Das sicher! Hingegen braucht es weder Fachkunde noch eine spezielle Vorliebe für den Dichter und Politiker Uhland, um an diesem Kompendium reichen Lesegenuß zu finden. Man darf, ohne der wissenschaftlichen Leistung Abbruch zu tun, sagen: Ein rudimentäres, womöglich gar boulevardeskes Geschichtsinteresse ist hinreichend, um in diesem Fundus des emeritierten Literaturprofessors (Universität Toronto) Hartmut Fröschle einen vortrefflichen Schmöker zu finden.
Zu Lebzeiten war Uhlands Prominenz gleichrangig mit der Schillers und Goethes. Schall und Rauch! In den 1980er Jahren vermerkt ein Journalist, daß die »meisten Lehrlinge« dem Namen des großen vaterländischen Dichters ahnungslos gegenüberstehen. »Unsere neuen Lernzielprogrammierungen« hätten Uhland aus den Lesebüchern getilgt, klagte man bereits 1974 in der FAZ. Fröschle bescheidet in seinem knappen Vorwort denn auch trocken, daß »vielen dem Zeitgeist Verhafteten«, die Deutschland glücklich im »postnationalen Zustand« sehen, das Buch nicht gefallen werde.
1993 traute der Bundespräsident (es war von Weizsäcker) dem bis heute gängigen Trauerlied vom »Guten Kameraden« nicht. Er ließ einen Mitarbeiter anfragen, woher der Text stamme und welche »Aufführungstradition« das Lied habe. Ob es noch in die zeitgenössische »politische Gedenkkultur« passe? Ja. Uhland hat überlebt. Dies zu sichern diente auch eine jüngst zum 150. Todestag in Tübingen kuratierte Ausstellung, die gleich im Titel den Patrioten Uhland als »Linksradikalen« (Paulskirchenparlament!) aufzufassen bemüht war. Immerhin ist derzeit nur eine Straßenumbenennung zuungunsten Uhlands zu vermerken: Im namibischen Windhuk mußte Uhland einer Kenneth-Kaunda-Straße weichen, mithin jenem Mann, der Sambia ein Vierteljahrhundert lang abgewirtschaftet hat. Jüngere Debatten (die Anthroposophen immerhin attestieren Uhlands Werken eine tiefe »Heilsamkeit«) machen nur einen Bruchteil des Buches aus. Bereits die Zeitgenossen hatten es nicht immer leicht mit dem literarischen »Hausgott« (Gustav Freytag) der Deutschen. Oft geht die Rede von der Schweigsamkeit des Tübingers, ja, von seiner Mißmutigkeit, seiner »nachpubertären Austrocknung« und seinem »widerwärtig schwäbelnden Akzent«. Und dennoch, letztlich schätzten sie alle, ob Goethe, Hoffmann von Fallersleben oder Friedrich Engels »diesen Bronnen deutscher Kraft und Kunst« (de la Motte Fouqué), den mancher gar einen »konservativen Revolutionär« nennen wollte. Heißt? Mal wieder diesen Hausgeist aufrufen!
Hartmut Fröschle: Hausgeist des deutschen Volkes. Eine Wirkungsgeschichte Ludwig Uhlands in Zitaten, Würzburg: Königshausen und Neumann 2012. 388 S., 39.80 €