Verschiedenen Prozeßbeobachtern offenbar gar nicht: Die Nazi-Braut. Betont kühl. In Hitler-Pose. (Was ist damit gemeint?) Show. Eiskalt. Arrogant. Höhnisch. Gewinner-Lächeln. Das Haar frisiert, gar geföhnt. Dezent geschminkt. Schwarzer Blazer, weiße Bluse. Was sind das für Zeichen? Ambivalenz von Schuld und Trauer?
Frechheit! Anstatt in Handschellen und Ketten vorgeführt zu werden, wie es sich nach Auffassung mancher Presse gehört. Kein Schauprozeß, aber eine Prozeß zum Schauen. Voyeurismus. Die Dramolette um die Verteilung der Plätze im Gerichtssaal ließ ahnen: Mehr als ums Recht geht es der Öffentlichkeit ums Zusehen. – Die zoomenden Objektive lösen alle Distanz auf. Dreist glotzende Linsen. Eine Bewegung der Mundwinkel, und die Auslöser der Kameras rasten auf Dauerfeuer ein. Sie suchen das Böse in weiblicher Gestalt abzubilden, unheimlich, gerade weil dieses Gesichts nichts Horrendes hat, im Gegenteil.
Was erwartet man von dieser allseits unbekannten Frau, von deren mutmaßlichen Verbrechen bisher nichts Genaues erwiesen ist? Was wiederum die Projektionsfläche hergibt für wabernde Ahnungen und vor allem: Haß. Der immer der schlechteste Richter ist, wie die Dinge auch liegen. Die Hex’ sollen brennen, brennen soll die Hex’! Die Medien haben nicht erst beim Gladbeck-Drama ihre Unschuld verloren. Sie schaffen sich eigene Realitäten, selbst vor Gericht.
Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es nicht nur als Gebot gegenüber Gott, sondern in einem Tagebuch-Essay von Max Frisch ebenso mit Blick auf den anderen Menschen.
Vielleicht doch eher fettiges Haar? Jogginghose? Ein Aufzug, der dem Bild vom vermeintlich pathologisch-perversen Nazi näherkommen mag? Niederknien vor den Angehörigen der Opfer? Oder gälte gerade das als die schlimmste Provokation?
Frau Semiya Simsik, deren Vater umgebracht wurde, fand den ersten Tag vor Gericht „einfach sehr juristisch“. Bei allem Respekt vor dem schlimmsten Leid: Was sonst wäre günstigstenfalls dort zu erwarten?
Es ist gemordet worden, während hochdotierte, sich elitär wähnende Exekutivorgane versagten. Der Alptraum endete mit einem Doppelsuizid und einem brennenden Zwickauer Haus. Die widerlichen Taten gehören aufgedeckt, die Schuldigen bestraft. Das ist darüber sicher zu sagen, viel mehr noch nicht.
“Du Glücklicher, geboren und gehegt
Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt,
Leg hin die Waagschal – nimmer dir erlaubt!
Laß ruhn den Stein – er trifft dein eignes Haupt!”
(Annette von Droste-Hülshoff, aus dem Prolog zu “Die Judenbuche”)
Waldgänger
Lieber Herr Bosselmann,
Sie haben das ganz einfach gut geschrieben.
Zu debattieren gibt es daher eigentlich nichts.
Es ist so, wie Sie es geschrieben haben.
Vielleicht nur so viel:
Die Einen wollen einen Schauprozess, die anderen wollen einen Show-Prozess und eher die Minderheit einen ganz normalen Gerichtsprozess.