Zwei juristische Kunstgriffe schienen, zusammen genommen, die Lebensversicherung der freiheitlichen Demokratie auszumachen: Zum einen die Konstruktion einer Verfassung in der Verfassung (Art. 79 III GG): Eine Änderung des Grundgesetzes muß nicht nur formal korrekt mit Zweidrittelmehrheit zustande kommen, sondern auch materiell mit dem Verfassungskern übereinstimmen, insbesondere mit den Prinzipien Republik, Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat und Sozialstaat (Art. 20 GG) sowie mit der Menschenwürde (Art. 1 GG). Damit dies nicht nur Verfassungslyrik und frommer Wunsch bleibe, räumte man zum anderen dem Bundesverfassungsgericht – einer als unabhängig gedachten Instanz – das letzte Wort für solche Fälle ein, in denen es die Legalität von Verfassungsänderungen zu beurteilen gälte. Juristisch also sollte der Staatsstreich in der BRD keine Chance mehr haben, die Ermächtigung einer kleinen Gruppe bei gleichzeitiger Entmächtigung des demokratisch gewählten Parlaments sollte unmöglich sein.
Angenommen, Sie wären Politikberater der skrupellosen Art, und Ihr Kunde wäre vor vielleicht vierzig Jahren zu Ihnen gekommen, um zu erfahren, wie er legal das Grundgesetz aus den Angeln heben könne – Sie hätten ihm so antworten können:
Das Grundgesetz beruht auf einer Reihe von soziokulturellen Voraussetzungen, ohne die es nicht funktioniert, nicht anwendbar oder einfach sinnlos ist. Zerstören Sie diese Voraussetzungen!
Das Grundgesetz beruht auf der Autonomie einander kontrollierender Systeme – Zentralbank, Wissenschaft, Presse, überhaupt öffentliche Meinung, Justiz. Finden Sie Mittel und Wege, sie gleichzuschalten!
Was immer das Grundgesetz unternimmt, den Staat an materielles Recht zu binden, letztlich hängt Legalität doch immer von der Einhaltung bestimmter Formen ab. Mißbrauchen Sie diese Formen!
Jede Verfassung ist interpretierbar, und sie wird stets so interpretiert werden, daß sie zur Bewältigung tatsächlich existierender Probleme taugt. Schaffen Sie Probleme, die auf verfassungskonformem Wege nicht lösbar sind!
Demokratie setzt einen unabhängigen Staat voraus, denn nur in einem solchen existieren politische Alternativen, über die sinnvoll demokratisch entschieden werden kann. Verstricken Sie den Staat in Abhängigkeiten!
Hätten Sie die Vorstellungskraft besessen, auf den ungläubigen Blick Ihres Kunden hin die einzelnen Schritte zu konkretisieren?
Erstens: Lösen Sie das Volk auf und wählen Sie ein neues: Demokratie setzt einen Demos voraus, ein Volk, das heißt eine Solidargemeinschaft, die vom Staat nicht geschaffen werden kann, aber vorausgesetzt werden muß. Das Volk ist eine soziologische Gegebenheit, keine juristische Kategorie, auch wenn der Staat – das ist nun einmal der modus operandi eines Rechtsstaates – es als solche auffassen muß und als Volk nur die Gesamtheit seiner Staatsbürger verstehen kann. Stoßen Sie in diese Lücke! Spielen Sie die juristische Form gegen den materiellen Gehalt des Volksbegriffs aus: Machen Sie Massen von Nichtdeutschen zu Staatsbürgern, dann ist Demokratie als kollektive Selbstbestimmung in Ermangelung eines Kollektivs nicht mehr möglich. Statt einer Nation haben Sie dann eine bloße Bevölkerung, bestehend aus Gruppen, unter denen die ethnischen Deutschen nur eine sind, dann finden Sie für jedwede Politik eine Sie unterstützende Interessenkoalition. Reißen Sie die Grenzen nieder, holen Sie so viele Einwanderer wie möglich! Sorgen Sie dafür, daß die Deutschen so schnell wie möglich in die Minderheit geraten. Am besten fördern Sie Familienzerfall, unterminieren die überkommene Sexualmoral, geben Abtreibung frei, und sorgen dafür, daß all dies auf allen Kanälen propagiert wird!
Zweitens: Verhindern Sie jede Opposition dagegen: Treiben Sie den Deutschen, aber eben nur ihnen, zumindest solange sie in der Mehrheit sind, den Gedanken aus, sie selbst könnten als Gruppe legitime Interessen haben. Verketzern Sie die Artikulation solcher Interessen als rechtsradikal! Dabei wird Ihnen der Umstand entgegenkommen, daß die Masseneinwanderung einen Rattenschwanz von Problemen nach sich zieht, die tatsächlich Fremdenfeindlichkeit provozieren. Nutzen Sie dies, um Opposition gegen Ihre Politik als extremistisch zu brandmarken. Mißbrauchen Sie das Konzept der »wehrhaften Demokratie«, um sich Oppositionellen gegenüber von der Bindung an demokratische Spielregeln zu lösen.
Drittens: Unterwandern Sie die Universitäten, denn sie sind der Ort, an dem die Ideologie der herrschenden Eliten geformt wird! Sind Justiz, Medien und Wissenschaft erst ideologisch gleichgeschaltet, werden sie ihre Kontrollfunktionen schon deshalb nicht wahrnehmen können, weil ihnen dazu die Kriterien fehlen. Und wenn doch: Schaffen Sie wechselseitige Abhängigkeiten, Verstrickungen und Verflechtungen, damit niemand aus der Reihe tanze. Tun Sie dies am besten auf internationaler Ebene, damit die herrschenden Klassen ganz Europas zu einer einzigen verschmelzen, deren Angehörige zueinander loyal sind, nicht zum je eigenen Volk.
Viertens: Private dürfen vieles, was der Staat nicht darf. Wenn Sie auf rechtliche Probleme stoßen, weil das Grundgesetz die Verfolgung politisch Andersdenkender verbietet, spannen Sie den Mob ein. Mobilisieren Sie das Schwein im Menschen! Nutzen Sie die Freude des Untertanen am Denunziantentum und die des Getretenen am Treten. Sorgen Sie dafür, daß Oppositionelle ihren Arbeitsplatz verlieren, kein Bankkonto unterhalten und sich öffentlich nicht mehr versammeln können. Machen Sie sich selbst nicht die Hände schmutzig! Es werden sich genug Menschen finden, die für Sie die Drecksarbeit erledigen, legal oder illegal. Sie müssen nur dafür sorgen, daß der Staat gezielt wegschaut.
Fünftens: Das führt uns zu dem Grundsatz, das, was Sie selbst nicht tun dürfen, was also der Staat selbst nicht tun darf, von anderen tun zu lassen. Sie können nach unten delegieren – an den Mob – oder nach oben – an supranationale Institutionen. Schaffen Sie auf internationaler Ebene Fakten, an denen der nationale Gesetzgeber nicht vorbei kommt. Damit entfällt die parlamentarische Kontrolle: Die supranationale Ebene ist das Terrain der Regierungen, nicht der Parlamente. Ein von Dutzenden Regierungen ausgehandelter Vertrag kann auf nationaler Ebene nicht geändert, höchstens abgelehnt werden. Dies wird nicht geschehen, weil kein Politiker und kein Gericht sich nachsagen lassen wollen, gegen »Europa« oder gegen die »internationale Gemeinschaft« zu sein. Delegieren Sie jede Kompetenz, derer Sie zu diesem Zweck habhaft werden können, an die EU, die WTO, die UNO, die NATO – an wen Sie wollen, aber delegieren Sie! Stellen Sie dabei so viele wohlgetarnte Blankoschecks wie möglich aus. Wie leicht läßt sich doch der Norm zustimmen, es dürfe keine »Handelshemmnisse« geben. Was das bedeutet, merkt man erst, wenn Waren zugelassen werden, die vorher aus guten Gründen verboten waren (etwa die »Pille danach«, deren Freigabe im katholischen Irland von dessen Regierung nur durch einen politischen Kraftakt verhindert werden konnte). Wie leicht läßt sich »ja« zur innereuropäischen Freizügigkeit sagen; im nachhinein wird solche Freizügigkeit auch »Spaniern« gewährt, deren illegale Einwanderung dorthin durch Einbürgerung honoriert wurde. Wie leicht läßt sich einer Gemeinschaftswährung zustimmen, die durch eine unabhängige Zentralbank, strenge Maastricht-Kriterien und drakonische Strafen für Verschuldungssünder gesichert zu sein scheint; daß all dies nur auf dem Papier steht, merkt man erst, wenn Tatsachen geschaffen sind.
Sechstens: Machen Sie sich die Tatsache zunutze, daß Gerichte immer nur einzelne Normen überprüfen können, nicht aber ganze Maßnahmenbündel, die sich auf verschiedenste Sachbereiche beziehen und überdies zeitlich gestreckt nach und nach eingeführt werden; solange jede einzelne Maßnahme für sich genommen verfassungskonform ist, wird Karlsruhe sie abnicken, auch wenn der daraus resultierende Zustand unheilbar verfassungswidrig ist. Auch die absehbaren politischen Wirkungen einer Entscheidung sind nicht justitiabel. Treffen Sie daher bewußt Fehlentscheidungen, um Probleme zu schaffen, deren »Lösung« dann »alternativlos« ist, und verlassen Sie sich darauf, daß sich das Verfassungsgericht unter solchem »Sachzwang« breitschlagen lassen wird, das Grundgesetz zu verbiegen.
Wie wir heute wissen, haben die Kunden unseres fiktiven Politikberaters all diese Ratschläge beherzigt. Sie haben es zur Meisterschaft in der Kunst gebracht, auf UNO- oder EU-Ebene Entscheidungen zu fällen, deren Tragweite die Öffentlichkeit nicht einmal dann versteht, wenn ausnahmsweise – dann aber in verschleiernder PR-Sprache – darüber berichtet wird.
Wer weiß schon, daß zum Beispiel das Konzept des Gender Mainstreaming zuerst von der UNO-Vollversammlung als Marschroute beschlossen wurde, und daß Zweifler mit dem Hinweis beruhigt wurden, ein solcher Beschluß sei ja nicht rechtsverbindlich? Daß daraufhin die Europäische Kommission unter Berufung auf eben dieses angeblich unverbindliche Konzept einen Maßnahmenkatalog ausarbeitete, der den EU-Staaten (immer noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit) durch Konsens ihrer eigenen Regierungen als Richtlinie aufgedrängt wurde? Daß es daraufhin in Deutschland zuerst auf administrativem Wege von der Bundesregierung dort umgesetzt wurde, wo sie das Parlament nicht zu fragen brauchte?
Interessiert sich jemand dafür, daß das Konzept der »nachhaltigen Entwicklung«, die sogenannte Agenda 21, just denselben Weg genommen hat und nun als politische Vorgabe wirksam ist, die bis hinunter zu den Kommunen durchgesetzt wird? Selbstverständlich gab es auch hierüber nie eine öffentliche Debatte.
Weiß irgend jemand, daß die Europäische Union im Zuge der Euromed-Agenda auf Anregung und im Einklang und in Absprache mit der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) schon vor Jahren beschlossen hat, die Lehrpläne der Schulen und die Forschungsinhalte der Universitäten in Richtung auf islamfreundliche Geschichtsklitterung umzustellen? Nicht alles (aber vieles) kann die EU per Ukas erzwingen; wo es ihr aber an formaler Kompetenz fehlt, hat sie sehr wohl die Macht, durch Mittelvergabe, ideologisch ausgerichtete Projekte aller Art und über die Beziehungsnetze politischer Entscheidungsträger ihre Politik in den einzelnen Mitgliedsstaaten durchzusetzen.
Auf solche Weise verschwinden immer größere Teile des Gegenstandsbereiches demokratisch legitimierter Politik im Arkanbereich von undurchschaubar miteinander verfilzten administrativen und gouvernementalen Eliten, Lobbyisten und privaten Stiftungen – in einem schwarzen Loch, wo sich Entscheidungen als Resultante aus dem Kräfteparallelogramm von Partikularinteressen, ideologischer Verblendung und Korruption ergeben.
Dabei führt das beständige Ausbleiben von Opposition zu Anschlägen von immer atemberaubenderer Dreistigkeit: Die Strategie, Fehlentscheidungen zu treffen, um Probleme zu schaffen, deren »Lösung« auf Kosten der Souveränität der Nationalstaaten gehen muß, wurde uns mustergültig beim Euro vorgeführt. Als er eingeführt wurde, versprach man uns, er werde so stabil sein wie die D‑Mark. Und nein, auf keinen Fall würden die reicheren Länder für die Schuldenkönige im Süden in die Tasche greifen müssen. Dabei war die EU bereits ohne den Euro eine Umverteilungsmaschinerie zu Lasten Deutschlands gewesen. Und daß von fiskalpolitischer Solidität einiger Staaten nicht die Rede sein konnte, pfiffen schon damals die Spatzen von den Dächern. Wenn aber die Stabilität des Euro letztlich von der Haushaltsdisziplin genau dieser Staaten abhängig war, konnte dieses Stabilitätsversprechen nur eine Mogelpackung sein. Und so war zum einen absehbar, daß man über kurz oder lang vor dem »Sachzwang« stehen würde, die Euro-Zone in eine Haftungsgemeinschaft zu verwandeln. Zum anderen war klar, daß es sich mitnichten um gegenseitige Haftung handeln würde, sondern daß Deutschland und einige andere reiche EU-Staaten für die südliche Peripherie hafteten.
Es wäre schlimm genug gewesen, wenn man es dabei belassen hätte, die Kontrolle über die nationalen Haushalte an Brüssel zu delegieren und damit die Demokratie unter EU-Vorbehalt zu stellen. Auch eine »europäische Wirtschaftsregierung« als weiterer Nagel im Sarg des Nationalstaates lag in der Logik der Entwicklung, die man herbeigeführt hatte – nicht obwohl, sondern gerade weil man wußte, daß sie zur Unterwerfung der Nationalstaaten unter einen unverantwortlichen und unkontrollierbaren Brüsseler Apparat führen würde. Beides ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar und unter den Vorgaben von Art. 20 und Art. 79 III GG ohne weiteres als Staatsstreich zu qualifizieren – ganz egal, ob das Bundesverfassungsgericht sich dieser Ansicht anschließt oder ob es wieder eines jener Ja-aber-Urteile fällt, von denen es in seiner Rechtsprechung der letzten zwanzig Jahren nur so wimmelt, in denen die tragenden Prinzipien des Grundgesetzes in den Leitsätzen bekräftigt und im Kleingedruckten kassiert werden; Urteile, bei denen das schlechte Gewissen der Richter aus jeder Zeile der Urteilsbegründung spricht.
Was allerdings jetzt mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beschlossen worden ist, sprengt alles bisher Dagewesene. Nicht nur, weil der ESM die reicheren Länder auf Dauer verpflichtet, die Schulden der ärmeren zu bezahlen, also sich selbst zugunsten anderer zu verschulden (letztlich zugunsten einiger Großbanken, deren am Rande der Kriminalität unseriöse Geschäftspolitik auf diese Weise noch versilbert wird), sondern weil:
Entscheidungen des ESM durch Mehrheitsbeschluß zustande kommen, die Empfängerländer also die Geberländer überstimmen und gegen deren Willen zu Zahlungen zwingen können;
sowohl der ESM als Ganzes wie auch die einzelnen Entscheidungsträger rechtliche Immunität genießen, also an geltendes Recht praktisch nicht gebunden sind;
der ESM jederzeit kurzfristig die Geberländer zum Nachschießen von Kapital in praktisch unbegrenzter Höhe zwingen kann;
der ESM unkündbar ist, dieser Blankoscheck also bis in alle Ewigkeit gilt.
Ein solcher Vertrag ist ein Versklavungsvertrag. Ein Staat, der ihn ohne Not unterschreibt, verwirkt den Anspruch auf die Loyalität seiner Bürger. Was also tun? Gibt es für diese Frage auch einen Politikberater?