens wird plas­tisch, immer aus Sicht der klei­nen Leu­te, der unter­schied­li­chen Cha­rak­te­re der Per­uz­zis. Da tau­chen die faschis­ti­schen Sup­pen­kü­chen auf, die Soli­da­ri­täts­ver­ei­ne, die Ver­samm­lungs­häu­ser, die Para­den, Uni­for­men und moder­nen Errun­gen­schaf­ten. Der Duce häm­mert – noch nicht an der Macht – den Pflug der Per­uz­zis wie­der gera­de und starrt dabei dem Sip­pen-Zen­trum, der stol­zen »Mama« Armi­da, auf den Hin­tern, was ihr nicht schlecht gefällt. Immer wie­der schil­dert der Erzäh­ler die völ­lig harm­lo­se Sze­ne, und viel­leicht erin­nert sich Mus­so­li­ni nur des­halb nach Jah­ren noch an die­se Familie.

Wenn über­haupt von ideo­lo­gi­schem Über­bau die Rede ist, dann treu­her­zig, ein biß­chen wie aus­wen­dig gelernt (»die­se fixe Idee vom Römi­schen Reich und von der impe­ria­len Grö­ße, die uns Ita­lie­nern von Natur aus und von Rechts wegen zustan­den, aber auch die­se etwas heid­ni­sche Vor­stel­lung, daß die Men­schen nicht irgend­wie alle gleich sind«). Die Welt­ge­schich­te ist mit ein­ge­wo­ben, denn irgend­ein Per­uz­zi ist immer dabei: ob im Abes­si­ni­en­krieg und sei­nen elen­den Gemet­zeln, ob in Nord­afri­ka oder beim grie­chi­schen Inter­mez­zo (das nur mit deut­scher Waf­fen­hil­fe nicht in einem Desas­ter ende­te), aber auch dort, wo – erzählt wie vom Hören­sa­gen – Mus­so­li­ni sich mit Italo Bal­bo oder einem ande­ren faschis­ti­schen Gran­den anlegt oder auf Hit­ler trifft.

Es gibt die­ses selt­sa­me Wort von der »befrei­en­den Lek­tü­re«: Ein Text rauscht durch die Köp­fe wie das Was­ser durch den Augi­as­stall – der gan­ze Mist, der sich ange­sam­melt hat, wird fort­ge­spült. Cana­le Mus­so­li­ni könn­te für Ita­li­en eine sol­che Wir­kung haben, die Vor­aus­set­zun­gen für einen hys­te­riefrei­en Blick auf die eige­ne Geschich­te sind dort bes­ser als bei uns.

Für deut­sche Leser könn­te die Wir­kung nur dann befrei­end sein, wenn sie ver­stün­den, daß man die Mas­sen im faschis­ti­schen Ita­li­en durch­aus mit jenen im Drit­ten Reich ver­glei­chen kann. Aber die­ses Vor­ver­ständ­nis ein­zu­for­dern, ist für sie etwa so, als ver­gli­che man eine Mau­se­fal­le mit einer Tretmine.

Anto­nio Pen­n­ac­chi: Cana­le Mus­so­li­ni. Roman, Mün­chen: Han­ser 2012. 446 S., 24.90 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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