Der vom österreichischen Bundeskanzler Faymann »am 2. Februar 2012 unterzeichnete und im Mai zur Ratifizierung anstehende Knebelvertrag ist ein totalitärer Anschlag auf das Verfassungsrecht, auf den Primat des Nationalrats und die Souveränität unseres Staates in Finanz- und Budgetfragen.« Dieser führe in nichts weniger als den »kollektiven Selbstmord«. Mit dem ESM-Vertrag werde »einer kleinen Gruppe von Personen, dem aus den Finanzministern der Euro-Mitgliedsstaaten bestehenden ›Gouverneursrat‹ (Art. 5), eine praktisch unkontrollierbare, politische und finanzielle Macht übertragen. … Der einzige Zweck des Putsches ist die Entschuldung schwacher Euro-Staaten zu Lasten der starken und ihrer Bürger. Es soll also genau das geschehen, was bei Einführung des Euro ausdrücklich ausgeschlossen wurde«, und zwar durch die »No-Bailout«-Klausel (heute Art. 125 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der EU): »Kein Staat haftet oder zahlt für einen anderen Staat.« Um diese auszuhebeln, ist eine auf den ersten Blick »unscheinbare Verfassungsänderung« notwendig: »Dies geschieht durch einen Zusatz zu Art. 136 AEUV, der das Bailout-Verbot aufhebt.« Romigs Resümee: »Durch die Aufhebung dieses Kernstücks der nach deutschem Vorbild einst konzipierten ›Stabilitätsunion‹ wird die Europäische Währungsunion zu einer Schulden‑, Haftungs- und Transferunion.« Damit ginge der »Staat Österreich« de facto unter, vergleichbar dem »Anschluß« von 1938.
All dies sind Dinge, die nicht nur für Otto Normalverbraucher schwierig zu verstehen sind. Die Komplexität der Verordnungen und Maßnahmen bringt für die Nutznießer den Vorteil mit sich, daß sie mangels Übersichtlichkeit auch keinen allzu großen Widerstand auf den Plan rufen. Was hier geschieht, ist längst nicht nur der demokratischen und parlamentarischen Kontrolle entzogen, sondern auch der allgemeinen Vermittelbarkeit. Um so zweckmäßiger ist es, das von der großen Finanzpolitik verunsicherte Volk mit weniger trockenen Themen zu versorgen, die die Welt wieder übersichtlich in Gut und Böse teilen. Bankgeschäfte und Verfassungsklauseln sind langweilig: Nazis machen Spaß.
Pünktlich zum 8. Mai, dem Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, hielt Bundeskanzler Faymann (SPÖ) ein, wie in der Presse zu lesen stand, »Europa-Plädoyer«. Mit »Europa« war natürlich die Brüsseler Fiskalunion gemeint. Wer über unsere Geschichte spreche, könne sich nicht an Schuld und Mitschuld vorbeischwindeln, so Faymanns Absage an den Versuch, den 8. Mai als Anlaß zu nehmen, ein »verharmlosendes Geschichtsbild vom Zweiten Weltkrieg zu zeichnen«. Der Zweite Weltkrieg war, so Kanzler Faymann, ein Aggressionskrieg, der Millionen Opfer gefordert hat, darunter über sechs Millionen Opfer der Shoa. Klar sei auch, daß die Alliierten das nationalsozialistische Regime in die Knie gezwungen hätten. Auch mutige Frauen und Männer hätten im Widerstand aktiv an der Befreiung Österreichs mitgewirkt, so Faymann in »tiefem Respekt«. Europa habe aus der Tragödie des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs gelernt: »Wer den Frieden in Europa wahren will, muß wissen, daß er die europäische Integration nicht abschaffen kann, ohne diesen Frieden zu gefährden. Nicht weniger Europa heißt die Lösung, sondern mehr europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und im Streben nach Wohlstand und sozialer Sicherheit.«
Den konkreten Schritt zu dieser »europäischen Integration« hat Faymann mit der Unterzeichnung des ESM-Vertrags vollzogen, der weder Auflösungs- noch Austrittsklauseln beinhaltet. Von der immerwährenden »Schuld« zum immerwährenden Schuldentransfer bedarf es also nur eines rhetorischen Katzensprungs. Was Faymann als »europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und im Streben nach Wohlstand und sozialer Sicherheit« umschreibt, bedeutet konkret, daß »alle künftigen Generationen unseres Landes in alle Ewigkeit die Schulden anderer Länder übernehmen und bedienen, und das auf Kosten des eigenen Wohlstands« (Romig). Faymanns Rhetorik erscheint in dieser Perspektive als eine orwellianische Bemäntelung der Realität, mit der er das seiner Regierung unterworfene Volk hinters Licht führt – etwa auch mit der Aussage: Ein »Europa im 21. Jahrhundert, 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs«, bedeute, ein »unerschütterliches Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit« abzugeben. Es sei von zentraler Bedeutung, daß die jungen Menschen Zugang zu den Erinnerungen an die Jahre vor 1945 bekämen. Daher sei der »Gedenkdienst eine unverzichtbare Einrichtung«.
Daß diese »Erinnerungen« und »Gedenkdienste« zuvor gefiltert, geklittert und in Reih und Glied gebracht werden müssen, versteht sich von selbst. Das fällt leicht in einer Zeit, in der das allgemeine geschichtliche Wissen geringer denn je ist. Zu der ideologischen Filterung gehört auch, die Deutung des 8. Mai 1945 vor die Scheindichotomie »Befreiung« vs. »Niederlage« zu stellen, um die Böcke von den Lämmern je nach Bekenntnis zu dem einen oder dem anderen Schlagwort zu scheiden. Die Sache ist historisch bekanntlich viel komplexer. In Wirklichkeit bedeutet gerade ein manichäisches Bild des Weltkriegs eine »Verharmlosung« fortgeschrittenen Grades, während das vermessene Sortieren von minder- und höherwertigen Opfern nach ideologischen und geschichtsteleologischen Vorgaben von nichts anderem als einer hypermoralisch kaschierten Niedertracht und (hier trifft das abgelutschte Wort einmal zu) Menschenverachtung zeugt.
Die auf Schlagworte reduzierte Geschichte wird dazu benutzt, Feindbilder zu schaffen, denen eine sehr praktische ablenkende Funktion zukommt. So werden etwa die nationalkonservativen Burschenschafter von den österreichischen Leitmedien als Buhmänner der Nation aufgebaut. Das Wort führen dabei die Grünen, die seit 2010 in Koalition mit der SPÖ die Stadt Wien regieren und sich vorrangig auf der Bewältigungs- und Kulturkampfwiese austoben. Nachdem der traditionelle Korporationsball infolge einer heftigen Kampagne aus den Hallen der Hofburg verbannt wurde, steht nun auch das alljährliche Gedenken der Burschenschafter für die gefallenen Soldaten der Weltkriege an der Gedächtniskrypta auf dem Heldenplatz unter Beschuß. Diese Zeremonie wurde in den Medien ausschließlich in Anführungsstrichen (»Totengedenken«) tituliert und als Ehrung der Institutionen »Wehrmacht und Waffen-SS« hingestellt. Vor allem auf letzterer wird mit Genuß herumgeritten, wohlwissend um den Knalleffekt des Gezischels »SS« und wohlvergessend, daß ein Konrad Adenauer und ein Kurt Schumacher Ehrenerklärungen für die Angehörigen der Waffen-SS abgegeben haben.
Nun gibt es unter den Burschenschaftern gewiß einschlägige Fans der jüngeren Militärgeschichte – worauf es ankommt, ist, daß von der Linken suggeriert wird, es wäre an sich skandalös, der Gefallenen der Wehrmacht und Waffen-SS zu gedenken, weil diese ja auf der grundsätzlich »verbrecherischen« Seite gekämpft hätten. Diesen pauschal jede Menschlichkeit und Tragik abzusprechen, und damit den Krieg auf die Toten auszudehnen, widerspricht nicht nur zivilisatorischen und christlichen Prinzipien – es steht auch quer zu den tatsächlichen Erinnerungen, die die meisten von uns an unsere Väter und Großväter und ihre konkrete historische Situation haben.
Es ist schwierig, eine abweichende Berichterstattung oder gar kritische Stellungnahme zu der allgemeinen Hatz zu finden, an der sich offenbar unisono jede Zeitung, Partei, Institution, Initiative und NGO beteiligt. Selbst die FPÖ hat dem Gedenken nach massiver Kritik die Unterstützung entzogen. Die Angegriffenen selbst bekommen kaum eine Möglichkeit der Gegendarstellung. Nach einigem Suchen findet man folgende »Resolution der Mitglieder der national-freiheitlichen Studentenverbindungen im Wiener Korporationsring« (www.aldania.at): »Die im öffentlichen Leben stehenden Mitglieder des Wiener Korporationsringes gedenken an diesem Tag der Menschen, die in den beiden furchtbaren Weltkriegen starben. Dieses Totengedenken wurde seit vielen Jahren von den österreichischen Behörden genehmigt und dem Anlaß gemäß stets in Ruhe und Würde abgehalten. … Wir machen am 8. Mai keine Demonstration, sondern wir wollen zum Gedenken an alle im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten einen Kranz niederlegen. Dieser Akt ist ein Teil unserer humanitären Gesinnung! Denn der Würde eines Menschen gebührt auch nach dem Tode Achtung.« Das klingt wesentlich vernünftiger als die offizielle Stellungnahme der Grünen im Binnen-I-Deutsch, die »WiderstandskämpferInnen, Wehrdienstverweigerern und ihren UnterstützerInnen, PartisanInnen und Deserteuren« sowie »den Soldaten der alliierten Armeen« huldigt, »die für die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus ihr Leben gelassen haben. Wir gedenken nicht der TäterInnen, auch wenn wir uns mit ihren Taten und ihrer Ideologie weiter auseinandersetzen, und sie niemals vergessen dürfen!«
Wie auch immer: Der von Faymann beschworene »Rechtsstaat« mußte die Gedenkveranstaltung unter erheblichem Polizeieinsatz sichern. Der war nämlich nötig angesichts eines Mobs, der nach Presseangaben die Anzahl der etwa 200 Burschenschafter um ein Sechsfaches (!) überschritt. Es ging wohlgemerkt nicht darum, zwei gewaltbereite Gruppen voneinander getrennt zu halten, sondern eine friedliche Gruppe vor dem Zorn der anderen zu schützen. Eingeleitet wurde der Zirkus durch eine Veranstaltung der Grünen unter dem opportunistischen Motto »Wer heute nicht feiert, hat verloren.« Ein Redner warf der Regierung vor, sie würde »hochoffiziell strammstehen« vor »der SS«. Zu dieser Unterstellung hatte dieselbe Regierung nichts zu sagen, wohl aber »verurteilte« sie das Gedenken der Burschenschafter – so interpretierte zumindest der Standard Faymanns Beschwörung der »Schuld und Mitschuld«. Mit keinem Wort »verurteilt« wurde dagegen der Aufmarsch der militanten Linksextremisten, die von den Grünen als »Freunde« begrüßt wurden und die sich mit nicht unverdächtiger Lust dem Schwenken von Fahnen hingaben, darunter sowjetische, amerikanische und israelische(!) – Enkel der Besiegten, die mit siebzigjähriger Verspätung zu den siegreichen Bataillonen aufschließen und über die Phantome der »Nazis« triumphieren. Hatte der grüne Redner eben noch beklagt, daß die Wehrmachtsoldaten doch nicht »für Österreich« gefallen seien, füllte sich nun der Platz mit Horden, die patriotische Transparente mit Aufschriften wie »Österreich, du Opfer!« vor sich hertrugen. Aber das verurteilte die Regierung nicht, und auch nicht, daß in der Folge der Heldenplatz in eine dröhnende Partymeile verwandelt wurde.
Mit keinem Wort verurteilte die Regierung aber noch etwas viel Finstereres, das man wirklich einmal erlebt haben muß, um kuriert zu sein: Was nämlich am Anfang noch eine gewisse schrille Komik hatte, wurde irgendwann geradezu beklemmend. Niemand hatte zuvor die Grünen gestört, die ausreichend Zeit bekamen, öffentlich ihre Meinung zum Gedenktag zu äußern. Kein einziger Grüner wurde beschimpft oder niedergeplärrt. Kein einziger Grüner mußte von Polizisten beschützt werden, damit seine körperliche Unversehrtheit gewährt sei. Ganz anders sah es nun umgekehrt aus. Das vergleichsweise kleine Häufchen Burschenschafter, das in weiter Distanz von den Gegendemonstranten stand, gesichert durch geharnischte Polizeitruppen und multiple Absperrungen, wirkte wie menschliches Löwenfutter im antiken Kolosseum, umzingelt von einer etwa viermal so großen Masse, die unablässig brüllte, pfiff, sang und lärmte. Was man hier vor sich hatte, war nichts weiter als eine gerade noch gebändigte Pogrommeute, die ohne die Anwesenheit der Polizei mit Sicherheit handgreiflich geworden wäre.
Nicht wenige Demonstranten verhöhnten mit Wollust die neuen Untermenschen. Ventile öffneten sich. Einer brüllte: »Zum Mitschreiben für eure Blätter: Ihr und eure Freunde, Familien, Frauen und Kinder seid die Pestbeule am Sack von Adolf Hitler!« Andere skandierten: »Wir kriegen euch alle!« und das übliche »Nazis raus!« Manche Gesichter schwelgten im Triumphgefühl, Teil einer siegreichen Volksgemeinschaft zu sein, die alles Recht auf ihrer Seite hat. Die Burschenschafter verhielten sich dagegen friedlich, würdevoll und diszipliniert. Als sie abrückten, strömte die Masse ihnen gierig hinterher. Die Masse – folge ihr niemals, niemals! Sie verwandelt dich zum Schaf, zum Schwein und dann zum Wolf.
All dies firmierte in der Presse als »Störversuche ohne gröbere Zwischenfälle«. Vermutlich sieht man auch darin ein »unerschütterliches Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit« und eine »richtige« Art des »Gedenkens und Erinnerns«. Dabei war es nichts anderes als der staatlich nicht unterbundene, sondern als Ablenkungsmanöver willkommene Kampf der guten Mehrheit gegen eine unbelehrbare, böse Minderheit, die es wagte, von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Anläßlich der Ausschreitungen von Salafisten gegen eine Demonstration der islamkritischen Bürgerbewegung Pro-NRW in Bonn sprach der Publizist Manfred Kleine-Hartlage auf seiner Internetseite korrektheiten.com von einer gezielten Politik der »Entdemokratisierung und Entliberalisierung, von Gängelung und Mobterror, von Gesinnungsjustiz und unverhohlenem Rechtsbruch.«
Was am Heldenplatz am 8. Mai 2012 besonders auffiel, war die peinliche Abwesenheit des Staates, dem die Aufgabe zufiele, ein würdiges Gedenken jenseits der Bürgerkriegsgräben zu garantieren. Er hat, wie auch auf dem Finanzsektor, freiwillig das Feld geräumt und dem Mob die Drecksarbeit überlassen, die Widersassen seiner Politik wegzuputzen. Tatsächlich zeigt Faymanns Rede, daß sich das propagierte Geschichtsbild der Regierung weitgehend mit dem der Grünen und der Antifa deckt. Die extreme Linke zeigt sich einmal mehr als nützlicher Idiot und blinder Kettenhund einer Strategie der Ablenkung von den wahrlich demokratiegefährdenden globalen Finanzinteressen und einem quasi schon vollzogenen Verfassungsputsch. Dabei wäre doch der einzige Verbündete im Kampf gegen diesen Ausverkauf der starke Nationalstaat – und mit ihm sein Rückgrat: eine starke Rechte.