Die Macht des Geistes

48pdf der Druckfassung aus Sezession 48 / Juni 2012

Eine Erörterung über die Macht des Geistes ist kein akademisches Glasperlenspiel, sondern eine notwendige Selbstvergewisserung für jeden, der am Kampf des Geistes um den Gang der Welt teilhat. Folgende Punkte sind dabei ausschlaggebend:

Je mächtiger der personale Geist eines einzelnen ausgeprägt ist, um so eher hat er die Chance, im Kampf mit dem objektiven Geist, dem Zeitgeist, nicht unterzugehen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Für jede Oppo­si­ti­on ist unver­zicht­bar, einen objek­ti­ven Gegen­geist aus­zu­bil­den. Das birgt zwar die Gefahr der Ent­frem­dung und Iso­lie­rung, ver­hin­dert aber Zynis­mus. Der Erfolg mißt sich an der Stär­ke die­ses Gegenbildes.

Im Kampf des Geis­tes um die Macht dür­fen die irra­tio­na­len Momen­te nicht unter­schätzt wer­den. Geist ist gera­de nicht nur ratio­nal, blo­ßer Ver­stand. Die bes­se­ren Argu­men­te allein genü­gen nicht.

Der Kampf des Geis­tes wird über Ideen geführt und ent­schie­den. Ideen zeich­nen sich weni­ger dadurch aus, daß sie gut begrün­det sind, son­dern daß sie als Wahr­heit akzep­tiert wer­den, für die genü­gend »Ver­rück­te« (Kal­ten­brun­ner) bereit sind, viel­leicht nicht ihr Leben, aber wenigs­tens ihren guten Ruf zu opfern. Vor allem also dadurch erhal­ten Ideen Macht.

Das Prin­zip der Jün­ger­schaft wird Aus­nah­me blei­ben, nicht zuletzt, weil die Wirk­sam­keit beschränkt ist und von der Per­son des Meis­ters abhängt, mit ihm steht und fällt. Den­noch bleibt der Geist exklu­siv, aller­dings nicht im Sin­ne eines Geheim­wis­sens, son­dern als etwas, das mit Fleiß, Auf­merk­sam­keit und dem ent­spre­chen­den Wil­len erschlos­sen wer­den kann.

Der per­so­na­le Geist muß, um objek­ti­ver Geist zu wer­den oder dar­an Anteil zu haben, einen ent­spre­chen­den Macht­an­spruch ver­tre­ten. Dar­aus erge­ben sich zwei Kon­se­quen­zen: Die ver­tre­te­ne Idee darf nicht den Ein­druck erwe­cken, ver­han­del­bar zu sein. Das ver­stärkt die Geschlos­sen­heit. Sie muß aber ande­rer­seits mit einem gewis­sen Spiel­raum ver­tre­ten wer­den, um nicht als »fixe Idee« in den Bereich des Patho­lo­gi­schen abge­scho­ben zu werden.

Abschlie­ßend stellt sich die Fra­ge, von deren Beant­wor­tung viel für die Moti­va­ti­on des per­so­na­len Geis­tes abhängt, in den Kampf ein­zu­tre­ten. Sie lau­tet: Wann hat eine Per­son oder eine Insti­tu­ti­on sich objek­ti­viert, wann wird aus Erleb­nis Gebil­de, wann aus See­le Werk (Hans Frey­er)? Eine Ant­wort ist oft­mals nur aus der Rück­schau möglich.

Wer sich die Macht des Geis­tes ver­ge­gen­wär­ti­gen will, erin­ne­re sich ein­fach an eini­ge Momen­te der deut­schen Geschich­te. Immer wenn Deutsch­land am Boden lag und von mili­tä­ri­scher Macht ent­blößt war, kam eine Wie­der­ge­burt über den Geist in Gang. Das war nach dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg nicht anders als nach der Nie­der­la­ge bei Jena und Auer­stedt im Jah­re 1806. Immer ging es zunächst dar­um, phy­si­sche Ver­lus­te durch geis­ti­ge Leis­tun­gen aus­zu­glei­chen. Daß sich dar­aus wie­der greif­ba­re Macht ent­wi­ckel­te, liegt im Wesen der Macht des Geis­tes begrün­det. Clau­se­witz faß­te das in die bekann­te For­mel: »Es gibt kei­ne Hil­fe außer uns selbst, es gibt kei­ne Ret­tung außer der, wel­che in unse­rer Kraft, in unse­rem Ver­stand, in unse­rem Her­zen ist.« Neben den Wil­len, sich wie­der her­aus­zu­ar­bei­ten, tritt also die Bereit­schaft zum Wag­nis, gegen jede Wahr­schein­lich­keit und bere­chen­ba­re Mög­lich­keit eben genau die­sen Weg zu wählen.

Bereits an die­sem Bei­spiel wird deut­lich, daß es sich bei der Macht des Geis­tes um das Zen­trum der Macht über­haupt han­delt, von der alle ande­ren Macht-For­men, ob mili­tä­ri­sche oder poli­ti­sche, abge­lei­tet sind. Ohne den Geist wür­de es sie nicht geben. Und den­noch ist die Rede von der Macht des Geis­tes pro­ble­ma­tisch, da zwi­schen Macht und Geist oft­mals ein Wider­spruch gese­hen wird. Auf der einen Sei­te steht die Macht, die wahl­wei­se böse ist (Jacob Bur­ck­hardt) oder mit nack­ter Gewalt asso­zi­iert wird. Auf der ande­ren Sei­te steht der Geist, dem gern etwas Nor­ma­ti­ves unter­stellt wird und der nicht sel­ten das gute Prin­zip gegen die Macht sym­bo­li­sie­ren soll. Wie tief die­se Ent­ge­gen­set­zung ver­an­kert ist, wird am Erstau­nen dar­über deut­lich, daß sich Gebil­de­te durch­aus auch in den Dienst einer »bösen Macht« stel­len (etwa »Das drit­te Reich und sei­ne Denker«).

Es geht um die Fra­ge, wel­che Macht Ideen ent­fal­ten kön­nen und wel­che Vor­aus­set­zun­gen dafür gege­ben sein müs­sen. Immer steht eine kon­kre­te Idee, ein kon­kre­ter Geist im Mit­tel­punkt, der sich zur Macht auf­schwingt. Das ein­gangs genann­te Bei­spiel der Ereig­nis­se in den Jah­ren nach 1806 belegt die Macht des Geis­tes sehr deut­lich. Denn das, was sich dort geis­tig ereig­ne­te, hat­te nicht nur zur Fol­ge, daß Preu­ßen Deutsch­lands Ein­heit vor­an­trieb und damit Groß­macht wer­den konn­te, son­dern auch, daß die­se geis­ti­ge Grund­la­ge über hun­dert Jah­re Bestand hat­te und den Deut­schen ihren objek­ti­ven Geist gab, der in eini­gen Insti­tu­tio­nen bis heu­te nachwirkt.

Von dort zeugt sich eine Tra­di­ti­on fort, die schon vor der Nie­der­la­ge von 1918 in die­sem Sin­ne die geis­ti­gen Kräf­te, die sich abzu­nut­zen droh­ten, zu erneu­ern und das schlapp oder hohl gewor­de­ne Gemein­we­sen mit neu­em Geist zu fül­len gedach­te. Es muß ja, so der Gedan­ke, nicht immer zur Kata­stro­phe kom­men, bevor die Selbst­rei­ni­gungs­kräf­te ein­set­zen. Nach 1918 sah man daher nur das offi­zi­el­le Deutsch­land besiegt, das eigent­li­che, das geis­ti­ge, bestand wei­ter und soll­te jetzt, wie 1806, zum Tra­gen kom­men. Man wähn­te sich sogar durch die Nie­der­la­ge dem Sie­ger über­le­gen, gera­de weil klar war, daß die alten Mäch­te gewon­nen hat­ten und der Sie­ger die Gele­gen­heit ver­säum­te, sich selbst in Fra­ge zu stel­len. In der Nie­der­la­ge dage­gen lag die Mög­lich­keit, die unge­lös­ten Pro­ble­me des Mas­sen­zeit­al­ters neu anzu­ge­hen. Anders als 1806 waren die­se Bemü­hun­gen, vor allem die von der soge­nann­ten Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on aus­ge­hen­den, nicht von Erfolg gekrönt. Den­noch demons­triert die Zwi­schen­kriegs­epo­che die Macht des Geis­tes. Vor allem der Auf­stieg Hit­lers, zu dem sich Geld und Gewalt erst im Lau­fe der Jah­re gesell­ten, gab der Epo­che sein Gesicht.

Die Macht des Geis­tes ist, je nach Defi­ni­ti­on, über­all und nir­gends. Wenn man Geist nur Phi­lo­so­phen oder ande­ren Arbei­tern des Geis­tes zuge­steht (und den ande­ren den Ver­stand beläßt), wird er nur sel­ten zur Macht vor­sto­ßen, denn der Durch­laß dort­hin ist eng, und Mark Aurel oder Fried­rich der Gro­ße sind Aus­nah­me­ge­stal­ten. Wenn der Geist aber den Men­schen kon­sti­tu­iert, wird er über­all, auch in allen Macht­fra­gen, zu fin­den sein.

Da Geist nur dem Men­schen zukommt, führt die Klä­rung der Geist­fra­ge über jene nach dem Wesen des Men­schen. Spä­tes­tens seit der Roman­tik und dem Deut­schen Idea­lis­mus bil­de­te sich der heu­te gebräuch­li­che Begriff des Geis­tes her­aus, der bereits damals in Pola­ri­tät zur Natur stand, den­noch auch (bei Hegel) die gro­ße Klam­mer war, die alles (die Welt­ge­schich­te, die Phi­lo­so­phie­ge­schich­te und die Phi­lo­so­phie selbst, aber auch den ein­zel­nen, die Gesell­schaft und den Staat) umfaß­te und zusam­men­hielt. Die Macht des Geis­tes ist dabei vor­aus­ge­setzt. Daß der Mensch ein Tier sein könn­te, das sei­nen Trie­ben hilf­los aus­ge­setzt sei, kam damals nicht vor. Inso­fern stand das 20. Jahr­hun­dert, nach Dar­win, Nietz­sche und Freud, neu­en Fra­gen gegen­über, die auch den Geist betrafen.

Seit­her stel­len alle Phi­lo­so­phen zunächst die Fra­ge nach der Unter­schei­dung von Mensch und Tier, die vie­les gemein­sam haben. Max ­Sche­ler sah bei­spiels­wei­se bei bei­den eine iden­ti­sche Stu­fen­fol­ge: Gefühls­drang, Instinkt, asso­zia­ti­ves Gedächt­nis, orga­nisch gebun­de­ne prak­ti­sche Intel­li­genz. Wenn es all das sowohl beim Men­schen als auch beim Tier gebe, müs­se der Unter­schied ander­wei­tig gefun­den wer­den, und dazu gehö­re auch die Bestim­mung, ob es ein gra­du­el­ler oder ein abso­lu­ter und damit wesent­li­cher ist. Sche­ler sieht im Men­schen ein neu­es Prin­zip am Werk, das dem Leben ent­ge­gen­ge­setzt und dem­nach kei­ne Stei­ge­rung der genann­ten Stu­fen ist. Es han­delt sich um das Prin­zip des Geis­tes, das die Geschlos­sen­heit der tie­ri­schen Umwelt­struk­tur durch­bricht. Der Mensch kann sich von der Umwelt distan­zie­ren und sie zu sei­ner Welt machen. Aus die­ser Grund­struk­tur ent­ste­hen alle Wer­ke des Men­schen. Er muß dazu, so Sche­ler, die star­ke Trie­b­e­ner­gie sub­li­mie­ren, weil der Geist – als höchs­te Stu­fe – kei­ne eige­ne Ener­gie hat. Der Kraft­strom müs­se von unten nach oben gelenkt wer­den, so daß eine Span­nung zwi­schen Leben und Geist entstünde.

Daß der Geist über kei­ne eige­ne Ener­gie ver­fü­ge, ist eine The­se, die Hegel nie­mals hät­te gel­ten las­sen. Und ins­be­son­de­re für die Macht­fra­ge ist es wich­tig, ob es nicht doch eige­ne Macht­quel­len des Geis­tes gibt. Aller­dings ist klar, was uns Sche­ler sagen will: Ohne Leben ist der Geist nichts, weil er nicht im luft­lee­ren Raum, also trä­ger­los existiert.

Wir kön­nen uns, Sub­li­mie­rung hin oder her, aber auch kei­ne eige­ne Welt bau­en, son­dern wach­sen immer schon in geis­ti­ge Gebil­de hin­ein. Der per­so­na­le Geist, der ein­zel­ne Mensch, steht nie allein. Er steht in einem unauf­lös­li­chen Grund­ver­hält­nis zum objek­ti­ven Geist, der durch die dau­er­haf­ten Her­vor­brin­gun­gen des Geis­tes reprä­sen­tiert wird. Bei­de bedin­gen ein­an­der: Der per­so­na­le Geist bil­det sich am objek­ti­ven Geist und wächst in ihn hin­ein, um ihn schließ­lich mit­zu­ge­stal­ten. Hier erscheint wie­der­um die Macht­fra­ge, wenn wir davon aus­ge­hen, daß zum objek­ti­ven Geist der Zeit­geist gehört, der sich in all den je auf­schei­nen­den Facet­ten wie­der­fin­det. Die­ser objek­ti­ve Geist, so hat es der heu­te ver­ges­se­ne Phi­lo­soph Nico­lai Hart­mann geschrie­ben, ist eine Macht im Leben des Indi­vi­du­ums, die es lei­tet, führt, formt und sei­ner per­sön­li­chen Initia­ti­ve das Schick­sal bereitet.

Der ein­zel­ne kann, so Hart­mann, nur wir­ken, wo er den objek­ti­ven Geist für sich hat, indem die­ser sei­ne Gedan­ken auf­greift und sich zu eigen macht. Das pas­siert nur, wenn die Suche bereits in die­se Rich­tung geht. Der Wider­stand gegen den Zeit­geist kommt nie von ein­zel­nen, son­dern muß sich, um als objek­ti­ver Geist eine ent­spre­chen­de Macht ent­fal­ten zu kön­nen, auf eine Mehr­heit stüt­zen. Hart­mann spricht von der »Gleich­ge­formt­heit der Vie­len«, die zur Iso­lie­rung des ein­zel­nen und damit sei­ner Ohn­macht füh­re. Eine Revo­lu­ti­on kann die­ses Prin­zip nur dann durch­bre­chen, wenn die Macht und der objek­ti­ve Geist kei­ne Ein­heit mehr bil­den und das Revo­lu­tio­nä­re den neu­en Gemein­geist reprä­sen­tiert. Der Ver­such, gegen den Zeit­geist zu oppo­nie­ren, ist aber auch die ein­zi­ge Chan­ce, Macht über­haupt zu spü­ren. Denn solan­ge man kon­form lebt, bleibt die Macht des Geis­tes ungreif­bar, weil einen die »Gebor­gen­heit des Durch­schnitts­men­schen« (Hart­mann) umgibt.

Die Kon­zen­tra­ti­on auf den Macht­kampf zwi­schen per­so­na­lem und objek­ti­vem Geist führt bei Hart­mann dazu, daß die Fra­ge, wie sich der per­so­na­le Geist bil­det, recht kon­ven­tio­nell beant­wor­tet wird: Der ein­zel­ne wächst in den Zeit­geist bzw. den objek­ti­ven Geist hin­ein. Damit woll­ten sich zu allen Zei­ten eini­ge Leu­te nicht abfin­den und selbst dem Zeit­geist ihren Stem­pel auf­drü­cken. Inwie­weit Schei­tern und Gelin­gen von der ein­zel­nen Per­sön­lich­keit oder einer unter­grün­dig bereits vor­han­de­nen Strö­mung des Zeit­geis­tes abhän­gen, ist schwer zu entscheiden.

Ein ein­drucks­vol­les Bei­spiel für die Macht des per­so­na­len Geis­tes und sein Bestre­ben, Anteil am objek­ti­ven Geist zu erlan­gen, ist der Geor­ge-Kreis. Er leb­te vom Sen­dungs­be­wußt­sein des Meis­ters, dem es im Lau­fe sei­nes Lebens gelang, einen Kreis von Jün­gern um sich zu scha­ren, der auch nach sei­nem Tod Bestand hat­te. Die Macht des Geis­tes ging in die­sem Fall nicht so weit, daß das geis­ti­ge Reich zum objek­ti­ven Geist gewor­den wäre. Doch immer­hin wur­den Bei­spie­le gesetzt, an denen nicht mehr vor­bei­ge­dacht wer­den konn­te. Wie ambi­va­lent das Gan­ze ist, zeigt nicht zuletzt der Fall Stauf­fen­berg, der ja von dem Geist Geor­ges völ­lig durch­drun­gen war und die­sen eher als objek­ti­ven denn als per­so­na­len Geist wahr­ge­nom­men hat. Die Fol­ge ist, daß man sich auf die­se Art dem objek­ti­ven Geist einer Zeit ent­zie­hen kann, weil man ein geis­ti­ges Gegen­bild hat.

Wie stark der Geor­ge-Kreis um die Fra­ge nach der Macht des Geis­tes kreis­te, zeigt nicht zuletzt sei­ne Vor­lie­be für Pla­tons Phi­lo­so­phie, wor­in der Kampf des per­so­na­len Geis­tes mit dem objek­ti­ven Geist die ent­schei­den­de Rol­le spielt. Der Tod des Sokra­tes ist aus der Sicht Pla­tons eine Fol­ge eben die­ses Kamp­fes. Eines der letz­ten Bücher, dem Geor­ge vor sei­nem Tod das Impri­matur erteil­te und das unter dem Signet der Swas­tika erschien, war 1933 die Pla­ton-Mono­gra­phie von Kurt Hil­de­brandt. Sie trägt nicht umsonst den Unter­ti­tel »Der Kampf des Geis­tes um die Macht«. Trotz die­ses Anspruchs ist auch hier klar, daß Pla­ton in sei­ner ver­blen­de­ten Zeit schei­tern muß­te. Daher wand­te er sich ab von der Poli­tik, dem Bereich, der eigent­lich sein »Geschäft« gewe­sen wäre, grün­de­te sei­ne Aka­de­mie und beschwor im Kreis sei­ner Jün­ger den Geist der Zukunft. Eben­so war Geor­ge 1933 bewußt, daß sei­ne Zeit und die Zeit sei­nes geis­ti­gen Staa­tes nicht mehr zu Leb­zei­ten kom­men würden.

Hil­de­brandts Buch ist daher so etwas wie ein Abschluß (und wird von Ulrich Raulff in sei­ner Geschich­te des Krei­ses auch so ein­ge­ord­net). Sei­ne Pla­ton-Deu­tung, die auf die Macht des Geis­tes und des­sen staat­li­ches Wol­len abhebt, blieb inner­halb des Krei­ses nicht unwi­der­spro­chen. Weil Hil­de­brandt sich nach 1933 recht deut­lich inte­grier­te, war er ent­spre­chen­den Vor­wür­fen aus­ge­setzt. In einem Brief von 1949, in dem er sich dage­gen zur Wehr setz­te, heißt es: »Sie sagen ›Geist, der Macht sein will, ist Ver­der­ben.‹ Ich sage, Geist ist Macht.« Damit hat Hil­de­brandt etwas erfaßt, was den sprich­wört­li­chen pla­to­ni­schen Geist­jün­gern doch immer unan­ge­nehm war: Daß sich die Macht­fra­ge eben auch im Bereich des Geis­tes stellt – nicht nur, wenn es um den Wider­stand des per­so­na­len gegen den objek­ti­ven Geist geht, son­dern auch inner­halb der jewei­li­gen Berei­che. Das wird ger­ne aus­ge­blen­det – und zwar zuguns­ten der Eigen­schaft des Geis­tes, der den Macht­trieb über­win­den soll.

Das Gegen­teil ist der Fall: Gera­de durch die Über­win­dung des Ani­ma­li­schen durch den Geist eröff­net sich das Feld für die »dyna­mi­sche Erwei­te­rung und Absi­che­rung der Selbst­er­hal­tung« (Kon­dy­lis). Im Bereich des Ani­ma­li­schen ist die­se auf den Moment und die Gegen­wart beschränkt. Der Geist öff­net die Schran­ken. Der Instinkt wird durch den Geist ver­län­gert. Kul­tur, der objek­ti­ve Geist, beruht auf einem para­do­xen Ver­hält­nis von Instinkt und Geist, die sich gegen­sei­tig bedin­gen und ergän­zen. Damit hat er das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben nur ver­bes­sert, nicht ver­än­dert. Der Geist behaup­tet das nur, um sei­ne Chan­cen im Macht­kampf zu stei­gern. Sei­ne Objek­ti­vi­tät ist Mit­tel im Kampf. Der Geist bleibt damit lebens­nah, gera­de weil er an den Kämp­fen teil­nimmt oder sie aus­löst. Das gilt es zu beach­ten, ins­be­son­de­re dann, wenn sich der Zeit­geist nur noch als objek­ti­ver Geist tarnt, weil er längst weiß, daß sei­ne Zeit abge­lau­fen ist. Objek­ti­vi­tät ver­spricht Gebor­gen­heit und reprä­sen­tiert im Kampf die lich­te Sei­te, wes­halb die­se Mas­ke­ra­de noch auf unab­seh­ba­re Zeit Gefolg­schaft ein­for­dern kann. Erst wenn der sprich­wört­li­che Kai­ser nicht nur nackt ist, son­dern auch als sol­cher ange­se­hen wird, hat er den Kampf verloren.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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