Fliegen schauen dich an

46pdf der Druckfassung aus Sezession 46 / Februar 2012

Gänsestopfleber und Stubenküken gelten einer marginalen Klasse von Gourmets als Delikatesse. Wer aber mag den Transport lebender Schlachttiere quer durch Europa verteidigen, wer die massenhafte Fleischproduktion, für die zighunderttausend Jungtiere, im Schnellmastverfahren groß gemacht –, nicht fett, das goutiert der moderne Konsument nicht – Monat für Monat in Schlachtfabriken ihr Leben lassen? Öffentlich kaum jemand. Die gültige Abstimmung geschieht per Mund und Magen, durch Verzehr all der knusprigen Grillhähnchen, der Filets, der Hackware, denen man ihre ursprüngliche Form kaum mehr ansieht.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

In Wei­ßen­fels, der Nova­lis-Stadt, ein paar Auto­mi­nu­ten von der Redak­ti­on die­ser Zeit­schrift ent­fernt, wer­den an jedem Wochen­tag rund 20 000 Schwei­ne zum Zwe­cke des Ver­zehrs geschlach­tet. Ein jahr­tau­sen­de­al­ter Zusam­men­hang hat sei­ne Umkeh­rung gefun­den: Die geop­fer­ten Tie­re sind längst kei­ne Opfer­tie­re mehr und zube­rei­te­tes Fleisch kein Festmahl.

2010 wur­de der (lesen­de) Ver­brau­cher mit eini­ger Wucht auf die­ses Dilem­ma gesto­ßen. Die Selbst­er­fah­rungs­bü­cher der Neo-Vege­ta­ri­er Jona­than Safran Foer (Tie­re essen) und Karen Duve (Anstän­dig essen) erober­ten bes­te Plät­ze auf den Ver­kaufs­lis­ten. Seit­her ist jene Abstu­fung All­ge­mein­gut: Vege­ta­ri­er ver­zich­ten auf Fleisch, Pesce­tari­er geneh­mi­gen sich jedoch Fisch, Vega­ner mei­den alle Pro­duk­te tie­ri­schen Ursprungs (neben Milch, Honig und Eiern also auch Woll- und Leder­pro­duk­te), Frut­a­ri­er – als strik­teste Abart der Kor­rek­tes­ser – ver­spei­sen nur Früch­te, deren Ver­zehr die spen­den­de Pflan­ze unbe­schä­digt las­sen: Obst, Nüs­se, Samen.

Für Ans­gar Stö­ßel kam die Lebens­wen­de 2007. Ein Auf­ent­halt in Indi­en, wo ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung tra­di­tio­nell fleisch­los lebt, hat­te ihn schon zuvor zum Vege­ta­rier­tum bekehrt. Ver­tief­te Lek­tü­re ließ ihn nun erken­nen, daß Vega­nis­mus die »logi­sche Kon­se­quenz« sei, »wenn wir die Welt noch ret­ten wol­len«. Stö­ßel grün­de­te eine Stif­tung, einen Fern­seh­sen­der und ver­such­te, die Mit­welt zu über­zeu­gen. Erfolg ist sei­nem Anlie­gen erst ver­gönnt, als die poli­ti­sche Klas­se unver­se­hens auf den vega­nen Zug springt: Fleisch­ver­zehr mache aggres­siv, welt­weit gäbe es bei vega­ner Ernäh­rung kei­ne Hun­gers­nö­te mehr, heißt es nun in Kam­pa­gnen. Fer­ner erscheint der auf Tie­re aus­ge­dehn­te Grund­satz der Gleich­be­rech­ti­gung als Gebot der Stunde.

Wir befin­den uns inmit­ten eines dys­to­pi­schen Sze­na­ri­os, das »Saskia Lorentz« in ihrem Roman Die Repu­blik der Vega­ner. Eine neu­deut­sche Uto­pie (Salen­stein: Unitall 2011, 238 S., 14.90 €) mit einer Ethik- und Ernäh­rungs­mo­de, etwa mit Peter Sin­gers Ani­mal libe­ra­ti­on (1975), begin­nen läßt. Bald wird der Rand­grup­pen­trend, flan­kiert von Hys­te­ri­kern, zur Staats­dok­trin. Ein GAU im Kern­kraft­werk Neckar­west­heim Anno 2030 läßt nur die unter­ir­disch ver­bun­ker­te Groß­ge­mein­de der Vega­ner (unter­ir­disch, damit oben Platz ent­steht für Wind­kraft­rä­der und Solar­zel­len) und weni­ge zäh­le­bi­ge ande­re, haupt­säch­lich Aus­län­der, über­le­ben. Umwa­bert von End­zeit­stim­mung über­rollt die Armee der vega­nen Eli­te schließ­lich von Ber­lin aus ein Dorf nach dem anderen.

Das höl­zer­ne Strick­mus­ter die­ser sich »poli­tisch unkor­rekt« wäh­nen­den Uto­pie miß­ach­tet alle Regeln, die einem Roman zuträg­lich sein kön­nen, Span­nung und erst recht jeder Tief­gang feh­len. Beach­tens­wert und nach­voll­zieh­bar ist allein die Tat­sa­che, daß hier, jeden­falls bis zum bit­te­ren Ende, jeder kata­stro­phi­sche Absturz des Gemein­we­sens immer noch kei­nen ulti­ma­ti­ven Schock­zu­stand beschert. Das Ding namens Staat rollt wei­ter, man wursch­telt sich – so man zu den Über­le­ben­den zählt – durch nach dem Mot­to: Opfer gibt es immer, sie sind der Preis des Fortschritts.

Die Art, wie hier die mensch­li­chen Sturm­ge­schüt­ze der Tier­rechts­be­we­gung gezeich­net wer­den, erscheint als gro­tes­ke Über­zeich­nung. War­um läßt »Saskia Lorentz« die­se aske­ti­schen Idea­lis­ten so heil­los frat­zen­haft agie­ren? Eine Ant­wort wäre zu fin­den in der von Zeit-Redak­teu­rin Iris Radisch und ihrem Mann Eber­hard Rath­geb edier­ten Auf­satz­samm­lung Wir haben es satt! War­um Tie­re kei­ne Lebens­mit­tel sind (Salz­burg: Resi­denz 2011. 259 S., 19.90 €). Wir lesen zum einen, daß Vege­ta­ris­mus mit­nich­ten das Phä­no­men einer urba­nen Wohl­stands­ge­sell­schaft ist. Die hier ver­sam­mel­ten Tex­te sind zwar größ­ten­teils Pro­duk­te der satu­rier­ten Super­markt-Moder­ne, gehen aber auch zurück auf Ovid und den anti­ken Phi­lo­so­phen Por­phy­ri­us (»Über die Ent­halt­sam­keit«), sie lie­fern stre­cken­wei­se ernst­haft Bedenkenswertes.

Das Buch ist ähn­lich ange­legt wie das 2005 von Rath­geb her­aus­ge­ge­be­ne Kom­pen­di­um Die enga­gier­te Nati­on. Deut­sche Debat­ten 1945–2005 (sie­he: Sezes­si­on 12, S. 57), ein ver­dienst­vol­les und nütz­li­ches Werk, das in Schnell­ro­da sei­nen Platz im Regal bei den Nach­schla­ge­wer­ken hat und regel­mä­ßig zu Rate gezo­gen wird. Rath­geb, damals Feuil­le­ton­re­dak­teur der FAZ, hat­te hier die zen­tra­len Wort­mel­dun­gen der Nach­kriegs­mei­nungs­ma­cher ver­sam­melt und sach­lich eingeordnet.

Läse man nun das aktu­el­le Buch, gera­de die Kom­men­tar­tei­le zwi­schen den ein­zel­nen Tex­ten, ohne Kennt­nis der Her­aus­ge­ber­na­men, man wür­de auf ein radi­ka­les Autoren­kol­lek­tiv tip­pen, jun­ge Leu­te, deren unbe­ding­ter und ahis­to­ri­scher Idea­lis­mus unge­bremst von erwei­ter­tem Welt­wis­sen und einem Gespür für das adäqua­te Maß sich in eine Welt­ver­bes­se­rungs­ideo­lo­gie ver­rannt hat. Strikt auf den Ver­zehr von Tier­pro­duk­ten oder die sons­ti­ge Ver­wen­dung von der­glei­chen zu ver­zich­ten (wor­an in der Tat kei­ner zu hin­dern wäre), reicht für Radisch/Rathgeb kei­nes­falls aus. Dar­um fehlt es auch nicht an bösen Spit­zen gegen Foer, der selbst zwar fleisch­los glück­lich ist, sei­nem Publi­kum jedoch nur ein Maß­hal­ten beim Ver­zehr tie­ri­scher Pro­duk­te predigt.

Es herr­sche für jeden Über­zeug­ten – der brei­te Rest der Car­ni­vo­ren fällt gleich­sam in die Unmen­schen-Kate­go­rie – die Pflicht, auf­klä­rend und mis­sio­na­risch tätig zu sein. Denn: Wür­de einen »die Tat­sa­che, daß man kein Men­schen­fleisch ist, mora­lisch dazu berech­ti­gen, Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger zu dul­den«? »Nach dem Zwei­ten Welt­krieg führ­te ein kur­zer Weg von den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­nich­tungs­la­gern zurück zu den Schlacht­hö­fen.« Ähn­lich einem Sol­da­ten, der durch die Rou­ti­ne des Krie­ges das Tötungs­ver­bot über­wun­den habe, doch in einer fei­ge­ren Ver­si­on, kos­te der »Fleisch­esser den Sieg aus über ein ande­res Wesen, das er ohne Kampf erlegt« habe.

Jede onto­lo­gi­sche Unter­schei­dung zwi­schen Mensch und Tier erscheint den Autoren als will­kür­lich getrof­fe­nes, ungül­ti­ges Argu­ment, bereits die Kate­go­rie »Tier« (statt »Lebe­we­sen«) hal­ten sie für unstatt­haft. Bit­ter bekla­gen sie die seit Men­schen­ge­den­ken vor­ge­fun­de­nen Herr­schafts­ver­hält­nis­se, in denen Tie­re als Arbeits‑, Haus- und Schlacht­vieh »Skla­ven der Bedürf­nis­se ihrer Her­ren« sei­en, anstatt »nicht nur part­ner­schaft­lich, son­dern freund­schaft­lich« in die Ket­te der Lebe­we­sen ein­ge­mein­det zu wer­den. Vor dem Hin­ter­grund, daß die »Haft­be­din­gun­gen« und »Hin­rich­tungs­ar­ten« unse­rer »Mit­we­sen« an Abscheu­lich­keit stets zunäh­men, las­se sich die gesam­te Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te als Ver­fall beschrei­ben. Daß man der­glei­chen von einer aus­ge­wie­se­nen Fort­schritts­freun­din wie Radisch lesen darf, die jeg­li­che »Kul­tur­kri­tik« habi­tu­ell unter Faschis­mus­ver­dacht stellt, ist schon eine beson­de­re, nach­ge­ra­de eso­te­ri­sche Nummer!

Das All­tags­le­ben der Fami­lie Radisch/Rathgeb mit ihren drei Schul­kin­dern muß uner­meß­lich anstren­gend sein. Jeden­falls, wenn dort in ande­ren Lebens­be­rei­chen auch nur annä­hern­de Kon­se­quenz herrscht. Und das soll­te man bei rigi­den Maß­stä­ben in der Nah­rungs­auf­nah­me vor­aus­set­zen dür­fen. Kin­der, so kla­gen sie, die in der »wider­sprüch­li­chen Welt ihrer Eltern« auf­wach­sen, in wel­cher der Fami­li­en­hund einer­seits geliebt wird, dem ande­rer­seits aber das Fleisch ande­rer Tie­re vor­ge­setzt wird, leben in einem »Wahr­neh­mungs­kä­fig«. Schlacht­abfälle (aus denen die klei­nen fleisch­li­chen Antei­le her­kömm­li­chen Tier­fut­ters bestehen) soll­ten glei­cher­ma­ßen tabu sein wie Schnit­zel und Keule.

Wie man im Hau­se der Autoren – man lebt länd­lich – mit soge­nann­ten Schäd­lin­gen (die man dort mög­li­cher­wei­se anders nennt) umgeht, wird nicht näher aus­ge­führt. Jeden­falls kön­ne auch der Anblick einer »gedan­ken­los tot­ge­schla­ge­nen« Flie­ge das Mark erschüt­tern: »Wenn man ein­mal eine ster­ben­de Flie­ge von nahem gese­hen hat, für deren lang­sa­men Tod man ver­ant­wort­lich ist, kann es pas­sie­ren, daß das Mit­leid für jene Krea­tur, deren Lei­den für unser blo­ßes Auge offen­sicht­lich ist, auch auf das win­zi­ge Tier­chen über­fließt, das lei­det.« Gan­dhi gilt als Vor­bild, der den eige­nen Tod dem Ver­zehr auch nur einer Fleisch­brü­he vor­zie­hen wollte.

Um das Pro­blem, das aus dem »Prin­zip der Gleich­heit« aller Lebe­we­sen erwach­se, ordent­lich greif­bar zu machen, zie­hen sie eine »logi­sche« Par­al­lel­vor­stel­lung zum Essen von tie­ri­schen »Kada­vern«: Gleich­falls kön­ne man ja Men­schen, die bei Unfäl­len ums Leben kom­men, ein­sam­meln, ver­ar­bei­ten und zum Ver­zehr anbie­ten. Hüh­ner-KZ, Men­schen-KZ: hier wird es einer­lei, sie alle woll­ten lie­ber län­ger leben. Ganz neben­bei könn­te man bei der Schil­de­rung jener ver­ach­tens­wer­ten »Tötungs­rou­ti­ne«, ver­übt an Lebe­we­sen »mit wild schla­gen­den Her­zen«, auch an nicht­tie­ri­sche klei­ne Unschulds­we­sen den­ken. Müßig zu erwäh­nen, daß weder Radisch noch Rath­geb je ihre Stim­me gegen die Pra­xis der Abtrei­bung erho­ben haben.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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