daß man sich in einer eigenen Gegenschrift daran abarbeitet? Günter Scholdt, emeritierter Professor für Literaturwissenschaft und bis 2011 Leiter des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass, ist offenbar dieser Meinung. Seine Abrechnung mit Broders nur scheinbar ikonoklastischem Werk Vergeßt Auschwitz! ist nun bei Edition Antaios in der kaplaken-Reihe als Band 36 erschienen.
Bereits die Kapitelüberschriften zeigen, daß Scholdts Anspruch deutlich umfassender ist, als eine reine Antithese abzuliefern. Broder dient hier nämlich nur als Stichwortgeber (inklusive seiner frechen Unterstellung des populären »Antisemitismus aus schlechtem Gewissen« in der postmodernen BRD). Scholdts wahres Anliegen ist eine Bestandsaufnahme der allgegenwärtigen Antisemitismus-Vorwürfe in unserer Zeit: von der begrifflichen Unschärfe aller Schlagworte mit dem Präfix »anti-« über die Hysterie rund um das simple Aussprechen apokrypher Wahrheiten und offener Geheimnisse bis hin zu den weltweiten, knallhart-politischen Nutznießern jener »moralisch erzwungenen Verdummung« (Egon Flaig).
Dabei vollbringt es der Autor, den scheinbar angestoßenen Diskurs sachlich zu entzaubern. Bedeutsam ist dabei die Klarstellung der moralischen Selbstüberhöhung der wenigen, die sich, wie Broder, aufgrund ihrer Herkunft im argumentatorischen Minenfeld der Holocaust-Lobby frei bewegen können. Ihr Dünkel der »verfolgenden Unschuld« (Scholdt) nimmt selbst israelkritische Juden wie Evelyn Hecht-Galinski oder Norman Finkelstein ins Visier; Broder selbst prozessierte bereits mehrfach in dieser Richtung. Scholdt leitet daraus zutreffend ab, daß es gerade den Deutschen unmöglich sei, durch noch so tiefe Kotaus und viele schöne Worte den »strukturellen Vorurteilen« der Gegenseite zu entgehen.
Scholdts Beweisführung entlarvt Broders Intention, die Fixierung auf alles, wofür das Pars pro toto »Auschwitz« steht, zugunsten einer noch bedingungsloseren Anbindung an das heutige Israel aufzugeben. Daß dies in einem feuilletonistischen, teils jovialen Tonfall geschieht, macht das Büchlein nur flüssiger zu lesen und vermag die scheinbar »häretischen« Aussagen für unsichere Leser verdaulich machen – ohne daß dadurch Scholdts Argumentation ihren Biß verlieren würde . Für all jene, die sich mit der Thematik bereits selbst auseinandersetzten, versammelt das Werk lediglich bereits Bekanntes in geraffter und zugespitzter Form.
Günter Scholdt: Vergeßt Broder! Sind wir immer noch Antisemiten? Schnellroda: Antaios (= kaplaken, Bd. 36) 2013. 96 S., 8.50 €