Alain de Benoist kritisiert den Mammon … und beantwortet ein paar Fragen dazu

46pdf der Druckfassung aus Sezession 46 / Februar 2012

von Karlheinz Weißmann

Die folgenschwerste Veränderung des ideologischen Tableaus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks war ohne Zweifel das Ende des »Neoliberalismus«. Darunter sei jene Weltanschauung verstanden, die gegen die Kommandowirtschaft triumphierte, weil sie behaupten konnte, daß allein das Zusammenspiel von Markt, Massenkonsum und Individualismus für Freiheit, Stabilität und zivilisierte Verhältnisse bürge. Der ungeheure Optimismus, der sich in den neunziger Jahren und am Beginn des neuen Jahrhunderts sogar mit der Erwartung eines »Endes der Geschichte« verknüpfte, ist heute kaum noch vorstellbar, beherrschte aber für einen gewissen Zeitraum die Köpfe und Herzen der Menschen.

Selbst­ver­ständ­lich hat es trotz des Sie­ges­zu­ges die­ser Auf­fas­sung immer Skep­ti­ker gege­ben. Aber deren Chan­ce, Gehör zu fin­den, war vor dem Crash von 2008 gering. Zur klei­nen Schar der Wider­stän­di­gen gehör­te der Fran­zo­se Alain de Benoist. Die Fra­ge nach dem Ursprung sei­ner Posi­tio­nie­rung ist inso­fern leicht zu beant­wor­ten, als Benoist den Libe­ra­lis­mus und des­sen Vor­macht – die USA – immer als »Haupt­feind« betrach­tet hat: eine Art roter Faden sei­ner Welt­an­schau­ung, trotz der nicht uner­heb­li­chen Wand­lun­gen, der sie aus­ge­setzt war, seit er mit eini­gen Freun­den die »Nou­vel­le Droi­te« – »Neue Rech­te« – aus der Tau­fe hob.

In Benoists jüngs­tem Buch, Au bord du gouf­fre. La fail­li­te annon­cée du sys­tème de l’argent (Paris: Kri­sis 2011, 214 S., 19 €; der Ver­lag der Jun­gen Frei­heit berei­tet eine deut­sche Über­set­zung vor), hat sich auf jeden Fall der Schwer­punkt gegen­über sei­ner frü­he­ren Argu­men­ta­ti­on ver­scho­ben. Denn es geht nicht pri­mär um poli­ti­sche oder kul­tu­rel­le oder reli­giö­se, son­dern um öko­no­mi­sche Pro­zes­se. Mit dem Titel, zu deutsch etwa »Am Ran­de des Abgrunds«, signa­li­siert Benoist außer­dem, wel­che Pro­gno­se er dem Wirt­schafts- und Gesell­schafts­sys­tem stellt, das gemein­hin als »alter­na­tiv­los« gilt: Sei­ner Mei­nung nach hilft das Ver­trau­en auf Selbst­hei­lungs­kräf­te sowe­nig wie die Men­ge der Repa­ra­tur­be­mü­hun­gen, sind die Euro-Kri­se oder die immensen Staats­ver­schul­dun­gen der PIGS oder die Ver­su­che der USA, durch Geld­ver­meh­rung einen neu­en »Auf­schwung« vor­zu­be­rei­ten, nur Tei­le eines Syn­droms, in des­sen Zen­trum das steht, was Marx »das Geld hecken­de Geld« nannte.

Man fühlt sich bei der Lek­tü­re von Au bord du gouf­fre über wei­te Stre­cken an eine radi­ka­le lin­ke Kapi­ta­lis­mus­kri­tik erin­nert. Was hier über das »Sys­tem des Gel­des« gesagt wird, klingt oft nicht anders als das, was Glo­ba­li­sie­rungs­geg­ner oder Anhän­ger der Occu­py-Bewe­gung äußern. Aber ohne Zwei­fel sind die geis­ti­gen Grund­la­gen des­sen, was Benoist vor­trägt, ander­wärts zu suchen und jeden­falls nicht in den Tra­di­tio­nen des Mate­ria­lis­mus zu fin­den. Ganz im Gegen­teil, wahr­schein­lich wird man einen »Anti­ma­te­ria­lis­mus« – gerich­tet gegen die phi­lo­so­phi­sche Leh­re wie die bür­ger­li­che Pra­xis – zu den wich­ti­gen Kon­ti­nui­täts­mo­men­ten sei­nes Den­kens zäh­len müs­sen. Und zu die­ser Fest­stel­lung paßt auch, Benoist weni­ger den Kri­ti­kern des Kapi­ta­lis­mus, son­dern den Kri­ti­kern des »Mam­mo­nis­mus« zuzu­ord­nen. »Mam­mon« ist ein heu­te fast unge­bräuch­lich gewor­de­ner, pejo­ra­tiv gemein­ter Begriff für Geld.

Als Kri­tik des »Mam­mo­nis­mus«, also der Herr­schaft des Gel­des, ent­stand eine brei­te, wenn­gleich heu­te weit­ge­hend ver­ges­se­ne Denk­tradition, deren Ursprün­ge bis in die Anti­ke zurück­rei­chen, die aber vor allem seit dem 19. Jahr­hun­dert von ver­schie­de­nen Bewe­gun­gen – in ers­ter Linie den Christ­lich-Sozia­len und »Soli­d­aris­ten«, Kathe­der­so­zia­lis­ten oder Sozi­al­kon­ser­va­ti­ven – getra­gen und dann von den Non­kon­for­mis­ten der Zwi­schen­kriegs­zeit fort­ge­setzt wur­de, auf die sich Benoist seit je mit Vor­lie­be beruft.

Sein wich­tigs­ter Ahn­herr ist Geor­ges Sor­el, der schon nach sei­ner Abwen­dung von der ortho­do­xen Lin­ken zu der Auf­fas­sung kam, daß der Kapi­ta­lis­mus nicht so sehr eine Wirt­schafts­ord­nung als viel­mehr das Ergeb­nis einer Men­ta­li­tät sei, die sich nur durch­set­zen konn­te, weil sie alles zur Gel­tung brach­te, was in der euro­päi­schen Über­lie­fe­rung als nich­tig, ver­werf­lich, mora­lisch böse galt. Von Sor­el hat Benoist auch den Hin­weis auf den ein­zig denk­ba­ren Aus­weg über­nom­men. Bei­de tei­len – als dezi­dier­te »Hei­den« – die Auf­fas­sung, daß ein fun­da­men­ta­ler Wan­del nur dann mög­lich sei, wenn sich Grup­pen nach dem Vor­bild der frü­hen Kir­che bil­de­ten, »in der Welt, aber nicht von der Welt«, die ent­schlos­sen an der Rich­tig­keit ihrer Über­zeu­gun­gen fest­hal­ten wür­den und sich bereit­hiel­ten für den Zeit­punkt, wenn die Gro­ße Hure wankt.

Sezes­si­on: Herr de Benoist, Ihr neu­es Buch Am Ran­de des Abgrunds (Ber­lin 2012) zeigt in der fran­zö­si­schen Aus­ga­be die Twin Towers nach dem Angriff vom 11. Sep­tem­ber? Was hat Sie dazu bewo­gen, die­ses Motiv zu wählen?

Benoist: Das hat­te natür­lich sym­bo­li­sche Grün­de. Die Zwil­lings­tür­me waren der Sitz des World Trade Cen­ters, eines Zen­trums für den Welt­han­del. Nun ist das, was man heu­te als Glo­ba­li­sie­rung bezeich­net, eine Art öko­no­mi­sche, finan­zi­el­le, tech­no­lo­gi­sche und kom­mer­zi­el­le Gleich­schal­tung. Ihr Ziel ist es, einen pla­ne­ta­ren Markt zu errich­ten. Die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se, die im Herbst 2008 in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­brach und noch lan­ge nicht zu Ende ist, ist eine struk­tu­rel­le Kri­se des glo­ba­lis­ti­schen Sys­tems. Mit der Kri­se der Staats­ver­schul­dung ist heu­te das gesam­te inter­na­tio­na­le Finanz­sys­tem betrof­fen und vom Zusam­men­bruch bedroht. Der Unter­schied ist, daß die Zwil­lings­tür­me von außen, durch auf­pral­len­de Flug­zeu­ge, zer­stört wur­den, wäh­rend das glo­ba­le Finanz­sys­tem dabei ist, sich von innen her zu zerstören.

Sezes­si­on: Sie begin­nen die Abhand­lung mit einer Klä­rung des­sen, was Geld eigent­lich ist. War­um liegt dar­in Ihrer Mei­nung nach der Angel­punkt einer Gegenwartsanalyse?

Benoist: Die Kri­tik des Gel­des hat eine lan­ge Tra­di­ti­on. Sie reicht bis ins anti­ke Grie­chen­land zurück, min­des­tens bis zu Aris­to­te­les’ Anpran­ge­rung der »Chre­ma­tis­tik«, der Anhäu­fung von Reich­tü­mern zur blo­ßen per­sön­li­chen Lust­be­frie­di­gung. Die alten euro­päi­schen Mythen stell­ten sich eben­falls gegen die Lei­den­schaft des Gol­des, sei es in der Geschich­te des König Midas, im nor­di­schen Mythos von der Schatz­hü­te­rin Gullv­eig oder im Motiv des Rhein­gol­des bei den Ger­ma­nen. Georg Sim­mel hat auf­ge­zeigt, daß das Geld viel mehr bedeu­tet als nur ein Zah­lungs­mit­tel. Phi­lo­so­phisch gespro­chen, ist es eine uni­ver­sel­le Ent­spre­chung, durch die alle Din­ge unter dem Gesichts­punkt der Quan­ti­tät bewer­tet wer­den kön­nen, durch die alle Qua­li­tä­ten auf ihren Zähl- und Markt­wert redu­ziert werden.
Im gegen­wär­ti­gen Zeit­al­ter gilt das Geld gera­de­zu als obers­tes Gesetz der Welt. Nach 1945 wur­de der all­ge­mei­ne Rekurs auf den Kre­dit zum haupt­säch­li­chen Motor des kapi­ta­lis­ti­schen Wachs­tums. Der Kre­dit eröff­ne­te die Mög­lich­keit, die Zukunft dank eines in der Gegen­wart gege­be­nen Ver­spre­chens im vor­aus zu kon­su­mie­ren. Konn­te das Ver­spre­chen nicht gehal­ten wer­den, ver­fiel man der Ver­schul­dung und Über­schul­dung. Die aktu­el­le Finanz­kri­se wur­de in ers­ter Linie durch die Über­schul­dung der Staa­ten pro­vo­ziert. Dazu kommt die Kri­se des Euros und des Dol­lars, wobei die letz­te­re mei­ner Ansicht nach viel schwe­rer wiegt als die erstere.

Sezes­si­on: Wenn wir das rich­tig sehen, steht die­ses Buch am Ende einer lan­gen ideo­lo­gi­schen Ent­wick­lung. Sie, der ein­mal als Kopf der Nou­vel­le Droi­te galt, fol­gen heu­te einem Anti­ka­pi­ta­lis­mus, der übli­cher­wei­se als links gilt? Ist das eine Kehrt­wen­de oder gibt es etwas wie einen roten Faden in Ihrer Weltanschauung?

Benoist: In der Bezeich­nung »Neue Rech­te« war vor allem das Wort »neu« wich­tig. Die »Neue Rech­te« (Nou­vel­le Droi­te) woll­te damit zei­gen, daß sie sich nicht mit der alten iden­ti­fi­ziert. Es war typisch für sie, daß sie sich für den Wert und die Wahr­heit von Ideen unab­hän­gig von ihrer Her­kunft inter­es­sier­te. Wenn man der »Neu­en Rech­ten« ange­hört, kann man sich sowohl bestimm­ten lin­ken als auch rech­ten Ideen ver­bun­den füh­len – denn es gab immer schon einen Plu­ra­lis­mus inner­halb der Lin­ken wie der Rech­ten. Die Ideo­lo­gien sind kei­ne iso­lier­ten Sys­te­me mehr, und es gab immer schon Ver­bin­dungs­we­ge zwi­schen ihnen. Und schließ­lich liegt es auf der Hand, daß die Spal­tung Links-Rechts im intel­lek­tu­el­len Bereich heu­te zuneh­mend an Bedeu­tung ver­liert. Die »Nou­vel­le Droi­te« sieht kei­nen Wider­spruch dar­in, sich eben­so auf Toc­que­ville wie auf Geor­ges Sor­el zu bezie­hen, auf Proudhon eben­so wie auf Carl Schmitt, auf Geor­ge Orwell wie auch auf Heid­eg­ger. Sie hat den libe­ra­len Kapi­ta­lis­mus schon lan­ge als Haupt­feind erkannt und inter­es­siert sich dar­um selbst­ver­ständ­lich für die bis dato schärfs­ten und bes­ten Kri­ti­ker des Kapi­ta­lis­mus. Die­se gab es auch auf der Rech­ten, vor allem aber waren sie auf der Lin­ken zu fin­den. Eine nüch­ter­ne und unvor­ein­ge­nom­me­ne Lek­tü­re von Karl Marx, die sich von der Ver­teu­fe­lung eben­so fern­hält wie von der Anbe­tung, ist nicht nur mög­lich, son­dern sogar not­wen­dig: nicht, um sich dem Mar­xis­mus zuzu­wen­den, son­dern um zu prü­fen, was an sei­nem Werk frucht­bar und aktu­ell geblie­ben ist.

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