einen Kaffee und erzählte von seinen Alltagserlebnissen in Mannheim: Er selbst ist Arzt, und sein Bekanntenkreis setzt sich aus gebildeten, links angehauchten Kollegen, Lehrern, Freiberuflern zusammen. Fast alle ziehen derzeit um, denn das Kind kommt in die Schule, und da muß man raus aus den multikulturellen Stadtteilen und rein in die Vororte oder in stinkteure Wohngebiete, irgendwohin jedenfalls, wo man ausländerfreie Schulen vorfindet.
Aber links angehaucht bleiben die Leute auch nach ihrem Umzug, und sie verschrauben sich in seltsame Erklärungen darüber, warum sie weggezogen sind aus einem Viertel, das doch das genaue Abbild ihrer Theorien oder ihrer angelernten Wirklichkeitsbeschreibung ist: bunter als deutsch, lockerer als deutsch, anders gewürzt als deutsch, gewalttätiger als deutsch, frauenfeindlicher als deutsch, ungebildeter, gröber, dreckiger als deutsch, aber für viele Deutsche mit Drang nach unten mittlerweile ein Leitbild – es ist nicht schwer, an Deutschen den kleinsten gemeinsamen Nenner der multikulturellen Gesellschaft zu studieren.
Von Mannheim nach Chemnitz, denn der Gast stellte die Frage, wozu wir uns dies antäten: Von vornherein sei doch klar gewesen, daß wir die Übermalung des Bildes hätten nicht aufhalten können. Und sicher gefalle nicht jedem unserer Leser und Freunde die Vorstellung, daß man sich als Konservativer in Handschellen abführen lasse, also nicht für, sondern gegen die Staatsmacht und ihre Ordnung stehe.
Leitbild “Fuchs” also? Schlau sein, schnüren, wissen, wann es sich lohnt, den Kopf aus dem Bau zu strecken? Mit Blick auf Mannheim gesprochen: Wir leben in einer Zeit des Rückzugs, des Wegzugs, des Refugienbaus und der Ausblendung? Mit Blick auf Chemnitz: Wir leben in einer Zeit der Tünche? Mit Blick auf beides: Aus dem Sinn, aus dem Geist?
Nochmals zwei Artikel dazu, einer vom Künstler selbst, einer aus der Berliner Zeitung, und dann noch ein Interview mit Zschocke. Ich selbst kann mich am Ende immer nur wiederholen:
1. Etiam si omnes, ego non (wenn auch alle andern, ich nicht): Das ist die Weckung und Kräftigung des Widerständigen in uns, und sein angemessener Einsatz.
2. Provokation als Methode der Wahrnehmungserzwingung: siehe Greenpeace usf.
3. Wir, die wir dabei waren, wissen jetzt wieder mehr über die Rituale der Medien und der Politik.
Toni Roidl
Bizarr, dass diejenigen, welche die Machtmittel haben und den Gummiknüppel der freiheitlich demokratischen Grundordnung schwingen, tatsächlich »zivilcouragiertes« Handeln für sich reklamieren und das selbst wohl auch wirklich so empfinden... Mr. Spock würde sagen: »Faszinierend...«.
Zur Frage der Debatte: Es war doch klar, dass das Ziel nicht in der Erhaltung des Bildes liegen konnte; so wie in Hamburg ja wohl nicht das Ziel war, dass Grass öffentlich verspricht, für immer zu schweigen. Das Ziel ist Gegenöffentlichkeit – und das wurde erreicht. Welchen Effekt dieses Ergebnis hat, lässt sich jetzt noch gar nicht absehen. Aber auch gar nicht hoch genug einschätzen. Je öfter man die Rituale und Reflexe der »Zivilcourage« provoziert und auslöst, desto stumpfer macht man sie damit.