Der Linksrutsch der FAZ

47pdf der Druckfassung aus Sezession 47 / April 2012

von Karlheinz Weißmann

Nehmen wir irgendeine, etwa die neunte Kalenderwoche: Das FAZ-Feuilleton beschwert sich, getarnt als Zeitschriftenschau, über die »rechtskonservative« Regierung Ungarns und feiert den 90. Geburtstag des Marx-Apologeten Iring Fetscher, liefert am Rande einer Besprechung des Thatcher-Films neue Perspektiven zum Zusammenbruch des Sowjetsystems (weil »die verwegenen vier der antisowjetischen Front der achtziger Jahre – Ronald Reagan, Papst Johannes Paul II., Helmut Kohl und die geniale Krämerstochter – den schläfrigen Ostmoloch dazu gebracht haben, sich aus der Geschichte zu verdrücken«), setzt fort mit Frontberichterstattung über die Occupy-Bewegung und läßt vier ihrer Vertreter zu Wort kommen (allesamt sympathische Leute), freut sich über die Verleihung des Börne-Preises an Götz Aly, den »Unerschrockenen«, und eine Lena Bopp teilt noch mit, daß es ’68 um eine »gerechte Sache« ging – auf seiten der Achtundsechziger, versteht sich.

Natür­lich könn­te man dem ent­ge­gen­hal­ten, es habe auch eine deut­li­che Pole­mik gegen den neu­es­ten Sozio­lekt – »Kiez­deutsch« – gege­ben und eine ande­re gegen die Art und Wei­se, wie der »Ehren­sold« des gewe­se­nen Bun­des­prä­si­den­ten gerecht­fer­tigt wird. Aber es bleibt dabei, daß das nur Neben­tö­ne sind, lei­se, kaum ver­nehm­bar, nicht die Melo­die. Und es ist für die­sen Zusam­men­hang auch nicht von Inter­es­se, daß Poli­tik- und Wirt­schafts­teil wie eh und je der Stim­me der Ver­nunft Gel­tung ver­schaf­fen. Denn das, wor­um es hier geht, ist der jüngs­te Links­ruck des FAZ-Feuil­le­tons. Es ist nicht der erste.

Man­cher meint zwar, daß es seit je zur Struk­tur einer Qua­li­täts­zei­tung gehör­te, im ers­ten Buch kon­ser­va­tiv (Poli­tik), im zwei­ten libe­ral (Wirt­schaft) und im drit­ten rot (Feuil­le­ton) zu sein. Aber das bleibt doch Aus­druck der Hilf­lo­sig­keit, galt nie für die Süd­deut­sche, die Frank­fur­ter Rund­schau oder die taz. Da gab und gibt es kei­ne erkenn­ba­re Dis­kre­panz zwi­schen den Grund­aus­rich­tun­gen, sicher kei­ne Mög­lich­keit, hin­ten im Blatt das Gegen­teil von dem zu behaup­ten, was vorn behaup­tet wird, also etwa in einem Organ der Pro­gres­si­ven ein rech­tes Feuil­le­ton zu etablieren.

Man könn­te natür­lich auf dem Stand­punkt ste­hen, daß die Intel­li­genz per se links sei, aber das galt in der fer­ne­ren Ver­gan­gen­heit nicht, und es gilt heu­te erst recht nicht. Bleibt also die Fra­ge, wie­so sich die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne den Luxus eines knall­ro­ten, halbro­ten, hell­ro­ten Kul­turteils leis­tet? Der Ver­fas­ser die­ses Tex­tes hat an ande­rer Stel­le schon ein­mal die Annah­me for­mu­liert (und begrün­det), wie es zu der eigen­ar­ti­gen Schief­la­ge der FAZ-Struk­tur in der Nach­kriegs­zeit kom­men konn­te. Hin­ge­wie­sen wer­den muß­te dabei auf die Rol­le von Karl Korn, des ers­ten Feuil­le­ton­chefs, des­sen Wunsch nach Deckung vor Anwür­fen wegen sei­ner eige­nen brau­nen Ver­gan­gen­heit ihn dazu brach­te, die schon damals ein­fluß­rei­chen Spal­ten für die Neue Lin­ke zu öff­nen. Das alles soll hier nicht noch ein­mal aus­ge­brei­tet wer­den, es sei aber doch erwähnt, daß der Ent­schluß, Joa­chim Fest als sei­nen Nach­fol­ger zu instal­lie­ren, kei­ne Kor­rek­tur bedeu­te­te. Die Ein­schät­zung von Fest als Kon­ser­va­ti­ven hat­te mehr mit des­sen Bil­dung und des­sen Habi­tus zu tun, als mit einer ent­spre­chen­den poli­ti­schen Aus­rich­tung. Tat­säch­lich gehör­te Fest zu den libe­ra­len New­co­mern der sech­zi­ger Jah­re und sym­pa­thi­sier­te fall­wei­se mit der Lin­ken. Wie­viel das mit per­sön­li­chen Bekannt­schaf­ten in der Ham­bur­ger Jour­na­lis­ten­sze­ne zu tun hat­te, wie­viel mit Sen­ti­men­ta­li­tät, ist hier nicht von Bedeu­tung. Wich­tig aber ist die Tat­sa­che, daß Fest nach Über­nah­me der Lei­tung des FAZ-Feuil­le­tons 1973 Leu­te wie Karl Heinz Boh­rer pro­te­gier­te, die für eine mehr als »pro­gres­si­ve« Aus­rich­tung sorg­ten. Damals setz­te sich zum ers­ten Mal die Vor­stel­lung fest, daß die Lin­ke den Kul­tur­teil der FAZ als ihren cla­im betrach­ten dürfe.

Die Ein­schät­zung galt nie durch­gän­gig, aber ein­deu­tig war immer, daß die intel­lek­tu­el­le Rech­te kon­se­quent mit Nicht­ach­tung gestraft wur­de. Fest sorg­te zwar auch für Gegen­ge­wich­te – etwa in Gestalt von Kon­rad Adam – und wuß­te natür­lich, wie stark der dezi­diert kon­ser­va­ti­ve Ein­fluß im Poli­tik­teil war, aber das änder­te nichts an der Tat­sa­che, daß selbst unter dem Ein­druck der »Blei­er­nen Jah­re« und der »Wen­de« kei­ne prin­zi­pi­el­le Kor­rek­tur der Aus­rich­tung statt­fand. Schließ­lich ist vor die­sem Hin­ter­grund auch die Grün­dung von »Fests Kin­der­gar­ten« in den acht­zi­ger Jah­ren zu wer­ten, das heißt die Ein­be­zie­hung einer Rei­he von zum Teil noch sehr jun­gen Mit­ar­bei­tern wie Gus­tav Seibt, Jens Jes­sen, Patrick Bah­ners und Frank Schirr­ma­cher. Fest hat Schirr­ma­cher spä­ter als sei­nen Nach­fol­ger instal­liert; nach sei­nem Aus­schei­den über­nahm Schirr­ma­cher bald auch die Posi­ti­on in der Herausgeberschaft.

Seit­dem hat Schirr­ma­cher zwar für häu­fi­gen Per­so­nal­wech­sel gesorgt (aus dem »Kin­der­gar­ten« ist nur noch Bah­ners übrig) und eine erstaun­li­che Ener­gie beim agen­da set­ting ent­fal­tet (das Ende des Feuil­le­tons aus­ge­ru­fen, die Ent­zif­fe­rung des mensch­li­chen Genoms zum The­ma gemacht, dem »Fürch­tet euch nicht!« in der Demo­gra­phie­de­bat­te die Hatz auf Sar­ra­zin und dann die freund­li­chen Auf­for­de­run­gen an die anar­chis­ti­sche Lin­ke fol­gen las­sen). Eine ideo­lo­gi­sche Ori­en­tie­rung im eigent­li­chen Sinn war dahin­ter jedoch nicht zu erken­nen. Zwar favo­ri­sier­te Schirr­ma­cher zeit­wei­se Leu­te wie Ulrich Raulff oder Fran­zis­ka Aug­stein in der Redak­ti­on, aber der Kon­ser­va­ti­ve las ihre Stel­lung­nah­men doch nur mit Ach­sel­zu­cken. Das­sel­be galt im Prin­zip für alle, von denen man wuß­te, daß sie »im Zwei­fel links« argu­men­tier­ten, und man trös­te­te sich mit den Kon­tra­punk­ten, die Adam, Jür­gen Kau­be oder Lorenz Jäger, gele­gent­lich auch Hen­ning Rit­ter, setz­ten. Nun hat Adam längst den Dienst quit­tiert, Kau­be war immer ein Ein­zel­gän­ger und hält sich etwas zugu­te auf sei­ne Unbe­re­chen­bar­keit, und wahr­schein­lich kann man Jägers Rück­kehr zum Gut­men­schen­tum doch nicht ganz tren­nen von dem Pro­zeß, der sich am Ende des ver­gan­ge­nen Jah­res ankün­dig­te, als zu ver­neh­men war, daß Bah­ners in die USA wech­seln sol­le und an sei­ner Stel­le Nils Mink­mar die Lei­tung des Feuil­le­tons über­neh­men werde.

Soweit erkenn­bar, ver­fügt Mink­mar, Jahr­gang 1966, über einen deut­schen wie fran­zö­si­schen Paß, stu­dier­te an der Uni­ver­si­tät des hei­mat­li­chen Saar­lands (amtier­te zwei Semes­ter als AStA-Vor­sit­zen­der; man wagt gar nicht zu fra­gen, für wel­che Grup­pie­rung) und saß bei Bour­dieu im Semi­nar, pro­mo­vier­te und arbei­te­te dann als Jour­na­list für das ZDF, die Süd­deut­sche Zei­tung und seit 1999 als Redak­teur der Zeit, bis er zwei Jah­re spä­ter in das Feuil­le­ton der FAZ ein­trat. Jetzt ist er an des­sen Spit­ze ange­kom­men, obwohl man – die Din­ge von außen betrach­tend – nicht ganz sehen kann, was ihn aus­zeich­net. Immer­hin begann sei­ne Amts­zeit mit einem Trom­pe­ten­stoß – »Stellt end­lich die Sys­tem­fra­ge!« – und dann folg­te die Neu­aus­rich­tung des FAZ-Feuil­le­tons nach einer Pha­se zuge­ge­be­ner­ma­ßen lust­los wir­ken­der Führung.

Jetzt soll der »klu­ge Kopf« hin­ter der FAZ also nicht nur mit Mink­mar leben ler­nen und dem wie­der­ge­kehr­ten Qua­si-Kom­mu­nis­ten Diet­mar Dath, son­dern auch mit der Begeis­te­rung für die Restau­ra­ti­on des Mar­xis­mus, dem Hoch­schrei­ben von Occu­py und Pira­ten­par­tei, und einer ideo­lo­gi­schen Gesamt­aus­rich­tung, die über­haupt kei­ne Dif­fe­renz mehr zu dem erken­nen läßt, was hier­zu­lan­de all­über­all zu hören ist. Ein guter Freund mein­te schon zu Jah­res­be­ginn, man sol­le eine Kam­pa­gne mit dem Slo­gan »Kün­digt der FAZ!« ins Leben rufen. Aber abge­se­hen von der Träg­heit des Kon­ser­va­ti­ven auch in Abon­ne­ments­fra­gen: Was ist die Alternative?

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