Oder: Sag mir, wie Dein Kind heißt, ob Du Süßes oder Scharfes bevorzugst, und ich ahne, welche Bücher du liest, welche Musik du hörst, ob du grün wählst, schwarz oder gar nicht.
Es ist eine Art Erfahrungswissenschaft, die ja nicht starr verfährt, sondern flexibel; dann fügt sich die Summe der Einzelheiten rasch zu einem Bild. Eine besonders ergiebige Signatur ist die der Art des Gärtnerns.
Seit ich Kinder habe, bin ich notorische Spaziergängerin, eine Beschäftigung, die unter Umständen extrem langweilig sein kann.
Deshalb sind meine favorisierten Spazierorte – man kommt weit herum, wenn man a) wohnorthalber aufs Auto angewiesen ist und b) mit den Kleinen immer Zeit überbrücken muß, während die Großen beim Musikunterricht, beim Sport oder beim Zahnarzt sind – Friedhöfe und Kleingartenanlagen. „Kinder“ und „Garten“: beides (wenigstens seit einem guten Jahrhundert) Experimentierfelder, und bekanntlich war die Schöpfung des Kindergartens international durchschlagend. Nach Friedrich Fröbel, dem wir, wenn nicht die Erfindung, so doch die Wortschöpfung verdanken, sollte das Kind im Kinder-Garten „wie eine Pflanze gepflegt und gehegt werden.“ Eine hübsche Gleichsetzung! Zeig mir, wie du gärtnerst, und ich ahne, wie du´s mit deinen Kindern hältst! Grob gerastert gibt es diese Kategorien:
+ der Nichtsnutz: hat zwar so eine Parzelle, tut aber nichts. Kurze Lust, dann war die Luft raus. Nicht Kraut&Rüben, sondern allenfalls einzelne, jähe Versuche. Alles ist bald zu anstrengend, Motto: das Zeug wächst einem doch eh übern Kopf. Bäume, Rüben, Kartoffeln: Die machen, was sie wollen. Ein veralgter Pool mit opulenten Maßen steht herum, auf dem Boden ganze Haufen vorjähriger Äpfel, zu faulenden Leichnamen geworden. Der Prekariatsgarten. Hat der Prekariatsgärtner Kinder, entsprechen die dem Zustand seiner Parzelle. Ein paar Knollen und Zwiebeln überwintern trotz allgemeiner Verstrüppung, die blühen dann qua Umfeld umso schöner.
+Der Möchtegern: Es gibt so schicke Gärten, grad Kleingärtnern ist wieder so was von angesagt, Kirschlorbeer, das hat man jetzt! Nee, keine öden Buchenhecken, die sehen bis in den Mai hinein so gammelig aus mit ihrem ollen Laub, wir leisten uns Buchsbaum. Wir leisten uns auch teure Geräte und Sämereien, die es nicht im Baumarkt gibt, sondern nachhaltige Ware, alte Sorten, die nicht so null-acht-fünfzehn sind. Leider ist der Kirschlorbeer erfroren, alle zwanzig Pflanzen, der Buchsbaum ist vergilbt, und die guten alten Sorten erweisen sich als Sensibelchen. Was für ein Streß! Und was tun mit den Schnecken, Mäusen und anderm Ekelgetier? Lebend einsammeln, ab ins Auto und in den Wald damit? Ist es dann wirklich weg? Darf man Kartoffelkäfer in den Wald auswildern? Uff. Will ich Knecht meines Gartens sein, hab ich das verdient? Der Garten der gehobenen Mittelschicht, die sich aus emanzipatorischen Gründen dann doch lieber mit Balkongrün begnügt. Falls Kinder: Frühenglisch, Nahkampftraining für die Tochter, Kochkurs für den Buben, dann die bittere Einsicht, daß das pädagogische Konzept der je Verantwortlichen nicht wirklich ausgereift war, Abmeldung, Rückkehr zum Normalmaß, Bioladen. Das mußte mal durchrechnen, alles andere ist Selbstausbeutung, wir leben ja nicht im Mittelalter.
+ Der deutsche Mustergärtner. Planquadrate, Saatreihen werden mit gespannter Schnur markiert. Gegen Wildwuchs zweierlei Feuer: Das der eigenen Hände, die fleißig jäten und das aus dem Giftschrank. Die Satzung schreibt die 1/3‑Regelung vor, je ein Drittel Blumen, Nutzpflanzen und Erholungsfläche? Gebongt, kommt den eigenen Vorstellungen akkurat entgegen. Frosthütchen aus Plaste bis zum 14. Mai, Dünger, Schneckenkorn und „Nährlösung“ zu den im Kalender eingetragenen Terminen. Gegen Schnecken: Salz, die Viecher schreien extrem leise. Was, das Kroppzeug auf dem Mist nennen Sie Thymian? Hab ich nicht angepflanzt, brauchen wir auch nicht. Ringelblumen, Liebstöckel? Unterpflügen, sonst vermehrt sich das Zeug wie Unkraut. Schön? Lecker? Na, ist wohl Geschmackssache. Der deutsche Mustergärtner hat eine beachtliche Ernte. Riesenkürbisse, Tonnen voll Tomaten, eimerweise Gurken, aus 08/15-Samenware und ein wenig gedunsen, dennoch geschmacklich um Meilen dem Supermarktschnitt voraus. „Was soll ich damit, hier, nehmen sie,“ spricht er freundlich über den Gartenzaun. Hat er Kinder, dann werden die nicht mehr gärtnern. Die rauhen Hände, die Rückenschmerzen, der Zeitaufwand! Es sind gute Bürger, diese Kinder, artig aufgezogen zwischen Planquadrat, Saatreihen, Rankhilfen. Und die Kindeskinder, deren Eltern sich „das nicht mehr antun“? Nirgends in Europa, nicht mal in Polen oder Rumänien, sind Grundnahrungsmittel im Supermarkt so günstig wie in Deutschland. Und wer braucht eigentlich noch Grundnahrungsmittel?
Das wären die Hauptgruppen. Zwischen ihnen ist geradezu endloser Platz. Zum Glück wird auch der weidlich genutzt. Der deutsche Gärtner hat´s gut im europäischen Vergleich. Zwar nicht die hübsche frühe Blüte, den Märzsalat und die Maizucchini wie im Süden, dafür im Schnitt den besseren Boden, geringe Verdorrungsgefahr.
Hier auf dem Rittergut ackern wir uns so durch. Wir praktizieren habituell eine Form des riskanten Gärtnerns. 80 Tulpen in zwölf Farben sind diese Woche kurz vor der Blüte den Ziegen zum Opfer gefallen. Drei Kaffeefilter voller Sonnenblumenkerne habe ich gerade ausgesät; die Hühner habens tags drauf erspäht und eifrig gescharrt. Mal schauen, was dabei herauskommt.
Man könnte die Viecher besser in Schach halten, sie sind eigentlich eingezäunt. Aber wie schön ist es, das Zicklein beaufsichtigt durch den Garten bockeln zu sehen! Und nun gibt es auch kleine Menschen, die schon Riegel zu bedienen wissen, wenn die Aufsichtsperson gerade den Rücken gekehrt hat. Und die Hühner: die Armen tun ja keinen Schritt im Schnee, und da viereinhalb Monate durchgängig Schnee lag, durften sie eben mal ganz aus dem Häuschen sein.
Ansonsten pendeln wir uns zwischen einer rationalen und einer intuitiven Form des Gärtnerns ein. Unser rationaler Teil grubbert, furcht, siebt Kompost und achtet – gemäß intuitiver Eingebung – beim Reihenziehen und Abstechen auf all das, was sich unversehens und unbestellt angesiedelt hat, zehn Stockrosen mitten auf dem Kartoffelfeld werden stehengelassen. Was tun mit den Nachtviolen dort, wo eigentlich die Erdbeeren wachsen? Gewähren lassen, die duften doch so gut! Und all die erfrorenen Rosen, raus damit? Die kommen schon, die schlafen noch, mahnt die Intuition.
Hier, ein richtiges Jungschneckennest! Zwölf kleine Biester, zu einem verknäult! Die Türkenenten freuen sich über die Gabe. Vor einer Woche haben sie ihr Gelege begonnen, endlich. Der rationalere Gärtner hatte sich im Herbst schweren Herzens vom bewährten Zuchterpel getrennt, ein schnaufender Koloß. Seit Wochen herrschten nun Zweifel, ob der schmale „Neue“, eine schwarze Laune der Natur (unter zehn weißen Geschwistern) es bringt.
Der rationalere Teil trägt drei Stiegen angekeimter Kartoffeln aufs vorbereitete Beet. „Moment mal, das sind mehlige Kartoffeln, seit wann nehmen wir die denn?“ – „Das ist Reichskanzler.“ – „Ja. Aber die sind doch mehlig?“ „Schon. Aber: der Name!“ antwortet der rationalere Gärtner.
Es ist ein ordentlicher Zeitaufwand mit dem Garten, mit den Kindern. Man könnte es viel einfacher haben. Der Traum von einem wildwuchernden, bunten und doch fruchtbaren Garten, er ist nicht grad Illusion und auch keine Höllenarbeit, er ist eine Art Lebenswerk.
Hesperiolus
Rechtssein verortet sich wohl eigentlich als kepotoper Gegenort, als Widerspruch zur urbanen Grafitti-Moderne! Herbstlicher Stimmungsraum, pöbelausschliessender conclusus, klaustral, wabi-Charakter der Tee-Klause, bloß keine Lizenz zu Plastik, Baumarkt und fürs - horribile dictu - Grillen! Retro-ante-praelapsarischer Aufenthalt!