Zu mehr als ein paar widerwilligen Worten kann ich mich daher nicht durchringen, auch wenn die kaum ausreichen werden, um Scheils vorsokratische Sophistik vorzuführen, mit der er sich ein Idealbild von Nolte und ein Zerrbild meiner Kritik zurechtgeschustert hat.
Abgesehen davon, daß Scheil gerade die wesentlichen der von mir durch Zitate belegten Provokationen Noltes stillschweigend übergeht und vornehmlich solche thematisiert, für die Nolte besonnene Selbstrelativierungen parat hat, auf die man sich dann wohlfeil herausreden kann, lehnt er sich definitiv zu weit aus dem Fenster, wenn er allen Ernstes behauptet, Nolte habe noch in seinem letzten Buch »den Nationalsozialismus kategorisch als Unrecht von Anfang an« verurteilt. Als gäbe es nicht bereits in früheren Büchern auch gegenteilige Aussagen über das »historische Recht« und das »Richtige« des Nationalsozialismus, das »Gerechtfertigte« von Hitlers Grundemotionen und das »Begründbare« seiner Judeninternierung. Über die Sache selbst ließe sich streiten, aber Scheils treuherzige Versicherung, daß Nolte dergleichen nie geschrieben hätte, wo doch jeder findige Leser sich leicht vom Gegenteil überzeugen kann, spekuliert offenbar auf die »Lesefaulheit der Rechten« (Maschke) und sabotiert jedes vernünftige Gespräch.
Wenn ich Scheils Text dennoch mit einem gewissen Amusement gelesen habe, so weil das von ihm gezeichnete bürgerlich-liberale Nolte-Portrait sich beinahe wie ein Resümee meines Buches ausnimmt. Nur daß Scheil seine politisch korrekte Stilisierung Noltes zu einem lupenreinen Demokraten und volkspädagogisch wertvollen Verfassungspatrioten so sehr übertreibt, daß selbst ein Habermas seine Freude daran hätte und man sich fragt, wie sich jemals die Rechte für Nolte erwärmen konnte.
Meine lässige Rede von der »Annexion großer Teile Palästinas im Zuge der Staatsgründung Jordaniens« mag völkerrechtlich unzutreffend sein, sie verweist jedoch sehr treffend auf die demographische Grundvoraussetzung des »Schwarzen September«: daß Jordanien mit seinem zu zwei Dritteln palästinensischen Staatsvolk von Anbeginn ein heimlicher Palästinenserstaat war. Daß demgegenüber das allseits bedrohte Israel sein Palästinenserproblem eben nicht im jordanischen Stil gelöst hat, habe ich mit einer robusten Formulierung als »moralischen Luxus« bezeichnet. Den beißenden Sarkasmus darin, der auf die notorisch verharmlosten Grausamkeiten der arabischen Palästinenserpolitik zielte, überhört Scheil geflissentlich, um mit aufgesetzter Unschuldsmiene den Sinn meiner Rede in die Bestreitung des Existenzrechts der Palästinenser umzufälschen. Aber alle Winkelzüge Scheils, Nolte ein aufgeräumtes Verhältnis zu Israel zu bescheinigen, versagen letztlich vor der Wucht dämonisierender Donnerworte wie der »Ursünde« der israelischen Staatsgründung und dem »radikal Bösen« der israelischen Palästinenserpolitik. Seit Jahren jedenfalls kommen mehr Palästinenser durch den Terror der Hamas ums Leben als durch Einsätze der israelischen Armee.
In der Rubrik »Frisch gepreßt« hatte die Junge Freiheit (36/11) noch kühn vermeldet, keines der Bücher Noltes biete »ein vergleichbar aufregendes Provokationspotential« wie sein letztes – sogar von einer »Kollapsgefahr« war die Rede, welche der Autor seine Leser »Seite für Seite« aussetze. Die nachfolgenden publizistischen Reaktionen ließen indessen eher den Schluß zu, Nolte habe sich hier um Kopf und Kragen geschrieben, denn weder Thorsten Hinz und Stefan Scheil in ihren Rezensionen noch Günter Scholdt in seiner Laudatio brachten es über sich, auch nur klar zu benennen, wovon Noltes Buch zentral handelt. Da wurde herumgedruckst und ein großer Bogen um das verminte Gelände gemacht. Die Späten Reflexionen aber sind ein polarisierendes Werk. Es von seinen zahllosen Anstößigkeiten zu säubern und unter intellektuellen Verrenkungen politisch zu korrigieren bedeutet, es zu herabgesetztem Preis feilzubieten und Nolte als Denker nicht mehr ernst zu nehmen. Da ist mir der geistig minderbemittelte Leser der Nationalzeitung schon lieber, der sich aufrichtig darüber freut, in Noltes letztem Buch tatsächlich all das zu finden, was die JF so unvorsichtig ausgeplaudert hat.
Herzlich grüßt aus Hamburg,
Ihr Siegfried Gerlich